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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 02.02.2006
Aktenzeichen: 6 Sa 1287/05
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 1 Abs. 3
1. Will der Arbeitgeber durch eine altersgruppenbezogene Sozialauswahl nach Maßgabe es § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG nur die bisherige Altersstruktur des Betriebs erhalten, so ist das berechtigte betriebliche Interesse regelmäßig ohne weiteres zu bejahen.

2. Es lässt sich mit § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG nicht vereinbaren, die "Rentennähe" zu Lasten des Arbeitnehmers in die Sozialauswahl einzubeziehen. Die Vergabe von Sozialpunkten auch für das Lebensalter über 55 begründet jedenfalls keinen Auswahlfehler.


Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 04.05.2005 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Köln 4 (17) Ca 5937/04 - abgeändert:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.

Der am 04.08.1950 geborene Kläger war seit dem 01.04.1980 bei der Beklagten, die sich mit Unternehmens- und Finanzkommunikation befasst und regelmäßig mehr als 5 Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden beschäftigt, als Grafikdesigner zu einem monatlichen Bruttolohn von 4.557,33 € tätig. Der Kläger ist verheiratet und für zwei Kinder unterhaltspflichtig. Seit einer früheren verhaltensbedingten Kündigung vom 05.02.2001 war er von der Arbeit freigestellt.

Mit Schreiben vom 26.05.2004 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristgerecht aus betriebsbedingten Gründen zum 31.12.2004 (Kopie Bl. 2 d. A.).

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 26.05.2004 nicht beendet wird;

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht;

im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1.) und/oder zu 2.) die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Grafiker weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage mit Urteil vom 04.05.2005 stattgegeben und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, die Kündigung beruhe auf einer fehlerhaften sozialen Auswahl, weil eine Entlassung der am 25.11.1945 und seit dem 01.04.1979 bei der Beklagten beschäftigten Frau P "die Altersstruktur noch deutlicher gewahrt hätte", als dies mit der Kündigung des Klägers der Fall sei. Auch die Bewahrung einer ausgewogenen Personalstruktur dürfe nicht dazu führen, dass sozial unhaltbare Einzelergebnisse zustande kämen, wie dies im Vergleich mit den Arbeitnehmerinnen H und B der Fall sei, die beide noch keine fünfjährige Betriebszugehörigkeit aufzuweisen hätten, jung seien und keinerlei Unterhaltspflichten zu tragen hätten. Wegen der weiteren Einzelheiten der arbeitsgerichtlichen Entscheidungsgründe wird auf Blatt 96 ff. d. A. Bezug genommen.

Gegen das ihr am 26.08.2005 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte am 21.09.2005 Berufung eingelegt, die nach entsprechender Verlängerung der Begründungsfrist am 14.11.2005 begründet worden ist. Sie macht unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens geltend, die Sozialauswahl habe zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur nach Altersgruppen vorgenommen werden dürfen. In der Altersgruppe der 51 - 60 jährigen sei die Sozialauswahl zwischen dem Kläger und der Kollegin P durchzuführen gewesen. Da beide nach dem für die Vorauswahl zugrunde gelegten Punkteschema eine vergleichbare Punktezahl erreicht hätten, habe sie sich im Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums für die Kündigung des Klägers entschieden. Die Gesichtspunkte der sozialen Auswahl seien jedenfalls ausreichend berücksichtigt worden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 04.05.2005 - 4 (17) Ca 5937/04 - abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, für die von der Beklagten vorgenommene Altersgruppenbildung habe kein sachlicher Grund bestanden. Zudem sei er schutzwürdiger als Frau P , die einem rentennahen Jahrgang angehöre.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes haben die Parteien auf die von ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist.

II. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

Die Kündigungsschutzklage ist unbegründet. Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 26.05.2004 zum 31.12.2004 ist rechtswirksam, weil sie nicht sozial ungerechtfertigt ist. Sie ist vielmehr durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers entgegen stehen, bedingt (§ 1 Abs. 1 und 2 KSchG). Auch die getroffene Sozialauswahl ist nicht zu beanstanden. Im einzelnen gilt folgendes:

Mit dem Arbeitsgericht ist zunächst davon auszugehen, dass aufgrund der unternehmerischen Entscheidung der Beklagten vom 13.05.2004 als Reaktion auf den erheblichen Umsatzrückgang in der Abteilung der Kommunikationsdesigner/Grafikdesigner von bislang elf Arbeitsplätzen fünf Arbeitsplätze weggefallen sind und anderweitige freie Arbeitsplätze zum Kündigungszeitpunkt nicht vorhanden waren. Letzteres hat der Kläger in der Berufungserwiderung ausdrücklich bestätigt.

Entgegen der Auffassung des Klägers und ihm folgend des Arbeitsgerichts verstößt die Kündigung auch nicht gegen § 1 Abs. 3 KSchG. Denn die Beklagte hat bei der Auswahl des Klägers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten ausreichend berücksichtigt. Dabei durfte sie die soziale Auswahl nach Maßgabe des § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG auf die jeweilige Altersgruppe beschränken, also konkret in der Altersgruppe der 51 - 60 jährigen zwischen dem Kläger und der Mitarbeiterin P auswählen. Die getroffene Auswahlentscheidung zu Lasten des Klägers hält sich im Rahmen des nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG bestehenden Beurteilungsspielraumes.

Mit der Neufassung des § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG zum 01.01.2004 hat der Gesetzgeber ausdrücklich anerkannt, dass die Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur im berechtigten betrieblichen Interesse liegen und die soziale Auswahl begrenzen kann. In die soziale Auswahl nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG sind nämlich Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Begriff der ausgewogenen Personalstruktur, gemeint sein dürfte primär die "Altersstruktur", gerät in Konflikt mit den Auswahlkriterien der Betriebszugehörigkeit und des Lebensalters, die regelmäßig zur vorrangigen Entlassung jüngerer Arbeitnehmer führen. Will der Arbeitgeber dies durch eine altersgruppenbezogene Sozialauswahl vermeiden, so muss er bezogen auf den Betriebszweck darlegen, welche konkreten Nachteile sich mit einer Sozialauswahl allein nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG ergäben. Eine Altersgruppenbildung setzt voraus, dass aufgrund spezieller Betriebszwecke und deren Umsetzung ein berechtigtes betriebliches Bedürfnis für den Erhalt einer ausgewogenen Altersstruktur besteht (vgl. BAG vom 20.04.2005 - 2 AZR 201/04 - ; BAG vom 23.11.2000 - 2 AZR 533/99 - , NZA 2001, 601).

Diesen Anforderungen wird das Vorbringen der Beklagten gerecht. Hätte sie die Sozialauswahl ohne Berücksichtigung der Altersstruktur durchgeführt, so wären die Mitarbeiterinnen B (geboren am 28.03.1969), H (geboren am 14.07.1969), C (geboren am 07.02.1969), H (geboren am 07.06.1968) und M (geboren am 10.07.1966) gekündigt worden. Dabei handelte es sich um die fünf jüngsten Mitarbeiter unter dem Grafikdesignern/Kommunikationsdesignern, die auch unter Berücksichtigung der übrigen Sozialdaten die geringste soziale Schutzbedürftigkeit aufwiesen. Konsequent wäre gewesen, dass die Beklagte dann nur noch Mitarbeiter im Alter von 41, 42, 44, 48, 53 und 59 Jahren beschäftigt hätte. Das Durchschnittsalter hätte dann nicht mehr 42,5, sondern 47,8 Jahre betragen. Die Beklagte hätte dann keine Mitarbeiter mehr aus der Altersgruppe der 30 - 40 jährigen Arbeitnehmer gehabt. Mit der Neufassung des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG zum 01.01.2004 hat der Gesetzgeber aber anerkannt, dass die Erhaltung einer ausgewogenen Personalstruktur ein berechtigtes betriebliches Interesse darstellt. Das gilt zumindest solange, wie der Arbeitgeber die bisherige Struktur nicht verändert. Will der Arbeitgeber im Rahmen der betriebsbedingten Kündigung die Struktur zu seinen Gunsten verändern, so muss er Sachgründe vortragen, die die Herausnahme einzelner Mitarbeiter aus der Sozialwahl rechtfertigen können. Will er hingegen nur die bisherige Altersstruktur erhalten, so muss dies als sachlicher Grund ausreichen (vgl. so wohl auch Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 9. Auflage, Rz. 1141; HWK/Quecke, § 1 KSchG, Rz. 402, 404).

Hinzu kommt, dass die Beklagte nachvollziehbar dargelegt hat, warum sie im Hinblick auf den Betriebszweck auf die Beibehaltung dieser Altersstruktur angewiesen ist. Sie betreut Mitarbeiterzeitschriften und Geschäftsberichte von börsennotierten Unternehmen. In diesem Geschäftsbereich benötigt sie Mitarbeiter verschiedener Altersstufen, um die jeweilige Zielgruppe bei den Kunden altersgerecht ansprechen zu können. Je nachdem, welche Mitarbeiterzeitschrift geplant wird, bedarf es jüngerer Designer, die mit altersentsprechenden Ideen den Kunden von den Konzepten überzeugen können. Insofern ist die Beklagte als Unternehmen auf dem Gebiet der Unternehmenskommunikation darauf angewiesen, dass sie eine ausgewogene Altersstruktur hat, die idealerweise Mitarbeiter aus allen Altersgruppen enthält. Da sie infolge früherer Personalabbaumaßnahmen keine Mitarbeiter mehr beschäftigte, die zwischen 20 und 30 Jahren alt waren, die jüngsten Mitarbeiter vielmehr Mitte 30 waren, ist ein berechtigtes betriebliches Interesse der Beklagten anzuerkennen, zumindest diese Mitarbeiter weiter zu beschäftigen, um eine Überalterung im Bereich der Grafikdesigner zu vermeiden.

Der Sozialauswahl zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur stand hier auch nicht entgegen, dass die Beklagte mit der Entlassung von fünf Grafikdesignern unter dem Schwellenwert von sechs Arbeitnehmern nach § 112 a Abs. 1 Nr. 1 BetrVG geblieben ist. Die Schwellenwerte des § 112 a BetrVG markieren keine absolute Grenze für die Zulässigkeit einer altersgruppenbezogenen Sozialauswahl, sondern fungieren lediglich als Anhaltspunkte (vgl. zutreffend Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1140; APS/Kiel, 2. Aufl., § 1 KSchG, Rz. 749; Küttner, in: Festschrift 50 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 409 ff., 418). Die stets erforderliche größere Zahl von Entlassungen liegt hier jedenfalls vor, da der Schwellenwert des § 112 a BetrVG nur geringfügig unterschritten ist.

Schließlich kann auch die Gewichtung der Sozialkriterien und die Vorauswahl nach dem verwendeten Punkteschema nicht beanstandet werden. Dies sah für die Unterhaltspflicht gegenüber einem Ehepartner 4 Sozialpunkte und gegenüber einem unterhaltsberechtigten Kind 2 Sozialpunkte vor. Daneben wurden für jedes Lebensjahr 1 Punkt und für jedes Beschäftigungsjahr ebenfalls 1 Sozialpunkt vergeben. Dies entspricht im Verhältnis zueinander weitgehend der vom Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 18.01.1990 (- 2 AZR 357/89 - AP § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl Nr. 19) gebilligten Gewichtung der Sozialkriterien. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass die Beklagte durchgehend nur einen Sozialpunkt pro Beschäftigungsjahr vergeben und die Punktvergabe für die Unterhaltspflichten ebenso um 50 % gekürzt hat, womit sich vor dem Hintergrund der langjährigen Beschäftigung des Klägers wie auch der mit ihm vergleichbaren Frau P sogar eine etwas stärkere Berücksichtigung der Unterhaltspflichten ergibt.

Wenn die Beklagte des weiteren auch für das Lebensalter über 55 Sozialpunkte vergeben hat, so ist das nicht etwa deswegen unzulässig, weil die Arbeitnehmer jenseits dieses Lebensjahres zu den sogenannten rentennahen Jahrgängen zählen bzw. länger das sogenannte Arbeitslosengeld I beziehen können, wie das Arbeitsgericht anzunehmen scheint. Es lässt sich mit § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG nicht vereinbaren, die "Rentennähe" zu Lasten des Arbeitnehmers in die Sozialauswahl einzubeziehen. Denn das höhere Lebensalter ist kein Malus, sondern es soll zu Gunsten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden. Daher verbietet sich die verschlechternde Bewertung des Lebensalters durchaus auswahlfremde Überlegungen zur wirtschaftlichen, sozialversicherungs- oder versorgungsrechtlichen Situation des betroffenen Arbeitnehmers (vgl. ebenso LAG Düsseldorf vom 13.07.2005 - 12 Sa 6161/05, AUR 2006, 69).

Legt man die zuletzt unstreitigen Sozialdaten der beiden Mitarbeiter in der Altersgruppe der 51 - 60 - jährigen zugrunde, so erreichte der Kläger unter Berücksichtigung des nunmehr studierenden Sohnes L 85 und seine Kollegin Frau P unter Berücksichtigung ihrer Beschäftigung seit dem 01.04.1979 84 Sozialpunkte. Angesichts dieser geringen Differenz, die Ausdruck einer vergleichbaren Schutzbedürftigkeit beider Arbeitnehmer ist, durfte die Beklagte sich im Rahmen des ihr zustehenden Wertungsspielraums dafür entscheiden, die Mitarbeiterin P weiter zu beschäftigen. Denn das Gesetz verlangt nicht die bestmögliche Sozialauswahl, sondern eine "ausreichende" Berücksichtigung der genannten Auswahlkriterien. Die soziale Auswahl ist nur dann fehlerhaft, wenn der gekündigte Arbeitnehmer deutlich sozial schutzbedürftiger ist als ein vergleichbarer weiterbeschäftigter Arbeitnehmer (vgl. BAG vom 05.12.2002 - 2 AZR 549/01, NZA 2003, 791). Das kann hier nicht festgestellt werden.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Revision war für den Kläger wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen.



Ende der Entscheidung

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