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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 09.05.2003
Aktenzeichen: 11 TaBV 84/02
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 99 Abs. 1
1. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG, Alternative "Eingruppierung" setzt voraus, dass der Arbeitgeber zur Eingruppierung aus anderen Rechtsgründen verpflichtet ist; es kommt nicht in Betracht, wenn der Arbeitgeber bei der Einstellung von Arbeitnehmern die Vergütung frei aushandelt, ohne dass ein Tarifvertrag oder ein sonstiges Vergütungsschema aus Rechtsgründen angewandt werden müsste.

2. Ein (nicht allgemein verbindlicher) Entgelttarifvertrag (ETV) wird nicht deshalb aus Gründen der Gleichbehandlung auf die Arbeitsverhältnisse der nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer anwendungspflichtig, weil der Arbeitgeber ihn auf die Arbeitsverhältnisse der tarifgebundenen (pflichtgemäß) anwendet; er wird auch nicht kraft betrieblicher Übung auf die Arbeitsverhältnisse der Nicht-Tarifgebundenen anwendungspflichtig, wenn der Arbeitgeber sich bei der Lohnfindung an ihm aus Wettbewerbsgründen orientiert, dabei die nach Ansicht des Betriebsrats falsche Gehaltsgruppe im Auge hat und die tariflichen Entgeltbeträge (der falschen Gruppe) nicht starr übernimmt, sondern teilweise vom Betriebsrat so genannte "außertarifliche" Vergütungsbestandteile gewährt. Unter diesen Voraussetzungen entsteht auch kein inhaltlich an den ETV angelehntes generelles Vergütungsschema, bei dessen Anwendung der Betriebsrat mitzubestimmen hätte.


LANDESARBEITSGERICHT KÖLN BESCHLUSS

Geschäftsnummer: 11 TaBV 84/02

Verkündet am: 09.05.2003

In dem Beschlussverfahren

hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Anhörung vom 09.05.2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Schunck als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Modemann und Nußbaum beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den am 06.06.2002 verkündeten Beschluss des Arbeitsgerichts Köln - 11 BV 35/02 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I. Die Beteiligten - nämlich der antragstellende Betriebsrat und die tarifgebundene Antragsgegnerin, die einen Verlag für Tageszeitungen betreibt (Arbeitgeberin) - streiten im Kern um die von der Arbeitgeberin geleugneten Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 99 BetrVG bei der Dotierung neu eingestellter Redaktionssekretärinnen, die nicht tarifgebunden sind. Unstreitig vereinbart die Arbeitgeberin mit den nicht tarifgebundenen Redaktionssekretärinnen weder den einschlägigen Gehaltstarifvertrag (Gehaltstarifvertrag für Angestellte in Verlagen von Tageszeitungen in Nordrhein-Westfalen = GTV) noch irgendeine Gehaltsgruppe, sondern einen festen Betrag als Vergütung. Der Betriebsrat behauptet dennoch, die Arbeitgeberin wende in betrieblicher Übung den GTV - wenn auch falsch - an, indem sie sich bei der Gehaltsfindung an der tariflichen Gehaltsgruppe A3 orientiere, während in den betroffenen Fällen des vorliegenden Verfahrens (erstinstanzlich: Fr. W, zweitinstanzlich außerdem Fr. S und K) die Gehaltsgruppe A4 die richtige sei. Welche Gehaltsgruppe die Arbeitgeberin im Falle der Anwendbarkeit des GTV für die richtige hält, ergibt der jeweils von ihr verfaßte Anhörungsbogen aus Anlaß der Einstellung. Die Gehaltsgruppe teilt die Arbeitgeberin dem Betriebsrat in diesem Anhörungsbogen deshalb mit, weil sie sich hierzu in einem Vorverfahren durch Vergleich vom 06. 04. 2000 (Arbeitsgericht Köln -4 BV 170/99) verpflichtet hat. Das Vorverfahren hatte den gleichen Streitgegenstand, veranlaßt durch die Neueinstellung anderer Arbeitnehmerinnen (u.a. Fr. k). Laut Ziffer 2. des Vergleichs (Bl. 9 f.) hielten die Beteiligten ihren jeweiligen Rechtsstandpunkt aufrecht, demzufolge der Betriebsrat eine Pflicht der Arbeitgeberin zur Eingruppierung für gegeben, diese eine solche für nicht gegeben hält. Gleichzeitig verpflichtete sich die Arbeitgeberin, dem Betriebsrat auch bei nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern "die aus ihrer Sicht hypothetisch anzuwendende Gehaltsgruppe" mitzuteilen. Der Betriebsrat hat behauptet, die Arbeitgeberin habe in der Frage der Anwendung des GTV nie zwischen tariffreien und tarifgebunden Arbeitnehmern differenziert. Erst als er im Juli 1999 der Eingruppierung von Fr. E widersprochen habe, habe die Arbeitgeberin unter dem 20. 07. 1999 (Bl. 77) mitgeteilt: "Auf Wunsch des Betriebsrates heben wir die Eingruppierung ersatzlos auf. Frau B ist nicht tarifgebunden". Dennoch wende die Arbeitgeberin den GTV weiter auf nicht tarifgebundene Redaktionssekretärinnen an; stets werde mindestens die tarifliche Vergütung gezahlt, die die Arbeitgeberin für richtig halte. Sofern eine höhere Vergütung gezahlt werde, erfolge dies außertariflich. Da die Arbeitgeberin seinen Widerspruch gegen die mitgeteilte ("hypothetische") Eingruppierung ignoriere, sei sie verpflichtet, insoweit das Zustitnmungsersetzungsverfahren durchzuführen.

Der Betriebsrat hat beantragt,

der Arbeitgeberin aufzugeben, wegen der Eingruppierung der Mitarbeiterin Ines W in die Tarifgruppe 3/3 des Gehaltstarifvertrages für Angestellte in Verlagen von Tageszeitungen in Nordrhein-Westfalen das Zustimmungsersetzungsverfahren durchzuführen.

Die Arbeitgeberin hat Zurückweisung beantragt und die Meinung vertreten, sie sei nicht verpflichtet, in eine Gehaltsgruppe des GTV einzugruppieren. Die Anwendung eines generellen Gehaltsschemas hat sie bestritten und den Sachvortrag des Betriebsrats zu dieser Frage für unsubstantiiert gehalten.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Betriebsrats zurückgewiesen mit der Begründung, der Betriebsrat habe trotz entsprechender gerichtlicher Auflage für die Anwendung eines allgemeinen Entgeltschemas auch auf nicht tarifgebundene Mitarbeiter keine konkreten Anhaltspunkte tatsächlicher Art benennen können. Hiergegen richtet der Betriebsrat die vorliegende Beschwerde, mit der er auch den gleichgelagerten Fall von zwei weiteren Arbeitnehmerinnen (S, K) in das Verfahren einbringt. Auch deren "Eingruppierung" hat er widersprochen - und zwar mit Schreiben vom 07. 06. 2002 (Bl. 256) und 13. 08. 2002 (Bl. 258). Er wiederholt seine Behauptung, die Arbeitgeberin wende auf die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer das Vergütungssystem des GTV an, da die ihnen gezahlte Vergütung exakt der Gehaltsgruppe 3/3 entspreche. Weiteres könne er nicht vortragen. Der Betriebsrat meint, die Arbeitgeberin betreibe eine Umgehung der Mitbestimmung dadurch, daß sie im Jahre 1999 ihre Eingruppierungspraxis anläßlich des Falles E geändert habe.

Der Betriebsrat beantragt,

1. unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses der Arbeitgeberin aufzugeben, wegen der Eingruppierung der Mitarbeiterin Ines W in die Tarifgruppe 3/3 des Gehaltstarifvertrages für Angestellte in Verlagen von Tageszeitungen in Nordrhein-Westfalen das Zustitnmungsersetzungsverfahren durchzuführen;

2. der Arbeitgeberin weiterhin aufzugeben, wegen der Eingruppierung der Mitarbeiterin Gabriele S in die Tarifgruppe 3/3 und wegen der Eingruppierung der Mitarbeiterin Ute K in die Tarifgruppe 3/3 jeweils des Gehaltstarifvertrages für Angestellte in Verlagen von Tageszeitungen in Nordrhein-Westfalen das Zustimmungsersetzungsverfahren durchzuführen.

Die Arbeitgeberin beantragt Zurückweisung der Beschwerde und behauptet erneut, sie wende auf nicht tarifgebundene Arbeitnehmer weder den GTV noch ein anderes Gehaltsschema an - jedenfalls seit 1999. Seit dem habe sie bei nicht tarifgebundenen Redaktionssekretärinnen keine Eingruppierung mehr vorgenommen. Vielmehr würden die Gehälter ohne Rücksicht auf den Tarifvertrag frei ausgehandelt und zum Teil auch mehr gezahlt. Der GTV diene allenfalls als Richtschnur, um sich über den Marktwert zu orientieren. Das Ergebnis sei aber regelmäßig eine Einzelfallbewertung mit individueller Vereinbarung. Schon vor 1999 sei bei Aushilfs- und Abrufkräften grundsätzlich keine Eingruppierung vorgenommen worden.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens wird auf den angefochtenen Beschluß sowie auf den Inhalt der zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II. Die Beschwerde ist unbegründet - und zwar samt der mit ihr zweitinstanzlich neu eingeführten Fälle, die das Gericht als Teil der Beschwerde betrachtet. Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Betriebsrats zu Recht zurückgewiesen.

Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Eingruppierung nach § 99 BetrVG setzt voraus, daß der Arbeitgeber zur Eingruppierung aus anderen Rechtsgründen verpflichtet ist. Das folgt schon aus dem Charakter dieses Mitbestimmungsrechts, das sich unstreitig in einem Mitbeurteilungsrecht erschöpft (BAG, Beschluß vom 22. 03. 1983 - 1 ABR 49/81 in AP Nr.6 zu § 101 BetrVG 1972; FKHES, 21. Aufl., § 99 Rn. 81; DKK-Kittner, 7. Aufl., § 99 Rn. 62). Würde das Mitbeurteilungsrecht dazu führen, dem einzustellenden Arbeitnehmer einen Anspruch auf Eingruppierung zu verschaffen, die der Arbeitgeber ihm nicht ohnehin schuldet, wirkte es rechtsgestaltend und würde damit den Bereich der Richtigkeitskontrolle verlassen. Die nicht tarifgebundenen Redaktionssekretärinnen haben gegen den Arbeitgeber keinen Anspruch auf Eingruppierung in ein kollektives Gehaltsschema:

Ein solcher Anspruch folgt nicht aus dem TVG: Beiderseitige Tarifbindung i.S.v. § 4 Abs. 1 TVG fehlt gerade. Eine Allgemeinverbindlichkeit des GTV liegt nicht vor.

Ein Eingruppierungsanspruch folgt auch nicht aus dem Arbeitsvertrag. In keinem der vorgelegten Arbeitsverträge wurde der GTV vereinbart.

Ein Eingruppierungsanspruch folgt auch nicht aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Denn die Differenzierung zwischen Tarifgebunden und Tariffreien beruht auf einem zulässigen Sachgrund.

Eine betriebliche Übung, nicht tarifgebundene Redaktionssekretärinnen einzugruppieren, ist ebenso wenig feststellbar wie die einseitige Einführung einer Vergütungsordnung für Tariffreie. Über die entgeltliche Behandlung sonstiger tariffreier Arbeitnehmer, die nicht Redaktionssekretärinnen sind, schweigt sich der Antragsteller aus. Daß die Arbeitgeberin nicht einseitig die Anwendung des GTV auf tariffreie Redaktionssekretärinnen eingeführt hat, ergibt schon der eigene Vortrag des Betriebsrats: Danach soll sich die Arbeitgeberin bei der Gehaltsfindung an der Gehaltsgruppe 3 dieses Tarifvertrags orientieren, während diese seiner Meinung nach gar nicht einschlägig ist. Es widerspricht der Logik, die Einführung einer kollektiven Vergütungsordnung in deren konsequent falscher Anwendung zu sehen. Anders läge der Fall womöglich bei einer singulären Abweichung von einer ansonsten anders geübten Praxis. Ein solcher Fall liegt aber hier nicht vor.

Es ist auch kein vom GTV abweichendes generell angewandtes Vergütungsschema speziell für Redaktionssekretärinnen festzustellen - etwa dergestalt, diesen stets eine außertarifliche Vergütung zu gewähren, die lediglich der Höhe nach der Gehaltsgruppe 3 des GTV entspricht. Nach Vortrag des Antragstellers soll die jeweils vereinbarte Vergütung lediglich mindestens der Tarifgruppe 3 entsprechen, so daß die Vergütung in Wahrheit schwanken muß. Daß er zusätzliche Vergütungsbestandteile "außertariflich" nennt, ist eine unzulässige Wertung: Eine Aufgliederung der Vergütung findet in den Arbeitsverträgen nicht statt.

Demgemäß ist eine betriebliche Übung bei der Anwendung des GTV oder eines anderen Vergütungsschemas für nicht tarifgebundene Redaktionssekretärinnen nicht festzustellen. Ob eine solche bis 1999 bestanden hat, ist unerheblich. Denn eine betriebliche Übung kann sogar mit Wirkung gegen die durch sie bereits Begünstigten (BAG, Urteil vom 04. 05. 1999 - 10 AZR 290/98 in AP Nr.55 zu § 242 B6B Betriebliche Übung), jederzeit aber mit Wirkung für die Neuzugänge wieder geändert werden. Das ist geschehen, sollte eine betriebliche Übung überhaupt jemals bestanden haben: Spätestens seit dem Vergleich vom 06. 04. 2000, in dem die Arbeitgeberin ausdrücklich ihren Rechtsstandpunkt aufrechterhielt, zur Eingruppierung von tariffreien Redaktionssekretärinnen nicht verpflichtet zu sein, konnte für den Betriebsrat und auch nicht für neu eintretende Arbeitnehmer der Eindruck entstehen, sie wolle sich durch praktische Handhabung zum Gegenteil verpflichten. Der Betriebsrat trägt auch nicht vor, welche betriebliche Praxis den nicht tarifgebundenen Redaktionssekretärinnen den Schluß hätte erlauben sollen, die Arbeitgeberin habe sich zur Anwendung des GTV oder eines anderen Vergütungsschemas verpflichten wollen (vgl. BAG, Urteil vom 21. 01. 1997 - 1 AZR 572/96 in AP Nr. 64 zu § 77 BetrVG 1972).

Die Abkehr von einer betrieblichen Übung, sollte sie denn vorgelegen haben, ist auch nicht wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht unbeachtlich - etwa wegen einer darin liegenden Umgehung der Mitbestimmung, wie der Betriebsrat meint. Der Arbeitgeber, der keinen mitbestimmungspflichtigen Tatbestand setzt, umgeht nicht die Mitbestimmung. Es besteht keine Verpflichtung des Arbeitgebers, sich mitbestimmungspflichtig zu verhalten - speziell keine Verpflichtung, eine Vergütungsordnung aufzustellen (FKHES, 21. Aufl., § 99 Rn. 75).

Das Gericht hat keinen Anlaß gesehen, die Rechtsbeschwerde zuzulassen. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 92a ArbGG wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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