Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 06.04.2009
Aktenzeichen: 2 Sa 1418/08
Rechtsgebiete: MTV Metallindustrie NW, ArbZG, BGB


Vorschriften:

MTV Metallindustrie NW § 10
ArbZG § 5
ArbZG § 7
BGB § 87
BGB § 275
BGB § 326
Eröffnet eine Betriebsvereinbarung über flexible Arbeitszeit, Arbeit nachzuholen, die wegen der Ruhenszeit aus § 5 ArbZG nicht geleistet worden ist, so ist die Ruhenszeit nicht nach § 326, 275 BGB zu vergüten. Die Möglichkeit, Arbeit innerhalb eines Arbeitszeitrahmens erbringen zu können, führt zu einer zulässigen Verlagerung des Beschäftigungsrisikos vom Arbeitgeber zum Arbeitnehmer.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 01.09.2008 - 15 Ca 1470/08 - wird auf dessen Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Frage, ob die Beklagte verpflichtet ist, Ruhezeiten zu vergüten, die notwendig wurden, weil der Kläger während nächtlicher Bereitschaftsdienste zur Arbeit herangezogen wurde.

Der Kläger ist 34 Jahre alt. Er ist seit dem 16.01.1994 bei der Beklagten als Außendienstmitarbeiter und Kälteanlagenbauer beschäftigt. Zuletzt verdiente er einen Stundenlohn in Höhe von 18,69 €. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für die Metallindustrie NRW Anwendung. § 10 Ziffer 1 MTV lautet wie folgt:

1. Muss die Arbeit aus Gründen ruhen, die der Arbeitgeber zu vertreten hat, so ist den Beschäftigten für die ausgefallenen Arbeitsstunden das regelmäßige Arbeitsentgelt weiterzuzahlen (§ 16).

Ist eine Schicht oder sind mehrere Schichten durch einen Beauftragten des Arbeitgebers so rechtzeitig abgesagt, dass der/die Beschäftigte(n) vor Antritt des Weges zur Arbeitsstelle weiß, dass die Schicht nicht verfahren wird, so besteht Anspruch auf Bezahlung, wenn nicht Gelegenheit gegeben wird, die Ausfallstunden nachzuarbeiten. Der Zeitpunkt für das Nachholen der Schicht ist mit dem Betriebsrat zu vereinbaren. Diese Nachholschichten gelten als Mehrarbeit.

Die Arbeitgeberin war bereits in einem anderen arbeitsgerichtlichen Verfahren, welches vom Landesarbeitsgericht Hamm entschieden wurde (3 Sa 261/03 vom 14.05.2003) beklagte Partei. Das Landesarbeitsgericht Hamm hat dem dortigen Kläger für durch die nach § 5 Abs. 1 ArbZG wegen der dort geregelten Ruhezeit ausgefallene Arbeitszeit eine Entschädigung zugesprochen und die Möglichkeit einer Nachholung der Arbeit deshalb als nicht gegeben angesehen, weil die Verlagerung der ausgefallenen Arbeitszeit mitbestimmt i. S. d. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ist. Eine Zustimmung des Betriebsrats zur Verlegung der Arbeitszeit oder eine generelle Regelung hierzu war seinerzeit nicht gegeben.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien des vorliegenden Rechtsstreits ist nunmehr eine neu abgeschlossene Betriebsvereinbarung zur flexiblen Arbeitszeit anwendbar. Hierin ist Folgendes geregelt:

3. Arbeitszeit

3.1 Rahmen der flexiblen Arbeitszeit

Der Rahmen der flexiblen Arbeitszeit ist

Montag - Samstag 7.30 - 20.00 Uhr

...

3.2 Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit

Die tägliche Arbeitszeit beginnt mit dem Eintreffen am ersten Einsatzort (Servicestelle oder Betriebsstätte), spätestens jedoch zum im Einsatzplan vereinbarten Startzeitpunkt. Der Startzeitpunkt kann in der normalen Arbeitszeit zwischen 7.30 und 8.00 Uhr, in der versetzten Arbeitszeit je nach Phase vereinbart werden.

...

3.6 Zeitguthaben

Durch den Abgleich der täglichen Soll- und Istarbeitszeit entsteht ein Zeitguthaben, welches den Mitarbeitern auf einem monatlichen Zeitausdruck angezeigt wird. Das Zeitguthaben muss am Ende jedes Kalendermonats in einer Bandbreite von minus 50 bis plus 150 Stunden liegen.

7. Rufbereitschaft

...

7.4 Ruhezeit

Abweichend von § 5 Abs. 1 ArbZG wird gemäß § 7 Abs. 2 ArbZG i. V. m. § 3 Nr. 12 Manteltarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen folgende Regelung vereinbart:

Zwischen dem Ende der Tagesarbeitszeit in der Normalarbeitszeit und dem Beginn der Tagesarbeitszeit des darauffolgenden Tages muss abzüglich der Arbeits- und Fahrtzeit während der Rufbereitschaft eine Ruhezeit von insgesamt mindestens 11 Stunden liegen.

Erforderlichenfalls muss der Beginn der Tagesarbeitszeit des auf den Einsatz während der Rufbereitschaft folgenden Tages nach hinten verschoben werden, um eine Ruhezeit von insgesamt 11 Stunden zu gewährleisten.

Die Ruhezeit darf auch unterbrochen sein, soweit durch die Unterbrechungen eine Erholung nicht ausgeschlossen ist. Die Beurteilung, ob durch die Unterbrechung der Ruhezeit eine ausreichende Erholung mit dem geplanten Beginn der Tagesarbeitszeit nicht gegeben ist, obliegt dem Servicetechniker. Der Servicetechniker muss umgehend mitteilen, in welchem Umfang eine Verschiebung der Tagesarbeitszeit erforderlich ist.

...

Der Kläger begründet seinen Anspruch damit, dass er bspw. in der Nacht vom 20.06.2007 auf den 21.06.2007 Rufbereitschaft geleistet habe und in dieser Nacht Arbeitszeit angefallen sei. Deshalb habe er die Arbeit am 21.06.2007 statt um 8.00 Uhr erst um 12.15 Uhr beginnen können. Diese 4,5 Stunden seien ihm zu vergüten. Eine Nacharbeit sei deshalb nicht möglich gewesen, da in der konkreten Arbeitsphase ohnehin täglich 9 Stunden Arbeitsleistung erforderlich gewesen seien. Es habe allenfalls die Möglichkeit bestanden, eine Stunde täglich an Arbeitszeit zusätzlich zu leisten. Die Regelung der flexiblen Arbeitszeit verschiebe das unternehmerische Risiko unzulässig zu Lasten der Arbeitnehmer.

Die Beklagte vertritt demgegenüber die Ansicht, durch die Betriebsvereinbarung zur flexiblen Arbeitszeit sei bereits keine Arbeitsleistung am 21.06.2007 in der Zeit von 8.00 - 12.15 Uhr geschuldet gewesen. Der Kläger habe keinerlei Vergütungsverluste, da er aufgrund der Betriebsvereinbarung seine Regelvergütung jeden Monat in gleicher Weise ausgezahlt erhält. Das Arbeitszeitguthaben der flexiblen Arbeitszeit diene gerade dazu, das wirtschaftliche Risiko der Beklagten zu verringern und damit die Wettbewerbsfähigkeit und die Sicherheit der Arbeitsplätze zu erhöhen.

Das Arbeitsgericht Köln hat die Klage abgewiesen und die Berufung im Urteil zugelassen. Mit seiner Berufung beantragt der Kläger,

unter Abänderung des am 01.09.2008 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Köln - 15 Ca 1470/08 - die Beklagte zu verurteilen, an ihn 509,30 € brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 79,43 € seit 01.07.2007, aus 79,43 € seit 01.08.2007, aus 163,54 € seit 01.09.2007, aus 88,87 € seit 01.10.2007, aus 60,74 € seit 01.11.2007 sowie aus 37,38 € seit dem 01.12.2007.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Beide Parteien vertiefen ihre erstinstanzlich bereits vorgetragenen Rechtsansichten.

Entscheidungsgründe:

Die zugelassene und im Übrigen auch fristgerechte Berufung des Klägers ist nicht begründet. Dem Kläger steht eine Vergütung für die Ruhenszeit (bspw. am 21.06.2007 in der Zeit von 8.00 - 12.15 Uhr) unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.

Zunächst ist festzustellen, dass für den Kläger in dieser Zeit keine Arbeitszeit ausgefallen ist. Denn die Regelung der Betriebsvereinbarung über die flexible Arbeitszeit der Servicetechniker vom 12.02.2007 besagt insoweit, dass sich für Mitarbeiter, die in der Rufbereitschaft zum Einsatz gekommen sind, der regelmäßige Beginn der Arbeitszeit nach hinten verschiebt, um die erforderliche Ruhezeit zu gewährleisten. Durch diese Regelung ist für den Kläger auch kein Vergütungsausfall zu erwarten, denn er erhält in jedem Monat seine Regelvergütung gezahlt, so als habe er jeden Monat die gleiche Stundenanzahl geleistet. Durch den erheblichen Zeitrahmen, der zur Ableistung der Arbeitszeit zur Verfügung steht, ist es dem Kläger möglich, in diesem oder in den Folgemonaten sein Arbeitszeitkonto so zu gestalten, dass die geleistete Arbeitszeit mindestens der gezahlten Vergütung entspricht. Auch ist nicht ersichtlich, dass nach der Betriebsvereinbarung eine entstehende Minderstundenzahl zu einer Vergütungskürzung führen kann. Vielmehr haben sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber um einen entsprechenden Ausgleich des Stundenkontos zu bemühen. Diese Regelung enthält eine betriebsverfassungsrechtlich zulässige Nachholmöglichkeit, i. S. d. § 10 Ziffer 1 MTV. Damit ist durch die betriebliche flexible Arbeitszeitregelung gewährleistet, dass der Kläger aufgrund der einzuhaltenden Ruhezeit keinerlei Lohneinbußen erfährt und in der Lage ist, seine Regelvergütung durch Nacharbeit ins Verdienen zu bringen. Dass der Kläger die gleiche Chance hat, Überstunden anzusammeln wie Arbeitnehmer, die in der fraglichen Woche nicht zum Bereitschaftsdienst herangezogen wurden und deshalb ihr Arbeitszeitkonto möglicherweise auffüllen konnten, ist nicht durch § 10 Abs. 1 MTV NRW oder § 326 Abs. 2 S. 1 BGB i. V. m. § 275 Abs. 2, Abs. 3 BGB geschuldet.

Der Kläger steht sich durch die Regelung zur flexiblen Arbeitszeit nicht anders, als ein Mitarbeiter, der Guthaben aus dem Arbeitskonto dazu verwenden muss, um einen dringenden Behördengang oder einen terminierten Arztbesuch durchzuführen. Auch in diesen Fällen, in denen normalerweise das Vergütungsrisiko gemäß § 616 BGB vom Arbeitgeber zu tragen wäre, führt die Regelung der flexiblen Arbeitszeit dazu, dass für den Arbeitnehmer keine Arbeitszeit ausfällt und damit keine Vergütung durch den Arbeitgeber zu leisten ist. Die Regelung der flexiblen Arbeitszeit führt deshalb insgesamt unabhängig von der Frage der einzuhaltenden Ruhezeit nach § 5 ArbZG dazu, dass zulässigerweise ein Betriebsrisiko aus § 615 BGB von den Arbeitnehmern mitgetragen wird, welche in Zeiten hohen Arbeitsanfalls Guthabenstunden aufbauen können, um hierdurch Zeiten mit geringerer Arbeitsbelastung aber auch Ruhenszeiten nach § 5 ArbZG ausgleichen zu können. Durch den flexiblen Arbeitszeitrahmen schuldet nämlich der Arbeitnehmer nicht mehr seine Arbeitszeit zu einem ganz konkreten stets gleichbleibenden Zeitpunkt, sondern er erhält die Gelegenheit, innerhalb eines Zeitrahmens Arbeitszeit zu erbringen. Die Vergütung folgt dabei nicht den jeweils geleisteten Arbeitsstunden, sondern wird gleichmäßig anhand der Regelarbeitszeit errechnet und gezahlt. Mehr- oder Minderstunden im Hinblick auf die Vergütungsabsicherung werden saldiert und dienen gerade dem Ausgleich des Beschäftigungsrisikos.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Revision wurde nicht zugelassen, da eine Abweichung von der Entscheidung des LAG Hamm aufgrund des neuen Sachverhalts nicht gegeben ist.

Ende der Entscheidung

Zurück