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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 13.08.2008
Aktenzeichen: 7 Sa 1256/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 626
1. Eine sog. Verdachtskündigung kommt nur in Betracht, wenn der auf objektiven Tatsachen beruhende Grad der Wahrscheinlichkeit, dass der betroffene Arbeitnehmer das ihm zur Last gelegte Verhalten tatsächlich begangen hat, nur geringfügig hinter dem Grad der Gewissheit zurückbleibt.

2. Eine Verdachtskündigung scheidet daher von vornherein aus, wenn objektive Indizien die Möglichkeit offenlassen, dass die dem Angeschuldigten zur Last gelegte Tat in Wirklichkeit gar nicht begangen wurde oder dafür statt des Angeschuldigten auch andere Personen ernsthaft in Frage kommen.

3. Beispielsfall einer nach diesen Grundsätzen unwirksamen Verdachtskündigung aus der Gastronomiebranche.


Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 02.05.2007 in Sachen 10 Ca 5347/06 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Auf die Anschlussberufung der Klägerin hin wird die Beklagte verurteilt, der Klägerin ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen.

Die Kosten der Anschlussberufung hat ebenfalls die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung vom 30.06.2006, Vergütungsansprüche der Klägerin für die Zeit vom 01.06. bis 23.07.2006 sowie den Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses.

Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 10. Kammer des Arbeitsgerichts Köln dazu bewogen haben, der Kündigungsschutzklage ganz und der Zahlungsklage teilweise stattzugeben, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils vom 02.05.2007 Bezug genommen.

Das arbeitsgerichtliche Urteil wurde der Beklagten am 10.09.2007 zugestellt. Die Beklagte hat hiergegen am 10.10.2007 Berufung einlegen und diese am 10.12.2007 begründen lassen. Die Klägerin und Berufungsbeklagte hat innerhalb der ihr bis zum 21.02.2008 verlängerten Berufungserwiderungsfrist Anschlussberufung wegen Erteilung eines Zwischenzeugnisses eingelegt.

Die Beklagte bleibt dabei, dass die Voraussetzungen einer außerordentlichen, jedenfalls aber einer ordentlichen Verdachtskündigung gegeben seien. Es bestehe der dringende und unwiderlegliche Verdacht systematischer und massiver vorsätzlicher Vertragsverletzungen der Klägerin. Der Verdacht beziehe sich darauf, dass die Klägerin während der von ihr geleiteten sonntäglichen Brunch-Veranstaltungen Gelder von den Gästen vereinnahmt und für sich behalten habe und dies systematisch durch Vornahme etlicher sogenannter Splitting-Buchungen im Kassensystem verschleiert habe.

So sei die Klägerin dringend verdächtig, am Sonntag, dem 05.03.2006, 228,00 € unterschlagen zu haben. An diesem Tage seien nämlich entsprechend den Reservierungslisten im sogenannten Book-a-table-System 102 Gäste erschienen zzgl. etwaiger Laufkundschaft. Die Klägerin habe aber nur 91 Brunchs ausweislich des Tagesabschlusses gebucht und bezahlt. 12 Brunchs zu je 19,00 € habe sie somit abkassiert, ohne dass es in der Endabrechnung erscheine.

Am 16.04.2006 seien der Reservierungsliste zufolge 94 Gäste zzgl. etwaiger Laufkundschaft erschienen, es gebe aber nur 75 gebuchte und in der Abrechnung bezahlte Brunchs. Den Gegenwert von 17 Brunchs à 19,00 € sowie den Gegenwert von 13 Glas Sekt à 4,50 € habe die Klägerin an diesem Tage unterschlagen.

Die Beklagte behauptet, die Reservierungslisten gäben zuverlässige Auskunft darüber, wie viele Gäste (mindestens) an den jeweiligen Tagen am Brunch teilgenommen hätten.

Nachdem die Beklagte in der Berufungsbegründung vorgetragen hatte, "die anderen Kellner buchten überhaupt nur in den Zeiten, in welchen die Klägerin sich anderen Aufgaben widmete..." (Schriftsatz vom 10.12.2007, Seite 10), behauptet die Beklagte zuletzt nunmehr: "Die Klägerin hat alle Brunchs selbst gebucht... " (Hervorhebung im Originalschriftsatz vom 20.03.2008, Seite 11).

Beispielhaft behauptet die Beklagte, am 16.04.2006 hätten die Gäste F mit vier Personen an Tisch 34 gesessen, bei der Klägerin drei Brunch und zwei Glas Sekt bezahlt sowie einen Bonne-Cuisine-Gutschein eingelöst. Gebucht habe die Klägerin aber lediglich eine Einnahme von einem Brunch in Höhe von 19,00 €.

Ebenfalls am 16.04. hätten die Gäste K an Tisch 24 bei der Klägerin einen Brunch bezahlt und einen Bonne-Cuisine-Gutschein eingelöst. Im Buchungssystem finde sich aber im Ergebnis keine Einnahme an Tisch 24.

Ferner hätten am 11.06.2006 die Gäste K mit drei Personen an Tisch 23 gesessen und bei der Klägerin eine Flasche Pellegrino, drei Glas Champagner und drei Brunchs bezahlt. Die Klägerin habe für den Tisch der K aber lediglich zwei Brunchs von einem anderen Tisch hinzu gebucht.

Die Beklagte behauptet weiterhin, am 21.06.2006 habe der Zeuge R dem Geschäftsführer der Beklagten telefonisch mitgeteilt, die Klägerin habe ihm, dem Zeugen gegenüber, unter Tränen gestanden, dass die gegen sie gerichteten Vorwürfe der Wahrheit entsprächen.

Wegen der zahlreichen weiteren Einzelheiten des Sachvortrages der Beklagten und Berufungsklägerin in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 10.12.2007 sowie die weiteren Schriftsätze der Beklagten vom 20.03.2008, 09.05.2008, 12.06. und 04.08.2008 Bezug genommen.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 02.05.2007, Az. 10 Ca 534/06, abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Wege der Anschlussberufung beantragt die Klägerin, Berufungsbeklagte und Anschlussberufungsklägerin,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 02.05.2007, Az. 10 Ca 534/07, dahingehend abzuändern, dass die Beklagte zusätzlich verurteilt wird, der Klägerin ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen.

Die Beklagte, Berufungsklägerin und Anschlussberufungsbeklagte beantragt,

die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte bestreitet entschieden, Unterschlagungen zu Lasten der Beklagten begangen zu haben. Sie bestreitet, dass anhand der Eintragungen im elektronischen Reservierungssystem der Beklagten zuverlässig nachvollzogen werden könne, wie viele Personen jeweils an einer sonntäglichen Brunch-Veranstaltung teilgenommen hätten. Die Klägerin behauptet, auch die Zeugen G und A hätten kassiert und im Kassensystem Buchungen vorgenommen. Sie gehe davon aus, dass die im vorliegenden Verfahren erhobenen Anschuldigungen auf einer Intrige dieser Zeugen beruhe, und weist darauf hin, dass sie, die Klägerin selbst, es gewesen sei, die, nachdem sie erstmals intern mit den Anschuldigungen dieser Zeugen konfrontiert worden sei, hierüber den Geschäftsführer der Beklagten unterrichtet habe.

Die Klägerin macht geltend, sogenannte Splitting-Buchungen hätten u. a. auch im Zusammenhang mit der Einlösung der sogenannten Bonne-Cuisine-Gutscheine veranlasst gewesen sein können. Sie bestreitet, dass sie dem Zeugen R gegenüber eingestanden habe, dass die Unterschlagungsvorwürfe zutreffend seien und dass der Zeuge R dem Geschäftsführer von einem solchen "Geständnis" Mitteilung gemacht habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrages der Klägerin in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 21.02.2008 sowie die weiteren Schriftsätze vom 21.02.2008 (Anschlussberufung), vom 01.04.2008, vom 04.07. und 29.07.2008 Bezug genommen.

Das Berufungsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeuginnen H F , U K und M K sowie der Zeugen M G und H R . Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 13.08.2008 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 b) und c) ArbGG statthaft und wurde im Rahmen der in § 66 Abs. 1 ArbGG vorgeschriebenen Fristen eingelegt und begründet.

Auch die Anschlussberufung der Klägerin und Berufungsbeklagten ist zulässig, insbesondere gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i. V. m. § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO fristgerecht erhoben worden.

II. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 02.05.2007 konnte keinen Erfolg haben. Sie ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30.06.2006 nicht aufgelöst worden ist. Es kann nicht festgestellt werden, dass der außerordentlichen Kündigung vom 30.06.2006 ein wichtiger Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB zugrunde liegt. Es konnten keine hinreichenden Tatsachen festgestellt werden, aufgrund derer es der Beklagten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar wäre, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist fortzusetzen.

1. Die Beklagte begründet ihre außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung in der Berufungsinstanz insbesondere damit, dass der dringende Verdacht bestehe, die Klägerin habe sie, die Beklagte, während der sonntäglichen Brunch-Veranstaltungen im Jahre 2006 durch Unterschlagungen von Gästeeinnahmen geschädigt und ihr Tun durch bestimmte Arten von Buchungen verschleiert. Daraus, dass die Beklagte stets von einem "dringenden und unwiderleglichen Verdacht" spricht, ist zu schließen, dass die Beklagte selbst (noch) nicht von einer feststehenden Tatbegehung ausgeht. Da aber aus objektiver Sicht, wie noch zu zeigen sein wird, schon die Voraussetzungen eines hinreichend dringenden Tatverdachts nicht gegeben sind, scheidet eine sogenannte Tatkündigung erst recht aus.

2. Die Kündigung der Beklagten vom 30.06.2006 ist aber auch unter dem Gesichtspunkt einer sogenannten Verdachtskündigung sowohl als außerordentliche wie auch als ordentliche Kündigung rechtsunwirksam.

a. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BAG ist anerkannt, dass ausnahmsweise auch schon der dringende Verdacht, eine Straftat oder eine andere ähnlich schwere Arbeitsvertragsverletzung zu Lasten des Arbeitgebers begangen zu haben, geeignet sein kann, eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 626 Abs. 1 BGB zu rechtfertigen. An die Voraussetzungen einer Verdachtskündigung sind jedoch strenge Anforderungen zu stellen; denn gerade bei der Verdachtskündigung besteht die Gefahr, dass jemand mit dem Verlust seines Arbeitsplatzes schwerste Rechtsnachteile erleidet, obwohl das ihm zur Last gelegte Fehlverhalten nicht zweifelsfrei erwiesen ist. Die Anerkennung des Instruments der Verdachtskündigung begründet die erhöhte Gefahr, dass schwere Rechtsnachteile einen Unschuldigen treffen.

b. Was die Dringlichkeit des für die Verdachtskündigung erforderlichen Tatverdachts angeht, ist daher erforderlich, dass der auf objektiven Tatsachen beruhende Grad der Wahrscheinlichkeit, dass der betreffende Arbeitnehmer das ihm zur Last gelegte Verhalten tatsächlich begangen hat, nur geringfügig hinter dem Grad der Gewissheit zurückbleibt (vgl. BAG vom 10.02.2005, 2 AZR 189/04; BAG vom 26.09.1990, 2 AZR 602/89; LAG Köln vom 12.12.2007, 7 Sa 120/07; Eylert/Friedrichs, DB 2007, 2203). Ein bloßer nicht widerlegter Anfangsverdacht reicht nicht aus. Insbesondere wenn aus objektiver Sicht Indizien die Möglichkeit offenlassen, dass die dem Angeschuldigten zur Last gelegte Tat gar nicht begangen wurde, oder wenn Indizien darauf hindeuten, dass für eine solche Tat statt des Angeschuldigten auch andere Personen ernsthaft in Frage kommen, scheidet eine Verdachtskündigung regelmäßig aus.

c. Darlegungs- und beweispflichtig für diejenigen Tatsachen, auf denen der eine Verdachtskündigung rechtfertigende Tatverdacht beruhen soll, ist nach den allgemeinen Grundsätzen des Kündigungsrechts stets derjenige, der die Kündigung ausgesprochen hat, hier also die Beklagte.

d. Im vorliegenden Fall ist es der Beklagten nicht gelungen, ausreichende Tatsachen dafür darzulegen und nachzuweisen, die gegenüber der Klägerin den dringenden Verdacht begründen, sie könnte während ihrer Einsätze bei den sonntäglichen Brunch-Veranstaltungen von den Gästen der Beklagten vereinnahmte Gelder unterschlagen haben.

aa. Im Ausgangspunkt weist die Beklagte allerdings zu Recht darauf hin, dass die von ihr überprüften Tagesbuchungen in ihrem Kassensystem für die vier Brunch-Sonntage 05.03., 16.04., 28.05. und 11.06.2006 zahlreiche sogenannte Splitting-Buchungen aufweisen, für die bei bestimmungsgemäßem Gebrauch des Kassensystems eine "natürliche" Erklärung fehlt. Sogenannte Splitting-Buchungen, bei denen bereits gebuchte Waren buchungstechnisch von einem Gästetisch auf einen anderen verschoben werden, sind an sich für den Fall gedacht, dass Gäste während ihres Aufenthaltes in der Gastronomie der Beklagten den Tisch wechseln. Es erscheint nachvollziehbar, wenn die Beklagte geltend macht, es widerspreche der Lebenserfahrung, dass das Phänomen des Tischwechsels von Gästen im Laufe einer Brunch-Veranstaltung so häufig auftrete wie es an den fraglichen Tagen Splitting-Buchungen gab. Es liegt somit auf der Hand, für die Häufung der Splitting-Buchungen an den fraglichen Sonntagen nach anderen Erklärungen zu suchen als der Annahme, an diesen Tagen hätten sich die Gäste der Beklagten ungewöhnlich häufig umgesetzt.

bb. Eine solche Erklärung könnte u. a. darin zu sehen sein, dass die Anwender des Buchungssystems den offiziellen Anwendungsbereich der Splitting-Buchungen aus wirklichen oder vermeintlichen praktischen Bedürfnissen heraus eigenmächtig erweitert haben.

aaa. In diese Richtung deutet die Einlassung der Klägerin, Splitting-Buchungen kämen auch dann in Betracht, wenn z. B. ein Gast beim Bezahlen überraschend und unangekündigt einen Bonne-Cuisine-Gutschein einlösen will.

bbb. Eine weitere theoretisch denkbare Alternativerklärung für Splitting-Buchungen könnte auch in dem Versuch zu sehen sein, dadurch vorherige Buchungsirrtümer zu beseitigen. Immerhin ist festzustellen, dass die Brunch-Veranstaltungen der Beklagten unstreitig regelmäßig gut besucht waren, teilweise sogar ein großer Andrang herrschte. Die Gäste gehen bei einer Buffetveranstaltung wie dem Brunch anders als sonst in Speiserestaurants üblich häufig im Lokal hin und her, so dass das Bedienungspersonal in erhöhtem Maße Schwierigkeiten bekommen kann, die Übersicht zu behalten. Dies gilt um so mehr, wenn das Bestell- und Bezahlsystem tatsächlich so umständlich gehandhabt würde, wie dies der Zeuge G in seiner Vernehmung glaubhaft machen wollte, wonach jede einzelne Bestellung zunächst der Klägerin hätte gemeldet werden müssen ("Wir fragen nach, was gewünscht wird, und müssen dann der Chefin, damit meine ich Frau C , Bescheid sagen.")

cc. Der Beklagten ist einzuräumen, dass eine weitere denkbare Erklärung für die sich häufenden Splitting-Buchungen auch darin liegen könnte, dass jemand den Plan verfolgt haben könnte, mit Hilfe solcher Buchungen die heimliche Wegnahme einkassierter Gelder zu verschleiern.

e. Um von dieser denkbaren Möglichkeit einen Rückschluss auf ein entsprechendes, sogar strafrechtlich relevantes Fehlverhalten gerade der Klägerin ziehen zu können, müssten jedoch zumindest zwei weitere Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen müsste mit hinreichend dringlicher Wahrscheinlichkeit feststehen, dass der Beklagten an den hier in Rede stehenden Brunch-Sonntagen überhaupt ihr zustehende Gästeeinnahmen abhanden gekommen sind. Zum anderen müsste mit der für eine Verdachtskündigung ausreichenden Dringlichkeit wahrscheinlich sein, dass niemand anders als die Klägerin die "verdächtigen" Buchungen vorgenommen haben könnte und dass niemand anders als die Klägerin die entsprechenden Gelder der Kasse vorenthalten bzw. ihr entnommen haben könnte.

f. Es kann schon nicht mit dem notwendigen Grad dringlicher Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass der Beklagten an den fraglichen Brunch-Sonntagen überhaupt Gästeeinnahmen abhanden gekommen sind.

aa. Die Beklagte versucht dies in erster Linie dadurch zu belegen, dass sie zunächst den bestätigten Reservierungslisten im Book-a-table-System die (Mindest-)Anzahl der Gäste am jeweiligen Sonntag entnimmt und dieser Anzahl sodann die Zahl der gebuchten Brunchs im Tagesabschluss gegenüberstellt.

aa. Selbst wenn man unterstellt, dass bei der Reservierungsliste die Bestätigungshäkchen fehlerfrei angebracht worden wären, ergibt sich schon nicht, ob damit auch feststeht, dass zu jeder Reservierung die vollständige Anzahl der angegebenen Personen erschienen ist.

bb. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor besteht darin, ob in der angegebenen Anzahl der reservierten Personen stets lückenlos und fehlerfrei zwischen Erwachsenen und Kindern differenziert wurde.

cc. Andererseits bleibt auf der Einnahmenseite unklar, inwieweit in den ausweislich der Tagesberichte gebuchten Brunchs auch diejenigen enthalten sind, bei denen ein Gutschein eingelöst wurde. Folgt man dem sonstigen Sachvortrag der Beklagten, dürften zumindest diejenigen Brunchs, für die sogenannte Bonne-Cuisine-Gutscheine eingelöst wurden, nicht in den gebuchten Brunchs laut Tagesbericht enthalten sei.

dd. Die genannte Vielzahl an Unsicherheitsfaktoren weckt bereits erhebliche Zweifel an der Stimmigkeit der Annahme, es seien überhaupt Einnahmeverluste der Beklagten zu verzeichnen.

g. Selbst wenn man dies jedoch einmal zugunsten der Beklagten unterstellt, fehlt es jedenfalls an der zweiten Voraussetzung, dass außer der Person der Klägerin niemand anders sowohl für die Vornahme der regelwidrigen Buchungen, wie auch für die Entwendung des Geldes infrage käme. Die Beklagte hat ihre Behauptung, die Klägerin habe alle Brunchs stets selbst gebucht und als einzige den Gästen die Rechnung präsentiert und kassiert, nicht beweisen können.

aa. So ist die Behauptung der Beklagten, die Klägerin habe als einzige den Gästen die Rechnung präsentiert und kassiert, bereits durch die Aussage des von ihr selbst benannten Zeugen G widerlegt. So hat der Zeuge angegeben, wenn Gäste zu zahlen wünschten oder einen Gutschein einlösen wollten etc., habe er auch die Rechnung zu den Gästen gebracht. Er habe sich diese zwar von der Klägerin geben lassen, dann aber zum Tisch gebracht und, wenn die Gäste bezahlen wollten, auch das Geld entgegen genommen und zurückgebracht. Schon nach eigenem Bekunden hat der Zeuge G somit sehr wohl an Kassiervorgängen mitgewirkt, hat Geld entgegengenommen und somit auch die Gelegenheit gehabt, dieses "aus dem Verkehr zu ziehen".

bb. Der Zeuge G hat darüber hinaus zwar betont, dass die Bedienung der Kasse selbst "Aufgabe und Verantwortung" der Klägerin gewesen sei und man ihr "bei allem, was mit dem Schlüssel und dem Geld zu tun habe, habe Bescheid sagen" müssen. Schon dem Zeugen selbst zufolge hätte es aber für ihn und die anderen Kollegen genügend Gelegenheiten gegeben, auch selbst die Kasse zu bedienen, zu buchen etc.; denn: "Ohne den besagten Schlüssel funktionierte das Kassensystem nicht. Oft hatte Frau C den Schlüssel dabei. Wenn sie ihn nicht dabei hatte, steckte er in der Kasse drin."

cc. Auf Nachfrage des Gerichts konnte der Zeuge nicht ausschließen, dass auch andere Personen die Kasse bedient oder in dem System etwas gebucht haben könnten. Seine Antwort lautet hierzu: "Ich kann das also nicht ausschließen. Das weiß ich nicht. Da kann ich nichts zu sagen."

dd. Für sich selbst hat der Zeuge G strikt verneint, die Kasse bedient oder darin gebucht zu haben. Es fällt auf, dass die Beklagte dies in ihrer Berufungsbegründung zunächst selbst anders dargestellt hat. Dort hatte sie nämlich ausgeführt, dass jedenfalls in den Zeiten, in welchen sich die Klägerin anderen Aufgaben widmete, auch die anderen Kellner buchten. Nur diese Annahme klingt auch lebensnah und stimmt mit den Bedürfnissen eines gut besuchten Gastronomiebetriebes mit einer Kapazität von ca. 100 Gästen überein.

ee. Dies gilt um so mehr, als sich die Klägerin dem Zeugen G zufolge "öfters im Büro oder in der Küche, jedenfalls nicht im Lokal" aufgehalten habe und "von ihrer Seite die Arbeitsmoral gleich Null" gewesen sei.

ff. Der Zeuge R hat angegeben, er habe selbst gesehen, dass der Zeuge G bei den Gästen kassiert und auch entsprechend gebont habe.

gg. Der Zeuge G hat im übrigen bei der Berufungskammer einen insgesamt wenig überzeugenden Eindruck hinterlassen hat. So hat der Zeuge im Laufe seiner Vernehmung eine unverhohlene, stark emotionalisierte Belastungstendenz gegenüber der Klägerin entwickelt. Nach seinem eigenen Verhalten befragt antwortete der Zeuge dagegen eher knapp und ausweichend, wobei er den Eindruck erweckte bestrebt zu sein, sich selbst von allen denkbaren Verdachtsmomenten fernzuhalten. Insgesamt war der Auftritt des Zeugen nicht dazu angetan, die Kammer von der Wahrheit seiner Angabe zu überzeugen, er selbst habe nie die Kasse bedient oder Buchungen vorgenommen.

hh. Hat der Zeuge G somit selbst eingeräumt, an Kassiervorgängen beteiligt gewesen zu sein und dabei auch Geld in die Hand bekommen zu haben, hat er andererseits angegeben, er könne nicht ausschließen, dass auch andere Personen als er und die Klägerin die Kasse bedient und darin Buchungen vorgenommen hätten, und erscheint schließlich seine Aussage, er selbst habe die Kasse nie bedient und nie Buchungen vorgenommen, wenig glaubhaft, so steht eben gerade nicht mit dringlicher Wahrscheinlichkeit fest, dass niemand anderes als die Klägerin dafür in Betracht kommt, die von der Beklagten als verdächtig angesehen Splitting-Buchungen vorgenommen zu haben und evtl. Gästeeinnahmen unterschlagen zu haben.

h. Auch das vorgerichtliche Verhalten der Klägerin spricht eher gegen den gegen sie gerichteten Verdacht. Unstreitig war es die Klägerin selbst, die, nachdem sie von den Anschuldigungen des Zeugen G und des Zeugen A erfahren hatte, sie behalte Brunch-Gelder für sich, Beschwichtigungsversuche der Kollegen K und R zurückwies und sofort den Geschäftsführer der Beklagten aufsuchte und diesen als erste von den gegen sie gerichteten Beschuldigungen in Kenntnis setze. Dieses Verhalten wäre kaum zu erklären, wenn sie tatsächlich allen Anlass gehabt hätte, etwas zu verbergen.

i. Auch der persönliche Eindruck, den die Klägerin auf das Berufungsgericht hinterlassen hat, spricht tendenziell eher gegen den gegen sie gerichteten Verdacht. Die Klägerin wirkte über die gegen sie gerichteten Vorwürfe aufrichtig bestürzt. Sie wirkte sehr bemüht, aber nicht in der Lage, zur näheren Aufklärung der Sachverhalte beizutragen. Nach dem persönlichen Eindruck, den sie hinterlassen hat, hält es die Berufungskammer zwar für möglich, dass die Klägerin aus stressbedingter Überforderung und/oder Unbeholfenheit, aber ohne böse Absicht ein objektiv chaotisches Buchungsverhalten an den Tag gelegt haben könnte. Die durch die der Klägerin gegenüber erhobenen Vorwürfe implizierte böswillige Raffinesse traut die Kammer der Klägerin aber nur schwerlich zu.

k. Schließlich hat die Aussage des Zeugen R auch die Behauptung der Beklagten nicht bestätigt dieser Zeuge habe dem Geschäftsführer der Beklagten von einem tränenreichen Geständnis der Klägerin unter vier Augen berichtet.

aa. Dem Zeugen zufolge will er dem Geschäftsführer gegenüber nur geäußert haben, die Klägerin habe aus Entsetzen wegen der ihr gegenüber erhobenen Vorwürfe geweint und nur in diesem Sinne "unter Tränen gestanden". Er habe aber nichts von einem Geständnis in dem Sinne gesagt, dass die Klägerin die ihr vorgeworfenen Verfehlungen eingeräumt hätte. Ein solches Geständnis habe die Klägerin ihm gegenüber nie abgelegt.

bb. Die Berufungskammer verkennt nicht, dass der Zeuge R mit der Klägerin offenbar befreundet ist und somit eher "in ihrem Lager" steht. Andererseits zeigt der Umstand, dass der Geschäftsführer der Beklagten mit dem Zeugen vorgerichtlich mehrere Unterredungen über die Angelegenheit führte, dass auch zwischen ihm und dem Zeugen, welcher Stammgast in der Gastronomie der Beklagten war, ein gewisses Vertrauensverhältnis bestand. Wie dem auch sei, so kann jedenfalls aus der Aussage des Zeugen R kein Beweis für das von der Beklagten behauptete Geständnis der Klägerin abgeleitet werden.

l. Schließlich ist die Beweisaufnahme im Sinne der Behauptungen der Beklagten auch zu den drei von dieser geschilderten Einzelfällen F , K und K unergiebig geblieben.

aa. Die Zeugin F konnte sich nicht einmal mehr daran erinnern, ob sie bei einer männlichen oder weiblichen Person die Rechnung über ihren damaligen Besuch in der Gaststätte der Beklagten bezahlt hat. Ebenso verhält es sich bei der Zeugin K . Auch diese konnte sich nicht erinnern, wer sie damals bedient habe und bei wem sie die Rechnung bezahlt habe. Sie konnte sich auch nicht an die im Gerichtstermin persönlich anwesende Klägerin erinnern.

bb. Der Zeugin K kam die Klägerin zwar von Angesicht her bekannt vor. Auch sie konnte aber nicht angeben, ob es die Klägerin gewesen sei, bei der sie damals bezahlt habe. Ohnehin war die Erinnerung der Zeugin K an ihren Besuch im A W am 11.06.2006 nicht nur subjektiv, sondern auch objektiv betrachtet nicht sehr präzise. So gab die Zeugin an, sie erinnere sich an eine einheitliche Rechnung für den Sekt und den Brunch, woraufhin dann die sie begleitende Tante den Sekt bar und sie persönlich den Brunch per EC-Karte bezahlt habe. Die Auswertung der Bon-Rolle durch die Beklagte weist allerdings eine Teilrechnung für den Schaumwein aus.

cc. Da aber ohnehin nicht feststeht oder dringlich wahrscheinlich ist, dass nur die Klägerin als diejenige in Betracht kommt, die die Buchungen im Kassensystem vorgenommen hat, kommt es letztlich auf die einzelnen Bezahlvorgänge nicht entscheidend an. Schon deshalb, aber auch weil es sich um reine Ausforschungsbeweisantritte handelte, bedurfte es nicht mehr der Zeuginnen R F und E J .

m. Alles in allem kann somit bei weitem nicht mit dem für die Rechtfertigung einer Verdachtskündigung notwendigen Grad an Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass gerade die Klägerin in dringendem Verdacht stehe, die Beklagte anlässlich der Sonntags-Brunch-Veranstaltungen im Frühjahr 2006 durch Unterschlagungen geschädigt und dies durch sachlich unzutreffende und verwirrende Buchungen verschleiert zu haben.

n. Fehlt es schon am hinreichend dringlichen Tatverdacht, so kommt anstelle der außerordentlichen Verdachtskündigung ebenso wenig eine ordentliche Verdachtskündigung in Betracht.

3. Die streitigen Kündigungen können auch nicht etwa hilfsweise durch etwaige der Klägerin anzulastende arbeitsvertragliche Schlechtleistungen gerechtfertigt werden.

a. Es kommt zwar in Betracht, dass die Klägerin ihre arbeitsvertraglichen Pflichten - ohne böswillige Absicht einer Selbstbereicherung - durch Missachtung verschiedener arbeitgeberseitiger Weisungen zu den Arbeitsabläufen bei der Durchführung der Sonntags-Brunch-Veranstaltung verletzt haben könnte. Ob dies tatsächlich der Fall war, kann jedoch dahingestellt bleiben; denn eine derartige Kündigung wegen Schlechtleistungen hätte nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit eine vorherige Abmahnung vorausgesetzt. Auch hätte die Beklagte ihre berechtigten Belange für den Fall, dass die Klägerin - z. B. aus Überforderung - Schlechtleistungen erbracht haben sollte, auch in zumutbarer Weise dadurch wahren können, dass sie die Klägerin von der Wahrnehmung einer Leitungsfunktion beim Sonntagsbrunch entbunden und ihr eine andere Aufgabe, z. B. im Service des allgemeinen Gastronomiebetriebes, zugewiesen hätte. Die Wahl eines solchen milderen Mittels der Interessenwahrung im Vergleich zur einseitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung wäre ebenfalls durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geboten gewesen.

4. War die Kündigung der Beklagten vom 30.06.2006 unwirksam, so schuldete die Beklagte der Klägerin auch die Vergütung für den Monat Juli 2006 bis zu dem Zeitpunkt, ab dem die Klägerin Krankengeld bezog.

5. Warum die Beklagte im Übrigen meint, der Klägerin auch die Vergütung für den Monat Juni, also für eine Zeit vor Zugang der streitigen Kündigung, nicht zu schulden, ist ohnehin nicht erkennbar.

III. Auf die zulässige Anschlussberufung der Klägerin hin war die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen. Da das Arbeitsverhältnis nicht beendet ist, die Kündigungsaktivitäten der Beklagten andererseits einen erheblichen faktischen Einschnitt in das Arbeitsverhältnis darstellen, hat die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses, schon um sich gegebenenfalls auf dem Arbeitsmarkt anderweitig orientieren zu können. Auch gegenüber dem von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses ist eine Rechtsverteidigung der Beklagten, erst recht eine solche erheblicher Art, nicht ersichtlich.

IV. Die Kostenfolge ergibt sich, was die Berufung der Beklagten angeht, aus § 97 ZPO, was die Anschlussberufung der Klägerin angeht, aus § 91 ZPO.

Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor.

Ende der Entscheidung

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