Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 23.12.2005
Aktenzeichen: 4 Sa 999/05
Rechtsgebiete: AVR


Vorschriften:

AVR § 23
Beginn einer Verfallfrist wegen der Rückforderung von Entgeltfortzahlung.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 02.06.2005 - 1 Ca 3641/04 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Rückerstattung von geleisteter Entgeltfortzahlung.

Wegen des erstinstanzlichen unstreitigen und streitigen Vorbringens sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 69 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Ansprüche verfallen seien. Gegen dieses ihm am 24.06.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18.07.2005 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 24.09.2005 am 15.09.2005 begründet.

Der Kläger trägt vor, die Ausführungen im Arbeitsgerichtsprozess - 17 Ca 3084/02 - und in der mündlichen Verhandlung im dortigen Prozess am 07.01.2003 seien vor dem Hintergrund erfolgt, dass seine Tätigkeit bei einem anderen Unternehmen trotz bestehender Arbeitsunfähigkeit bei dem hiesigen Beklagten einen Kündigungsgrund darstelle und zwar deshalb, weil damit der Arbeitnehmer und hier der Beklagte die Wiederherstellung seiner Arbeitskraft gefährde. Es habe zu diesem Zeitpunkt möglicherweise nur eine Vermutung bestanden, dass die tatsächlich attestierte Arbeitsunfähigkeit nicht bestanden habe bzw. nicht auf den Verkehrsunfall vom 14.05.2001 zurückzuführen sei. Nicht dagegen habe positive Kenntnis vorgelegen, was nach Auffassung des Klägers Voraussetzung des Fristbeginns gemäß § 23 AVR ist. Positive Kenntnis habe der Kläger aber erst durch das Gutachten des Sachverständigen am 15.03.2004 erhalten. Würde - so meint der Kläger - die vom Arbeitsgericht vertretene Auffassung zutreffen, dass die Frist gemäß § 23 AVR am 07.01.2003 begonnen habe, hätte dieses bedeutet, dass der Kläger einen zweiten Prozess parallel zu dem zivilgerichtlichen Verfahren gegen den Verkehrsunfallverursacher, allerdings hier gegen den Beklagten, vor dem Zivilgericht hätte führen müssen. Dieses sei jedoch dem Arbeitgeber nicht zumutbar. Ebenso wie nach Ansicht des BAG ein Abwarten im Hinblick auf die Geltendmachung unter Berücksichtigung eines anhängigen Strafverfahrens zugelassen werde, müsse dieses auch für einen parallel geführten Zivilprozess gelten.

Es müsse auch berücksichtigt werden, dass der Beklagte in der Zeugenvernehmung vor dem Amtsgericht Rheinbach die Behauptung aufrechterhalten habe, er sei tatsächlich bei dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall verletzt worden. Das sei auch unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung gemäß § 242 BGB zu berücksichtigen. Zu berücksichtigen sei ferner das Verhalten des Beklagten gegenüber den beiden Prozessbevollmächtigten im Berufungsverfahren vor dem Landgericht B . Dort habe er den Prozessbevollmächtigten des Klägers kontaktiert und ihm mitgeteilt, dass er ihn beauftragen wolle, Schmerzensgeldansprüche gegen den Unfallverursacher geltend zu machen. Dadurch habe der Beklagte zum Ausdruck gebracht, dass die Klageforderung zurecht gegen den Schädiger erfolge. Das bedeutet, dass der Beklagte es in Kauf genommen habe, dass der Kläger ein zivilrechtliches Verfahren führe, obwohl er bereits zu diesem Zeitpunkt habe wissen müssen, dass sein früherer Arbeitgeber und hier der Kläger diesen Prozess verlieren werde, obwohl aus dem Gutachten des Sachverständigen T zu schließen sei, dass die Arbeitunfähigkeit nicht Folge des Verkehrsunfalls gewesen sei.

Schließlich werde bestritten, dass der Beklagte zur Zeit der Entgeltfortzahlung an einer HWS-Verletzung sowie den ferner genannten gesundheitlichen Beeinträchtigungen derartig gelitten habe, dass dies zu einer Arbeitsunfähigkeit auch unabhängig von einem Unfallgeschehen geführt habe.

Der Kläger beantragt:

Auf die Berufung wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 02.06.2005 zu dem Aktenzeichen 1 Ca 3641/04 aufgehoben und der Beklagte verurteilt, an den Kläger 4.264,42 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %- Punkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 21.07.2004 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Der Kläger habe am 07.01.2003 zumindest einen gefestigten Verdacht haben müssen. Bei ihm, dem Beklagten, habe im Übrigen die gesundheitliche Beeinträchtigung bestanden. Das Gutachten des Sachverständigen T komme für die hier maßgebliche Frage des Bestehens eines Anspruches auf Entgeltfortzahlung zu keiner Aussage. Das Gutachten widerlege nämlich nicht das grundsätzliche Vorliegen einer körperlichen Beeinträchtigung, die zu einer Arbeitsunfähigkeit geführt habe. Der Gutachter habe keine Stellungnahme dazu beziehen können, welche Verletzungen bei dem Beklagten vorgelegen hätten.

Den Ausführungen zu § 242 BGB müsse entgegengehalten werden, dass der Beklagte tatsächlich arbeitsunfähig krank gewesen sei. Der Beklagte bezieht sich dazu auf das Attest der seinerzeit behandelnden Ärzte Dr. W und S . Schon der deutliche Umfang der attestierten Arbeitsunfähigkeit von ca. 2 Monten und der weiteren einmonatigen bedingten Arbeitsfähigkeit sprächen dafür, dass tatsächlich eine Erkrankung vorgelegen habe.

Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren. Bezug genommen wird insbesondere auch auf die von der Beklagten auf Anforderung des Gerichts eingereichten Unterlagen aus dem Prozess vor dem Amtsgericht Rheinbach und dem Landgericht Bonn (Bl. 184 ff. d. A.).

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegt und begründete Berufung der Beklagten hatte in der Sache keinen Erfolg.

I. Die Ansprüche sind gemäß § 23 AVR, der unstreitig auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet, verfallen.

1. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts legt den Begriff der Fälligkeit in tariflichen Verfallklauseln, der auch in dem in § 70 BAT inhaltsgleichen § 23 AVR enthalten ist, einschränkend dahingehend aus, dass es nicht allein auf die Entstehung des Anspruchs ankommt, sondern Fälligkeit im Sinne der Ausschlussklauseln für Schadensersatzansprüche dann vorliegt, wenn diese in ihrem Bestand feststellbar sind und geltend gemacht werden können. Geltend gemacht werden können die Schadensersatzforderungen, sobald der Gläubiger in der Lage ist, sich den erforderlichen Überblick ohne schuldhaftes Zögern zu verschaffen und seine Forderungen wenigstens annähernd zu beziffern (vgl. z. B. BAG 26.05.1981 - 3 AZR 269/78 - AP Nr. 71 zu § 4 TVG Ausschlussfristen). Nichts anderes besagt im Ergebnis auch die Entscheidung des BAG vom 16.11.1989 (- 6 AZR 114/88 -). Danach wird der Anspruch auf Rückzahlung (eines überzahlten Ortzuschlagbetrags) in der Regel fällig, wenn die Tatsachen des Überzahlungstatbestandes bekannt werden. Dieses gilt - so das BAG ausdrücklich - jedoch nicht, wenn der Gläubiger durch schuldhaftes Zögern versäumt hat, sich die Kenntnis der Voraussetzungen zu verschaffen, die er für die Geltendmachung benötigt (ebenso BAG 16.03.1966 AP Nr. 33 zu § 4 TVG Ausschlussfristen; 12.07.1972 AP Nr. 51 zu § 4 TVG Ausschlussfristen; 16.05.1984 AP Nr. 85 zu § 4 TVG Ausschlussfristen).

Der Arbeitgeber kann mithin nicht bis zu dem zufälligen Zeitpunkt der positiven Kenntnis aller Umstände warten. Vielmehr muss er dann, wenn er Anhaltspunkte für einen Schadensersatzanspruch oder für eine Überzahlung erhält, den Forderungen nachgehen und zumutbare Ermittlungen über den Sachverhalt anstellen (so ausdrücklich BAG 26.05.1981 - 3 AZR 269/78 - AP Nr. 71 zu § 4 TVG Ausschlussfristen).

2. Dieser Zeitpunkt war nicht erst - worauf das Arbeitsgericht abgestellt hat - im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Kündigungsschutzprozess 17 Ca 3084/02 am 07.01.2003 gegeben. Es kommt auch nicht darauf an, aus welchem Anlass der Kläger seinerzeit von einer möglicherweise erschlichenen Arbeitsunfähigkeit ausging.

Fälligkeit im Sinne der genannten Rechtsprechung war spätestens gegeben, als der Kläger im Schadensersatzprozess vor dem Amtsgericht den Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der beklagten Versicherung und des beklagten Unfallschädigers, Rechtsanwalt vom 06.09.2002 erhielt. Dabei ist davon auszugehen, dass die darin enthaltenen wesentlichen Gründe für die Weigerung der Versicherung, den Schaden zu übernehmen, dem Kläger auch schon außergerichtlich bekannt waren. Dieses kann jedoch letztlich dahinstehen.

In dem genannte Schriftsatz wird der Klageabweisungsantrag damit begründet, dass der Mitarbeiter des Klägers, der hiesige Beklagte, niemals aufgrund des Unfalls vom 14.05.2001 verletzt worden sein könne. Es sei ausgeschlossen, dass für ein HWS-Schleudertrauma der Unfall vom 14.05.2001 ursächlich gewesen sei. Dazu wird ausdrücklich Bezug genommen. auf ein beigefügtes Gutachten des Sachverständigen H vom 14.05.2001. Es wird dargelegt, dass sich daraus ergebe, dass der Schädiger mit einer so geringen Geschwindigkeit auf das Fahrzeug des hiesigen Beklagten aufgefahren sei, dass die unfallbedingte Geschwindigkeitsänderung Delta V unter 10 Stundenkilometer gelegen habe. Es wird weiter darauf hingewiesen, dass die Versicherung den ärztlichen Bericht der Doktores W und S vom 09.07.2001 eingeholt habe, dass dieser Bericht jedoch mangels objektiver Befunde ungeeignet sei, die vermeintlichen Ansprüche zu stützen. Weiter wird dargelegt, dass bereits die Diagnose "HWS-Schleudertrauma" falsch sei. Aufgrund der geringen Impulswirkung habe sich der hiesige Beklagte in seinem Fahrzeug kaum messbar bewegt. Gurtverletzungen und/oder Prellmarken seien nicht gefunden worden. Es wird weiter auf eine mögliche vegetative Begleitsymptomatik eingegangen. Es folgen ausführliche Hinweise zur Biomechanik des Schleudertraumas der Halswirbelsäule unter Angabe wissenschaftlicher Quellen. Der Schriftsatz kommt zu dem Schluss, dass auf den Kläger allenfalls Beschleunigungskräfte von unter 4 g eingewirkt hätten. Bei Beschleunigungen bis 6 g sei aber kein Schleudertrauma zu erwarten.

Die Ausführungen in dem Schriftsatz enthalten damit im Wesentlichen das, was auch der Gutachter T im später vom Landgericht eingeholten gerichtlichen Gutachten ausgeführt hat. Es wird auf ein von der Versicherung bereits eingeholtes Gutachten verwiesen und es folgen ausführliche wissenschaftliche Hinweise zu der Frage, ob durch den Unfall ein HWS-Schleudertrauma verursacht worden sein kann. Das Fazit ist das gleiche, das auch der Gutachter T zieht.

Durch diese ausführlichen und präzisen Darlegungen, warum durch den konkreten Unfall eine HWS-Schädigung nicht erfolgt sein könnte, war der Kläger in die Lage versetzt, seine möglichen Rückzahlungsansprüche festzustellen und geltend zu machen. Sofern ihm die dortigen Darlegungen nicht gereicht hätten, wäre es seine Obliegenheit gewesen, weitere eigene Erhebungen zu veranlassen.

3. Nicht aber durfte der Kläger den Ausgang des zivilgerichtlichen Prozesses abwarten. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 26.05.1981 (- 3 AZR 269/78 - a. a. O.) ausgeführt, der Gläubiger sei gehalten, möglichen Schadensersatzforderungen nachzugehen und zumutbare Ermittlungen über den Sachverhalt anzustellen. Nicht zumutbar sei es jedoch für einen Arbeitgeber, den Ermittlungen der darauf spezialisierten Strafverfolgungsbehörden und Gerichte zuvorzukommen. Vielmehr dürfe sich derjenige, der sich durch eine vorsätzliche Straftat geschädigt fühle, die Ermittlungen des Staates zunutze machen.

Das Arbeitsgericht hat bereits zurecht ausgeführt, dass diese Ausnahme von dem Grundsatz, dass der Gläubiger selbst ermitteln muss, nicht auf einen Zivilprozess gegen einem Dritten übertragen werden kann. Dieses ergibt sich daraus, dass gerade der Zivilrichter im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft und zum Strafrichter nicht ermittelt. Es gilt im Zivilprozess eben nicht der Ermittlungsgrundsatz, sondern der Beibringungsgrundsatz. Ein Kläger hat den Sachverhalt soweit selbst zu ermitteln, dass er schlüssigen Vortrag halten kann. Das Zivilgericht ist zu Ermittlungen nicht nur nicht verpflichtet, sondern überhaupt nicht dazu befugt.

Zu Unrecht beruft sich der Kläger darauf, dass ihm damit ggf. zugemutet würde, zwei Zivilprozesse zu führen. Er übersieht, dass in dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 26.05.1981 (- 3 AZR 269/78 -) es im Gegensatz zum vorliegenden Fall um die zweistufige Verfallfrist des § 16 BRTV ging. Nach dieser Vorschrift reicht nicht eine schriftliche Geltendmachung aus. Vielmehr enthält die Ausschlussklausel auch die Obliegenheit des Gläubigers Klage zu erheben. Ganz anders im vorliegenden Fall. § 23 AVR verlangt lediglich eine schriftliche Geltendmachung. Der Gläubiger muss nicht mehr tun, als ein einfacheres Schreiben absenden. Dieses war dem Kläger spätestens zum Zeitpunkt der Klageerwiderung im Prozess vor dem Amtgericht zumutbar, zumal die Höhe der Rückforderungsansprüche klar war.

Der Kläger beantragte indes, nachdem ihm im September 2002 alle Tatsachen bekannt waren, die gegen eine unfallbedingte HWS-Verletzung sprachen, erst am 08.09.2004 einen Mahnbescheid, ohne vorher die Ansprüche schriftlich geltend zu machen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Ansprüche - wie das Arbeitsgericht im Ergebnis zurecht entschieden hat - verfallen.

II. Es ist dem Beklagten auch nicht unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben verwehrt, sich auf den Verfall zu berufen. Dieses käme in Betracht, wenn der Beklagte den Kläger treuwidrigerweise davon abgehalten hätte, seine Forderungen innerhalb der Verfallfrist geltend zu machen. Dazu beruft sich der Kläger auf das Verhalten des Beklagten bei seiner Zeugenbefragung vor dem Amtsgericht Rheinbach am 09.07.2003 sowie im Rahmen des Berufungsverfahrens vor dem Landgericht Bonn. Unabhängig davon, dass allein durch die Behauptung des Beklagten, er sei seinerzeit arbeitsunfähig gewesen, die dem Kläger aufgrund der Klageerwiderung in dem amtsgerichtlichen Verfahren bekannt gewordenen Tatsachen und gutachterlichen Auffassungen nicht erschüttert wurden, kann das Verhalten zur Jahresmitte 2003 den Kläger schon deshalb nicht von der rechtzeitigen Geltendmachung abgehalten haben, weil die im September 2002 begonnene halbjährige Verfallfrist zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen war.

III. Schließlich kann aber auch nicht festgestellt werden, dass der Beklagte seinerzeit nicht arbeitsunfähig war. Die Klage hätte daher auch ohne den Verfall keinen Erfolg. Das Gutachten des Sachverständigen T , auf welches sich der Kläger bezieht, kommt zum Ergebnis, dass eine kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung von 7,6 km/h und eine maximale Oberkörperbeschleunigung von 4,1 g vorlagen. Der Sachverständige, kein Arzt sondern ein Diplom-Ingenieur, weist in dem Gutachten selbst darauf hin, dass die Annahme von Belastungsgrenzen in Theorie und Praxis vielfach in Frage gestellt worden ist. Er verweist selbst auf die einschlägigen Ausführungen im Urteil des BGH vom 28.01.2003 (- IV ZR 139/02 -). Er kommt jedoch aufgrund eigener Überlegungen zu folgendem Schluss: "Gleichwohl erscheint die Annahme von Belastungsgrenzen, die auch für den technischen Laien offensichtlich sind, angesichts der Erfahrung mit der Auswirkung von Alltagsbelastungen allgemeiner Art, insbesondere im KfZ-Bereich, gerechtfertigt." Er zieht sodann - ohne konkrete Nachweise - die Belastungsgrenzen bei einer kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung von 10 km/h und einer maximalen Oberkörperbeschleunigung von 6 g.

Dem gegenüber hat der Bundesgerichtshof in dem zitierten Urteil unter Auswertung von Rechtsprechung und wissenschaftlichen Veröffentlichungen Folgendes ausgeführt:

"Die von der Revision herangezogene Auffassung, wonach bei Heckunfällen einer bestimmten, im Niedriggeschwindigkeitsbereich liegenden kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung, die im Bereich zwischen 4 und 10 km/h anzusetzen sei ("Harmlosigkeitsgrenze"), eine Verletzung der Halswirbelsäule auszuschließen sei, stößt in Rechtsprechung und Schriftgut zunehmend auf Kritik und wird insbesondere aus orthopädischer Sicht in Zweifel gezogen. Gegen die schematische Annahme einer solchen "Harmlosigkeitsgrenze" spricht auch, dass die Beantwortung der Kausalitätsfrage nicht allein von der kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung, sondern daneben von einer Reihe anderer Faktoren abhängt, wobei unter anderem auch der Sitzposition des betreffenden Fahrzeuginsassen Bedeutung beizumessen sein kann ... . Gesicherte medizinische Erkenntnisse zu der Frage, ob und in welcher Weise derartige Muskelanspannungen und Kopfdrehungen die Entstehung einer HWS-Distorsion beeinflussen können, sind bisher nicht bekannt."

Der Kläger zeigt keine gegenteiligen wissenschaftlichen Erkenntnisse auf. Es kann daher auch unter Zugrundelegung der von dem Sachverständigen ermittelten Geschwindigkeitsänderungen nicht ausgeschlossen werden, dass die seinerzeit von den behandelnden Ärzten festgestellte Verletzung vorlag.

Dementsprechend hat auch das Landgericht nicht etwa festgestellt, dass die Verletzungen des Beklagten nicht vorlagen. Es ist zu seinem klageabweisenden Urteil nicht nur deshalb gekommen, weil der Kläger im dortigen Verfahren die Ursächlichkeit des Unfalls für das behauptete HWS-Syndrom nicht hat beweisen können. Es erging mithin eine non-liquet-Entscheidung.

IV. Aus diesem Grunde könnte es am Ergebnis auch nichts ändern, dass der Kläger dem hiesigen Beklagten im damaligen Verfahren den Streit verkündet hat. Die Bindungswirkung nach § 68 ZPO beschränkt sich zwar nicht nur auf den Entscheidungssatz, sondern erstreckt sich auf den beurteilten Tatsachenkomplex und die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung und damit auf deren tatsächliche und rechtliche Grundlagen. Ist indes im Vorprozess die beweisfällige Hauptpartei aus Gründen der Beweislast unterlegen, so nimmt auch die Unaufklärbarkeit der Tatsachen als tragender Entscheidungsgrund an der Interventionswirkung teil (vgl. Zöller/Vollkommer § 68 ZPO Rn. 10 m. w. N.). Daraus ergeben sich für den Folgeprozess folgende Konsequenzen. Ist der Nebenintervenient (Streitverkündete) im Folgeprozess für die gleiche Tatsache wie die im Vorprozess unterlegene Hauptpartei beweispflichtig, kann er nicht mehr zum Beweis dieser Tatsachen zugelassen werden. Dieses gilt jedoch nicht, wenn der Nebenintervenient (Streitverkündete) im Folgeprozess nicht die Beweislast trägt. Dann kann es zu einer non-liquet-Entscheidung zu Ungunsten der Partei kommen (BGHZ 99, 52 f.; Zöller/Vollkommer a. a. O.).

Im vorliegenden Fall trägt nicht der Beklagte, sondern der Kläger die Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, insbesondere dafür, dass eine Arbeitsunfähigkeit nicht vorlag. Damit hilft ihm die Streitverkündung im dem Vorprozess, in dem eine non-liquet-Entscheidung erging, auch im vorliegenden Prozess nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück