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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 19.09.2002
Aktenzeichen: 10 Sa 612/02
Rechtsgebiete: GG, LuftpersVO


Vorschriften:

GG Art. 12
LuftpersVO § 14
LuftpersVO § 14 VII
Die zulässige Bindungsdauer bei Musterberechtigungen für einen Flugzeugtyp kann 1 Jahr überschreiten, wenn zusätzlich eine sog. CCC-Schulung erfolgt, die das berufsmäßige Fliegen erlaubt.
LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 10 Sa 612/02

Verkündet am: 19.09.2002

In dem Rechtsstreit

hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 19.09.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Schroeder als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Schulte und Lang

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 14.02.2002 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Köln - 8 Ca 4759/01 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Rückzahlung von Ausbildungskosten.

Der Kläger ist Verkehrsflugzeugführer. Er hatte die Lizenz als Flugzeugführer auf eigene Kosten erworben, verfügte aber noch nicht über die Erlaubnis für (berufsmäßige) Verkehrsflugzeugführer. Die Parteien schlossen am 06.10.1999 einen Schulungsvertrag, der die praktische Schulung für den Erwerb der Erlaubnis für Linienflugzeugführer im Sinne des § 14 Abs. 7 der Verordnung über Luftfahrtpersonal (LuftpersVO) und Musterberechtigung für den Flugzeugtyp AVRO 85 durch Vermittlung der dafür notwendigen theoretischen Kenntnisse und praktischen Fähigkeiten zum Gegenstand hatte. Die Schulung begann am 04.10.1999. Nach erfolgreichem Abschluss wurde der Kläger von der Beklagten ab dem 20.11.1999 als Flugzeugführer AVRO zu einer monatlichen Gesamtvergütung von 5.507,00 DM beschäftigt.

Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis am 27.09.2000 zum 31.03.2001.

Unter Nr. 5.3 des Schulungsvertrages sowie in § 5 des Arbeitsvertrages regelten die Parteien mit im Wesentlichen inhaltlich gleich lautenden Abreden, dass der Kläger zur anteiligen Rückzahlung der entstandenen Schulungskosten verpflichtet sei, wenn das Arbeitsverhältnis vor Ablauf von drei Jahren durch Verursachung seitens des Klägers beendet werde. Nach der Kündigung des Klägers berechnete die Beklagte auf der Grundlage von Schulungskosten in Höhe von 68.300,00 DM und 16 voll verbrachten Monaten im Arbeitsverhältnis einen Rückforderungsbetrag in Höhe von 37.944,48 DM = 19.400,70 €, was 20/30 der Gesamtsumme entspricht. Im Rahmen des Erwerbs der Musterberechtigung ("Type-Rating") entfiel ein Teil der Schulung auf ein sog. "Crew Coordination Concept" (CCC) sowie eine 100-stündige Supervision durch einen Supervisionskapitän. Die CCC-Ausbildung bezieht sich auf die Zusammenarbeit des Flugpersonals untereinander und beinhaltet die praktische Ausbildung für die berufsmäßige Tätigkeit als "Verkehrsflugzeugführer" nach § 14 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 7 LuftpersVO. In der Kostenaufstellung der Beklagten (Bl. 14 d. A.) macht der CCC-Anteil 23.900,00 DM von den Gesamtkosten in Höhe von 68.300,00 DM aus.

Von Dezember 2000 bis zum Ausscheiden des Klägers im März 2001 behielt die Beklagte die im Klageantrag zu 2) geltend gemachten Beträge von dem monatlichen Gehalt des Klägers ein. Im übrigen fordert sie den Kläger zur Rückzahlung des verbleibenden Betrages auf.

Der Kläger vertritt die Auffassung, die Rückforderung stehe nicht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach lediglich eine Bindungsdauer von einem Jahr zulässig sei. Im übrigen seien die errechneten Kosten nicht in der beanspruchten Höhe entstanden.

Der Kläger hat beantragt

1. festzustellen, dass die Beklagte gegenüber dem Kläger keinen Anspruch auf Rückzahlung der Ausbildungskosten in Höhe von 19.400,70 € für den Erwerb der Musterberechtigung AVRO gemäß § 5 des Arbeitsvertrages vom 24.11.1999 hat,

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 805,28 € netto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit 01.01.2001, 862,90 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit 01.02.2001, 834,27 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit 01.03.2001 sowie weitere 2.098,18 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit 01.04.2001 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, die Ausbildung des Klägers rechtfertige eine längere Bindungsdauer als ein Jahr, denn er habe mit dem Type-Rating auch die CCC-Schulung und darüber hinaus eine Supervision erhalten, die es ihm ermöglicht habe, sofort im Anschluss an das Type-Rating in den aktiven Flugbetrieb einzusteigen, ohne die von anderen Fluggesellschaften nach der Behauptung der Beklagten geforderten 800 bis 1000 Flugstunden absolviert zu haben. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die unter Wiederholung und Vertiefung ihrer erstinstanzlichen Rechtsansichten den Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das angefochtene Urteil, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

Die Beklagte hat keinen Anspruch auf Rückzahlung von Schulungskosten. Die von den Parteien vereinbarte Bindungsklausel ist unwirksam, soweit sie eine längere Bindung im Arbeitsverhältnis vorsieht, als sie der Kläger mit 16 Monaten erbracht hat. Daraus ergibt sich, dass die Beklagte auch nicht berechtigt war, Gehaltsteile des Klägers einzubehalten.

Nach ständiger Rechtsprechung sind einzelvertragliche Vereinbarungen grundsätzlich zulässig, wonach Ausbildungskosten, die der Arbeitgeber aufgewendet hat, vom Arbeitnehmer zurückzuzahlen sind, wenn dieser das Arbeitsverhältnis vor Ablauf bestimmter Fristen beendet. Das gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Zahlungsverpflichtungen, die an die vom Arbeitnehmer ausgehende Kündigung anknüpfen, können gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen. Die Rückzahlungspflicht muss vom Standpunkt eines verständigen Betrachters einem begründeten und zu billigenden Interesse des Arbeitgebers entsprechen. Der Arbeitnehmer muss mit der Ausbildungsmaßnahme eine angemessene Gegenleistung für die Rückzahlungsverpflichtung erhalten haben. Insgesamt muss die Erstattungspflicht dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben zumutbar sein. Die für den Arbeitnehmer tragbaren Bindungen sind aufgrund einer Güter- und Interessenabwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unter Heranziehung der Umstände des Einzelfalles zu ermitteln. Dabei kommt es unter anderem auf die Dauer der Bindung, den Umfang der Fortbildungsmaßnahme, die Höhe des Rückzahlungsbetrages und dessen Abwicklung an (BAG, Urteil vom 16.03.1994 - 5 AZR 339/92 - NZA 1994, S. 937, 938; BAG, Urteil vom 26.10.1994 - 5 AZR 390/92 -; BAG, Urteil vom 21.11.2001 - 5 AZR 158/00 - AP Nr. 31 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe).

In Anwendung dieser Grundsätze ist das Bundesarbeitsgericht für Musterberechtigungen zu dem Ergebnis gelangt, dass wegen der Besonderheiten unabhängig von der Art der Musterberechtigung und der vom Arbeitgeber aufgewandten Kosten regelmäßig eine Bindungsdauer von einem Jahr vereinbart werden darf (BAG, Urteil vom 26.10.1994 - 5 AZR 390/92 - II 2 der Gründe). Es kann dahinstehen, ob diese Rechtsprechung über jeden Zweifel erhaben ist. Die Prinzipien der Rechtssicherheit, Rechtseinheit und Voraussehbarkeit des Rechts gebieten es, dass Instanzgerichte von der ihr eingeräumten Möglichkeit der Abweichung von einer ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts grundsätzlich nur dann Gebrauch machen, wenn überzeugende, vom Bundesarbeitsgericht übersehene oder gar missachtete Gesichtspunkte oder neue Erkenntnisse ein Festhalten an der Linie des Bundesarbeitsgerichts als nicht mehr vertretbar erscheinen lassen und daher einen Wechsel der Rechtsprechung erfordern (vgl. u. a. Urteil des Hessischem LAG vom 21.11.1994, LAGE Nr. 10 zu § 611 Ausbildungsbeihilfe m. w. N.). Unter Berücksichtigung dessen sieht die Kammer keine Veranlassung, von der bisherigen Rechtsprechung zum Erwerb von Musterberechtigungen abzuweichen. Im vorliegenden Fall liegen auch keine Besonderheiten vor, die eine Verlängerung der Bindungsdauer allein aufgrund des Erwerbs der Musterberechtigung für den Flugzeugtyp AVRO 85 rechtfertigen könnten.

Die Beklagte stützt ihre Argumentation gegen die Zulässigkeit der nur einjährigen Bindungsdauer vor allem auf zwei zusätzliche Gesichtspunkte: Auf die in den Lehrgang integrierte Schulung CCC, deren Kostenanteil sie mit 23.900,00 DM beziffert, und auf die Supervision im Rahmen der Co-Piloten-Ausbildung mit einem Kostenanteil von 3.500,00 DM. Die Kammer teilt die Ansicht der Beklagten, dass sowohl der Erwerb der Musterberechtigung als auch die integrierte Schulung CCC erst die Erfüllung der Pflichten des Klägers aus dem Arbeitsvertrag ermöglicht und damit zur Einstellung geführt haben. Insoweit hat der Kläger einen geldwerten beruflichen Vorteil erlangt.

Bei der CCC-Schulung handelt es sich um einen Teil der praktischen Ausbildung zum Verkehrsflugzeugführer nach § 14 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 7 LuftpersVO. Der Kläger hat durch diese Ausbildung eine Verkehrsflugzeugführerlizenz (RTBL) erhalten, die ihm das berufsmäßige Fliegen erlaubt. Der Kläger hat dadurch einen Ausbildungsteil vermittelt bekommen, der dauerhaften Wert hat und einen noch über die Einstellung bei der Beklagten hinausgehenden beruflichen Vorteil für die Zukunft bietet. Eine getrennte Betrachtung des bloßen Erwerbs einer Musterberechtigung einerseits und der CCC-Schulung andererseits ergibt sich auch aus der unterschiedlichen Behandlung der Abnahme der Prüfung. Die zusätzliche praktische Ausbildung für das berufsmäßige Führen eines Flugzeugs schließt mit einer Prüfung durch das Luftfahrtbundesamt ab, während die Prüfung der Musterberechtigung von einem Sachverständigen abgenommen werden kann.

Auch wenn die CCC-Schulung nicht die viel teurere Pilotenausbildung ersetzt, die der Kläger selbst finanziert hat, rechtfertigt die von der Beklagten gewährte "zusätzliche praktische Ausbildung" (CCC) zum berufsmäßigem Führen eines Flugzeugs eine verlängerte Bindungsfrist. Der Kläger hat eine Verkehrsflugzeugführerlizenz derart erlangt, dass er künftig verschiedene Musterberechtigungen erwerben kann, ohne dass in diese Schulungen erneut die CCC-Schulung integriert werden muss.

Die Berücksichtigung dieses Vorteils rechtfertigt nach Auffassung der Kammer aber keine Bindungsfrist, die die Bindungsdauer für die viel zeit - und auch kostenaufwendigere Schulung für den Erwerb der Musterberechtigung um ein Drittel überschreitet. So beinhaltete der Lehrgang für das Type-Rating im Gegensatz zur CCC-Schulung ein Flugtraining auch außerhalb des Simulators, das 14 Landungen umfasste. Kostenmäßig lag unter Zugrundelegung der Angaben der Beklagten der CCC-Anteil an den Gesamtkosten für die Schulung bei etwa einem Drittel. Bei einer Gesamtschau der Umstände ist es gerechtfertigt, die regelmäßig zulässige Bindungsdauer von 12 Monaten im vorliegenden Fall um ein Drittel auf 16 Monate zu verlängern.

Dies gilt auch unter Berücksichtigung der von der Beklagten im Rahmen der Type-Rating-Schulung vermittelten Supervision. Bei Supervision wurde der Kläger im aktiven Flugbetrieb neben einem Supervisor als Linienflugzeugführer - ohne Gehalt - eingesetzt. Der Beklagten ging es darum, Flugzeugführer unmittelbar nach der Ausbildung im aktiven Flugbetrieb einzusetzen. Hätte die Beklagte auf die Durchführung einer Supervision verzichtet, hätte der Kläger, wie bei anderen Fluggesellschaften, auch bei ihr Flugstundenerfahrungen - nach dem Vortrag der Beklagten bis zu 1000 Stunden - sammeln müssen. Die in die Ausbildung integrierte Supervisionsphase mit 100 Stunden diente im wesentlichen betriebswirtschaftlichen Überlegungen und damit dem innerbetrieblichen Nutzen der Beklagten, da sie den Kläger auf diese Weise früher in ihrem Liniendienst einsetzen konnte. Im übrigen handelte es sich hier auch nur um eine relativ geringfügige Investition in die Ausbildung mit einem Kostenanteil von 3.500,00 DM bei Gesamtkosten von 68.300,00 DM.

Da die Ausbildung zum Erwerb der Musterberechtigung für das Flugzeugmuster AVRO einschließlich der Supervision und der CCC-Schulung insgesamt keine längere Bindungsfrist als 16 Monate als gerechtfertigt erscheinen läßt, der Kläger diese Bindungsdauer aber eingehalten hat, war die erstinstanzliche Entscheidung mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zu bestätigen.

Ende der Entscheidung

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