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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 09.03.2006
Aktenzeichen: 14 Ta 21/06
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 5
Eine psychische Erkrankung allein rechtfertigt eine nachträgliche Zulassung einer verspäteten Kündigungsschutzklage noch nicht; hinzukommen muss die Unmöglichkeit, infolge der psychischen Erkrankung rechtzeitig Klage erheben zu können.
Tenor:

Auf die Beschwerde der Beklagten vom 22.12.2005 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 10.11.2005 über die nachträgliche Klagezulassung wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 10.11.2005 abgeändert:

Der Antrag auf nachträgliche Klagezulassung wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die nachträgliche Zulassung seiner verspätet erhobenen Kündigungsschutzklage.

Seit dem 02.09.2002 war der Kläger als Lehrer bei der Beklagten, die eine anerkannte Ersatzschule betreibt, beschäftigt.

Wegen wiederholter Verletzung arbeitsrechtlicher Pflichten trotz Abmahnung und auch aufgrund längerfristiger erkrankungsbedingter Arbeitsunfähigkeit kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Kündigungsschreiben vom 23.07.2005 (Bl. 2 d.A.). In diesem Kündigungsschreiben wurde die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.09.2005 ausgesprochen. Die Kündigung ging dem Kläger am 23.07.2005 zu.

Am 09.09.2005 erschien der Kläger auf der Rechtsantragsstelle des Arbeitsgerichts Köln und gab seine Kündigungsschutzklage zu Protokoll. Gleichzeitig beantragte er die nachträgliche Zulassung der Klage. Diesbezüglich verwies er auf seine seit Anfang März 2005 bestehende Arbeitsunfähigkeit und überreichte ein nervenärztliches Attest vom 09.09.2005 der Praxis Dr. D und Dr. J (Bl. 3 d.A.). In diesem Attest hieß es:

"Der o.g. Patient befindet sich seit März diesen Jahres in der hiesigen psychiatrischen Behandlung. Diagnostisch liegt eine ausgeprägte depressive Erkrankung vor, die rückblickend bereits einige Monate vor der Erstinanspruchnahme ärztlicher Hilfe bestanden hat. Trotz aller bisheriger Therapiemaßnahmen einschließlich einer Medikation mit Antidepressiva und regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung ist es im gesamten bisherigen Behandlungsverlauf noch zu keiner durchgreifenden Besserung gekommen.

Aufgrund der psychischen Erkrankung ist Herr B derzeit in seiner gesamten Lebensgestaltung deutlich eingeschränkt. Es besteht eine ausgeprägte Antriebsstörung mit deutlicher Einschränkung der psychophysischen Belastbarkeit sowie erheblichen Minderungen von Konzentrationsfähigkeit und Leistungsfähigkeit. Herr B ist seit März diesen Jahres arbeitsunfähig.

Aufgrund der genannten Einschränkungen war Herr B nicht in der Lage, sich im gesamten Beobachtungszeitraum in angemessener Weise um seine persönlichen und behördlichen Angelegenheiten zu kümmern. Hierdurch bedingt war er auch nicht in der Lage, in konsequenter Weise auf die Anfang August diesen Jahres ausgesprochene Kündigung seiner Arbeitsstelle zu reagieren."

Den daraufhin anberaumten Gütetermin vom 26.09.2005 nahm der Kläger persönlich wahr. In diesem Termin wurde der Kläger nach § 11 a ArbGG belehrt und ließt sich daraufhin durch seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten vertreten. Zur Begründung der nachträglichen Klagezulassung machte der Kläger geltend, er sei aufgrund seiner psychischen Erkrankung, die in dem nervenärztlichen Attest dokumentiert werde, nicht in der Lage gewesen, rechtliche Schritte gegen die Kündigung der Beklagten einzuleiten.

Das Arbeitsgericht hat durch Beschluss vom 10.11.2005 dem Antrag auf nachträgliche Klagezulassung stattgegeben und sich hierbei insbesondere auf das nervenärztliche Attest zur Begründung bezogen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Beschluss des Arbeitsgerichts (Bl. 38 ff. d.A.) Bezug genommen.

Gegen diesen der Beklagtenseite am 08.12.2005 zugestellten Beschluss legte die Beklagtenseite am 22.12.2005 sofortige Beschwerde ein.

Sie macht geltend, Gründe für eine nachträgliche Klagezulassung seien nicht gegeben. Dem nervenärztlichen Attest könne nur entnommen werden, dass der Kläger in dem entscheidenden Zeitraum unter einer ausgeprägten depressiven Erkrankung gelitten habe. Die dortigen Ausführungen seien aber nicht hinreichend um die Anforderungen des § 5 Abs. 1 KSchG zu erfüllen. Denn der behandelnde Arzt habe nur eine gesundheitliche Situation behauptet, ohne hinreichende Anhaltspunkte dafür mitzugeben, wie sich die Erkrankung des Klägers auf dessen Lebensführung ausgewirkt habe. Aus den allgemeinen Qualifizierungen, dass der Kläger deutlich eingeschränkt gewesen sei und sich nicht in angemessener Weise um seine Angelegenheiten habe kümmern können, folge noch nicht, dass der Kläger subjektiv nicht in der Lage gewesen sei, rechtzeitig Kündigungsschutzklage zu erheben. Die Situation sei daher nicht vergleichbar mit Fällen, in denen die Rechtsprechung eine nachträgliche Klagezulassung befürwortet habe, etwa weil ein Arbeitnehmer aufgrund krankhafter Antriebsstörung in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden sei und den Realitätsbezug weitgehend verloren habe.

Entscheidend gegen die Annahme, dass der Kläger im hier gegenständlichen Zeitraum nicht in der Lage gewesen wäre, sich um seine persönlichen Angelegenheiten zu kümmern spreche, dass er am 09.09.2005 selbst aktiv geworden sei, sich um den Erhalt eines entsprechenden ärztlichen Attests bemüht habe und hiernach sogar ohne Inanspruchnahme fachlicher Hilfe durch einen Rechtsanwalt eigenständig zur Rechtsantragsstelle gegangen sei, um dort die Kündigungsschutzklage zu Protokoll zu erheben.

Die Beklagte beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 10.11.2005, Aktenzeichen 22 Ca 8473/05, abzuändern und den Antrag auf nachträgliche Klagezulassung zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Der Kläger hält die nachträgliche Klagezulassung für gerechtfertigt. Aus der nervenärztlichen Stellungnahme sei ausreichend erkennbar, dass eine Erkrankung des Klägers und die daraus folgenden Auswirkungen auf die Lebensführung des Klägers vorgelegen hätten.

Vorsorglich beruft sich der Kläger auf eine weitere fachärztliche Bescheinigung des behandelnden Arztes Dr. J vom 06.02.2006 (Bl. 60 d.A.).

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf nachträgliche Klagezulassung war nicht begründet. Der sofortigen Beschwerde der Beklagtenseite musste daher stattgegeben werden.

1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft gemäß § 5 Abs. 4 S. 2 KSchG. Sie ist auch in der gesetzlich vorgeschriebenen Frist des § 569 Abs. 1 ZPO, nämlich innerhalb 2 Wochen nach Beschlusszustellung eingelegt worden.

2. Die sofortige Beschwerde ist begründet, da kein ausreichender krankheitsbedingter Grund für eine nachträgliche Klagezulassung gemäß § 5 KSchG vorlag.

a. Eine Krankheit allein rechtfertigt noch nicht die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage. Maßgebend ist allein, ob die rechtzeitige Klageerhebung durch die Erkrankung objektiv unmöglich war. Maßgebend für die Beurteilung dieser Frage sind die Schwere der Erkrankung und die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers. Es müssen entweder schwere physische Schäden vorliegen oder es muss eine schwere psychische Beeinträchtigung des Arbeitnehmers gegeben sein, die das Urteils- und Entscheidungsvermögen entscheidend beeinträchtigt, (s. Ascheid/Preis/Schmidt, Großkommentar zum Kündigungsrecht, 2. Auflage, § 5 KSchG, Rz. 38).

Die Krankheit muss die rechtzeitige Klageerhebung unmöglich machen.

So trifft den Arbeitnehmer kein Verschulden im Hinblick auf die verspätete Klageerhebung, wenn er durch die Krankheit an die Erhebung der Klage verhindert war, weil die Krankheit so beschaffen war, dass er aus medizinischen Gründen die Wohnung nicht verlassen konnte und deshalb die Klage weder selbst noch durch beauftragte dritte Personen einreichen konnte. Kriterium für die Beurteilung dieser Frage ist auch, wie der Arbeitnehmer seine anderen persönlichen Angelegenheiten in dieser Zeit der Erkrankung besorgt hat.

Hingegen rechtfertigt die Unkenntnis der Klagefrist die nachträgliche Zulassung nicht (s. Stahlhacke/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, Rz. 1855). Dabei ist es unerheblich, ob die Unkenntnis der Klagefrist im Zusammenhang mit einer Erkrankung besteht oder unabhängig von dieser gegeben war.

b. Im vorliegenden Fall geht das erkennende Gericht wie das Arbeitsgericht davon aus, dass der Kläger im fraglichen Zeitraum arbeitsunfähig krank war und das ausgestellte nervenärztliche Attest insoweit richtig ist. Das Attest führt aus, dass der Kläger sich seit März des Jahres 2005 in Behandlung befunden hat und bei ihm eine ausgeprägte depressive Erkrankung vorliegt, bei der es bis zum Ausstellungsdatum des Attests am 09.09.2005 zu keiner durchgreifenden Besserung gekommen ist. Das erkennende Gericht geht weiter davon aus, dass entsprechend den Ausführungen des nervenärztlichen Attestes es auch richtig ist, dass der Kläger durch diese psychische Erkrankung in seiner gesamten Lebensgestaltung deutlich eingeschränkt ist. Auch die weiteren Ausführungen, dass eine ausgeprägte Antriebsstörung mit deutlicher Einschränkung der psychophysischen Belastbarkeit sowie erhebliche Minderungen von Konzentrationsfähigkeit und Leistungsfähigkeit vorliegen, wird als richtig unterstellt.

Dem Arbeitsgericht ist darin beizupflichten, dass insoweit keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der attestierenden Ärzte bzw. an der Glaubhaftigkeit des erstellten Attestes angebracht sind.

Nach dem weiteren von der Klägerseite vorgebrachten nervenärztlichen Attest vom 06.02.2006 (Bl. 60 d.A.) muss sogar davon ausgegangen werden, dass die Erkrankung des Klägers bis mindestens November 2005 in unverändertem, nicht reduziertem Umfang fortbestanden hat. Denn in diesem Attest wird ausgeführt, dass es erst mit der stationären Behandlung von November 2005 bis Januar 2006 zu einer leichtgradigen tendenziellen Besserung des Gesundheitszustandes des Klägers gekommen ist.

c. Aus dem tatsächlichen Geschehensablauf muss jedoch geschlossen werden, dass die Erkrankung des Klägers für diesen kein unüberwindliches Hindernis dargestellt hat, rechtzeitig eine Kündigungsschutzklage zu erheben. Unverkennbar war der Kläger in seinen Reaktionsmöglichkeiten durch die Erkrankung eingeschränkt. Es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass die Erkrankung ihm die Klageerhebung unmöglich gemacht hätte. Für diese Beurteilung ist entscheidend, dass der Kläger trotz gleichgebliebenen Krankheitsbildes und trotz unverändert schlechtem Gesundheitszustand, wie in den Attesten ausgewiesen, in der Lage war, sich persönlich zum Arbeitsgericht zu begeben und dort den Antrag auf nachträgliche Klagezulassung zu stellen und die Kündigungsschutzklage zu Protokoll zu erklären. Hierzu gehört auch, dass er sich zuvor das Attest vom 09.09.2005 erstellen und aushändigen ließ. Des weiteren ist zu berücksichtigen, dass der Kläger den gut zwei Wochen später stattfindenden Gütetermin am 26.09.2005 persönlich wahrgenommen hat. In diesem Gütetermin wurde er über seine Rechte nach § 11 a ArbGG belehrt. Er hat diese Belehrung, wie der nachträgliche Geschehensablauf unterstreicht, verstanden, sich entsprechend der Belehrung sich um eine anwaltliche Vertretung bemüht und sich zu seinem jetzigen Prozessbevollmächtigten begeben und diesen mit der Klage und dem Antrag auf Prozesskostenhilfe beauftragt. Trotz der ganz erheblichen krankheitsbedingten Einschränkungen und der damit verbundenen Antriebsstörung war er also in der Lage, rechtliche Belehrungen zu verstehen und daraus selbständig Schlüsse zu ziehen und seine rechtlichen Angelegenheiten in die Hand zu nehmen.

All dies muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass die Gesundheit des Klägers seit März 2005, wie die Atteste belegen, durchgehend und gleichbleibend beeinträchtigt war.

Dies lässt nur den Schluss zu, dass die psychische Erkrankung den Kläger zwar in seinen Steuerungs- und Reaktionsmöglichkeiten erheblich beeinträchtigt hat, aber nicht so erheblich, dass eine Klageerhebung zu einem früheren Zeitpunkt unmöglich gewesen wäre. Sie wäre zu einem früheren - und damit rechtzeitigen - Zeitpunkt genauso gut oder schlecht möglich gewesen wie zum 9. September 2005.

Damit korrespondiert, dass der Kläger bei Stellung seines Antrages auf nachträgliche Klagezulassung nichts dazu vorgetragen hat, durch welchen Umstand das Hindernis für die Klageerhebung weggefallen ist. Da der Antrag auf nachträgliche Klagezulassung gemäß § 5 Abs. 3 KSchG nur zulässig ist innerhalb von 2 Wochen nach Behebung des Hindernisses, muss ein Arbeitnehmer, der die nachträgliche Klagezulassung begehrt, nicht nur das Hindernis selbst vortragen, sondern auch den Zeitpunkt, zu dem das Hindernis weggefallen ist, da nur so geprüft werden kann, ob kein Verschulden vorliegt und die Frist des § 5 Abs. 3 S. 1 KSchG eingehalten worden ist. Hier kann, wie auch aus den Attesten hervorgeht, nur davon ausgegangen werden, dass der Kläger zur Zeit der tatsächlichen Klageerhebung am 09.09.2005 in demselben Umfang krank und in seiner Reaktionsfähigkeit beeinträchtigt war, wie dies während des Laufs der dreiwöchigen Klagefrist der Fall war.

Da hier der Kläger am 09.09.2005 Klage erhoben hat, muss aus allem der Schluss gezogen werden, dass ihn hierbei seine schwere psychische Erkrankung zwar behindert hat, dass diese Erkrankung dem Kläger die frühere Klageerhebung aber nicht unmöglich gemacht hat und dass demzufolge auch schon eine Klageerhebung während des Laufs der dreiwöchigen Klagefrist möglich gewesen wäre.

Aus diesen Gründen konnte die Kündigungsschutzklage des Klägers nicht nachträglich zugelassen werden.

Ende der Entscheidung

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