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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 30.03.2004
Aktenzeichen: 5 (13) Sa 1380/03
Rechtsgebiete: BGB, BetrVG


Vorschriften:

BGB § 174
BetrVG § 102
Wird eine nach § 174 BGB zurückgewiesene Kündigung vom Vertreter des Arbeitgebers anschließend unter Verwendung des gleichen Schreibens - jedoch unter Beifügung der erforderlichen Vollmacht - erneut ausgesprochen, so ist vor dem Ausspruch der zweiten Kündigung eine erneute Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG erforderlich.
LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 (13) Sa 1380/03

Verkündet am 30. März 2004

In Sachen

hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 30.03.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Rietschel als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Erhard und Baurmann

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 24.07.2003 - 15 Ca 8744/02 - geändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigungen der Beklagten vom 22.08.2002 und 28.08.2002 zum 31.03.2003 beendet ist.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 07.07.1976 - zuletzt als Helfer zu einem Bruttomonatsentgelt von 2.333,00 € - beschäftigt. Der Kläger ist zu 30 % schwerbehindert und einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Er leidet an Depressionen. Die Beklagte betreibt ein Unternehmen zur Arbeitnehmerüberlassung und beschäftigt bundesweit mehrere tausend Mitarbeiter.

Die Beklagte hatte im Jahre 1996 die Zustimmung zu einer krankheitsbedingten Kündigung bei der Hauptfürsorgestelle beantragt, der Antrag wurde in der Folgezeit von der Beklagten nicht weiter verfolgt, nachdem sich die Parteien darauf geeinigt hatten, die weitere Entwicklung abzuwarten.

Anlässlich eines Einsatzes des Klägers bei der Firma T in Aachen am 29.06.1998 und 30.06.1998 kam es zu mehreren Vorfällen, die zum Teil streitig sind. Die Beklagte behauptet, der Kläger habe am 29.06.1998, wie die Firma T ihr in einem Anruf mitgeteilt habe, mit einem Vorschlaghammer auf Vorrichtungen eingeschlagen, Magnete auf Böcken angeschweißt, auf dem Tisch liegende Zeitungen durcheinandergebracht und sei verwirrt durch die Halle gelaufen. Er habe unter anderem auch auf dem Boden gekniet und Schienen gestreichelt sowie die Waggons geküsst, mit den Fäusten gegen Zigarettenautomaten getrommelt und gegen ein Stopschild getreten. Am 30.06.1998 habe der Kläger zunächst vergeblich versucht, auf das Gelände der Firma T zu gelangen. Gegen Mittag desselben Tages habe er sich erneut Zutritt auf das Firmengelände verschafft und dort einen Großfeueralarm ausgelöst, wobei er einen Feuerlöscher entleert habe.

Die Auslösung des Großfeueralarms sowie der Umstand, dass der Kläger von der Feuerwehr für die Kosten in Anspruch genommen wurde und diese erstattet hat, ist unstreitig. Unstreitig ist auch, dass der Kläger nach den Vorfällen vom 29.06.1998 und 30.06.1998 für fünf Wochen in stationärer psychiatrischer Behandlung war. Die Beklagte hat den Kläger seit dieser Zeit unter Fortzahlung seiner Vergütung von der Arbeitsleistung freigestellt.

Die Beklagte beantragte mit Schreiben vom 22.07.1998 bei der Hauptfürsorgestelle die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus krankheitsbedingten und verhaltensbedingten Gründen im Hinblick auf die Vorfälle vom 29. und 30.06.1998. Mit Schreiben vom gleichen Tage wurde der Betriebsrat zu der beabsichtigten Kündigung angehört. Die Hauptfürsorgestelle wies den Antrag mit Bescheid vom 15.05.1999 zurück. Nach Ablauf weiterer drei Jahre erteilte der Widerspruchsausschuss mit Bescheid vom 07.08.2002 die Zustimmung zur Kündigung. Eine gegen den Zustimmungsbescheid vom Kläger erhobene Klage blieb vor dem Verwaltungsgericht ohne Erfolg.

Die Beklagte hatte mit Schreiben vom 14.08.2002 erneut den Betriebsrat zu einer verhaltensbedingten Kündigung angehört, mit Schreiben vom 19.08.2002 hat der Betriebsrat der Kündigung widersprochen. Die Beklagte kündigte sodann zunächst mit Schreiben vom 22.08.2002 das Arbeitsverhältnis zum 31.03.2003, wobei das Kündigungsschreiben von einer Frau M als Niederlassungsleiterin und einem Herrn Th als Vertriebsdisponent - jeweils gezeichnet mit "i.V." - unterzeichnet war. Frau M ist zum Ausspruch von Kündigungen bevollmächtigt, eine Vollmachtsurkunde lag dem Kündigungsschreiben jedoch nicht im Original bei. Der Kläger ließ mit Schreiben vom 23.08.2002 durch seine Prozessbevollmächtigten die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung vom 22.08.2002 "gemäß § 174 BGB wegen fehlender Vollmacht zur Abgabe einer Kündigungserklärung" zurückweisen. Daraufhin übersandte die Beklagte mit Schreiben vom 28.08.2002 erneut ein Kündigungsschreiben - mit gleichem Wortlaut und Inhalt wie das Kündigungsschreiben vom 22.08.2002 - unter Beifügung einer Originalvollmacht (Bl.72 GA) an den Kläger.

Mit der am 23.08.2002 beim Arbeitsgericht zunächst hinsichtlich der Kündigung vom 22.08.2002 anhängig gemachten, später - mit einem am 12.03.2003 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz - auf die Unwirksamkeit der Kündigung vom 28.08.2002 erweiterten Klage macht der Kläger die Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen geltend. Der Kläger hat ferner bereits in der am 23.08.2002 eingegangenen Klage unter Ziffer 2 einen Feststellungsantrag auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses sowie unter Ziffer 3 einen Weiterbeschäftigungsantrag angekündigt.

Der Kläger hat beim Arbeitsgericht vorgetragen, er könne sich an die Vorfälle des 29. und 30.06.1998 nicht erinnern und müsse daher den Vortrag der Beklagten hierzu mit Nichtwissen bestreiten. Er hat die Auffassung vertreten, die Kündigungen der Beklagten seien sozialwidrig, darüber hinaus sei die Kündigung vom 22.08.2002 wegen ordnungsgemäßer Zurückweisung nach § 174 BGB unwirksam, die Kündigung vom 28.08.2002 mangels erneuter Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 BetrVG unwirksam.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 22.08.2002 nicht beendet wurde;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch durch die Kündigung vom 28.08.2002 nicht beendet wurde;

3. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen als Hilfskraft über den Ablauf der Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, wegen der Vorfälle vom 29. und 30.06.1998 sei es ihr unzumutbar, den Kläger weiterzubeschäftigen. Die Beklagte habe zunächst sämtliche Schäden, die vom Kläger verursacht worden seien, einschließlich der Kosten für die Auslösung eines Feueralarms, ferner für die Gestellung eines zusätzlichen Wachmannes, um weitere Schäden zu verhindern, übernommen. Nur hierdurch habe der Kunde davon überzeugt werden können, die seinerzeit bei ihm eingesetzten über zehn weiteren Mitarbeiter der Beklagten weiterhin einzusetzen und den Auftrag fortzuführen. Der Kläger habe rechtswidrig und schuldhaft gegen Haupt- und Nebenleistungspflichten aus dem Arbeitsvertrag verstoßen, indem er vorsätzlich Eigentum der Auftragsfirma der Beklagten zerstört habe, auch zukünftig sei wegen der unkontrollierten Verhaltensmuster des Klägers mit Wiederholungen zu rechnen. Eine Abmahnung sei entbehrlich gewesen, da bei einer vorsätzlichen Sachbeschädigung an dem Eigentum Dritter die Rechtswidrigkeit ohne weiteres erkennbar und eine Hinnahme durch die Beklagte ausgeschlossen gewesen sei. Eine mildere Maßnahme komme nicht in Betracht, da der Kläger die von der Beklagten angebotenen Möglichkeiten einer Trainingsmaßnahme und eines erneuten Arbeitsversuches dadurch vereitelt habe, dass er sich zunächst geweigert habe, die Trainingsmaßnahme zu absolvieren, bei Durchführung des Einsatzes habe er sich arbeitsunfähig krankgemeldet.

Die Kündigung vom 28.08.1998 scheitere jedenfalls nicht an der ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrates, der Betriebsrat sei nicht nur mit Schreiben vom 22.07.1998, sondern erneut mit Schreiben vom 14.08.2002 ordnungsgemäß angehört worden.

Das Arbeitsgericht hat durch ein am 24.07.2003 verkündetes Urteil die Klage abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe mit Schreiben vom 23.08.2002 lediglich die fehlende Vollmacht und nicht die fehlende Vorlage einer Vollmachtsurkunde gerügt, so dass diese Kündigung nicht nach § 174 BGB unwirksam sei. Bei der Kündigung vom 28.08.2002 handele es sich in Ansehung des § 102 BetrVG nicht um eine "zweite Kündigung", eine ausreichende Anhörung des Betriebsrats sei mit Schreiben vom 14.08.2002 erfolgt. Im Übrigen sei die Kündigung auch aus den vom Kläger nicht substantiiert und hinreichend bestrittenen, von der Beklagten vorgetragenen Tatsachen aus verhaltensbedingten Gründen gerechtfertigt.

Gegen dieses dem Kläger am 06.11.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am Montag dem 08.12.2003 Berufung eingelegt, die er - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 06.02.204 - am 06.02.2004 schriftlich wie folgt begründet hat:

Die Ausführungen des Arbeitsgerichts zu § 174 seien nicht nachvollziehbar, da der Kläger mit der Rüge der fehlenden Vollmacht gleichzeitig die fehlende Vollmachtsurkunde gerügt habe, die hier unstreitig gefehlt habe. Von der Funktion der Frau M als Personalleiterin sei dem Kläger nichts bekannt gewesen. Auch die Ausführungen des Arbeitsgerichts zu § 102 BetrVG und die Auffassung, es handele sich nicht um eine "zweite Kündigung" sei nicht nachvollziehbar. Nach dem Gesetzestext sei eindeutig vor jeder Kündigung eine Anhörung des Betriebsrats erforderlich.

Schließlich habe das Arbeitsgericht auch zu Unrecht das angebliche Verhalten des Klägers am 29. und 30.06.1998 als Kündigungsgrund ausreichen lassen, der Kläger habe keineswegs ein Großfeueralarm ausgelöst, vielmehr sei er durch das langjährige Vorverhalten der Beklagten krank geworden. Wegen der eingetretenen Erkrankung und seiner Behinderung könne der Kläger sich an die Ereignisse nicht mehr erinnern, hinsichtlich der beim ihm vorliegenden psychiatrischen Erkrankung hat die damals behandelnden Ärzte von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden.

Der Kläger und Berufungskläger beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 24.07.2003 - 15 Ca 8724/02 - festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen der Beklagten vom 22.08.2002 und 28.08.2002 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte stellt den Antrag,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit der Berufungserwiderung trägt sie vor, die Kündigung vom 22.08.2002 sei nicht begründet nach § 174 BGB zurückgewiesen worden. Dem Kläger sei aus seiner aktiven Tätigkeit bekannt gewesen, dass die Niederlassungsleitung grundsätzlich auch die Personalleitung inne gehabt habe und generell zum Einstellen und Kündigen von Mitarbeitern berechtigt und bevollmächtigt sei. Nicht nur der Kläger, sondern auch seine Prozessbevollmächtigte habe davon auf Grund gemeinsamer Gespräche und Kontakte zu dem Betriebsrat Kenntnis gehabt. Der Status der Niederlassungsleiterin ergebe sich darüber hinaus aus dem Antrag auf Zustimmung zur ordentlichen gegenüber dem Betriebsrat, welcher der Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgelegen habe.

Die Wiederholungskündigung vom 28.08.2002 sei keine rechtlich selbstständige Kündigung, sie bilde vielmehr mit dem Kündigungsschreiben vom 22.08.2002 eine einheitliche Kündigung/Willenserklärung. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei - insbesondere im Fall des streitigen Zuganges einer Kündigung - eine Wiederholungskündigung ohne weitere Anhörung des Betriebsrats zulässig und wirksam.

Im Übrigen rügt sie hinsichtlich des Vortrags des Klägers zu den Vorgängen vom 29. und 30.06.1998 und seiner Behauptung, er könne sich an den kompletten Geschehensablauf nicht mehr erinnern, Verspätung; sie bestreitet, dass die Beklagte ein Verschulden an dem bis heute nicht definierten Krankheitsbild des Klägers treffe.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien sowie auf den sonstigen Akteninhalt ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach dem Beschwerdewert an sich statthafte Berufung des Klägers ist in gesetzlicher Form und Frist eingelegt und begründet worden, sie ist somit zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der vom Arbeitsgericht vertretenen Auffassung ist sowohl die Kündigung der Beklagten vom 22.08.2002 als auch die Kündigung vom 28.08.2002 rechtsunwirksam. Die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung vom 22.08.2002 folgt aus § 174 BGB, die der Kündigung vom 28.08.2002 aus § 102 BetrVG.

1. Die Kündigung der Beklagten vom 22.08.2002 ist unwirksam gemäß § 174 BGB. Hiernach ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, somit auch eine Kündigung, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist. Die Kündigung haben die dort unterzeichnenden Vertreter der Beklagten in Vollmacht für die Beklagte unterzeichnet, wie der Zusatz "i.V." belegt, eine Vollmachtsurkunde haben sie dem Kündigungsschreiben unstreitig nicht beigefügt. Der Kläger hat die Kündigung - entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts - auch unverzüglich aus diesem Grunde zurückgewiesen. Zwar heißt es in dem Zurückweisungsschreiben, dass die Kündigung "wegen fehlender Vollmacht zur Abgabe einer Kündigungserklärung" zurückgewiesen wird. Zugleich wird jedoch auch auf die Bestimmung des § 174 BGB hingewiesen. Aus der Sicht des Empfängers dieses Zurückweisungsschreibens war damit hinreichend klar, dass eine Zurückweisung nicht nur wegen der fehlenden Vertretungsmacht der die Kündigung unterzeichnenden Personen, sondern auch wegen des Fehlens der Vollmachtsurkunde - die Gleichsetzung der Vollmachtsurkunde mit der "Vollmacht" ist im allgemeinen Sprachgebrauch durchaus üblich - zurückgewiesen werden sollte.

Nach § 174 Satz 2 BGB ist allerdings die Zurückweisung ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unter anderem dann der Fall, wenn der Vertreter des Arbeitgebers, der das Kündigungsschreiben unterzeichnet, etwa als Personalleiter eine Stellung bekleidet, mit der das Kündigungsrecht in aller Regel verbunden ist; in einem solchen Fall bedarf es nicht der Vorlage einer Vollmachtsurkunde durch den Vertreter (vgl. BAG vom 30.05.1972 - 2 AZR 298/71 - AP Nr. 1 zu § 174 BGB). Anders als mit der Stellung eines Personalleiters ist mit der Stellung eines Niederlassungsleiters - insbesondere bei einem größeren Unternehmen wie der Beklagten - die Kündigungsbefugnis gegenüber gewerblichen Arbeitnehmern nach der Verkehrsanschauung nicht zwangsläufig verbunden. Es erscheint zumindest fraglich, ob dann, wenn schon für bloße Personalabteilungsleiter ein Kündigungsrecht angenommen wird, obwohl gesetzliche Vertreter des Arbeitgebers im Hause sind, dies erst recht gilt für die Leiter von Niederlassungen eines Transportgewerbes, die den gesamten Betrieb der Niederlassung leiten (vgl. insoweit LAG Frankfurt vom 20.06.2000 - 9 Sa 899/99 - = LAGE § 174 BGB Nr. 11). Ob diese Annahme für den vom LAG Frankfurt (a.a.O.) entschiedenen Fall zutrifft, kann dahinstehen, da es auch nach dieser Entscheidung entscheidend darauf ankommt, dass nach den stets maßgebenden Umständen des Einzelfalles eine Unklarheit über die Vertretungsbefugnis nicht auftreten konnte (vgl. auch BAG vom 29.06.1989 - 2 AZR 482/88 - AP Nr. 7 zu § 174 BGB unter II 2 s).

Berücksichtigt man hier die konkreten Umstände des Einzelfalles, so konnte für den Kläger im vorliegenden Fall durchaus nachvollziehbar eine Ungewissheit darüber bestehen, ob die das Kündigungsschreiben unterzeichnenden Personen vertretungs- und kündigungsbefugt waren. Zunächst ist die Einstellung des Klägers für das dem Rechtsstreit zu Grunde liegende Arbeitsverhältnis nicht durch eine Niederlassungsleiterin, erst recht nicht durch die - nach ihren Angaben in der Berufungsverhandlung erst seit Mai 2002 in der Kölner Niederlassung tätige - Frau M erfolgt. Dass der Kläger über ihre personellen Befugnisse auf Grund seiner Kenntnis über die Verhältnisse im Betrieb informiert war, kann ebenfalls ausgeschlossen werden, da der Kläger unstreitig seit Juli 1998 bis zum Zeitpunkt der Kündigung von der weiteren Arbeitsleistung unter Fortzahlung seiner Bezüge freigestellt war. Soweit die Beklagte vorträgt, dem Kläger bzw. seiner Prozessbevollmächtigten seien die personellen Befugnisse der Frau M auf Grund der Vorkorrespondenz oder des Anhörungsschreibens gegenüber dem Betriebsrat vom 14.08.2002 bekannt gewesen, ist das Vorbringen nicht hinreichend substantiiert, im Übrigen erscheint es auch fraglich, ob der Kläger sich die Kenntnis seiner Prozessbevollmächtigten nach § 166 Abs. 1 BGB entsprechend zurechnen lassen muss, da bis zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs noch kein entsprechendes Vertretungsverhältnis des Klägers zu seiner Prozessbevollmächtigten in Bezug auf die umstrittene Kündigung bestand. Auch wird von der Beklagten nicht im Einzelnen vorgetragen, wie und in welcher Weise die Prozessbevollmächtigte des Klägers über die erfolgte Betriebsratsanhörung und insbesondere das Anhörungsschreiben der Beklagten vom 14.08.2002 informiert worden sein soll.

Angesichts des vorangehenden Verfahrens vor der Hauptfürsorgestelle konnte der Kläger demgegenüber durchaus den Eindruck gewinnen, dass nicht die Niederlassungsleiterin, sondern das im Briefkopf des Antrags gegenüber der Hauptfürsorgestelle vom 22.07.1998 aufgeführte "Service-Zentrum" und die JustiTiarin L , die dieses Schreiben und die folgenden Schreiben im Verfahren vor der Hauptfürsorgestelle für die Beklagte unterzeichnet hat, für Personalangelegenheiten zuständig gewesen ist. Zudem sind während der Zeit der Freistellung des Klägers Einsätze und Anordnungen auch nicht ausschließlich durch Niederlassungsleiter, sondern teilweise auch durch Disponenten wie Herrn Th - siehe etwa das den Einsatz des Klägers anordnende Schreiben des Herrn Th vom 14.02.2002, Blatt 60 GA) - unterzeichnet worden. Letztlich ergibt sich aus dem Inhalt der mit dem weiterem Kündigungsschreiben vom 28.08.2002 vorgelegten Vollmachtsurkunde, dass die Beklagte selbst nicht davon ausging, dass die Bevollmächtigung dem Kläger gegenüber angezeigt worden ist. In dem von einem Regionaldirektor unterzeichneten Vollmachtsschreiben heißt es nämlich im letzten Absatz ausdrücklich, dass "hiermit eine ausdrückliche Bevollmächtigung" erfolgt, da die Bevollmächtigung der Frau M und des Herrn Th auf Grund der ihnen ausgehändigten Handlungsvollmacht "nicht im Rahmen des Arbeitsverhältnisses" mit dem Kläger angezeigt worden ist.

2. Die weitere Kündigung der Beklagten vom 28.08.2002 ist wegen nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 BetrVG unwirksam. Entgegen der vom Arbeitsgericht vertretenen Auffassung bedurfte es nach der Zurückweisung der dem Kläger gegenüber mit Schreiben vom 22.08.2002 ausgesprochenen Kündigung vor Ausspruch einer erneuten Kündigung - auch wenn die neue Kündigung mit gleichem Inhalt und mit gleichen Gründen erfolgt ist - auch einer erneuten Anhörung des Betriebsrats. Der Kläger weist zu Recht darauf hin, dass § 102 BetrVG das Erfordernis aufstellt, dass der Betriebsrat "vor jeder Kündigung" zu hören ist. Die von der Beklagten angeführte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 06.02.1997 - 2 AZR 192/96 - (n. v.) sieht hierzu entgegen der von ihr geäußerten Auffassung keine Ausnahme für den Fall einer sog. "Wiederholungskündigung" vor. In der angeführten Entscheidung handelt es sich vielmehr um den Fall, dass die "erste Kündigung" unstreitig nicht zugegangen bzw. zugestellt worden war, so dass der erstmalige Versuch einer Kündigung mangels Zugangs noch nicht zu Rechtswirkungen geführt hatte. Nach der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts liegt bei einer derartigen Konstellation eine "zweite Kündigung" im eigentlichen Sinne nicht vor, weil eine Kündigung empfangsbedürftig ist (BAG a.a.O.; ferner KR-Etzel, 6. Auflage, § 102 Rz. 57 a). Es gilt demgegenüber der Grundsatz, dass mit Ausspruch der Kündigung die Anhörung des Betriebsrats verbraucht ist (KR-Etzel a.a.O.; BAG vom 16.09.1993 - 2 AZR 267/93 - EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 84). Dies gilt insbesondere auch dann, wenn der Arbeitgeber die Kündigung nur deswegen wiederholt, weil er Zweifel an der Wirksamkeit der ersten Kündigung hat wie im vorliegenden Fall (vgl. BAG vom 31.01.1996 - 2 AZR 273/95 - EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 90). Die Überlegung des Arbeitsgerichts, es mache für die Wahrung der Rechte des Betriebsrats aus § 102 BetrVG keinen Unterschied, ob eine Beendigungserklärung aus tatsächlichen oder aus rechtlichen Gründen unwirksam ist, führt nicht weiter. Denn es ist etwas anderes, ob eine Kündigung dem Erklärungsgegner noch nicht zugegangen und damit "in der Welt" ist oder ob sie den Machtbereich des Kündigenden verlassen hat, sich jedoch als unwirksam erweist.

Erst mit Zugang der Kündigung ist das einseitige Gestaltungsrecht ausgeübt, das Anhörungsverfahren beendet und "verbraucht" (LAG Hamm vom 23.03.2000 - 4 Sa 587/99 -). Der vom Bundesarbeitsgericht entschiedene Fall, in dem der Zugang der Kündigung vom Arbeitnehmer bestritten und deshalb vom Arbeitgeber eine (weitere) Kündigung ausgesprochen worden war (Urteil vom 11.10.1989 - 2 AZR 88/89 - AP Nr. 55 zu § 102 BetrVG 1972), ist nicht vergleichbar, da in diesem Fall das Bundesarbeitsgericht dem Arbeitnehmer - wohl zu Recht - die Berufung auf die Unwirksamkeit der Kündigung nach § 102 BetrVG lediglich wegen § 242 BGB versagt hat. Auch in dem Fall, in dem der Betriebsrat bereits einer fristlosen Kündigung ausdrücklich und vorbehaltlos zugestimmt hat, und dann - ohne erneute Anhörung des Betriebsrats - der Arbeitgeber diesmal vorsorglich eine ordentliche - weitere - Kündigung aus den gleichen Gründen erklärt, ist vom Bundesarbeitsgericht deswegen im Sinne der Entbehrlichkeit einer erneuten Anhörung des Betriebsrats entschieden worden, weil die Berufung des Arbeitnehmer auf das Fehlen einer erneuten Anhörung als rechtsmissbräuchlich gemäß § 242 BGB anzusehen wäre, weil nicht angenommen werden könne, dass der Arbeitnehmer bei einem Betriebsrat, der bereits der fristlosen Kündigung zustimmt, "Unterstützung" finde, wenn es lediglich um eine ordentliche Kündigung geht.

Schließlich ist auch die vom Bundesarbeitsgericht erwogene Fallgestaltung, dass das zweite Schreiben lediglich eine Bestätigung des ersten Kündigungsschreibens beinhaltet, etwas anderes als der vorliegend zu beurteilende Sachverhalt. Das Bundesarbeitsgericht hat zumindest erwogen, dass eine erneute Anhörung des Betriebsrats entbehrlich ist, wenn durch das weitere Schreiben die erste Kündigung lediglich bestätigt werden sollte (BAG vom 16.09.1993 a.a.O.; BAG vom 31.01.1996 a.a.O.). Vorliegend hat die Beklagte mit Schreiben vom 28.08.2002 eine neue Kündigung - mit neuem Ausstellungsdatum - wenn auch unter Wiederholung des Textes der am 22.08.2002 ausgesprochenen Kündigung vorgenommen. Aus dem Schreiben vom 28.08.2002 ergibt sich keinerlei Hinweis darauf, dass es sich hierbei lediglich um eine Bestätigung im Sinne von § 141 Abs. 1 BGB handeln sollte, zumal jede Bezugnahme auf das Schreiben vom 22.08.2002 fehlt. Davon abgesehen erscheint es fraglich, ob mit Rücksicht auf den Zweck der Bestimmung des § 174 BGB, alsbald Klarheit über die Zulässigkeit des Rechtsgeschäfts im Hinblick auf § 180 BGB zu schaffen, überhaupt eine nachträgliche, unter Umständen erst sehr viel später folgende Bestätigung vorgenommen werden konnte.

Das Recht des Klägers, die Unwirksamkeit der Kündigung nach § 102 BetrVG prozessual geltend zu machen, ist auch nicht verwirkt. Zwar hat er die Wirksamkeit der Kündigung vom 28.08.2002 erst nach über 4 Monaten geltend gemacht, er hat in dieser Zeit jedoch u.a. durch den angekündigten Weiterbeschäftigungsantrag den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses verlangt. Es fehlt daher an dem für die Annahme einer Verwirkung neben dem Zeitmoment erforderlichen Umstandsmoment.

Nach allem ist daher auf die Berufung des Klägers der Klage hinsichtlich der Feststellungsanträge stattzugeben. Es kann dahinstehen, ob die Kündigung der Beklagten als verhaltens- oder krankheitsbedingte Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozialwidrig ist.

Ende der Entscheidung

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