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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 03.04.2003
Aktenzeichen: 10 (1) Sa 1231/02
Rechtsgebiete: ASiG


Vorschriften:

ASiG § 8 II
Das Arbeitssicherheitsgesetz geht grundsätzlich von dem Modell einer sicherheitstechnischen Stabsstelle im Betrieb aus. Damit steht nicht im Einklang, wenn die Fachkraft für Arbeitssicherheit organisatorisch und disziplinarisch einem Abteilungsleiter unterstellt wird.
LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 10 (1) Sa 1231/02

Verkündet am: 03.04.2003

In dem Rechtsstreit

hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 03.04.2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Schroeder als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Zerlett und Becker

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 29.08.2002 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Bonn - 3 Ca 844/02 - abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, den Kläger als Fachkraft für Arbeitssicherheit organisatorisch an den Fachbereich Qualitätsmanagement (QM) anzubinden.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den bis zum 28.06.2001 bestehenden Bedingungen als Sicherheitsingenieur im Rahmen einer Stabsstelle unmittelbar unter der Geschäftsleitung weiterzubeschäftigen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, den bei ihr als Fachkraft für Arbeitssicherheit (Sicherheitsingenieur) beschäftigten Kläger organisatorisch nicht mehr unmittelbar an die Geschäftsleitung, sondern an die Abteilungsleitung eines Fachbereichs (Umwelt/Qualitätsmanagement) anzubinden.

Der Kläger steht seit dem 01.01.1986 als vollzeitbeschäftigter Sicherheitsingenieur in den Diensten der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin. Die beklagten Stadtwerke waren bis 1999/2000 Eigenbetrieb. Der Kläger unterstand unmittelbar dem "ersten und kaufmännischen Werkleiter" Prof. Dr. Ing. Z (Organisationsplan Bl. 207 d. A.). Mit einer als Versetzung bezeichneten Erklärung vom 29.06.2001 (Bl. 52 d. A.) wurde der Kläger mit sofortiger Wirkung dem Fachbereich Qualitätsmanagement (QM) zugeordnet. Der Betriebsrat hatte zuvor dieser Maßnahme zugestimmt. Im Zustimmungsantrag beschrieb die Beklagte die Maßnahme wie folgt: "Die Aufgaben der Arbeitssicherheit und des Qualitätsmanagements sollen ab sofort gebündelt werden, damit künftig ein umfassendes Leistungspaket zur Verfügung steht. Es ist daher sinnvoll, die Fachkraft für Arbeitssicherheit organisatorisch/disziplinarisch an den Fachbereich Qualitätsmanagement (QM) anzubinden und die bisher SI zugeordnete Schreibkraft personell in QM zu integrieren." Weiter heißt es in dem Antrag: "Die fachliche Zuordnung der FASi an die Geschäftsführungen der einzelnen Gesellschaften des S -Konzerns sowie das direkte Vortragsrecht der FASi vor den Geschäftsführungen bleibt unverändert bestehen." Organisatorisch ist der Kläger nicht mehr der Geschäftsführung mit Herrn Prof. Dr. Ing. Z und Herrn R , sondern dem Leiter der Abteilung Umwelt/QM, Herrn Dipl.-Ing. D zugeordnet. In den Organigrammen vom Juni 2001 und zuletzt vom Januar 2003 (Bl. 37, 166 d. A.) ist angemerkt "fachliche Zuordnung (Vortragsrecht) an GF."

Mit Schreiben vom 18.07.2001 und 14.10.2001 hat der Kläger gegen diese Maßnahme protestiert und am 15.03.2002 Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, die Versetzung in den Fachbereich Qualitätsmanagement verstoße gegen die gesetzliche Regelung des § 8 Abs. 2 Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG), die eine unmittelbare Unterstellung unter die Geschäftsleitung - auch organisatorisch und disziplinarisch - vorsehe. In der Unterordnung unter den für Umwelt und Qualitätsmanagement zuständigen Leiter bestehe außerdem die Gefahr einer Abhängigkeit der Belange der Arbeitssicherheit vom Qualitätsmanagement. Demgegenüber hat sich die Beklagte auf den Standpunkt gestellt, die Vorschrift des § 8 ASiG beziehe sich nicht auf Organisationsfragen, sondern auf die fachliche Weisungsunabhängigkeit der Fachkraft für Arbeitssicherheit. Diese sei nach wie vor gegeben. Die materielle Weisungsfreiheit sei von der formellen organisatorischen Anbindung zu unterscheiden. Sie verfolge mit der organisatorischen Anbindung des Sicherheitsingenieurs an die Abteilung QM sachliche Gründe, um den betrieblichen Ablauf zu verbessern und zu beschleunigen. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und

1. festzustellen, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, den Kläger als Fachkraft für Arbeitssicherheit organisatorisch an den Fachbereich Qualitätsmanagement (QM) anzubinden,

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu den bis zum 28.06.2001 bestehenden Bedingungen als Sicherheitsingenieur im Rahmen einer Stabsstelle unmittelbar unter der Geschäftsleitung weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Parteien wiederholen und vertiefen ihren erstinstanzlichen Vortrag. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das angefochtene Urteil, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist begründet. Die Beklagte ist nicht berechtigt, den Kläger als Fachkraft für Arbeitssicherheit organisatorisch an den Fachbereich Qualitätsmanagement (QM) anzubinden und hat ihn im Rahmen einer Stabsstelle unmittelbar unter der Geschäftsleitung zu beschäftigen.

I. Nach § 8 Abs. 2 ASiG unterstehen Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit unmittelbar dem Leiter des Betriebes. Wortlaut, Gesetzessystematik und Normzweck sprechen dafür, dass die Fachkraft für Arbeitssicherheit nicht nur hinsichtlich ihrer sicherheitstechnischen Fachkunde inhaltlich weisungsfrei (§ 8 Abs. 1 Satz 1 ASiG), sondern auch in der hierarchischen Organisation unmittelbar dem Leiter des Betriebes unterstellt sein soll. Leiter des Betriebes der beklagten GmbH mit ihren ca. 270 Arbeitnehmern ist die Geschäftsleitung und nicht der unter ihr angesiedelte Abteilungsleiter Umwelt/Qualitätsmanagement.

Der Wortlaut des § 8 Abs. 2 ASiG fordert die unmittelbare Unterstellung unter den Leiter des Betriebes. Die Gesetzesmaterialien und die Systematik des Gesetzes deuten darauf hin, dass es hier um die Einordnung in die betriebliche Hierarchie, also um die organisatorische Anbindung geht, die selbstständig neben den Regelungskomplexen der fachlichen Weisungsfreiheit in sicherheitstechnischen Fragen (§ 8 Abs. 1 ASiG) und dem Vorschlagsrecht unmittelbar gegenüber dem Arbeitgeber bei Meinungsverschiedenheiten im Sinne des § 8 Abs. 3 ASiG steht. Im Regierungsentwurf zum Arbeitssicherheitsgesetz vom 26.02.1973 (BT-Drucksache 7/260, Seite 6) war in den Absätzen 1 und 2 zu § 8 zunächst lediglich die Weisungsfreiheit und das Vorschlagsrecht vorgesehen. Erst auf Anregung des Ausschusses für Arbeit und der Sozialordnung vom 11.10.1973 (BT-Drucksache 7/1085, Seite 6) wurde als weitere Bestimmung in § 8 das Unterstellungsverhältnis geregelt, und zwar die unmittelbare Unterstellung unter die Leitung des Betriebes. Der Ausschuss hat dies damit begründet, dass dadurch die Unabhängigkeit als auch der Einfluss der in § 8 Abs. 1 genannten Personen (Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit) gestärkt werden soll. Daraus erschließt sich zugleich der normative Sinn der ins Gesetz aufgenommenen Unterstellungsregelung. Unabhängigkeit und Einfluss im Betrieb sollen durch eine bestimmte organisatorische Stellung im Betrieb abgesichert und der Beratungsdienst möglichst weit "oben" in der betrieblichen Hierarchie angebunden sein. Die Vorgesetzten aus der "Linie" sollen keinen Einfluss ausüben. Mit der Stärkung von Unabhängigkeit und Einfluss steht es daher nicht im Einklang, wenn die Fachkraft für Arbeitssicherheit - wie vorliegend der Kläger - organisatorisch und disziplinarisch einem Abteilungsleiter unterstellt wird (Verwaltungsgericht Münster, Urteil vom 16.01.2002 - 9 K 2097/99 -).

Das Arbeitssicherheitsgesetz geht grundsätzlich von dem Modell einer sicherheitstechnischen Stabsstelle im Betrieb aus. Der Arbeitgeber und die betrieblichen Führungskräfte sollen von dieser Stelle bei der Durchführung der Arbeitssicherheit beraten werden, wobei durch die unmittelbare Unterstellung unter die Leitung des Betriebes der Einfluss der Sicherheitsfachkraft gegenüber den darunter stehenden Führungskräften abgesichert wird (zu den organisatorischen Möglichkeiten vgl. Schliephacke, Die Berufsgenossenschaft 1995 Seite 429 bis 433).

Eine andere Frage ist, ob bestimmte personelle Angelegenheiten einer anderen Stelle als der Leitung des Betriebes unterstellt werden können. Dabei geht es nicht um eine organisatorische Einbindung, sondern um eine Entlastung des Betriebsleiters von rein personellen Regelungen wie z. B. Krankheitsfällen und Urlaubsplanungen, die der Personalabteilung übertragen werden können (Verwaltungsgericht Münster a. a. O.; Siller, Die Berufsgenossenschaft 1995 Seite 425, 426). Um eine solche personelle Unterstellung geht es im Streitfall nicht. Zuständig für den Kläger ist der Abteilungsleiter QM sowohl in organisatorischer als auch in disziplinarischer Hinsicht. An der mit § 8 Abs. 2 ASiG nicht im Einklang stehenden Maßnahme der Beklagten vom 29.06.2001 ändert auch nichts der Umstand, dass die Beklagte der Fachkraft für Arbeitssicherheit im Organigramm ein Vortragsrecht an die Geschäftsführung eingeräumt hat, denn dies allein beseitigt nicht die mit der organisatorischen und disziplinarischen Einbindung in die Abteilung bestehenden Gefahren für die Unabhängigkeit und den Einfluss der Fachkraft für Arbeitssicherheit, denen der Gesetzgeber durch eine bestimmte organisatorische Vorgabe von vornherein begegnen wollte.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

III. Die Revision wurde nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

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