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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 08.12.2005
Aktenzeichen: 10 Sa 235/05
Rechtsgebiete: TVG, GG


Vorschriften:

TVG § 3
TVG § 4
GG Art. 2 I
Eine in einem (Haus-) Tarifvertrag vereinbarte Verpflichtung des Arbeitgebers, gewerkschaftlich nicht und anders organisierte Arbeitnehmer schlechter zu stellen als die Mitglieder der vertragsschließenden Gewerkschaft, ist grundsätzlich unwirksam.
Tenor:

1. Die Berufungen der Beklagten gegen die am 10.11.2004 verkündeten Urteile des Arbeitsgerichts Bonn - 2 Ca 2428/04, Klägerin U und 2 Ca 2429/04, Klägerin Y - werden zurückgewiesen.

2. Auf die Anschlussberufungen der Klägerinnen wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerinnen jeweils weitere 385,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins aus jeweils 55,00 € seit dem 15.11.2004, 15.12.2004, 15.01.2005, 15.02.2005, 15.03.2005, 15.04.2005 und 15.05.2005 zu zahlen.

3. Die Kosten der Berufungen und Anschlussberufungen werden der Beklagten auferlegt.

4. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Differenzierungsklausel in einem Firmentarifvertrag.

Die beiden Klägerinnen sind bei der Beklagten als Produktionsarbeiterinnen beschäftigt. Ihr Monatslohn betrug zuletzt 1.871,00 € brutto gemäß Lohngruppe L II des Firmentarifvertrages der Beklagten, den diese auf die Arbeitsverhältnisse der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer/innen anwendet. Die Maßgeblichkeit des Haustarifvertrages ist außerdem im Arbeitsvertrag mit der Klägerin U ausdrücklich vereinbart (Ziffer 6.1 des Arbeitsvertrages vom 23.02.1993).

Die Beklagte hat mit der IG Bergbau, Chemie, Energie Landesbezirk N firmentarifvertragliche Regelungen getroffen. Nach § 1 des Firmentarifvertrages gelten für alle kaufmännischen, technischen Angestellten, Meister sowie Auszubildende und alle gewerblichen Arbeitnehmer der Beklagten die zwischen dem Bundesarbeitgeberverband Chemie e. V. und der IG BCE bzw. der Tarifgemeinschaft von Arbeitgeberverbänden der Chemischen Industrie und der IG BCE Landesbezirk N abgeschlossenen und in dem Firmentarifvertrag einzeln aufgezählten Tarifverträge als Firmentarifvertrag.

Die Beklagte wandte die firmentarifvertraglichen Regelungen, insbesondere die Vergütungsregelungen, in der Vergangenheit auf alle Arbeitnehmer an unabhängig von einer etwaigen Gewerkschaftszugehörigkeit. Die Klägerinnen sind nicht tarifgebunden.

Mit Wirkung ab 01.10.2003 vereinbarte die Beklagte mit der IG BCE Landesbezirk N die Zahlung einer zusätzlichen monatlichen Vergütung von 55,00 €. In Ziffer 2 Satz 2 des Ergebnisprotokolls der Tarifverhandlung vom 26.06.2003 (Bl. 7 d. A.) heißt es dazu:

"... Dieser Tarifvertrag gilt nur für Arbeitnehmer, welche seit dem 1. Juni.2003 Mitglied der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie sind und bleiben. Für Arbeitnehmer, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, entfällt diese Vergütung bzw. ist eine zu Unrecht bezahlte Vergütung zurückzuzahlen."

Dementsprechend leistet die Beklagte die 55,00 € monatlich nicht an die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer wie die Klägerinnen. Die Klägerinnen begehren die Lohnerhöhung von monatlich 55,00 € auch für sich. Außerdem haben sie die Zahlung eines Restbetrages der tariflichen Sonderzahlung auf der Basis des monatlichen Tariflohns von 1.871,00 € brutto eingeklagt. Die Beklagte hatte lediglich 1.395,67 € brutto (Klägerin U ) bzw. 1.422,07 € brutto (Klägerin Y ) gezahlt. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, an die Klägerinnen jeweils 660,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 55,00 € ab dem 15.11.2003, dem 15.12.2003, dem 15.01.2004, dem 15.02.2004, dem 15.03.2004, dem 15.04.2004, dem 15.05.2004, dem 15.06.2004, dem 15.07.2004, dem 15.08.2004, dem 15.09.2004 und dem 15.10.2004 zu zahlen. Außerdem hat es die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung der restlichen Sonderzahlung an die Klägerin U in Höhe von 381,78 € brutto und an die Klägerin Y in Höhe von 355,38 € brutto jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.12.2004 verurteilt. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die tarifvertragliche Differenzierungsklausel sei unwirksam, weil in der Verknüpfung von Vergütungsregelung und Gewerkschaftszugehörigkeit, unabhängig von der Höhe der finanziellen Auswirkung, eine Beeinträchtigung der negativen Koalitionsfreiheit durch Ausübung eines unangemessenen Drucks vorliege. Gegen diese Urteile in den zweitinstanzlich miteinander verbundenen Verfahren richten sich die Berufungen der Beklagten. Sie beantragt die Abänderung der Urteile und die Abweisung der Klagen. Sie vertritt die Auffassung, die Differenzierungsklausel sei zulässig, ein inadäquater Druck liege nicht vor. Im Wege der Anschlussberufung haben die Klägerinnen jeweils weitere 385,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins aus jeweils 55,00 € seit dem 15.11.2004, 15.12.2004, 15.01.2005, 15.02.2005, 15.03.2005, 15.04.2005 und 15.05.2005 geltend gemacht. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die angefochtenen Urteile, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die uneingeschränkt eingelegte Berufung ist unzulässig, soweit sie sich gegen den zuerkannten Restbetrag aus der Jahresleistung richtet, denn insoweit fehlt es an der Berufungsbegründung. Wenn mit einem unbeschränkt eingelegten Rechtsmittel eine Entscheidung über mehrere prozessuale Ansprüche wie vorliegend angegriffen wird, muss sich die Rechtsmittelbegründung auf jeden einzelnen Anspruch beziehen. Fehlen Ausführungen zu einem Anspruch, ist das Rechtsmittel insoweit als unzulässig anzusehen.

II. Soweit sich die Berufung gegen den zuerkannten Anspruch auf Zahlung des "Tarifbonus" an die Klägerinnen richtet, ist sie unbegründet; die im Wege der Anschlussberufung fristgerecht erfolgten Klageerweiterungen (§ 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO) sind begründet.

1. Das Arbeitsgericht hat in den angefochtenen Urteilen zu Recht erkannt, dass auch die Klägerinnen, die nicht Gewerkschaftsmitglieder sind, Anspruch auf den sog. Tarifbonus haben. Das Berufungsgericht nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe der Vorinstanz Bezug, denn es kommt auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens zu übereinstimmenden Feststellungen, § 69 Abs. 2 ArbGG. Die Angriffe der Beklagten gegen die Urteile, mit denen im Wesentlichen die erstinstanzlichen Rechtsausführungen wiederholt und vertieft werden, rechtfertigen kein anderes Ergebnis.

2. Die Klägerinnen haben Anspruch darauf, ebenso wie die tarifgebundenen Arbeitnehmer/innen der Beklagten ab 01.10.2003 die monatliche Zusatzvergütung von 55,00 € zu erhalten. Nach dem Inhalt der Berufungsverhandlung finden die haustariflichen Regelungen seit jeher auf die Arbeitsverhältnisse der bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer Anwendung, ohne dass dabei nach Gewerkschaftszugehörigkeit differenziert worden wäre. Insoweit gelten die haustariflichen Regelungen bereits aufgrund betrieblicher Übung. Im Arbeitsvertrag mit der Klägerin U ist darüber hinaus ausdrücklich darauf hingewiesen, dass für das Arbeitsverhältnis der jeweils mit der IG Chemie N abgeschlossene Tarifvertrag maßgebend ist und diese Regelungen für beide Vertragspartner bindend sind. Im Termin der Berufungsverhandlung wurde klargestellt, dass mit dem Begriff des Tarifvertrages der jeweilige Haustarifvertrag gemeint ist, denn die Beklagte war immer selbst Tarifvertragspartei.

3. Die Differenzierungsklausel in der haustariflichen Vereinbarung vom 26.06.2003 ist unwirksam. Die gewerkschaftlich nicht organisierten Klägerinnen haben aus betrieblicher Übung und ausdrücklicher arbeitsvertraglicher Vereinbarung Anspruch auf Gleichbehandlung mit den tarifunterworfenen Arbeitnehmern und können daher von der Beklagten ebenfalls ab 01.10.2003 die monatliche Lohnerhöhung von 55,00 € verlangen.

a) Die Tarifvertragsparteien haben in der Vereinbarung vom 26.06.2003 nicht nur eine unverbindliche Differenzierungsklausel vereinbart, bei der es von der Bereitschaft der Beklagten abhinge, ob sie die Differenzierung in die Praxis umsetzt oder nicht. Es handelt sich vielmehr um eine verbindliche Differenzierungsklausel bzw. um eine sog. Tarifausschlussklausel, die es der Beklagten verbietet, die den organisierten Arbeitnehmern zugedachte Leistung den nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern zu gewähren. Letztere sollen von der tariflichen Leistung ausgeschlossen sein. Weitergehend nimmt die tarifliche Regelung für sich in Anspruch, auch für die nicht organisierten Arbeitnehmer verbindlich zu sein, indem sie vorschreibt, dass für Arbeitnehmer, die nicht seit dem 01.06.2003 Mitglied der Industriegewerkschaft BCE sind und bleiben, nicht nur die Vergütung entfällt, sondern dass diese eine bereits gezahlte Vergütung zurückzuzahlen hätten.

b) Die haustarifliche Differenzierungsklausel ist aus mehreren Gründen rechtsunwirksam:

Die sich an die nicht organisierten Arbeitnehmer wendende Regelung, eine nach dem Tarifvertrag nicht vorgesehene Vergütung zurückzuzahlen, überschreitet die Normsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien. Diese haben keine Tarifmacht über Personen, die nicht Mitglieder der Vertragsschließenden sind. Aus § 3 Abs. 2 und § 4 Abs. 1 TVG ergibt sich, dass Arbeitsverhältnisse von sog. Außenseitern normativ nicht geregelt werden können. Die Normsetzungsbefugnis bezieht sich insoweit lediglich auf die Regelung betrieblicher und betriebsverfassungsrechtlicher Fragen, nicht aber auf den Inhalt des Arbeitsverhältnisses. Eine Rückzahlungsverpflichtung der nicht organisierten Arbeitnehmer kann es daher nicht geben, wenn die Beklagte - wie in der Vergangenheit - diese Arbeitnehmer mit den tarifgebundenen Arbeitnehmern gleichstellt und auch diesen die zusätzliche Monatsvergütung von 55,00 € zahlt.

Unwirksam ist die Differenzierungsklausel auch dann, wenn nur die Beklagte als verpflichtet angesehen wird, ihre nicht organisierten Arbeitnehmer schlechter zu stellen als die Gewerkschaftsmitglieder. Die bereits vom Großen Senat in seiner Entscheidung vom 29.11.1967 (AP-Nr. 13 zu Artikel 9 GG) aufgezeigten Bedenken gegen Differenzierungsklauseln im Hinblick auf das Grundrecht der negativen Koalitionsfreiheit, die Überschreitung der Grenzen der Tarifmacht und den Grundsatz der Unzumutbarkeit der Förderung des tarifpolitischen Gegenspielers gelten auch und gerade für die streitgegenständliche Differenzierungsklausel. Sie verstößt insbesondere gegen das Grundrecht der Vertragsfreiheit (Artikel 2 Abs. 1 GG). Die nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer und die gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer, die nicht in der IG BCE Mitglied sind, haben aufgrund ihrer Vertragsfreiheit Anspruch darauf, dass andere keine Verträge schließen, die ihre privatautonomen Vertragsgestaltungschancen gezielt beeinträchtigen (Franzen, RdA 2001, Seite 10 m. N.). Die zwingende normative Schlechterstellung von Arbeitnehmern, je nach dem ob sie überhaupt nicht oder einer anderen Gewerkschaft angehören als gerade der IG BCE verstößt zudem gegen das Günstigkeitsprinzip nach § 4 Abs. 3 TVG, das eine vom Tarifvertrag abweichende Regelung erlaubt ist (Giesen, NZA 2004, 1319). Ein Tarifvertrag, der wie vorliegend die seit jeher im Betrieb der Beklagten praktizierte Gleichbehandlung von organisierten, nicht organisierten und anders organisierten Arbeitnehmern, die durch Gleichbehandlungsabreden abgesichert ist, im Kleinbetrieb der Beklagten durch eine Firmentarifvertrag gezielt unterlaufen will, lässt sich weder mit Artikel 2 Abs. 1 GG noch mit dem Günstigkeitsprinzip im Tarifvertragsrecht vereinbaren.

Gegen die Wirksamkeit der firmentariflich vereinbarten Pflicht zur Schlechterstellung von Außenseitern und anders Organisierten spricht ergänzend der unangemessene Druck auf diesen Personenkreis, sich der bestimmten Gewerkschaft IG BCE anzuschließen, um Nachteile zu vermeiden, die gerade durch die arbeitsvertraglich verankerte Gleichstellungsabrede vermieden werden sollte. Ob eine firmentarifliche Vereinbarung zulässig wäre, die Vorteile für Gewerkschaftsmitglieder der IG BCE lediglich daran anknüpft, die Beitragsbelastung dieser Gewerkschaftsmitglieder auszugleichen (so Däubler, DB 2002, Seite 1646 bis 1648; weitergehend Gamillscheg, "Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten", NZA 2005, Seite 146 ff. und Zachert, DB 1995, 322 ff.), kann dahinstehen. Der monatliche "Tarifbonus" von 55,00 € brutto übersteigt auch im Nettobetrag nicht unerheblich den unwidersprochen vorgetragenen Gewerkschaftsbeitrag von ca. 19,00 € monatlich. Für die Annahme einer bloßen Ausgleichsleistung für Gewerkschaftsbeiträge der in der IG BCE organisierten Arbeitnehmer fehlt es sowohl an der erforderlichen Transparenz der Tarifregelung als auch materiell in der Höhe an der Orientierung an einem derartigen Zweck.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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