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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 13.05.2005
Aktenzeichen: 4 Sa 400/05
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 935
ZPO § 940
BGB § 307
- zum Verfügungsgrund bei Leistungsverfügungen.

- zur Wirksamkeit formularmäßiger Freistellungsklauseln.


Tenor:

Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 16.02.2005 - 9 (1) Ca 215/04 - wird auf Kosten der Verfügungsklägerin zurückgewiesen.

Tatbestand: Die Parteien streiten im Verfahren einer einstweiligen Verfügung um einen Beschäftigungsanspruch. Wegen des erstinstanzlichen streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gem. 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 16.02.2005 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgewiesen. Gegen dieses ihr am 28.02.2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 21.03.2005 Berufung eingelegt und diese zugleich begründet. Sie wiederholt im Wesentlichen ihren erstinstanzlichen Sachvortrag und greift das erstinstanzliche Urteil mit Rechtsausführungen an. Die Klägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 16.02.2005 - 9 (1) Ga 215/04 - abzuändern und dem Berufungsbeklagten aufzugeben, zwecks zur Vermeidung eines vom Gericht festgesetzten Zwangsgeldes bis zu 25.564,59 Euro bzw. Zwangshaft gegen den gesetzlichen Vertreter des Antragsgegners die Berufungsklägerin bis zum 30.06.2005 entsprechend der bisherigen Ausgestaltung des Arbeitsplatzes weiterhin als Büroleiterin zu beschäftigen. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren. Entscheidungsgründe: Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Arbeitsgericht den Erlass der einstweiligen Verfügung bereits am Verfügungsgrund scheitern lassen. Sowohl eine einstweilige Verfügung nach § 935 ZPO als auch eine solche nach § 940 ZPO setzen einen Verfügungsgrund, d. h. die Darlegung und Glaubhaftmachung der besonderen Eilbedürftigkeit zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus sonstigen Gründen voraus. Die bloße Unwiederbringlichkeit der verflossenen Zeit stellt keinen Notstand dar. Denn dann könnten sehr viele Verfahren ohne die gesetzlich vorgesehene Darlegung des Verfügungsgrundes immer durch einstweilige Verfügung im vereinfachten summarischen Verfahren statt des Hauptsacheverfahrens entschieden werden (vgl. LAG Hamm, 18.02.1998 - 3 Sa 297/98 - MDR 1998, 1036). Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass gerade bei einer wie im vorliegenden Fall begehrten Leistungs- bzw. Befriedigungsverfügung bei Erlass derselben in dem summarischen Verfahren der Arbeitgeber wegen des späteren Zeitablaufs genauso wenig Möglichkeit hat, im Hauptsacheverfahren die vollzogene einstweilige Verfügung rückgängig zu machen. Allein die nicht rechtzeitige Durchführbarkeit des Hauptsacheverfahrens kann daher nicht den Verfügungsgrund ersetzen. Umgekehrt muss allerdings die Möglichkeit der rechtzeitigen Durchführung des Hauptsacheverfahrens jedem Erlass einer einstweiligen Verfügung entgegenstehen. Für einstweilige Verfügungen gelten nach Auffassung der erkennenden Kammer im Übrigen zum Verfügungsgrund folgende Grundsätze, die sie in der Entscheidung vom 14.06.1996 - 4 Sa 177/96 - NZA 1997, 327 ff. ausführlich dargelegt hat: Bei der Feststellung, ob eine einstweilige Verfügung "zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint" (§ 940 ZPO), hat eine Interessenabwägung stattzufinden. Dabei kann es nicht ohne jegliche Berücksichtigung der materiellen Rechtslage allein darauf ankommen, welcher Partei die größeren Nachteile erwachsen würden, noch kann es - will man nicht die besonderen Voraussetzungen der einstweiligen Verfügung gänzlich hinweg interpretieren - richtig sein, die Notwendigkeit der einstweiligen Befriedigung des Gläubigers schon daraus zu folgern, dass die nicht termingerechte Erfüllung einen endgültigen Rechtsverlust bedeutet. Eine solche Auffassung übersieht insbesondere, dass die Befriedigung des Gläubigers in diesen Fällen eben nicht "einstweilig" ist, sondern endgültig. Richtig ist es demgegenüber, in die für die einstweilige Verfügung gebotene Interessenabwägung sowohl die in Betracht kommenden materiellrechtlichen und vollstreckungsrechtlichen Erwägungen als auch die wirtschaftlichen und sonstigen Auswirkungen für beide Parteien einzubeziehen. Dieses bedeutet, dass bei einer schwierigen und ungeklärten Rechtslage die Anforderungen an den Verfügungsgrund erhöht sind und dass bei einer in hohem Maße zweifelhaften Rechtslage regelmäßig keine einstweilige Verfügung ergehen kann. Umgekehrt braucht dann, wenn die Rechtslage insbesondere durch höchstrichterliche Rechtsprechung im Sinne einer Bejahung des Verfügungsanspruchs geklärt ist und auch die Tatsachen unstreitig sind, der Verfügungsgrund nicht von besonderem Gewicht zu sein. Bei eindeutiger Rechtslage mag auf zusätzliche Anforderungen an den Verfügungsgrund verzichtet werden können. Danach gilt im vorliegenden Fall: Der Arbeitsvertrag enthält ausdrücklich eine Freistellungsklausel. Zu dieser meint die Klägerin, spätestens mit der Schaffung des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB sei von einer Rechtsunwirksamkeit der Freistellungsklausel auszugehen und beruft sich dazu auf eine Entscheidung des Arbeitsgerichts Frankfurt vom 19.11.2003 (2 Ga 251/03). Diese Rechtsposition ist indes alles andere als geklärt. Die gegenteilige Auffassung vertreten z. B. das LAG München (5. Kammer) im Urteil vom 07.05.2003 (5 Sa 297/03) und die 6. Kammer des LAG München im Urteil vom 14.03.2003 (6 Sa 184/03). Die 5. Kammer des LAG München (a. a. O.) hält zwar generelle, einschränkungslose Freistellungsklauseln gem. § 307 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB für unwirksam, geht aber davon aus, dass die Ausübung des in einer Freistellungsklausel vereinbarten Freistellungsrechts aufgrund einer Auslegung § 315 Abs. 1 BGB unterliegt oder, wenn eine solche Auslegung nicht möglich ist, aufgrund einer sog. geltungserhaltenden Reduktion dieser Billigkeitskontrolle unterfällt, wenn anders die Freistellungsklausel gem. § 307 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam wäre. Ebenso hat - was im Übrigen die erkennende Kammer teilt - das LAG München (a. a. O.) entschieden, dass die gem. § 315 BGB erforderliche Billigkeit der aufgrund einer Freistellungsklausel erklärten Freistellung zwar eine Interessenabwägung voraussetzt, aber nicht ein das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmer überwiegendes, schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers im Sinne der Rechtsprechung des BAG zum allgemeinen Beschäftigungsanspruch. Als Zwischenergebnis ist zunächst festzuhalten, dass jedenfalls nicht aufgrund einer eindeutigen, erst recht nicht aufgrund einer durch höchstrichterliche Rechtsprechung geklärten Rechtslage die Freistellungsklausel unwirksam ist und damit der Verfügungsanspruch in jedem Falle gegeben wäre. Vielmehr kommt es für den Verfügungsanspruch im vorliegenden Fall auf die Frage der Billigkeit der Ausübung an. Wie im Rahmen der Interessenabwägung zum Verfügungsgrund noch zu zeigen sein wird, kann diese ebenfalls keineswegs a priori verneint werden. Das Arbeitsgericht hat zu Recht entschieden, dass drohende Nachteile, die eine einstweilige Verfügung erforderten, insoweit im Rahmen einer Interessenabwägung nicht erkennbar sind. 1. Nichts - darauf hat das Arbeitsgericht bereits hingewiesen - ist für den im Rahmen einer Beschäftigungsverfügung typischen Verfügungsgrund vorgetragen worden, dass durch die Nichtbeschäftigung es zu einem Verlust von Fähigkeiten und Fertigkeiten käme. 2. Die Klägerin hat sich darauf berufen, dass die Freistellung sie bei der Bewerbung bei einem potentiellen Arbeitgeber diskriminiere und sie dort Nachteile zu erwarten habe. Zu Recht hat das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, dass die Klägerin insofern indes keinen einzigen konkreten Fall vorgetragen hat. Die Behauptung, dass die Klägerin bei einem potentiellen Arbeitgeber gravierende Nachteile zu erwarten habe, ist reine Spekulation, die auch dadurch nicht glaubhafter wird, dass die Klägerin eidesstattlich versichert, sie sei überzeugt, dass jede Bewerbung ohne Aussicht auf Erfolg sei, wenn sie auf eine entsprechende Nachfrage eines potentiellen Arbeitgebers sagen müsse, dass sie freigestellt sei. Mittlerweise sind mehrere Monate nach der Freistellung vergangen. Die Klägerin hat auch in der Berufungsinstanz nicht einen Fall vorgetragen, in dem sie im Rahmen einer Bewerbung nach einer Freistellung gefragt worden wäre und in dem das zu negativen Konsequenzen geführt hätte. Davon abgesehen hat das Arbeitsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass vertragliche Freistellungsklauseln insbesondere in leitenden Funktionen üblich sind und sich die Länge der Freistellung allein aus der Länge der Kündigungsfrist ergibt. 3. Auch liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Freistellung auf ein schikanöses Verhalten der Beklagten zurückgehe. Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Klägerin schon aufgrund des Arbeitsvertrages und der dort enthaltenen Klausel mit einer Freistellung im Falle der Kündigung rechnen musste und diese Freistellung mithin auf Arbeitgeberseite als ein vorgesehener Normalfall erscheinen muss. 4. Die Beklagte hat sich im Rahmen des § 315 BGB darauf berufen, dass zu berücksichtigen sei, dass die Klägerin in herausgehobener Position als Büroleiterin beschäftigt sei und daraus resultiere, dass sie mit einem besonderen Vertrauensverhältnis gegenüber der Geschäftsführung eingesetzt sei. Die Beschäftigung einer Büroleiterin in gekündigter Position, zusätzlich mit einer streitigen Auseinandersetzung vor dem Arbeitsgericht sei mit dem berechtigten Interesse der Beibehaltung des Betriebsfriedens bei der Beklagte nicht vereinbar. In der Tat kann es nicht unbillig erscheinen, wenn der Arbeitgeber ein vereinbartes Freistellungsrecht in einer Situation in Anspruch nimmt, in der über die Beendigung des Vertragsverhältnisses sowohl außergerichtlich als inzwischen auch gerichtlich gestritten wird und damit typischerweise die tägliche Zusammenarbeit in einer Position, in der ein besonderes Vertrauensverhältnis erforderlich ist, belastet ist. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

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