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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 03.05.2002
Aktenzeichen: 4 Sa 1285/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 174
1.) § 174 S. 2 BGB verlangt, dass "der Vollmachtgeber" den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis setzt. Nicht ausreichend ist, dass der Bevollmächtigte selbst den anderen zuvor von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hat.

2.) Ein Aushang über die Bevollmächtigung für Kündigungen am Schwarzen Brett ist nicht ohne weiteres ausreichend für das Inkenntnissetzen i.S.d. § 174 S. 2 BGB.


LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 4 Sa 1285/01

Verkündet am: 03.05.2002

In dem Rechtsstreit

hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 03.05.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Backhaus als Vorsitzenden sowie die ehrenamtliche Richterin Schloß und den ehrenamtlichen Richter Mingers

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 22.08.2001 - 20 Ca 3795/01 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen. Zurückgewiesen ist damit auch der zweitinstanzlich gestellte Auflösungsantrag der Beklagten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darum, ob das zwischen ihnen begründete Arbeitsverhältnis durch eine am 17.04.2001 ausgesprochene und am 18.04.2001 zugegangene fristlose Kündigung oder durch eine hilfsweise fristgerechte Kündigung vom selben Datum aufgelöst worden ist, ob der Kläger als Straßenreiniger weiter zu beschäftigen ist und ob eine Abmahnung vom 17.04.2001 aus der Personalakte zu entfernen ist. Mit einem Hilfsantrag begehrt der Kläger Abgeltung von Urlaub und sog. Abfeiertagen. Zweitinstanzlich hat die Beklagte einen Auflösungsantrag gestellt.

Wegen des erstinstanzlichen unstreitigen und streitigen Vorbringens der Parteien sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO a.F. zunächst auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug genommen, dieses mit der Maßgabe, dass es unstreitig ist, dass der Kläger am 05.04.2001 auf dem Betriebshof Gießener Straße der Beklagten in einer Besprechung mit den Mitarbeitern der Straßenreinigung gegen 7.00 Uhr sich zu Wort meldete und bezogen auf Vorgesetzte auf dem Betriebshof Gießener Straße sagte: "Die lügen und tun sonst nichts für einen."

Das Arbeitsgericht hat der Klage in den Hauptanträgen stattgegeben. Wegen seiner Entscheidungsgründe wird auf Bl. 93 ff. d.A. Bezug genommen.

Gegen dieses ihr am 31.10.2001 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 29.11.2001 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 29.01.2002 am 29.01.2002 begründet. Zur Frage der Vollmacht des Geschäftsführers S Kündigungen auszusprechen, trägt sie weiter vor, in der Geschäftsleitersitzung am 04.01.2001 sei zwischen den Geschäftsführern die Entscheidung getroffen worden, sich gegenseitig zu ermächtigen, arbeitgeberseitige Kündigungen einzeln auszusprechen. Darüber hinaus sei die Bevollmächtigung von Herrn T K beschlossen worden, ebenfalls arbeitgeberseitige Kündigungen einzeln auszusprechen. Die dafür als Zeugin benannte Frau K sei in dieser Sitzung zwar nicht persönlich zugegen gewesen. Die Geschäftsführer hätten ihr jedoch im Nachgang der Sitzung das Ergebnis mitgeteilt. Ein Protokoll über die Sitzung sei nicht gefertigt worden. Der Aushang am schwarzen Brett des Betriebshofes Gießener Straße (Bl. 57 d..A.) sei am 16.01.2001 von der Zeugin K ausgehängt worden.

Die Auffassung des Arbeitsgerichts, die Äußerung des Klägers sei nur als allgemeine Kundgabe der Unzufriedenheit aufzufassen, sei nicht haltbar. Der Kläger, der seit 30 Jahren in Deutschland lebt und mit einer Deutschen verheiratet ist, spreche auch nicht nur gebrochen Deutsch.

Den Vorgesetzten sei auch keineswegs bekannt gewesen, dass der Kläger über die unberechtigte Abmahnung bezüglich der nicht hinterlassenen Handy-Nummer verärgert gewesen sei. Es sei für den Kläger ein Leichtes gewesen, den Sachverhalt auf dem üblichen Weg einer Gegendarstellung richtig zu stellen. Der Kläger habe demgegenüber bewusst die Situation der Besprechung und der Betriebsversammlung gesucht, um für seine Äußerung den größtmöglichen Zuhörerkreis zu erlangen.

Die Beklagte meint, auf die von ihr behauptete Wiederholung der Äußerung auf der Betriebsversammlung könne sie die Kündigung auch mit Hinblick auf die Anhörung des Betriebsrates stützen. Der Betriebsratsvorsitzende L und das Betriebsratsmitglied B seien bei der Betriebsversammlung am 05.01.2001 anwesend gewesen und hätten die kündigungsrelevanten Äußerungen miterlebt. Der Betriebsrat müsse sich die Kenntnis seines Vorsitzenden als eigenes Wissen zurechnen lassen.

Hinsichtlich des Anspruches auf Entfernung der Abmahnung und des vom Arbeitsgericht angesprochenen Gesichtspunkts des § 11a Abs. 2 BMTG verweist die Beklagte darauf, dass die entsprechenden Vorwürfe schon im Schreiben vom 24.01.2001 enthalten gewesen seien und dass der Kläger zu der Unterschriftsverweigerung im Rahmen der Winterdienstschulung und zum Verlassen des Betriebsgeländes am 16.01.2001 von Frau S angehört worden sei, was sich im Übrigen aus dem Abmahnungsschreiben (Bl. 6 ff. d.A.) ergebe.

Wegen der Begründung des Auflösungsantrages der Beklagten wird auf deren Schriftsatz vom 07.03.2002 (Bl. 172 ff. d..A.) Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt,

1. unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 20.08.2001 - 20 Ca 3795/01 - die Klage abzuweisen,

2. hilfsweise das Arbeitsverhältnis zum 30.09.2001 gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe im Ermessen des Gerichts gestellt wird, die jedoch einen Betrag von 10.700,-- € nicht übersteigen sollte, aufzulösen.

Der Kläger beantragt,

1. die Berufung zurückzuweisen,

2. auch den Auflösungsantrag zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten hatte in der Sache keinen Erfolg. Zurückzuweisen war auch ihr Auflösungsantrag.

I. Die Kündigung ist gemäß § 174 BGB unwirksam. Danach ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, also auch eine Kündigung, unwirksam, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist. Die Zurückweisung ist ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hat.

Der Kläger hat der Kündigung gemäß § 174 BGB wegen Nichtvorlage der Vollmacht des zweiten Geschäftsführers durch Schreiben seines Rechtsanwaltes vom 20.04.2001 widersprochen.

1. Die beiden Geschäftsführer der Beklagten, Herr H und Herr S sind auf Grund des Gesellschaftsvertrages nur gemeinsam oder in Gemeinschaft mit einem Prokuristen vertretungsberechtigt (vgl. Auszug aus dem Bundesanzeiger Blatt 189 d. A.). Nach § 125 Abs. 2 Satz 2 HGB und § 78 Abs. 4 AktG können die zur Gesamtvertretung Berechtigten einzelne von ihnen zur Vornahme bestimmter Geschäfte ermächtigen. Das gilt auch für die Geschäftsführer der GmbH, auch wenn dieses im GmbH-Gesetz nicht ausdrücklich geregelt ist (BAG 18.12.1980 AP Nr. 4 zu § 174 BGB). Dabei geht das Bundesarbeitsgericht, dem die Kammer folgt, davon aus, dass es sich bei der Ermächtigung um eine Erweiterung der gesetzlichen Vertretungsmacht handelt. Gleichwohl gebietet es Sinn und Zweck des § 174 BGB, ihn auch auf diese Ermächtigung anzuwenden. § 174 BGB geht davon aus, dass der Erklärungsempfänger bei einseitigen Rechtsgeschäften nicht mitwirkt und daher wenigstens Sicherheit darüber haben muss, ob der Vertreter befugt handelt. Da die Ermächtigung des Gesamtvertreters die gleiche Rechtsfolge wie die Vollmacht bei der rechtsgeschäftlichen Stellvertretung hat, besteht für den Adressaten das gleiche Gewissheitsinteresse wie im Falle der Stellvertretung. Aus diesem Grunde ist ein einseitiges empfangsbedürftiges Rechtsgeschäft, das ein Gesamtvertreter ohne Ermächtigung der übrigen Gesamtvertreter schließt, in analoger Anwendung von § 180 Satz 1 BGB grundsätzlich nichtig. Daneben besteht das Bedürfnis, auch § 174 BGB entsprechend auf die Gesamtvertretung anzuwenden (BAG a.a.O. m.w.N.).

2. Die Beklagte kann sich nicht auf § 174 Satz 2 BGB berufen.

Sie hat dazu vorgetragen, am 16.01.2001 sei den Mitarbeitern der Beklagten durch Aushang am Schwarzen Brett des Betriebshofes Gießener Straße das Schreiben (Blatt 57 d.A.) zur Kenntnis gebracht wurden.

Das Aushangschreiben, auf das sich die Beklagte bezieht, lautet wie folgt:

Information für alle Mitarbeiter

Unterschriftenregelung bei Kündigungen

Aus Gründen der Rechtssicherheit, bitte ich zu beachten, dass die Geschäftsführer Herr S und Herr H berechtigt sind, arbeitgeberseitige Kündigungen auszusprechen. Außerdem ist Herr K als Bereichsleiter Personal berechtigt Kündigungen zu unterschreiben.

Darunter ist zu lesen:

"gez. S " und "ausg. K ".

Die Beklagte kann sich aus mehreren Gründen auf § 174 S. 2 BGB nicht berufen:

a) § 174 S. 2 BGB verlangt, dass "der Vollmachtgeber den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte". Nicht ausreichend ist, dass der Bevollmächtigte selbst den anderen in Kenntnis setzt. Das Schreiben ist aber nicht von Herrn H gezeichnet, sondern lediglich von Herrn S . Auch ist es im Singular verfasst ("bitte ich zu beachten"). Es kann damit aus dem Empfängerhorizont nur als Erklärung des Herrn Schürheck verstanden werden. Es erfolgt keine Erklärung im Namen des Herr H . Weder ist von "wir" die Rede, noch ist in dem Schreiben etwa die Geschäftsführung als Ganze oder auch nur die Gesellschaft in der Kopfzeile oder ähnlichem als Autor erkennbar.

§ 174 Satz 2 BGB verlangt ausdrücklich die Inkenntnissetzung durch den Vollmachtgeber. Wollte man eine Inkenntnissetzung durch den Bevollmächtigten selbst stets aus als konkludente Mitteilung verstehen, er handle namens und in Vollmacht des Vollmachtgebers, dann wäre das ausdrückliche gesetzliche Tatbestandsmerkmal unzulässigerweise "weginterpretiert".

Dabei ist auch der Sinn und Zweck des § 174 BGB zu beachten, "Gewissheit" und "Sicherheit" für den anderen Teil zu schaffen.

Sofern die Beklagte sich darauf beruft, § 174 Satz 2 BGB ergreife nicht den Fall der organschaftlichen Vertretung, so gilt auch hier, dass aus den dargelegten Gründen § 174 BGB - insgesamt - entsprechend auf die Gesamtvertretung anzuwenden ist. Im Übrigen würde sich dieses Argument der Beklagten gegen diese wenden: Wäre § 174 Abs. 2 BGB nicht anwendbar, so könnte die Zurückweisung nach § 174 Satz 1 BGB auch nicht ausgeschlossen sein.

b) Sofern die Beklagte weiter vorträgt, die in der Geschäftsleitersitzung vom 04.01.2001 erteilte Ermächtigung "bezieht sich auch auf die Bekanntmachung im Sinne von § 174 Satz 2 BGB", ist dieser Vortrag unerheblich:

Die Beklagte hat selbst vorgetragen, dass in der Geschäftsleitersitzung vom 04.01.2001 zwischen den Geschäftsführern die Entscheidung getroffen worden sei, sich gegenseitig zu ermächtigen, arbeitgeberseitige Kündigungen einzeln auszusprechen. Darüber hinaus sei die Bevollmächtigung von Herrn Toni Kämp beschlossen worden, ebenfalls arbeitgeberseitige Kündigungen einzeln auszusprechen. Die Beklagte trägt selbst nicht vor, dass darüber hinaus eine weitere Bevollmächtigung des Herrn Schürheck stattgefunden habe, die Arbeitnehmer gemäß § 174 Satz 2 BGB in Kenntnis zu setzen. Es ist daher nicht nachvollziehbar, inwieweit sich die am 04.012001 erteilte Ermächtigung auch auf die Bekanntmachung im Sinne von § 174 Satz 2 BGB "bezieht".

3) Schließlich kann nicht festgestellt werden, dass die Beklagte - wollte man das Schreiben vom 16.01.2001 entgegen dem Vorgesagten als im Sinne des § 174 Satz 2 BGB ausreichend ansehen - den Kläger damit "in Kenntnis gesetzt" hatte. Wie sich aus dem Wortlaut des § 174 Satz 2 BGB und dem Umstand ergibt, dass das Inkenntnissetzen ein gleichwertiger Ersatz für die Vorlage der Vollmachtsurkunde seien soll, muss die Mitteilung von der Bevollmächtigung unmittelbar an den Erklärungsempfänger herangetragen werden und von ihm vernommen werden können (vgl. Soergel/Leptin § 174 BGB Rn. 4). Allein der Hinweis auf einen Aushang an einem "Schwarzen Brett" reicht nicht, dieses festzustellen. Sog. "Schwarzen Bretter" werden typischerweise zu ganz unterschiedlichen Mitteilungen verwandt. Zum Beispiel werden dort Aushänge des Betriebsrates oder der Gewerkschaften vorgenommen, sogar einzelne Anzeigen von Arbeitnehmern, die Gegenstände erwerben oder verkaufen wollen, befinden sich an Schwarzen Brettern. Es kann aber nicht als allgemein üblich angesehen werden, an Schwarzen Brettern Vollmachtsurkunden und Ähnliches auszuhängen und die Arbeitnehmer ausschließlich auf diesem Wege über Veränderungen der Vertretung des Arbeitgebers gegenüber den Regelungen des Gesellschaftsvertrags zu informieren. Es kann nicht einmal als üblich angesehen werden, dass allgemein Mitteilungen des Arbeitgebers nur am Schwarzen Brett ausgehängt werden, die unmittelbar für Einwirkungen auf das Vertragsverhältnis mit den Arbeitnehmern relevant sind. Es lässt sich auch nicht feststellen, dass es bei der Beklagten üblich gewesen wäre, dass alle Arbeitnehmer sich am Schwarzen Brett regelmäßig informierten. Erst recht hat die Beklagte nichts dazu vorgetragen, dass sie jemals den Arbeitnehmern mitgeteilt habe, sie müssten regelmäßig das Schwarze Brett in Augenschein nehmen, um für ihr Vertragsverhältnis relevante Mitteilungen zur Kenntnis zu nehmen.

Es lässt sich damit nicht feststellen, dass das "Schwarze Brett" ein Ort wäre, der zum Zwecke des Inkenntnissetzens nach § 174 Satz 2 BGB als gleichwertiger Ersatz für die Vorlage der Vollmachtsurkunde angesehen werden könnte.

II. Ist die Kündigung schon aus dem vorgenannten Grunde unwirksam, so liegt auch nach Auffassung der erkennenden Kammer weder gemäß § 626 BGB ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung noch ein verhaltensbedingter Grund im Sinne des § 1 KSchG vor.

Dazu ist zunächst zum Sachverhalt folgendes zu berücksichtigen: Wie sich aus dem Anhörungsschreiben an den Betriebsrat ergibt - hat der Kläger noch vor Ausspruch der Kündigung in einer Anhörung auf dem Betriebsgelände verdeutlicht, dass er seinen Ausspruch aus Anlass der Abmahnung gemacht habe, die ihm - inzwischen unstreitig - zu Unrecht deshalb erteilt worden war, weil er seine Handynummer für den Winterdienst nicht hinterlassen habe.

Selbst wenn man unterstellt, dass der Kläger in der Mitarbeiterbesprechung gegen 7:00 Uhr seinen Ausspruch nicht erkennbar in diesem Zusammenhang gestellt hat, so macht seine spätere Einlassung doch deutlich, dass dieser Zusammenhang der subjektive Hintergrund der Äußerung des Klägers war. Dabei durfte der Kläger - wie nunmehr feststeht - zu Recht davon ausgehen, dass in der Abmahnung ihm gegenüber ein Vorwurf erhoben wurde, der nicht wahr war.

Vor diesem Hintergrund kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger mit dem Ausspruch "die lügen" überhaupt eine formale Beleidigung hat aussprechen wollen. Der Kläger hat schon erstinstanzlich darauf hingewiesen, dass er italienischer Abstammung sei und nach seiner Definition ein Lügner sei, wer die Unwahrheit sage (Bl. 63 d.A.). Auch in der deutschen Sprache wird das Verb "lügen" umgangssprachlich auch ohne den Bedeutungsinhalt, absichtlich Unwahres zu sagen, gebraucht, um zu bezeichnen, dass etwas objektiv Unwahres gesagt wird (vgl. Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 6. Auflage, "das ist gelogen" umgangssprachlich für "das ist nicht wahr"). Berücksichtigt man ferner, dass der Kläger als Italiener, der deutsch nicht als Muttersprache gelernt hat, nicht die Feinheiten der deutschen Sprache beherrscht, und dass er auch nicht zu einer Berufsschicht gehört (Straßenreiniger), die aus Höflichkeitsgründen ihre Worte auf die Goldwaage legen, dann kann vor dem gegebenen Hintergrund sein Ausspruch nicht als Formalbeleidigung gewertet werden.

Die Tatsache, dass der Kläger am 05.04.2001 nicht bereit war, die Äußerung zurückzunehmen, spricht nicht dagegen. Im Gegenteil: Am 05.04.2001 nämlich hatte auch die Beklagte den - tatsächlich unwahren - Vorwurf nicht korrigiert, der Kläger sei trotz angeordneter Rufbereitschaft nicht erreichbar gewesen, weil er nicht seine Handynummer, sondern nur seine Festnetznummer hinterlegt habe und nicht zu Hause gewesen sei. Erst mit Abmahnungsschreiben vom 17.04.2001, das mithin am selben Tage datiert wie die streitige Kündigung, entschuldigte sich die Beklagte für diesen Vorwurf und stellte klar, dass die Abmahnung vom 24.01.2001 in diesem Punkte falsch sei (Blatt 20/21 d. A.). Das Verhalten des Klägers korrespondiert mithin mit der seinerzeit aufrechterhaltenen Behauptung der Beklagten, die objektiv unwahr war.

Die Kammer teilt nach allem den Schluss des Arbeitsgerichts, dass nicht festgestellt werden kann, dass die pauschale Behauptung "die lügen" unter den gegebenen Umständen als Formalbeleidigung aufzufassen war.

III. Zurückzuweisen war der Auflösungsantrag der Beklagten. Dieses schon deshalb, weil nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis nur dann aufgelöst werden darf, wenn die Kündigung allein sozialwidrig ist (BAG 21.09.2000 EzA § 9 KSchG n.F. Nr. 44; weitere Nachweise bei KR/Spilger § 9 KSchG Rn. 27 a). Im vorliegenden Fall aber scheitert die Kündigung auch an § 174 BGB.

IV. Auch im Bezug auf die Abmahnung hatte die Berufung in der Sache keinen Erfolg.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Arbeitnehmer die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte verlangen (vgl. hierzu die Zusammenfassung in BAG 30.05.1996 AP Nr. 2 zu § 611 BGB Nebentätigkeit). Dieser Anspruch ist gegeben, wenn die Abmahnung formell nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist, sie unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt wird oder kein schutzwürdiges Interesse am Verbleib der Abmahnung in der Personalakte mehr besteht. Soweit dem Arbeitnehmer eine Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten vorgeworfen wird, kommt es nicht darauf an, ob dieser Pflichtenverstoß dem Arbeitnehmer subjektiv vorwerfbar ist. Es reicht aus, wenn der Arbeitgeber einen objektiven Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten rügt. Eine solche Rüge ist jedoch nicht nur ungerechtfertigt, wenn sie unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, sondern auch dann, wenn sie auf einer unzureichenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht (BAG aaO).

Dieses Letztere ist hinsichtlich des in der Abmahnung vom 17.04.2001 gerügten "Vorfalls 1" gegeben. Die Beklagte verlangte danach, dass der Kläger durch die Unterschrift bestätige, dass er an der Winterdienstunterweisung teilgenommen habe und diese verstanden habe.

Weiter hat die Beklagte dazu vorgetragen, der Kläger habe daraufhin die Unterschrift mit der Begründung verweigert, dass er nichts unterschreibe, was er nicht zuvor schriftlich bekommen habe.

Wenn die Beklagte dem Kläger vorwirft, nicht unterschrieben zu haben, so kann dahinstehen, ob grundsätzlich ein entsprechender Anspruch der Beklagten aus ihrem Direktionsrecht oder aus einer aus Treu und Glauben abzuleitenden vertraglichen Nebenpflicht resultiert.

Denn das Verlangen der Beklagten war in concreto weder billig (§ 315 BGB) noch entsprach es Treu und Glauben (§ 242 BGB).

Die Beklagte verlangte vom Kläger - überspitzt formuliert - eine "Blanko-Unterschrift". Der Kläger sollte schriftlich bestätigen, etwas verstanden zu haben, ohne dass das, was er verstanden haben sollte, für ihn nachprüfbar ebenso schriftlich festgehalten war. Die Beklagte hätte damit später, wenn es darauf angekommen wäre, was der Kläger verstanden hätte, nur darzutun brauchen, dass in der Unterrichtung überhaupt etwas angesprochen wurde, worauf sie aufgrund der "Blanko"-Bestätigung des Klägers, verstanden zu haben, ihm den Einwand absperrte, diesen Punkt eben nicht verstanden zu haben. Der Kläger verlangte daher ganz zu Recht die schriftliche Vorlage dessen, was er verstanden haben sollte.

Werden in einem Abmahnungsschreiben mehrere Pflichtverletzungen gleichzeitig gerügt und treffen davon nur einige (aber nicht alle) zu, so muss das Abmahnungsschreiben auf Verlangen des Arbeitgebers vollständig aus der Akte entfernt werden und kann nicht teilweise aufrecht erhalten bleiben (ständige Rechtsprechung des BAG - vgl. z.B. 13.03.1991 - BB 1991, 1567).

Daher muss die Beklagte die Abmahnung vollständig aus der Personalakte des Klägers entfernen, ohne dass es noch darauf ankommt, ob der 2. Vorfall zu Recht abgemahnt worden ist.

V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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