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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 04.05.2009
Aktenzeichen: 2 TaBV 8/09
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 99
Anschluss an die BAG-Rechtsprechung vom 22.10.2008 (4 AZR 793/07) und vom 22.04.2009 (4 ABR 14/08) zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln im öffentlichen Dienst, zur Rückwirkung der Auslegungsrechtsprechung, und zum europarechtlichen Zusammenhang.
Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Siegburg vom 11.11.2008 - Az.: 5 BV 33/08 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten um die Eingruppierung von vier Arbeitnehmerinnen. Die antragstellende Arbeitgeberin betreibt in St. A eine Kinderklinik und beschäftigt eine Vielzahl von Mitarbeitern. Der Beteiligte zu 2. ist der bei ihr amtierende aus 11 Mitgliedern bestehende Betriebsrat.

Zwei der Arbeitnehmerinnen, um deren richtige Eingruppierung die Parteien streiten, begannen ihr Arbeitsverhältnis zum 01.04.2002, zwei weitere zum 01.05.2002.

In allen Arbeitsverträgen heißt es wie folgt:

Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung. Außerdem finden die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung.

Bei Abschluss der Arbeitsverträge war nicht die jetzige Arbeitgeberin beteiligt, sondern deren Rechtsvorgängerin. Die Arbeitsverhältnisse sind gemäß § 613 a BGB zum 01.01.2003 auf die Antragstellerin übergegangen. Zuvor hatte die Rechtsvorgängerin ihre Mitgliedschaft im Kommunalen Arbeitgeberverband zum 31.12.2002 beendet. Die jetzige Arbeitgeberin ist nicht Mitglied eines Arbeitgeberverbandes.

Die Arbeitgeberin hat die Eingruppierungen der im vorliegenden Verfahren betroffenen vier Mitarbeiterinnen nicht auf den TVöD umgestellt. Sie vertritt die Ansicht, die Arbeitnehmerinnen behielten nach wie vor ihre Eingruppierung nach dem BAT. Dieser sei seit 2002 nunmehr statisch anzuwenden.

Die Arbeitgeberin wendet sich dagegen, dass die arbeitsvertragliche Klausel als dynamische Verweisungsklausel auszulegen sei. Der TVöD sei ohnehin kein Nachfolgetarifvertrag des BAT. Auch ergebe sich aus dem zweiten Satz der Verweisungsklausel, dass nur die Tarifverträge Anwendung finden sollten, an die der Arbeitgeber durch Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband gebunden sei und die deshalb für ihn gelten würden.

Auch sei der Vertrauensschutz für die verwendeten Klauseln bis zum 14.12.2005, dem Datum der Ankündigungsentscheidung zur Rechtsprechungsänderung auszudehnen. Weiterhin wendet die Arbeitgeberin ein, dass die Auslegung im Sinne einer dynamischen Verweisung europarechtswidrig sei. Der Betriebsrat tritt diesen Rechtsansichten unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entgegen.

Das Arbeitsgericht hat den Zustimmungsersetzungsantrag abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Arbeitgeberin mit der Beschwerde und vertieft ihre erstinstanzlich geäußerten Rechtsansichten.

Sie beantragt,

unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Siegburg vom 11.11.2008 -AZ 5 BV 33/08- die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zu den Eingruppierungen der Arbeitnehmerinnen Frau E Sch in die Gehaltsgruppe BAT V/5, Frau A K in die Gehaltsgruppe BAT V/10, Frau K H in die Gehaltsgruppe BAT Kr V/4, sowie Frau F G in Gehaltsstufe BAT Kr VI/Fallgruppe 19 zu ersetzen,

hilfsweise, festzustellen, dass die Zustimmung des Betriebsrats zu den Eingruppierungen der oben genannten Arbeitnehmerinnen nicht erforderlich ist.

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerde zurück zu weisen.

II. Die zulässige und fristgerechte Beschwerde der Arbeitgeberin ist nicht begründet. Die vier hier betroffenen Arbeitnehmerinnen sind gemäß §§ 3 ff. TVÜ-VKA in die neuen Entgeltgruppen des TVöD überzuleiten. Hierzu besteht das Mitbestimmungsrecht des Betriebsratsaus § 99 BetrVG.

Die Auslegung der in den vier Arbeitsverträgen vereinbarten identischen Bezugnahmeklausel ergibt, dass auf die Arbeitsverhältnisse zum Zeitpunkt des Antrags auf Zustimmung zur Eingruppierung der BAT nicht mehr anwendbar war, sondern durch den TVöD sowie den TVÜ-VKA abgelöst wurde.

Das Landesarbeitsgericht folgt hinsichtlich der Auslegung der Vertragsklausel der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus den Entscheidungen vom 14.12.2005 (4 AZR 536/04), 18.04.2007 (4 AZR 652/05) und 22. 10.2008 (4 AZR 793/07). Hierin hat das Bundesarbeitsgericht überzeugend ausgeführt, dass die vom Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 19.03.2003 (4 AZR 331/02) vertretene Auslegung fehlerhaft ist und die Bezugnahmeklausel immer schon nach dem Empfängerhorizont hätte ausgelegt werden müssen. Danach hätte die Frage, ob der konkrete Arbeitgeber tatsächlich bei Vertragsabschluss tarifgebunden war, als außerhalb der Absprache liegendes arbeitgeberseitiges Motiv überhaupt keine Berücksichtigung finden dürfen. Aufgrund der Diskussion in der juristischen Literatur und den vorinstanzlichen Entscheidungen, die die bisherige Rechtsprechung des BAG schon lange infrage stellte, sei es einem Arbeitgeber spätestens ab 01.01.2002 zumutbar gewesen, bei Abschluss von Arbeitsverträgen seinen wirklichen Willen klar zum Ausdruck zu bringen und die neu eingestellten Arbeitnehmer nicht darüber im Unklaren zu lassen, für welche Fälle konkret Tarifverträge in Bezug genommen werden sollen.

Insbesondere die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts in den Entscheidungen vom 18.04.2007 und 22.10.2007 zu der Frage, bis zu welchem Zeitpunkt ein Arbeitgeber die ihm mögliche Klarstellung im Arbeitsvertrag unterlassen durfte, sind überzeugend. Es ist eher begründungsbedürftig, warum Arbeitnehmer, deren Arbeitsvertrag vor dem 01.01.2002 geschlossen wurde, von der materiell richtigen Auslegung der Vertragsklausel ausgeschlossen bleiben sollen, also warum diese Arbeitnehmer trotz fehlerhafter ursprünglicher Auslegung des BAG aus der geänderten richtigen Rechtsprechung nunmehr keine Rechte herleiten können sollen, als zu begründen, warum Arbeitgeber schutzbedürftig sein sollen, denen es seinerzeit schon möglich war, andere Klauseln zu verwenden, die ohne die damaligen BAG-Auslegungsklimmzüge für Arbeitnehmer verständlich waren.

Auch der Hinweis der Arbeitgeberin, dass der zweite Satz der Bezugnahmeklausel, der sich in ähnlicher Form in den Arbeitsverträgen der oben zitierten BAG-Entscheidungen ebenfalls findet, ergebe, dass insgesamt nur "geltende", d. h. Tarifverträge in Bezug genommen werden sollten, die durch Verbandszugehörigkeit auf den Arbeitgeber Anwendung finden, ist nicht geeignet ein anderes Auslegungsergebnis zu begründen. Die arbeitsvertragliche Fassung unterscheidet zwischen den Tarifverträgen, die jeweils vom VKA abgeschlossen wurden und sonstigen Tarifverträgen, die nur Geltung für den individuellen Vertragsarbeitgeber haben. Dieser zweite Teil der Verweisungsklausel kann sich damit allenfalls auf Haustarifverträge beziehen. Ob und welches Konkurrenzverhältnis bei Anwendbarkeit eines vom VKA abgeschlossenen Tarifvertrages und gleichzeitiger Anwendbarkeit eines Haustarifvertrages auf ein und dasselbe Arbeitsverhältnis besteht, ist vorliegend nicht entscheidungserheblich. Denn der TVöD sowie der TVÜ-VKA sind keine Haustarifverträge, sondern bereits durch den ersten Satz der Bezugnahmeklausel wirksam vereinbarte Arbeitsbedingungen. Ein dem widersprechender Haustarifvertrag, an den die Arbeitgeberin unmittelbar gebunden wäre, ist nicht ersichtlich. Deshalb hat die Differenzierung bei der Auslegung, die das BAG dieser Vertragsklausel beigemessen hat, auch keine Rolle gespielt.

Der TVöD i. V. m. dem TVÜ-VKA ist auch ein den BAT ersetzender Tarifvertrag, der durch die Bezugnahmeklausel nunmehr anstelle des BAT Anwendung findet. Dies ergibt sich aus der ausdrücklichen Klarstellung in § 2 TVÜ-VKA, in dem die abgelösten Tarifverträge ausdrücklich aufgeführt werden. Die Argumentation, dass § 2 TVÜ-VKA nur für tarifgebundene Arbeitgeber gelte, ist dabei nicht tragfähig, denn die Geltung des neuen Tarifvertrages ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag, der gerade den unmittelbaren Geltungsbereich des Tarifvertrages erweitert. Es steht nicht in der Macht der tarifvertragsschließenden Parteien zu regeln, dass arbeitsvertragliche Bezugnahmen ihre Wirksamkeit verlieren sollen. Das Wesen von Bezugnahmeklauseln liegt gerade darin, dass die Parteien der Bezugnahmeklausel nicht identisch sind mit den durch die tarifvertragsschließende Parteien vertretenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

Damit handelt es sich bei der Überleitung in die Entgeltordnung des TVöD auch um eine Umgruppierung nach § 99 BetrVG, die der Zustimmung des Betriebsrats bedurftet (so auch BAG 22.04.2009 - 4 ABR 14/08).

Die Zustimmung zur Umgruppierung entfällt auch nicht deshalb, weil die hier durchgeführte Vertragsauslegung der negativen Koalitionsfreiheit und dem Europarecht widersprechen würde. Hierzu hat sich das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 18.04.2007 bereits mit der Entscheidung des EuGH vom 09.03.2006 - C-499/04 - auseinandergesetzt. Auch hier folgt das Landesarbeitsgericht der Begründung des BAG. Die negative Koalitionsfreiheit schützt den Arbeitgeber nur davor, normativ an Tarifverträge gebunden zu werden. Für die einzelvertraglich vereinbarte arbeitsvertragliche Regelung ist dieser aber selber verantwortlich. Die arbeitsvertragliche Bindung an von Dritten zukünftig vereinbarte Tarifverträge ist in gleicher Weise wirksam wie die Vereinbarung, für eine bestimmte Ware den zu einem in der Zukunft liegenden Zeitpunkt gültigen Marktpreis zahlen zu wollen oder eine Verzinsung jeweils nach dem von der Europäischen Zentralbank herausgegebenen Diskontzinssatz vornehmen zu wollen. In allen diesen Fällen erfolgt die zukünftige Leistungsbestimmung durch Dritte.

Die Arbeitgeberin kann eine Beteiligung des Betriebsrats bei der Überleitung in die Tarifgruppen des TVöD auch nicht deshalb unterlassen, weil bei der Eingruppierung kein Ermessensspielraum besteht. Denn dies ist nicht Voraussetzung für das Mitbestimmungsrecht. Vielmehr ist bei jeder durchgeführten Eingruppierung lediglich eine Rechtskontrolle des Betriebsrats gefragt, die in der Überprüfung besteht, ob die Eingruppierungsvorschriften zutreffend angewendet worden. Damit war auch der Hilfsantrag abzuweisen.

Angesichts der Tatsache, dass keine der hier angesprochenen Rechtsfragen einer weiteren Klärung durch das BAG bedurfte, wurde die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen.

Ende der Entscheidung

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