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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 12.02.2007
Aktenzeichen: 2 Sa 1039/06
Rechtsgebiete: TVG, BGB


Vorschriften:

TVG § 4
BGB § 307
BGB § 310
Durch die vertragliche Vereinbarung der jeweils auf die Arbeitgeberin anwendbaren Tarifverträge können auch verschlechterte Arbeitsbedingungen zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses werden. Die absolute Vergütungshöhe kann sich auch zum Negativen ändern. Dies gilt insbesondere dann, wenn damit eine Beschäftigungssicherung verbunden ist. Eine Nichtigkeit des Vergütungssystems und der absoluten Vergütungshöhe des in der Beschäftigungseinheit Vivento geltenden TV Ratio 2004 ist nicht ersichtlich.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 17.08.2006 - 1 Ca 512/06 - wird auf dessen Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Von der Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Der Kläger begründet die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts Bonn damit, ein Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck, welches zwischenzeitlich durch das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein aufgehoben wurde, widerspreche der erstinstanzlichen Entscheidung dieses Verfahrens. Der Arbeitsvertrag der Parteien ergebe, dass der TV Ratio keine Anwendung finde, stattdessen sei der ERTV weiterhin anwendbar. Für den Kläger seien die Lohnkürzungen nicht nachvollziehbar.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 17.08.2006 - 1 Ca 512/06 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 746,03 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit dem 02.02.2005 zu zahlen, sowie festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger auch für die Zeit ab Januar 2006 nach der Vergütungsgruppe T 4 Stufe 4 gemäß den Bestimmungen des Entgeltrahmentarifvertrages (ERTV der D T ) zu vergüten und die sich ergebenden Bruttodifferenzbeträge zu der erfolgten Vergütung gemäß § 6 TV Ratio in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit jeweiliger Fälligkeit zu verzinsen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie legt die arbeitsvertragliche Vereinbarung dahingehend aus, dass die jeweils auf das Arbeitsverhältnis eines vergleichbaren Gewerkschaftsmitglieds anwendbaren Tarifverträge auch im Arbeitsverhältnis mit dem Kläger Anwendung finden sollen. Die streitige Klausel des Arbeitsvertrages lautet:

"Die Bestimmungen des Tarifvertrages für die Arbeiter der D B gelten in ihrer jeweiligen Fassung als unmittelbar zwischen den Vertragsparteien vereinbart."

Entscheidungsgründe:

Die fristgerechte Berufung des Klägers ist auch zulässig. Zwar beschränkt sie sich im Wesentlichen auf die Inbezugnahme eines anderen, widersprechenden erstinstanzlichen Urteils. Allerdings ist dieser Bezugnahme zu entnehmen, dass der Kläger die im dortigen Verfahren und in seinem Arbeitsvertrag vereinbarte Regelung über die Anwendbarkeit von Tarifverträgen dahingehend ausgelegt haben möchte, dass die Bezugnahmeklausel sich ausschließlich auf den ERTV erstreckt, nicht aber auf die für die Betriebseinheit V geltenden Tarifverträge.

Das Berufungsgericht legt die fragliche Vertragsklausel im Arbeitsvertrag vom 27.08.1975 dahingehend aus, dass auf das Arbeitsverhältnis des Klägers alle diejenigen Tarifverträge Anwendung finden, die die Beklagte abgeschlossen hat und die Anwendung finden würden, wenn der Kläger Gewerkschaftsmitglied wäre.

Wie sich schon aus der Kürze des ursprünglichen Arbeitsvertrages ergibt, hatte die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin keinerlei Interesse, mit neu eingestellten Arbeitnehmern Vertragsbedingungen einzeln auszuhandeln. Sie hat sich vielmehr dahingehend binden wollen, den nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern die gleichen Arbeitsvertragsbedingungen zukommen zu lassen, wie sie für gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer aufgrund deren Koalitionszugehörigkeit galten und zukünftig gelten würden. Damit bezweckte die Beklagte durch die Vereinbarung der Inbezugnahme der jeweiligen geltenden Tarifverträge eine Gleichstellung der Arbeitnehmer untereinander unabhängig davon, ob der einzelne Arbeitnehmer Gewerkschaftsmitglied war oder nicht. Auf die Frage, ob diese Gleichstellungsklausel zusätzlich noch den Inhalt haben sollte, dies gelte nur, solange die Beklagte tarifgebunden ist, kommt es vorliegend nicht an.

Enthält die Klausel ausschließlich einen Gleichstellungs- und damit Vereinheitlichungs- und Vereinfachungszweck, so sind die jeweils beim konkreten Einsatzort und der konkreten Einsatztätigkeit gültigen Tarifverträge Inhalt des Arbeitsverhältnisses geworden. Da der Kläger zu V versetzt worden ist, sind die für diesen Betrieb gesondert abgeschlossenen Tarifverträge nunmehr auf sein Arbeitsverhältnis anwendbar. Der Kläger hat einen eventuellen Anspruch, nicht wirksam in die Beschäftigungseinheit V versetzt worden zu sein, nicht geltend gemacht, bzw. nicht aufrechterhalten. Dieser wäre ohnehin heute wegen Zeitablaufs und Hinnahme der bisherigen Arbeitsbedingungen bei V verwirkt.

Eine einzelvertragliche Auslegung der Gleichstellungsklausel dahingehend, dass die Verschlechterung von Arbeitsbedingungen, die Ablösung von Vergütungssystemen oder die Anwendbarkeit von Tarifverträgen, die nur in einzelnen Betrieben Gültigkeit haben, ausgeschlossen wäre, lässt sich dem Wortlaut der Klausel nicht wenig entnehmen. Eine solche Auslegung würde dem Zweck der Gleichstellung zuwiderlaufen.

Die erkennende Kammer hat auch keine Bedenken dahingehend, dass die arbeitsvertragliche Regelung unwirksam sein könnte. Die Bezugnahme auf Tarifverträge ist gemäß § 307 Abs. 3 BGB in Verbindung mit § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB ausdrücklich zulässig. Durch diese gesetzliche Regelung ist klargestellt, dass Inhalte von Tarifverträgen, die auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden, keine unangemessene Benachteiligung darstellen können. Dann kann eine Vertragsklausel, die die Anwendbarkeit von Tarifverträgen ohne Gewerkschaftsmitgliedschaft regelt ebenso wenig benachteiligend sein. Die Vereinbarung der Gültigkeit von Tarifverträgen stellt auch keine überraschende oder mehrdeutige Klausel dar. Die Klausel hat seit Beginn der Arbeitsverhältnisses Bestand gehabt, ohne dass zwischen den Parteien Zweifel an den geltenden Inhalten der Regelung bestand. Überraschend mag für den Kläger allenfalls gewesen sein, dass sich die wirtschaftlichen Umstände und die Beschäftigungsmöglichkeiten seiner Arbeitgeberin im Laufe des Bestandes des Arbeitsverhältnisses derart negativ entwickelt haben, dass zwischen Arbeitgeberin und Gewerkschaft Tarifverträge abgeschlossen wurden, die eine einmal erreichte Einkommenssituation negativ veränderten. Da jedoch Tarifverträge grundsätzlich nur während ihrer Gültigkeitsdauer innerhalb eines zeitlich begrenzten Abschnittes auf das Arbeitsverhältnis einwirken und nach § 4 TVG durch neuere Tarifverträge jeweils verdrängt werden, erfasst die arbeitsvertragliche Klausel jedwede Tarifentwicklung auch dann, wenn sie zu einer Verschlechterung bereits erreichter Arbeitsbedingungen führt.

Damit steht fest, dass der TV Ratio 2004 derjenige Tarifvertrag ist, der für die derzeitige Tätigkeit und den Einsatz im derzeitigen Betrieb auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet. Solange der Kläger Arbeitnehmer im Betrieb V ist, handelt es sich bei dem TV Ratio in der Fassung vom Jahr 2004 um den Tarifvertrag, der das Arbeitsverhältnis regelt. Eine Kontrolle der absoluten Vergütungshöhe oder eine anderweitig geartete Inhaltskontrolle dieses Tarifvertrages im Bezug auf die in ihm geregelte Vergütungshöhe ist nicht möglich. Der Kläger hat auch nicht geltend gemacht, dass er von der Beklagten die Zuweisung von konkreter anderer Tätigkeit verlangt, die dann wiederum zur Anwendbarkeit anderer Tarifverträge führt. Vielmehr geht das Begehren des Klägers dahin, trotz seinem Einsatz im Betrieb V nach einem nicht in diesem Betrieb anwendbaren Tarifvertrag vergütet zu werden.

Eine Nichtigkeit des TV Ratio ist vom Kläger nicht vorgetragen worden. Die zwischen Tarifvertragsparteien ausgehandelte Vergütungshöhe ist kontrollfrei. Zudem hätte selbst eine Nichtigkeit nicht zur Folge, dass die Vergütung nach dem ERTV geschuldet wäre, sondern allenfalls wäre die Vertragslücke durch die übliche Vergütung nach § 612 Abs. 2 BGB zu schließen. Da der Kläger die Vergütungsabsenkung für Zeiten der Nichtbeschäftigung angreift, wäre zu erwägen, dass die übliche Vergütung in Betrieben, auf die ein Beschäftigungssicherungstarifvertrag anwendbar ist, in der Regel sei es durch Vergütungsverzicht, sei es durch Leistung unbezahlter Mehrstunden gegenüber der Vergütung in Betrieben, für die keine Beschäftigungssicherung eingreift, regelmäßig erheblich abgesenkt ist. Letztlich können diese Erwägungen aber dahingestellt bleiben, da nicht ersichtlich ist, dass die vom Kläger angegriffene Vergütungsregelung nichtig ist.

Die Berufung war auch insoweit zurückzuweisen, als der Kläger die Rückzahlung der einbehaltenen Vergütungsbestandteile in Höhe von 533,60 € netto (= 746,03 € brutto) verlangt.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Tarifvertragsänderung zum 01.07.2004 in Kraft trat und der Kläger bereits frühzeitig darauf hingewiesen wurde, dass die korrekte Berechnung seiner Vergütung in den ersten Monaten nach der Tarifvertragsänderung aus technischen Gründen nicht erfolgen könne. Die Beklagte hat deshalb frühzeitig darauf hingewiesen, dass die Vergütungsabrechnungen und Auszahlungen für die Zeit ab Inkrafttreten des TV Ratio 2004 lediglich unter Vorbehalt erfolgen. Eine echte Rückwirkung ist mit dem Inkrafttreten des Tarifvertrages nicht erfolgt. Insbesondere greift der Tarifvertrag nicht in in der Vergangenheit liegende, bereits erworbene Vergütungsanteile ein. Vielmehr war lediglich die Beklagte verwaltungsmäßig nicht in der Lage, die geänderten Vergütungsregelungen bereits mit Inkrafttreten des Tarifvertrages umzusetzen. Hierdurch kam es zu der angekündigten Überzahlung und Rückberechnung der Vergütung.

Die Kostentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Revision wurde nicht zugelassen, da eine abweichende zweitinstanzliche Entscheidung oder eine abweichende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zum Zeitpunkt der Verkündung nicht bekannt war.

Ende der Entscheidung

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