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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 04.03.2005
Aktenzeichen: 4 Sa 1186/04
Rechtsgebiete: KSchG, BGB, LPVG-NW


Vorschriften:

KSchG § 1
BGB § 626
LPVG-NW § 65
LPVG-NW § 72a
1. Wird dem Personalrat mitgeteilt, der Kündigungsgrund sei u.a., dass eine Sachbearbeiterin des Ordnungsamts ein gegen sie laufendes Bußgeldverfahren eigenmächtig eingestellt habe, lag der Sachverhalt indes so, dass die Mitarbeiterin einen Kollegen nur darauf hingewiesen hatte, sie selbst sei auf einen Beweisfoto abgebildet, worauf dieser - was in der Intention der Mitarbeiterin lag - dass Verfahren einstellte, so ist der Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt.

2. Dieses Verhalten der Mitarbeiterin kann im Rahmen der Interessenabwägung weder nach § 626 BGB eine fristlose noch nach § 1 KSchG eine verhaltensbedingte ordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen, wenn die Mitarbeiterin aufgrund der Umstände des Einzelfalles davon ausgehen durfte, ein entsprechendes Verhalten werde von den Vorgesetzten geduldet.


Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 25.05.2004 - 5 Ca 672/04 - wie folgt abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigungserklärung des Beklagten vom 12.01.2004 nicht beendet worden ist.

2. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigungserklärung des Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom 20.02.2004 nicht beendet worden ist.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand: Die Parteien streiten um die Wirksamkeit zweier vom Beklagten erklärter Kündigungen. Die Klägerin ist seit 1991 beim Beklagten als Verwaltungsangestellte tätig, seit 1993 ist sie als Mitglied der Gruppe Geschwindigkeitsüberwachung Mitarbeiterin der Bußgeldstelle in B . Sie ist eingruppiert in die Vergütungsgruppe BAT VII und verdient monatlich etwa 2.900,00 €. Der Beklagte beschäftigt mehr als 5 Arbeitnehmer; ein Personalrat existiert. Die Gruppe Geschwindigkeitsüberwachung ist dafür zuständig, Bilder auszuwerten, auf denen Bußgeldtatbestände durch die mobilen und stationären Geschwindigkeitsmessungsanlagen erfasst worden sind. Die Mitarbeiter der Außenteams überbringen dazu die so entstandenen Messfilme an die Innendienstmitarbeiter dieser Gruppe; sie überreichen dabei zusammen mit den jeweiligen Film dem Auswerteteam eine Liste mit Bildnummern, die nicht gewertet werden können, z. B. weil das Bild unscharf ist oder das Messgerät nicht beobachtet werden konnte. Anschließend werden die Bilder von der Gruppe der Klägerin ausgewertet und darauf hin überprüft, ob Fahrer und Kennzeichen erkennbar und somit in Ordnungswidrigkeitsverfahren verwertbar sind. Sind sie es nicht, werden im Auswertungs-Computer die entsprechenden Eingaben "FNE" (Fahrer nicht erkennbar) oder "KNE" (Kennzeichen nicht erkennbar) getätigt, und das Foto wird verworfen. Am 06.06.2002 überschritt die Klägerin in B die zulässige Höchstgeschwindigkeit. Als sie bemerkt hatte, dass sie dabei von der Geschwindigkeitsmessung erfasst worden war, brachte sie am Auswertungs-PC einen mit Datum, Uhrzeit und ihrem Kfz-Kennzeichen versehenen Zettel an. Das betreffende Bild wurde am 19.07.2002 durch die Verwaltungsangestellte Sauer eingescannt und am 23.07.2002 von den Bediensteten M und G nachbearbeitet, wobei ersterer noch in der Einarbeitungsphase war. Es wurde dann auf Grund des von der Klägerin angebrachten Zettels durch die Eingabe "FNE" ohne weitere Nachfragen bei der Klägerin oder sonstigen Mitarbeitern oder Vorgesetzten verworfen, obwohl es für ein Ordnungswidrigkeitsverfahren verwendbar gewesen wäre. Am 02.04.2003 wurde die Klägerin erneut bei einer Geschwindigkeitsübertretung in Bergheim von der mobilen Geschwindigkeitsmessung erfasst, wiederum mit einem verwertbaren Foto. Sie wandte sich an Herrn H , denjenigen Außendienstmitarbeiter, der die Listen mit den Fotos führte, die nicht verwertet werden sollten, und wies ihn mündlich darauf hin, dass sie auf einem der von ihm auszuwertenden Filme aufgenommen worden sei. Später erweiterte sie die von Herrn H geführte Liste selbst handschriftlich um die Nummer desjenigen Fotos, auf dem sie zu sehen war. Der Mitarbeiter H beschwerte sich daraufhin wegen der Erweiterung der Liste bei den Mitarbeitern des Innendienstes, woraufhin die Klägerin ihrer Gruppenleiterin Frau P gegenüber einräumte, diese Erweiterungen vorgenommen zu haben. Das fragliche Foto wurde bei der späteren Bearbeitung auf Grund der handschriftlichen Ergänzung der Liste durch die Eingabe "KNE" verworfen. Am 19.12.2003 bat Frau P ihren Vorgesetzten, Herrn K , um eine Unterredung, da sie sich bei ihm über die Klägerin beschweren wollte, die ihre - Frau P - Entscheidungen und Arbeitsanweisungen nicht mehr akzeptiere und in ihrer Abwesenheit in Frage stelle. Bei dieser Gelegenheit erklärte sie, dass es für die Klägerin üblich sei, durch die Anbringung von entsprechenden Zetteln an den PCs der Mitarbeiter Bußgeldverfahren gegen sich selbst und Verwandte, Freunde und Bekannte zu unterdrücken. Ihr seien zwei Fälle bekannt, in denen die Klägerin selber betroffen gewesen sei, aber auch Bilder ihres Ehemannes und ihres Sohnes seien nicht ausgewertet worden; der Kreis der Begünstigten habe sich im Laufe der Zeit immer weiter vergrößert. Eine daraufhin vom Beklagten bei den anderen Sachbearbeitern in der Gruppe Geschwindigkeitsüberwachung durchgeführte Befragung ergab, dass neben Frau P auch die Verwaltungsangestellten G und S von Fällen wussten, in denen die Klägerin dafür Sorge getragen hätte, dass Bilder von ihr nicht zu Ordnungswidrigkeitsverfahren geführt hätten. Bei der Befragung sagte Frau G darüber hinaus, sie habe von einer anderen Mitarbeiterin gehört, dass Herr P (der Vorgänger des jetzigen Abteilungsleiters) nichts dagegen einzuwenden hätte, wenn die Mitarbeiter eigene Fotos oder die von Verwandten verwürfen. Herr P widersprach dieser Darstellung. Ebenfalls noch am 19.12.2003 fand dann zur ersten Sachverhaltsaufklärung ein Gespräch mit der Klägerin statt; ein Vertreter der Personalvertretung war dabei ebensowenig zugegen wie die zu jener Zeit nicht erreichbare Gleichstellungsbeantragte, deren Hinzuziehung als Vertrauensperson von der Klägerin erbeten wurde Am 07.01.2004 fand eine Anhörung der Klägerin zur beabsichtigten Kündigung statt; welche Aussagen dabei genau von der Klägerin getätigt wurden, ist im Einzelnen zwischen den Parteien streitig. Am 08.01.2004 erstattete der Beklagte Strafanzeige wegen der unterdrückten Vorfälle vom 06.06.2002 und vom 02.04.2003. Ein vom Amtsgericht B diesbezüglich erlassener Strafbefehl, durch den der Klägerin eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 25 € auferlegt worden war, wurde von der Klägerin durch Einspruch angegriffen; eine gerichtliche Entscheidung hierüber steht noch aus. Ebenfalls am 08.01.2004 teilte der Beklagte dem Personalrat mit, dass er der Klägerin außerordentlich oder, für den Fall, dass er damit nicht durchdringe, ordentlich kündigen wolle, und erbat für Letzteres die Zustimmung. Er legte zur Begründung der Kündigung dar, dass die Klägerin einmal dafür gesorgt habe, dass ein Bild von ihr, mit dem ihr eine Ordnungswidrigkeit hätte nachgewiesen werden können, nicht verwertet wurde, und ein anderes Mal das Verfahren gegen sich selbst eingestellt habe; sie habe diese Vorwürfe auch eingeräumt. Der Personalrat erhob keine Einwände gegen die außerordentliche Kündigung, bat aber um die Ausnutzung der sozialen Auslauffrist; zur ordentlichen Kündigung äußerte er sich nicht. Am 12.01.2004 erklärte der Beklagte die außerordentliche fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses, die auf die Vorgänge um die Unterdrückung der Bilder vom 06.06.2002 und vom 04.03.2003 gestützt wurde. Nachdem eine am 02.02.2002 vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum frühestmöglichen Zeitpunkt in der Güteverhandlung vom 17.02.2004 zurückgenommen worden war, erklärte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten am 20.02.2004 unter Vorlage einer Vollmachtsurkunde erneut äußerst vorsorglich auch die fristgerechte Kündigung. Zwischen den Parteien ist mittlerweile ein neuer Rechtsstreit wegen einer auf weitere Tatbestände gestützten Kündigung anhängig; dieses Verfahren ruht bis zum Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits. Am 16.01.2004 - beim Arbeitgericht eingegangen am 19.01.2004 -, hatte die Klägerin eine Kündigungsschutzklage gegen die außerordentliche Kündigung erhoben, die sie am 01.03.2004 hinsichtlich der zweiten ordentlichen Kündigung vom 20.02.2004 erweitert hat. Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Personalrat bei den Kündigungen nicht ordnungsgemäß beteiligt worden sei. Auch habe die am 12.01.2004 zugegangene Kündigung wegen der bereits am 19.12.2003 erfolgten Unterredung zwischen Herrn K und Frau P die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Überdies fehle es überhaupt an einem wichtigen Grund, so dass jedenfalls eine Abmahnung erforderlich gewesen sei. Sie hat behauptet, niemals durch Druck gegenüber anderen Kollegen dafür gesorgt zu haben, nicht von solchen Ordnungswidrigkeitsverfahren betroffen zu werden; auch habe sie nie ein Bußgeldverfahren gegen sich selbst eingestellt. Vielmehr gebe es in der Gruppe Geschwindigkeitsüberwachung eine vom Vorgesetzten geduldete und gängige Praxis, wonach bei Erfassung und Bearbeitung der Filme durch entsprechende Eingaben im Erfassungs-PC dafür Sorge getragen werde, dass gegenüber Mitarbeitern der Gruppe kein Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren erhoben werde. Bereits der Vorgänger des jetzigen Abteilungsleiters, Herr P habe gegenüber allen in der Gruppe beschäftigten Mitarbeitern ausdrücklich gesagt, dass sich diese "doch nicht selber sehen und eingeben" würden. Die Existenz einer solchen Praxis zeige sich auch daran, dass der Gruppenleiterin P alle Vorfälle dieser Art bekannt gewesen seien; diese habe deshalb auch am 19.12.2003 gegenüber dem Abteilungsleiter K ohne weitere Prüfung mitteilen können, wann sie - die Klägerin - erfasst worden sei, ohne dass es zu einem OWiG-Verfahren gekommen sei. Sie, die Klägerin, habe angesichts der genannten Handhabung bei der Beklagten nicht davon ausgehen können, dass ihr Verhalten den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährden könnte. Wäre sie durch die Vorgesetzten hierauf hingewiesen worden, hätte sie dafür Sorge getragen, dass eine solche Praxis niemals zu ihren Gunsten zur Anwendung gekommen wäre. Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigungserklärung des Beklagten vom 12.01.2004 nicht beendet worden ist und ungekündigt fortbesteht,

2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigungserklärung der Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom 20.02.2004 nicht beendet worden ist und ungekündigt fortbesteht.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er ist der Ansicht, dass die Ausschlussfrist gewahrt sei, da es für den Fristlauf nur darauf ankomme, dass die von der Klägerin begangenen Straftaten erst durch den Aktenvermerk des Abteilungsleiters Könen am 29.12.2003 in seiner Personalabteilung bekannt geworden seien. Der Personalrat sei zutreffend und umfassend informiert worden; der Begriff der "Einstellung" des Verfahrens durch die Klägerin sei nicht wörtlich gemeint gewesen, sondern im Sinne von entsprechenden zur Nichterhebung eines Verfahrens führender Eingaben. Der Personalratsanhörung hätten insoweit, wie der Beklagte behauptet, die eigenen Angaben der Klägerin in dem Gespräch vom 07.01.2004 zu Grunde gelegen, bei denen sie zugegeben habe, auch selbst ein Verfahren eingestellt zu haben; dabei habe sie gegenüber dem Gespräch am 19.12.2003 einen Vorfall weniger zugegeben. Angesichts der Tatsache, dass sie immerhin noch zwei Straftaten gestanden hätte, sei dann auf nähere Nachfragen verzichtet worden, inwieweit sie eigenhändig tätig geworden sei. Der Beklagte ist der Ansicht, es sei ohnehin im Ergebnis irrelevant, ob die Klägerin bei den Vorgängen bezüglich der Fotos vom 06.06.2002 und vom 02.04.2003, auf denen die Kündigung basiert, die Ordnungswidrigkeitsverfahren durch eigene Eingaben in den PC oder durch deren Veranlassung mittels Zettels oder sonstiger Hinweise an die Kollegen unterlaufen habe. Der Beklagte hat behauptet, es habe bei ihm auch nie die von der Klägerin behauptete Praxis gegeben; keiner der heutigen Mitarbeiter könne die diesbezüglichen Anwürfe der Klägerin bestätigen. Die Klägerin versuche vielmehr durch diese Falschbehauptung nur, von ihren Straftaten abzulenken, indem sie Kollegen und Vorgesetzten Mitwisser- oder gar Mittäterschaft unterstelle. Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 25.05.2004 die Klage abgewiesen. Es hat dies damit begründet, dass die 2-Wochen-Frist gewahrt sei, da der Beklagte nach seinen Angaben erst am 29.12.2003 von den Kündigungsgründen Kenntnis erhalten habe und nach Anhörung die Kündigung rechtzeitig ausgesprochen habe. Die außerordentliche Kündigung sei auch begründet, wobei es dahin stehen könne, ob die Klägerin selbst Eingaben gemacht oder solche nur veranlasst habe, da bereits die Beteiligung an der Unterdrückung der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten bei Beschäftigten im Ordnungsamt nicht hinzunehmen sei. Gegen das ihr am 10.09.2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 04.10.2004 Berufung eingelegt und diese am 10.11.2004 begründet. Sie ist der Ansicht, dass die erstinstanzliche Entscheidung nicht in ausreichendem Maße ihre Einwände hinsichtlich der nicht ordnungsgemäßen Personalratsanhörung, der Nichteinhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB und des Erfordernisses einer vorherigen Abmahnung gewürdigt habe. Sie behauptet ergänzend, dass selbstverständlich zwischen den Mitarbeitern der Bußgeldstelle diskutiert worden sei, ob man auch Bußgeldverfahren gegen andere Mitarbeiter derselben Abteilung in die Wege leiten solle; dabei habe der Vorgesetzte P bei Betrachtung der Bilder am Auswertungs-PC gesagt: "Ihr werdet euch doch nicht selber sehen und eingeben". Entsprechend sei auch in der Praxis verfahren worden, wenn tatsächlich Mitarbeiter der Bußgeldstelle auf den Fotos erkennbar gewesen seien; die Angelegenheit sei dann so behandelt worden, als seien auf dem betreffenden Foto weder Fahrer noch Kennzeichen erkennbar. Übliche Vorgehensweise sei es dabei gewesen, dass der jeweils auf dem Foto zu sehende Mitarbeiter auf dem Foto den mit der Auswertung befassten Kollegen mündlich oder durch einen an den Auswertungs-PCs angebrachten Zettel entsprechende Hinweise erteilt habe. Nur deshalb habe auch der von ihr hinsichtlich der Geschwindigkeitsüberschreitung vom 06.06.2002 angebrachte Zettel ohne Weiteres zur Verwerfung des betreffenden Fotos ohne Bußgeldverfahren geführt. Bereits die Tatsache, dass ein einfacher am PC angebrachter Zettel mit dem Hinweis, sie sei auf dem Film erfasst worden, genügt habe, die entsprechenden Bearbeiter zur Unterdrückung des Fotos zu bewegen, beweise die Existenz einer entsprechenden Praxis beim Beklagten. Dasselbe gelte auch hinsichtlich der handschriftlichen Ergänzung in der Liste, da sie in keinem Fall etwas habe erläutern oder um ein weiteres Vorgehen in ihrem Sinne habe bitten müssen und die Mitarbeiter von sich aus tätig geworden seien. Auf Grund des Bestehens der genannten Praxis habe es ihr an Unrechtsbewusstsein gefehlt; insbesondere sei ihr keinesfalls bewusst gewesen, dass sie durch dieses Verfahren ihren Arbeitsplatz aufs Spiel gesetzt habe, da schließlich ihr eigener Vorgesetzter diese dann auch von allen Mitarbeitern praktizierte Handhabung gefördert habe. Hinsichtlich der Personalratsanhörung ist sie der Ansicht, dass diese schon deshalb fehlerhaft gewesen sei, weil der Beklagte dem Personalrat gegenüber behauptet hat, sie hätte Verfahren gegen sich selbst eingestellt. Da sich dies nicht auf einen Vorfall beziehe, auf den die streitgegenständlichen Kündigungen gestützt würden, sei damit in der Anhörung ein vom Gewicht her völlig anderer Kündigungsgrund genannt worden, ohne dass es für die tatsächlich beabsichtigten Kündigungen auf diesen angekommen wäre; wäre dem Personalrat dagegen mitgeteilt worden, dass die Klägerin gar nicht selbst tätig geworden sei, so hätte sich für diesen der Sachverhalt völlig anders dargestellt. Die Klägerin beantragt, das Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 25.05.2004 - 5 Ca 672/04 - abzuändern und

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigungserklärung des Beklagten vom 12.01.2004 nicht beendet worden ist,

2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigungserklärung der Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom 20.02.2004 nicht beendet worden ist.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Der Beklagte behauptet ergänzend, es habe bei ihm keine Betriebsüblichkeit dahin gehend gegeben, dass Mitarbeiter des Ordnungsamtes oder anderer Ämter Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen sich selbst durch Verwerfung verwendbarer Fotos unterdrückt hätten oder Kollegen veranlasst hätten, dies zu tun. Soweit tatsächlich solche Urkundenunterdrückungen durch die Mitarbeiter stattgefunden hätten, sei dies mithin ohne Billigung, Kenntnis oder gar ausdrückliche Veranlassung der Vorgesetzten geschehen. Der Beklagte bezieht sich dazu auf schriftliche Stellungnahmen der befragten Mitarbeiter (Bl. 159 - 163 d.A.) Der Beklagte bestreitet, dass irgendein weiterer Mitarbeiter der Bußgeldstelle ebenfalls so verfahren sei wie die Klägerin. Frau P habe allerdings seit längerem beobachtet, dass die Klägerin Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen sich selbst, Angehörige oder Freunde durch Anbringen entsprechender Zettel an den Erfassungs-PCs der Kollegen oder auch eigene Eingaben unterlaufen habe, so dass diese dann auch eingestellt worden seien. Durch das immer dreistere Verhalten sei Frau P derart in Gewissensdruck geraten, dass sie sich Herrn Paul anvertraut habe, der sie wiederum an den Abteilungsleiter Könen verwiesen habe. Soweit sich die Klägerin darauf berufe, dass ihr die Unrechtmäßigkeit ihrer Handlungen nicht bewusst gewesen sei, so handele es sich um reine Schutzbehauptungen. Auch habe die Klägerin gewusst, dass durch die von ihr begangenen Straftaten der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet sei, da der öffentliche Dienst einen Vorbildcharakter besitze und es daher nicht geduldet werden könne, wenn Mitarbeiter ihre Stellung zum eigenen Vorteil missbrauchten. Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren. Entscheidungsgründe: Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung hatte Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht durch die vom Beklagten erklärten Kündigungen aufgelöst worden. I. Die vom der Beklagten erklärten Kündigungen sind unwirksam, da ihnen keine ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrates vorangegangen ist. 1. Eine Kündigung ist gemäß § 72a Abs. 3 LPVG NW unwirksam, wenn es an der vorgeschriebenen Beteiligung des Personalrates fehlt. Gemäß § 72a Abs. 2 LPVG NW ist der Personalrat bei außerordentlichen Kündigungen mit vollständiger Angabe der Kündigungsgründe anzuhören; bei ordentlichen Kündigungen steht ihm gemäß § 72a Abs. 1 LPVG NW ein Mitbestimmungsrecht zu. 2. Nach einhelliger Auffassung in Literatur und Rechtsprechung ist eine Kündigung aber nicht nur dann unwirksam, wenn der Dienstherr gekündigt hat, ohne den Personalrat überhaupt zu beteiligen, sondern auch dann, wenn er seiner Unterrichtungspflicht nach nicht richtig, insbesondere nicht ausführlich genug nachgekommen ist. Die Anhörung soll in geeigneten Fällen dazu beitragen, dass die Kündigung gar nicht erst ausgesprochen wird; sie hat über eine reine Unterrichtung hinaus den Sinn, dem Personalrat Gelegenheit zu geben, seine Überlegungen zu der Kündigungsabsicht vorzutragen (BAG v. 05.02.1981 - 2 AZR 1135/78 - AP LPVG NW § 72 Nr. 1). Obwohl genauere Vorschriften hierzu im LPVG NW fehlen, lässt sich aus dem in § 65 Abs. 1 LVPG NW dem Dienstherrn auferlegten Gebot, den Personalrat zur Durchführung seiner Aufgaben rechtzeitig und umfassend zu informieren, eine Verpflichtung zur umfassenden Information des Personalrats herleiten. Dieses allgemeine Informationsrecht steht zwar innerhalb der Vorschriften über die allgemeinen Aufgaben des Personalrats, gilt aber in gleicher Weise für die förmlichen Beteiligungsrechte der Mitbestimmung, Mitwirkung und Anhörung (BAG, a.a.O.). Die ordnungsgemäße Ausübung dieser Rechte ist dem Personalrat nur dann möglich, wenn er ausreichende Kenntnis von den Vorgängen und Umständen hat, die als Grundlage seiner Willensbildung unumgänglich sind (BAG, a.a.O. m.w.N.). Der Umfang der Unterrichtung des Personalrats und damit auch der Umfang der Begründungspflicht hängt von dem Gegenstand ab, der der Mitbestimmung unterliegt; maßgebend ist weiterhin das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit gemäß § 2 Abs. 1 LPVG NW, dessen Konkretisierung die Unterrichtung des § 65 Abs. 1 LPVG NW ist (BAG, a.a.O.). Die Unterrichtung hat deshalb so umfassend zu erfolgen, dass der Personalrat alle entscheidenden Gesichtspunkte kennt, um sein Mitbestimmungsrecht sachgerecht ausüben zu können, er sich also über die Umstände, die zur Kündigung führen sollen, ein klares Bild machen kann (BAG, a.a.O.; 13.07.1978 - 2 AZR 717/76 -, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 17). Daraus ergibt sich, dass der Personalrat bei beabsichtigten Kündigungen in demselben Umfange unterrichtet werden muss, wie dies bei der Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 BetrVG zu geschehen hat (BAG v. 05.02.1981, a.a.O.). Der für die Kündigung maßgebende Sachverhalt ist demzufolge so zu umschreiben, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen in die Lage versetzt wird, die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich über eine Stellungnahme schlüssig zu werden (BAG v. 07.11.1996 - 2 AZR 720/95). Eine pauschale, schlag- oder stichwortartige Schilderung des Sachverhalts reicht nicht aus (BAG v. 15.11.1995 - 2 ARZ 974/94 -, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 73); ebenso wenig die Mitteilung eines Werturteils ohne Angabe der für die Bewertung maßgebenden Tatsachen (BAG v. 26.05.2004 - 8 AZR 231/93). Liegen objektiv neben den dem Betriebsrat mitgeteilten, die Kündigung rechtfertigenden und für den Kündigungsentschluss maßgeblichen Gründen noch weitere vor, will der Arbeitgeber aber hierauf die Kündigung nicht stützen, so führt allein die Beschränkung auf die dem BR mitgeteilten Gründe nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung wegen Verletzung der Anhörungspflicht (BAG v. 07.11.1996 - 2 AZR 720/95); allerdings kann der Arbeitgeber auf die schon im Zeitpunkt der Anhörung bekannten, aber dem Betriebsrat nicht mitgeteilten Gründe nicht mehr zur Rechtfertigung der Gründe nachschieben (BAG v. 18.12.1980 - 2 AZR 1006/78 -, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 17; 08.09.1988 - 2 AZR 103/88 -, EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 73). 3. Gemessen an diesen Grundsätzen fehlt es an einer ordnungsgemäßen Anhörung des Personalrats durch den Beklagten. Dies ergibt sich bereits daraus, dass in die Meinungsbildung des Personalrats mit dem Vorwurf der Verfahrenseinstellung durch die Klägerin selbst ein Kündigungsgrund von erheblichem Gewicht eingeführt wurde, der unstreitig bei keinem der Vorfälle, auf die die Kündigung gestützt wird, vorlag. Im Anhörungsschreiben vom 08.01.2004 wurde die Verfahrenseinstellung bzw. Unterdrückung des entsprechenden Fotos durch die Klägerin selbst in einem Fall als Kündigungsgrund angegeben, während es unstreitig ist, dass in beiden Fällen nicht die Klägerin selbst, sondern andere Mitarbeiter des Beklagten die entsprechenden Auswertungen getätigt haben. Damit fehlt es an der genannten Voraussetzung, dass der Personalrat umfassend zu informieren ist. Es liegt beiden Kündigungen zu Grunde, dass die Klägerin lediglich auf die eine oder andere Weise den anderen Mitarbeitern Hinweise darauf gegeben hat, auf einem der auszuwertenden Fotos zu erblicken zu sein; weitere Beeinflussungen sind nicht feststellbar. Dies führt zu einem wesentlich anderen, auch geringeren Vorwurf; denn es macht einen deutlichen Unterschied, ob ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes lediglich einen Zettel mit entsprechenden Angaben an Auswertungs-PCs anbringt, Mitarbeiter anspricht bzw. Listen handschriftlich ergänzt, oder ob er selbst als Entscheidender eingreift und verwertbare Fotos eigenhändig verwirft, oder ob er gar ein bereits eingeleitetes Verfahren eigenmächtig eingestellt. Das gilt umso mehr, als das tatsächliche Verhalten der Klägerin im Gegensatz zur Darstellung des Beklagten in dem Anhörungsschreiben einem Unbeteiligten und damit auch dem Personalrat die Frage aufdrängen musste, warum z. B. allein der Zettel am PC von den Kollegen als ausreichende Initiative zur Nichtverfolgung der Ordnungswidrigkeit verstanden werden konnte. Dies wiederum führt zu der weiter sich aufdrängenden Frage, ob hier nicht in der Tat eine Übung oder gemeinsame Handhabung in der Gruppe vorlag, was bei der Entscheidung über die Mitbestimmungsfrage relevant sein musste. II. Der außerordentlichen Kündigung stehen auch materielle Unwirksamkeitsgründe entgegen. Es fehlt an einem wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB. 1. Das Vorhandensein eines wichtigen Grundes beurteilt sich danach, ob ein sachlich und verständig denkender, in sozialer Verantwortung handelnder Arbeitgeber unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes den Sachverhalt zum Anlass für eine fristlose Kündigung nehmen würde. Die Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs "wichtiger Grund" ist durch eine abgestufte Prüfung vorzunehmen, die aus zwei systematisch zu trennenden Prüfungsabschnitten besteht (vgl. BAG v. 12.08.1999 - 2 AZR 923/98): Zunächst ist festzustellen, ob der zu beurteilende Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB abzugeben; hierzu gehören zum Beispiel besonders schwere Vertragsverletzungen (vgl. BAG v. 21.01.1999 - 2 AZR 665/98), wobei es nicht darauf ankommt, ob sie dem Kündigenden bekannt sind, sondern nur darauf, ob sie zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung objektiv vorlagen. Ist dies der Fall, so ist im zweiten Schritt zu prüfen, ob die außerordentliche Kündigung nach einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls als gerechtfertigt angesehen werden kann; das ist nur dann der Fall, wenn die außerordentliche Kündigung die unausweichlich letzte Möglichkeit für den Kündigungsberechtigten ist, weil alle in Betracht kommenden milderen Mittel unzumutbar sind. 2. Zweifellos ist die Begehung von Straftaten wie der Unterdrückung eigener Bußgeldverfahren oder die Anstiftung dazu grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Indes scheitert die Kündigung auf der genannten zweiten Stufe bei der Interessenabwägung im Einzelfall, wobei es letztlich nicht einmal darauf ankommt, ob beim Beklagten die genannte Praxis tatsächlich besteht oder nicht. Für das Bestehen der genannten Praxis spricht allerdings als gravierendes Indiz die - unstreitige - Tatsache, dass die Klägerin durch das bloße Anbringen eines Zettels bzw. die an einer anderen Handschrift erkennbare Ergänzung einer Liste die auswertenden Mitarbeiter, bei denen es sich keinesfalls ausschließlich um Auszubildende gehandelt hat, dazu bewegt hat, die Fotos als unbrauchbar zu verwerfen, ohne dass weitere Erklärungen vonnöten gewesen wären. Ansonsten hätten diese Zettel eher Verwunderung als die genannte Bearbeitungsweise hervorrufen müssen; jedenfalls ist nicht erkennbar, woher die Mitarbeiter sonst gewusst haben sollten, wie auf Grund der Handlungen der Klägerin vorzugehen wäre. Für und nicht gegen die von der Klägerin behauptete Handhabung sprechen zudem auch die vom Beklagten selbst eingereichten Stellungnahmen der übrigen Mitarbeiter in der Abteilung der Klägerin. Insbesondere hat die Verwaltungsangestellte Schnieders ausdrücklich bestätigt, gehört zu haben, wie innerhalb der Gruppe von der Gruppenleiterin gesagt worden sei, dass Herr Paul die von der Klägerin behauptete Äußerung "ihr werdet euch doch nicht selbst erkennen" getätigt hat. Unabhängig davon, ob Herr P die Äußerung tatsächlich getan hat, wurde sie mithin in der Gruppe kolportiert, dies sogar von der Gruppenleiterin. Die Mitarbeiter sind demnach offensichtlich seit geraumer Zeit davon ausgegangen, dass ihr Vorgesetzter P die Unterdrückung von Ordnungswidrigkeitsverfahren dulde. Dem entspricht es, dass die Klägerin nach dem eigenen Bericht der ehemaligen Gruppenleiterin P seit geraumer Zeit mit Wissen der Gruppenleiterin die Unterdrückungen von Bußgeldverfahren gegen sich auf die eine oder andere Weise betrieben hat: Es ist unstreitig, dass Frau P Herrn K gegenüber am 19.12.2003 beschrieben hat, dass sich der Kreis der von der Klägerin auf diese Art Begünstigten "im Laufe der Zeit" immer weiter vergrößert habe; daraus folgt, dass sie die Entwicklung auch über eine gewisse Zeit beobachtet haben muss, ohne einzugreifen. Auffallend ist auch, dass Frau P nach dem von Herrn K verfassten Bericht ('Bl. 18 ff d.A.) nicht einmal primär wegen dieser Ausweitung des Kreises der Begünstigten ihren Abteilungsleiter aufgesucht hat, sondern weil die Klägerin sich ihren Anweisungen und Entscheidungen widersetze. Damit steht fest, dass die Klägerin jedenfalls über einen längeren Zeitraum mit Wissen ihrer Gruppenleiterin auf die genannte Weise die Verfahren gegen sich durch Anbringen von Zetteln am Auswertungs-PC und ähnliche Handlungen verhindern konnte. Daraus aber folgt das Erfordernis einer vorherigen Abmahnung. Konnte die Klägerin über längere Zeit und ohne Sanktionen mit Wissen ihrer Vorgesetzen die Verfahren abwenden, so kann entgegen der Ansicht des Beklagten gerade nicht unterstellt werden, dass sie diesbezüglich ein Unrechtsbewusstsein gehabt haben muss; ihr hätte daher zunächst durch eine Abmahnung vor Augen gestellt werden müssen, dass ihr Verhalten tatsächlich zur Kündigung führen konnte. III. Aus demselben Grunde ist auch die ordentliche Kündigung nicht sozial gerechtfertigt. IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. V. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hat.

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