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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 12.12.2007
Aktenzeichen: 7 Sa 120/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 626 Abs. 1
1. Der zur Rechtfertigung einer Verdachtskündigung dienende Verdacht muss sich auf konkrete Tatsachen stützen und so dringend sein, dass er nur geringfügig hinter der vollen Gewissheit zurückbleibt, dass der betreffende Arbeitnehmer das ihm zur Last gelegte Verhalten tatsächlich begangen hat.

2. Ergeben sich nach einer ersten Anhörung des Arbeitnehmers, aber bevor sich der Arbeitgeber endgültig zum Ausspruch der Kündigung entschlossen hat, weitere Verdachtsmomente von wesentlicher Bedeutung, so muss der Arbeitnehmer hierzu ergänzend angehört werden.

3. Äußert der Arbeitnehmer in einer Anhörung, er wolle sich nicht weiter einlassen, so gilt dies im Zweifel nur für diejenigen Gesprächsgegenstände, die bei der Anhörung zur Sprache gekommen sind, nicht aber für den Fall, dass der Arbeitgeber aufgrund weiterer Ermittlungen zu neuen Vorwürfen und/oder wichtigen neuen Verdachtstatsachen gelangt.


Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten hin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 21.11.2006 in Sachen 7 Ca 2280/06 teilweise abgeändert:

Der Weiterbeschäftigungsantrag wird abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger zu 1/4 und der Beklagten zu 3/4 auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen arbeitgeberseitigen Verdachtskündigung.

Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 7. Kammer des Arbeitsgerichts Aachen dazu bewogen haben, der Kündigungsschutzklage in vollem Umfang stattzugeben, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 21.11.2006 Bezug genommen.

Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Beklagten am 29.01.2007 zugestellt. Sie hat hiergegen am 31.01.2007 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 30.04.2007 am 27.04.2007 begründet.

Die Beklagte hält an ihrer Auffassung fest, dass die Verdachtskündigung vom 24.05.2006 wirksam sei. Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht den dringenden Tatverdacht verneint. Das Arbeitsgericht sei fälschlich davon ausgegangen, dass eine Verdachtskündigung nur wegen des Verdachts einer beendeten Straftat zulässig sei. Auch der Verdacht einer versuchten Straftat oder schwerwiegender Vertragsverstöße könne jedoch ausreichend sein. Vorliegend lägen hinreichende verdachtsbegründende Tatsachen vor, die die Beklagte unter Abschnitt VI ihrer Berufungsbegründung zusammenfasst.

Es habe am Morgen des 16.05. auch ein ordnungsgemäßes Anhörungsgespräch mit dem Kläger gegeben. Während dieses Gespräches habe der Kläger unmissverständlich zu verstehen gegeben, auch in Zukunft keinerlei weitere Einlassung machen zu wollen.

Des weiteren rügt die Beklagte, dass das Arbeitsgericht im Hinblick auf die am 31.10.2006 ausgesprochene weitere Kündigung, über deren Wirksamkeit noch nicht entschieden sei, dem Weiterbeschäftigungsantrag nicht hätte stattgeben dürfen.

Auf die Einzelheiten der Berufungserwiderung nebst Anlagen sowie den weiteren Schriftsatz vom 12.09.2007 wird Bezug genommen.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt nunmehr,

die Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils vom 21.11.2006 abzuweisen.

Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und hält es auch im Ergebnis für zutreffend. Der Kläger weist den seitens der Beklagten erhobenen Verdacht weiterhin von sich. Er bleibt dabei, dass er sich am 15.05.2006 spontan - wegen der Gelegenheit an einem ruhigen Arbeitstag - dazu entschlossen habe, einfach einmal eine schon seit Monaten präsente Verbesserungsidee praktisch auszuprobieren. Als einfacher Arbeiter ohne fachtheoretische Ausbildung habe er seine Gedanken dabei an der praktischen Anwendung der bekannten Raffinationsvorgänge angelehnt. Dies habe er mit seinen äußerst bescheidenden Mitteln der deutschen Sprache auch im Rahmen der Anhörung vom 16.05.2006 zu erklären versucht. Keineswegs habe er dabei zu verstehen gegeben, dass er "in Zukunft keinerlei weitere Einlassung" machen werde. Vielmehr habe er stets auf seine Verbesserungsgedanken Bezug genommen und versucht klarzustellen, was Hintergrund seines Vorhabens gewesen sei, die Glätte aufzuschmelzen.

Auf die weiteren Einzelheiten der klägerischen Berufungserwiderung wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 21.11.2006 in Sachen 7 Sa 120/07 ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft und wurde nach Maßgabe der in § 66 Abs. 1 ArbGG niedergelegten Regeln fristgerecht eingelegt und begründet.

II. Die Berufung der Beklagten musste jedoch erfolglos bleiben, soweit sie die Wirksamkeit der streitigen Verdachtskündigung vom 24.05.2006 geltend macht.

Die außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses richtet sich nach § 626 BGB. Ein wichtiger Grund für die fristlose Kündigung besteht nur dann, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer es dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar ist, das Arbeitsverhältnis - auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - fortzusetzen. Die Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB sind im vorliegenden Fall zur Überzeugung des Berufungsgerichts aus mehreren Gründen nicht gegeben.

1. Die Beklagte hat die streitige Kündigung als sogenannte Verdachtskündigung ausgesprochen.

a. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung, sondern auch schon der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen erheblichen Vertragspflichtverletzung die Vertrauensgrundlage zwischen den Arbeitsvertragsparteien zerstören und eine Kündigung des verdächtigen Arbeitnehmers rechtfertigen (BAG vom 10.02.2005, 2 AZR 189/04; BAG vom 06.12.2001, 2 AZR 496/00; BAG vom 14.09.1994, 2 AZR 164/94; Eylert/Friedrichs, DB 2007, 2203).

b. Eine Verdachtskündigung liegt vor, wenn und soweit der Arbeitgeber seine Kündigung gerade damit begründet, dass der Verdacht eines nicht erwiesenen strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört habe.

c. Anders als bei einem aufgrund von Tatsachen bewiesenen Sachverhalt besteht bei einer Verdachtskündigung immer die Gefahr, dass ein Unschuldiger betroffen wird. Das vom Bundesarbeitsgericht entwickelte Institut der Verdachtskündigung stellt für das Gebiet des Arbeitsrechts eine Durchbrechung der verfassungsrechtlichen Unschuldsvermutung dar, welche besagt, dass an ein vermeintliches schuldhaftes Fehlverhalten keine negativen Rechtsfolgen geknüpft werden dürfen, solange das schuldhafte Fehlverhalten nicht nachgewiesen ist. Obwohl bei der Verdachtskündigung gerade nicht mit der dafür erforderlichen Gewissheit feststeht, dass der betroffene Arbeitnehmer eine Straftat oder eine andere erhebliche Arbeitsvertragsverletzung von ähnlichem Gewicht begangen hat, soll an den bloßen Verdacht gleichwohl die äußerst einschneidende Rechtsfolge eines Arbeitsplatzverlustes geknüpft werden.

d. Deshalb werden von der Rechtsprechung an die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung strenge Anforderungen gestellt. Der Verdacht muss sich auf konkrete Tatsachen stützen und so dringend sein, dass er nur geringfügig hinter der vollen Gewissheit zurückbleibt, dass der betroffene Arbeitnehmer das ihm zur Last gelegte Verhalten tatsächlich begangen hat (zum Ganzen: BAG vom 10.02.2005, a. a. O.; BAG vom 26.09.1990, 2 AZR 602/89; Eylert/Friedrichs, a. a. O.).

e. Aus den vorgenannten Gründen ist vom Arbeitgeber auch zu verlangen, alles zu tun, um den wahren Sachverhalt aufzuklären. Hierzu gehört insbesondere auch die Verpflichtung, den Arbeitnehmer vor Ausspruch der Verdachtskündigung in einer Weise anzuhören, die ihm eine substantiierte Einlassung ermöglicht. Dabei muss der Arbeitgeber alle relevanten Umstände angeben, aus denen er den Verdacht ableitet (BAG vom 26.09.2002, a. a. O.; Eylert/Friedrichs, DB 2007, 2205). Erst wenn alle Aufklärungsbemühungen gescheitert sind und der auf Tatsachen beruhende dringende Verdacht noch weiterhin besteht, kann ausnahmsweise die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem bestehenden Verdacht gerechtfertigt werden (Eylert/Friedrichs, DB 2007, 2206).

f. Die vorliegend zu beurteilende Kündigung der Beklagten vom 24.05.2006 genügt den Anforderungen an eine Verdachtskündigung nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in mehrfacher Hinsicht nicht.

2. Das Berufungsgericht teilt die Einschätzung des Arbeitsgerichts, dass die von der Beklagten aufgezeigten Verdachtsmomente, soweit sie auf Tatsachen und nicht auf bloßen Vermutungen oder Spekulationen beruhen, noch nicht den erforderlichen Grad der Dringlichkeit erreicht haben, wie er für den Ausspruch einer Verdachtskündigung vorauszusetzen ist.

a. Im Ausgangspunkt ist zwar zutreffend, dass sich bei einer Verdachtskündigung der Verdacht auch auf eine strafbare Versuchshandlung beziehen kann und nicht nur auf den Verdacht einer bereits vollendeten Tat. Dies hat auch das Arbeitsgericht nicht verkannt. Es hat an keiner Stelle die These aufgestellt, dass der Verdacht einer versuchten Straftat nicht ausreiche. Es hat vielmehr die Auffassung vertreten, dass es nach seiner Würdigung des Sachverhalts "an objektiven Tatsachen" fehle, "die eine Zueignungsabsicht oder gar die Mitnahme von Silber aus dem Betrieb der Beklagten begründen könnten". Die Zueignungsabsicht ist wesentliche Voraussetzung auch für die Annahme eines Diebstahlsversuchs. Der zweite Teil des zitierten Halbsatzes der arbeitsgerichtlichen Entscheidungsgründe bezieht sich darauf, dass die Beklagte erstinstanzlich die streitige Kündigung ausdrücklich auch auf den Verdacht einer vollendeten Straftat gestützt hat (Klageerwiderungsschriftsatz vom 10.08.2006, Seite 10 unten/Seite 11 vorletzter Absatz).

b. Als objektive Tatsache steht fest, dass der Betriebsleiter der Beklagten den Kläger am späten Nachmittag des 15.05.2006 dabei angetroffen hat, als dieser mit Hilfe eines Schneidbrenners dabei war, sog. Glätte einzuschmelzen. Dies gehörte unstreitig nicht zu den arbeitsvertraglichen Aufgaben an seinem Arbeitsplatz.

c. Der Kläger benutzte dabei eine Form, von der er angab, sie auf einem Bleischrotthaufen gefunden zu haben, während die Beklagte nach ihrer Darstellung in der Klageerwiderungsschrift vom 10.08.2006 aufgrund der späteren Funde weiterer unbenutzter Formen in dem Arbeitsspind der Schicht des Klägers davon ausging, dass die Form eigens vom Kläger oder für den Kläger hergestellt worden war.

d. Als der Kläger bei der fraglichen Arbeit angetroffen wurde, war er dabei, die silberhaltige Glätte zu erhitzen. Dies stellt eine mögliche Vorbereitungshandlung dafür dar, um Silber aus der Glätte auszulösen, um das Silber anschließend separiert in Form gießen zu können.

e. Der Beklagten ist einzuräumen, dass der Vorgang, dessen Zeuge der Betriebsleiter wurde, insbesondere in Anbetracht des Fundes weiterer für das Schmelzen von Silber geeigneter Formen im Arbeitsspind der Schicht des Klägers geeignet ist, einen Anfangsverdacht zu erwecken, dass der Kläger möglicherweise vorhatte, auf diese Weise aus der Glätte Silber für sich abzuzweigen und für eigene Zwecke gewinnbringend zu verwenden.

f. Dafür, dass der Kläger dieses Vorhaben in der Vergangenheit aber bereits einmal oder mehrfach erfolgreich praktiziert hätte, finden sich keine hinreichend belastbaren objektiven Anhaltspunkte. Die im Spind der Schicht des Klägers aufgefundenen Formen waren nach dem eigenen Bekunden der Beklagten noch unbenutzt. Als der Kläger vom Betriebsleiter angetroffen wurde, verfügte er ebenfalls nicht über eine bereits herausgelöste Silbermenge. Zwar wiesen nach Darstellung der Beklagten die beiden Formen, die der Betriebsleiter bei dem Vorfall vom 15.05.2006 am Arbeitsplatz des Klägers vorfand, Anhaftungen von Silberspuren auf. Dass und warum dies jedoch den mehr oder weniger eindeutigen Schluss zulässt, dass der Kläger bereits in der Vergangenheit mit Erfolg weiterverwertbares Silber ausgelöst und für sich verwendet hatte, lässt sich dem Sachvortrag der Beklagten nicht mit der nötigen Sicherheit entnehmen.

g. Es erscheint zwar im Sinne eines Anfangsverdachtes denkbar, dass der Kläger mit der ihm von der Beklagten unterstellten Absicht zu Werke ging. Möglich ist aber auch, dass der Kläger sich (noch) in einer "Experimentierphase" befand, in dem er ausprobierte, was mit dem Glättematerial gegebenenfalls möglich ist, ohne aber bereits zu unredlichen Bereicherungstaten endgültig entschlossen zu sein. Auch dadurch ließen sich die Silberspuren erklären, die die Beklagte an verschiedenen vom Kläger benutzten Gerätschaften festgestellt haben will. Selbst wenn man einmal böse Absichten des Klägers unterstellt, handelt es sich bei der Aktion des Aufschmelzens der Glätte noch nicht um den Beginn der eigentlichen Tatverwirklichung, sondern um eine Vorbereitungshandlung, bei der die Schwelle zum strafrechtlich relevanten "jetzt geht's los" noch nicht überschritten ist.

h. Dem Kläger kann aber - und darauf hat das Arbeitsgericht bereits zutreffend hingewiesen - ebenfalls nicht mit dem für eine Verdachtskündigung erforderlichen Grad an Wahrscheinlichkeit widerlegt werden, dass seine "Experimente" mit dem Glättematerial seiner Intention nach dazu dienen sollten, Verbesserungen in den Arbeitsabläufen im Rahmen der Produktion der Beklagten auszutesten. Dass die entsprechende Einlassung des Klägers nicht von vornherein als abwegige Schutzbehauptung abgetan werden kann, dafür spricht das Bild, das der Betriebsrat in seiner Stellungnahme zu der Kündigungsabsicht vom 19.05.2006 von dem immerhin seit 26 Jahren bei der Beklagten beschäftigten Kläger gezeichnet hat. Es heißt in dieser Stellungnahme, die bereits als Anlage zur Klageschrift vom 29.05.2006 zur Akte gereicht worden ist (Bl. 16 f. d. A.) und die das Arbeitsgericht daher entgegen dem Vorwurf der Beklagten in der Berufungsbegründung nicht nur vom Hörensagen, sondern aus eigener Anschauung kannte, wörtlich: "Der Kollege C. Y war schon immer bestrebt, über seine Tätigkeit als Vorarbeiter hinaus Verbesserungen im Arbeitsablauf sowie der Haltbarkeit der eingesetzten Materialien zu erreichen und [war] deshalb auch hin und wieder mit solchen "Versuchen" beschäftigt.

Er war z. B. mitbeteiligt an der Entscheidung, die "Glätte" zusammen mit der sog. "Farbe" einzusetzen, was einen erheblichen höheren Rückgewinn an silberhaltigem Material zur Folge hatte.

Eine weitere Verbesserung durch seine Versuche ist z. B. auch, dass beim Ablassen des Materials durchgebrannte Rinnen mittels Einbringung von feuerfestem Beton in das Leck weiterbenutzt werden können."

Da der Beklagten diese Stellungnahme des Betriebsrats vom 19.05.2006, auf die der Kläger sich bereits erstinstanzlich berufen hatte, schon vor dem Arbeitsgericht bekannt war, und die zitierten Passagen betriebliche Vorgänge betreffen, die der eigenen Anschauung der Repräsentanten der Beklagten unterliegen oder von diesen zumindest aufgrund ihrer Organisationshoheit ermittelbar sind, ist es der Beklagten prozessrechtlich verwehrt, mit Nichtwissen zu bestreiten, "dass der Kläger irgendwelche von ihm als Verbesserungsvorschlag subjektiv empfundene oder umgangssprachlich als solche bezeichnete Anregungen gegeben hat und diese irgendwo im Betrieb der Beklagten umgesetzt wurden."

i. Wie bereits ausgeführt, sind der Vorgang vom 15.05.2006 und die von der Beklagten hierzu geschilderten näheren Begleitumstände, soweit sie auf objektiven Tatsachen beruhen, geeignet, einen Anfangsverdacht zu begründen, dass der Kläger mit seiner Verhaltensweise bereits feststehende unredliche Absichten verfolgte, insbesondere einen Silberdiebstahl vorbereiten wollte. Da aber auch mehrere ernsthafte Alternativerklärungen denkbar sind, die nicht von vornherein als gänzlich unrealistisch abgetan werden können, erreicht der Grad der gegen den Kläger bestehenden Verdachtsmomente nicht das Maß der Dringlichkeit, wie es für den Ausspruch einer Verdachtskündigung erforderlich ist.

k. Daran vermögen auch die vermeintlichen weiteren Indizien, auf die die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung hinweist, nichts zu ändern.

aa. So ist bereits das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass bei der Beklagten in der Vergangenheit Silberfehlbestände festgestellt worden sind. Die auf Seite 9 der Berufungsbegründung enthaltene Behauptung: "Das Arbeitsgericht stellt nicht fest, ob es bei der Beklagten in der Vergangenheit zu Silberdiebstählen gekommen ist", erscheint daher nicht verständlich. Einen konkreten Zusammenhang zwischen den in der Vergangenheit (genau wann?) festgestellten Silberfehlbeständen und den Ereignissen vom 15.05.2006 hat die Beklagte indessen nicht herstellen können.

bb. Die vor Jahren anonym aufgestellte Beschuldigung, der Kläger verkaufe in der T aus einem roten Mercedes mit einem bestimmten A Kennzeichen heraus Silber als kleine Platten, erscheint ebenfalls wertlos, gerade weil sie anonym aufgestellt wurde und deshalb weder hinterfragt, noch konkretisiert oder überprüft werden kann. Eine solche Behauptung könnte jederzeit jeder aufstellen, der weiß, welches Auto der Kläger fährt.

cc. Auch die Tatsache, dass im Jahre 2004 ein anderer Mitarbeiter der Beklagten bei einem Silberdiebstahl entlarvt wurde, vermag den jetzt gegen den Kläger bestehenden Verdacht nicht zu erhärten, so lange kein konkreter Zusammenhang zwischen dem Kläger und dem entlarvten Dieb hergestellt werden kann.

dd. Auch dass der Kläger sich angeblich, wie die Beklagte in dieser Form erstmals in der Berufungsinstanz vorträgt, "einen wirkungsvollen Sichtschutz errichtet hatte", vermag zu keiner anderen Beurteilung zu führen. Wenn die Beklagte damit sagen will, der Kläger habe den fraglichen Bagger extra an Standort rangiert, an dem er sich befand, als der Betriebsleiter eintraf, und die Schaufel auf 70 cm angehoben, um sich einen Sichtschutz zu verschaffen, so hätte sie dies konkret darlegen und unter Beweis stellen sollen. Bislang hatte der Sachvortrag der Beklagten lediglich den Eindruck erweckt, der Kläger habe den vor dem Drehflammofen abgestellten Bagger ausgenutzt, um sich dahinter "verstecken" zu können.

Wie die Beklagte allerdings auf Seite 18 ihrer Berufungsbegründung vorletzter Absatz selbst ausführt, relativiert sich die Sichtschutzwirkung des Standortes des Klägers je nach dem Standort des Betrachters.

Wollte man im übrigen das Argument, der Kläger habe sich offenbar "verstecken" wollen, als Indiz für seine kriminelle Absicht werten, so müsste andererseits aber auch berücksichtigt werden, dass der Betriebsleiter den Kläger zur Nachmittagszeit angetroffen hat, als sich auch noch andere Arbeiter ständig in nicht allzu weiter Entfernung vom Kläger aufhielten und ihrer Arbeit nachgingen. Das Argument des Klägers, dass sich unter dem Gesichtspunkt der Entdeckungsgefahr die Nachtschicht viel besser dafür geeignet hätte, einen Diebstahlsversuch zu begehen, kann in diesem Zusammenhang nicht von der Hand gewiesen werden.

ee. Es stellt schließlich auch keinen zwingenden Widerspruch dar, wenn der Kläger einerseits ausführt, er habe am 15.05.2006 aus einem spontanen Einfall heraus gehandelt, andererseits aber dabei Werkzeug benutzt hat, dass er - auch nach eigener Einlassung - schon seit längerer Zeit vorgehalten hat. Es erscheint nicht lebensfremd, dass sich jemand schon längere Zeit gedanklich mit einem bestimmten Vorhaben beschäftigt, sich hierfür auch schon passendes "Werkzeug" besorgt, die Ausführung des Gedankens dann aber an einem bestimmten Tag spontan in Angriff nimmt.

3. Für die Kündigung der Beklagten vom 24.05.2006 fehlt es aber nicht nur an einem hinreichend dringlichen Tatverdacht, sondern die Beklagte hat auch die - wie eingangs dargestellt - besonders strengen Anforderungen an ihre Aufklärungspflicht im Vorfeld einer Verdachtskündigung nicht hinreichend erfüllt. Sie hat den Kläger nämlich vor Ausspruch der Verdachtskündigung nicht ordnungsgemäß zu den von ihr für maßgeblich gehaltenen Verdachtsmomenten angehört.

a. Gegenstand der Anhörung des Klägers am Morgen des 16.05.2006 waren lediglich diejenigen Verdachtsmomente, die die Beklagte daraus geschöpft hat, dass und wie ihr Betriebsleiter den Kläger am 15.05.2006 nachmittags beim durch dienstliche Aufgaben nicht erklärbaren Einschmelzen von Glätte angetroffen hatte. Die Beklagte hat nach dem Gespräch mit dem Kläger, dessen Ergebnis sie offenbar als unbefriedigend empfunden hat, weitere Ermittlungen angestellt und hierbei die besagten "Spindfunde" gemacht. Die Beklagte selbst betont immer wieder - zu Recht - die Bedeutung dieser Funde für die Würdigung des gegenüber dem Kläger bestehenden Verdachts. Zu diesen Verdachtsmomenten hat die Beklagte den Kläger jedoch nicht angehört.

b. Der erforderliche Umfang der Anhörung und der dem Arbeitnehmer mitzuteilenden Tatsachen richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Grundsätzlich muss die Anhörung alle relevanten Umstände ansprechen, aus denen der Verdacht abgeleitet wird, und zwar so konkret, dass der Arbeitnehmer sich hierzu substantiiert einlassen kann (Eylert/Friedrichs, DB 2007, 2205). Ergeben sich nach einer ersten Anhörung des Arbeitnehmers, aber vor Ausspruch der Kündigung und bevor sich der Arbeitgeber endgültig zum Ausspruch einer Kündigung entschlossen hat, weitere Verdachtsmomente von wesentlicher Bedeutung, so muss der Arbeitnehmer hierzu ergänzend angehört werden.

c. Dies wäre zwar dann nicht der Fall, wenn der Arbeitnehmer anlässlich der ersten Anhörung endgültig und ernsthaft jede weitere Stellungnahme abgelehnt hätte. Auf eine solche Konstellation beruft sich die Beklagte im vorliegenden Fall aber zu Unrecht.

aa. Die von der Beklagten erstmals in der Berufungsbegründung aufgestellte Behauptung, der Kläger habe "während des Gesprächs am 16.05.2006 unmissverständlich zu verstehen gegeben, auch in Zukunft keinerlei weitere Einlassung zu machen", enthält eine Wertung, die als solche in ihrer objektiven Stichhaltigkeit nicht überprüft werden kann, und ist daher unsubstantiiert. Die Beklagte hätte schon konkret angeben müssen, welche Äußerungen genau der Kläger gemacht hat, um den von der Beklagten wiedergegebenen Schluss zu rechtfertigen. Das Berufungsgericht hat sich nämlich aufgrund der persönlichen Teilnahme des Klägers an der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht, aber auch anlässlich seiner persönlichen Teilnahme am Verkündungstermin vom 12.12.2007 aus eigener Anschauung ein Bild davon machen können, dass eine Verständigung mit dem Kläger über differenzierte Sachverhalte in deutscher Sprache nur äußerst schwer möglich ist.

bb. Aber selbst dann, wenn man zugunsten der Beklagten zu unterstellen hätte, dass der Kläger bei dem Gespräch am Morgen des 16.05.2006 geäußert hat, er wolle sich nicht weiter einlassen, so gilt dies doch im Zweifel nur für diejenigen Gesprächsgegenstände, die bei der Anhörung vom 16.05.2006 konkret zur Sprache gekommen sind, nicht aber für den Fall, dass die Beklagte aufgrund neuer Ermittlungen zu neuen Vorwürfen und/oder wichtigen neuen Verdachtstatsachen gelangen würde.

d. Fehlte es somit vor Ausspruch der Verdachtskündigung vom 24.05.2006 an einer ordnungsgemäßen Anhörung des Klägers, so verstößt die Verdachtskündigung nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (BAG DB 1996, 96).

4. Fehlt es an einem für den Ausspruch einer Verdachtskündigung hinreichend dringenden Tatverdacht und fehlt es überdies an einer ordnungsgemäßen Anhörung des Arbeitnehmers vor Ausspruch der Kündigung, so kommt von vorneherein auch keine Umdeutung der unwirksamen außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche Kündigung in Betracht.

Es wäre der Beklagten in Anbetracht der Gesamtumstände vielmehr zur Wahrung ihrer wohlverstandenen Interessen noch zumutbar gewesen, es dabei zu belassen, den Kläger zukünftig einer verstärkten Beobachtung zu unterziehen und ihm ggf. wegen des Missbrauchs seiner Arbeitszeit zu arbeitsvertragsfremden Tätigkeiten am 15.5.2006 eine Abmahnung zu erteilen.

5. Die Berufung der Beklagten musste allerdings insoweit Erfolg haben, als das Arbeitsgericht auch dem Weiterbeschäftigungsantrag stattgegeben hatte.

a. Der Anspruch des Arbeitnehmers, während eines laufenden Kündigungsschutzprozesses nach unwirksamer Kündigung weiterbeschäftigt zu werden, endet, wenn später eine weitere Kündigung ausgesprochen wird, über deren Rechtsbeständigkeit von den Arbeitsgerichten noch nicht entschieden wurde und die auch nicht offensichtlich als unwirksam angesehen werden kann.

b. Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis der Parteien unter dem 31.10.2006 und unter dem 08.11.2006 aus anderen Gründen als am 24.05.2006 erneut gekündigt. Über diese Kündigungen sind Kündigungsschutzprozesse anhängig, über die erstinstanzlich noch nicht entschieden ist. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die Folgekündigungen für jeden Rechtskundigen auf den ersten Blick offensichtlich rechtsunwirksam wären. Der Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers war daher vorliegend abzuweisen.

III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 92 Abs. 1 ZPO nach dem Verhältnis des beiderseitigen Obsiegens und Unterliegens.

Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor.

Gegen diese Entscheidung ist ein weiteres Rechtsmittel nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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