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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 06.12.2006
Aktenzeichen: 7 Sa 452/06
Rechtsgebiete: BGB, KSchG


Vorschriften:

BGB § 626 Abs. 1
BGB § 626 Abs. 2
KSchG § 1
KSchG § 9
KSchG § 10
1. Es rechtfertigt einen arbeitnehmerseitigen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG, wenn der Arbeitnehmer in einem Dienstgespräch von seiner Vorgesetzten im Beisein Dritter verbal und mittels einer Schere bedroht und durch einen Schlag auf den Kopf tätlich beleidigt wird und der Arbeitgeber sich nicht alsbald und in angemessener Form von dem Verhalten der Vorgesetzten distanziert.

2. Eine solche rechtzeitige und angemessene Distanzierung liegt nicht mehr vor, wenn diese erst aufgrund einer vom Arbeitsgericht durchgeführten Beweisaufnahme erfolgt, nachdem der Arbeitgeber zuvor den Vorfall trotz Vorhandensein neutraler Zeugen ohne eigene Sachaufklärung bestritten hatte.


Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 08.12.2005 in Sachen 1 Ca 4769/04 wird einschließlich der in der Berufungsinstanz gestellten Hilfsanträge kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen, verhaltensbedingten arbeitgeberseitigen Kündigung sowie einen arbeitnehmerseitigen Auflösungsantrag.

Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 1. Kammer des Arbeitsgerichts Siegburg dazu bewogen haben, der Kündigungsschutzklage nebst Auflösungsantrag im vollen Umfang stattzugeben, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils vom 08.12.2005 Bezug genommen. Bezug genommen wird ergänzend auf das Protokoll der vom Arbeitsgericht Siegburg durchgeführten Beweisaufnahme vom 08.12.2005.

Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Beklagten am 21.03.2006 zugestellt. Die Beklagte hat hiergegen am 20.04.2006 Berufung einlegen und diese am 19.05.2006 begründen lassen.

Die Beklagte macht geltend, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts Siegburg sei die Abmahnung vom 31.08.2004 nicht zu unbestimmt gewesen. Des weiteren habe das Arbeitsgericht verkannt, dass der Kläger nach Erhalt der Abmahnungen sehr wohl wiederholtes einschlägiges Fehlverhalten an den Tag gelegt habe. Der Kläger habe nämlich am 25.10.2004 zum wiederholten Male durch die Mitarbeiterin S die unmissverständliche Weisung erhalten, sich ab sofort ausschließlich mit der Bearbeitung rückständiger Garantieverträge zu beschäftigen und sich vor Erledigung dieser Aufgaben keiner anderweitigen Tätigkeit zu widmen. Auch nach Erhalt der schriftlichen Abmahnung vom 27.10.2004 sei der Kläger dennoch mehrfach demonstrativ anderen Tätigkeiten, insbesondere der Kundenbetreuung, nachgegangen, anstatt sich um die ausschließliche Garantiebearbeitung zu kümmern, so dass diese bis zur Kündigung durch die Beklagte am 24.11.2004 unerledigt geblieben sei. Hierin liege eine Form von beharrlicher Arbeitsverweigerung, die mit dem in den vorangegangenen Abmahnungen gerügten Fehlverhalten vergleichbar sei.

Des weiteren wendet sich die Beklagte und Berufungsklägerin gegen die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung. Zwar habe die vom Arbeitsgericht durchgeführte Beweisaufnahme ergeben, dass die Mitarbeiterin S , bei der es sich um die ehemalige persönlich haftende Gesellschafterin der am 01.08.2003 in Insolvenz gefallenen Vorgängerfirma gehandelt habe, den Kläger tatsächlich mit einer Schere bedroht und ihm auch einen Klaps auf den Hinterkopf versetzt habe. Dieses Verhalten sei der Situation nicht angemessen und auch nicht entschuldbar gewesen. Dennoch werfe das Arbeitsgericht, ihr, der Beklagten zu Unrecht vor, sich von dem Verhalten der Frau S nicht distanziert zu haben. Dass Frau S sich tatsächlich so, wie vom Kläger behauptet, verhalten habe, sei für sie, die Beklagte, erst durch die Beweisaufnahme zu Tage getreten. Hätte das Arbeitsgericht ihr, der Beklagten, nach durchgeführter Beweisaufnahme den beantragten Schriftsatznachlass gewährt, so hätte sie dargelegt, dass sie für den Fall der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses organisatorische Maßnahmen getroffen hätte, dass sich ein entsprechender Vorfall nicht hätte wiederholen können. Bei alledem sei auch zu bedenken, dass der Kläger an der Eskalation der Ereignisse bei der Unterredung vom 15.02.2004 nicht unbeteiligt gewesen sei; denn durch sein pflichtwidriges Verhalten bei der Bearbeitung der Garantieanträge in den Monaten zuvor habe er die Gefahr von finanziellen Rückbelastungen seitens der Firma F heraufbeschworen, die auch den finanziellen Ruin der erst kürzlich neu gegründeten Beklagten hätten bedeuten können.

Jedenfalls aber, so meint die Beklagte, sei die vom Arbeitsgericht festgesetzte Abfindung zu hoch bemessen.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt nunmehr,

das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 08.12.2005, Aktenzeichen 1 Ca 4769/04 abzuändern und die Klage abzuweisen;

hilfsweise

das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 08.12.2005, Aktenzeichen 1 Ca 4769/04, abzuändern und die Klage hinsichtlich des Auflösungsantrages des Klägers abzuweisen;

äußerst hilfsweise

das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 08.12.2005, Aktenzeichen 1 Ca 4769/04, abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit eine Abfindung in Höhe von 20.000,00 € festgesetzt worden ist.

Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger und Berufungsbeklagte tritt den Entscheidungsgründen des arbeitsgerichtlichen Urteils bei. Darüber hinaus hält er die ihm von der Beklagten zwischen dem 31.08. und 11.11.2004 ausgesprochenen Abmahnungen für unberechtigt. Insbesondere beanstandet er, dass es auch in der Berufungsinstanz an einem substantiierten Sachvortrag der Beklagten dazu fehle, welches Fehlverhalten ihm nach Erhalt der Abmahnungen anzulasten sei.

Der Kläger und Berufungsbeklagte bekräftigt auch die Auffassung, dass ihm trotz unwirksamer Kündigung die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten aufgrund der Vorfälle vom 15.02.2005 unzumutbar sei, und hält die Höhe der festgesetzten Abfindung für angemessen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft. Sie wurde auch innerhalb der in § 66 Abs. 1 ArbGG vorgeschriebenen Fristen eingelegt und begründet.

II. Die Berufung der Beklagten konnte jedoch keinen Erfolg haben. Das Arbeitsgericht Siegburg hat zutreffend erkannt, dass die streitige Kündigung der Beklagten vom 24.11.2004 sozial ungerechtfertigt und dementsprechend rechtsunwirksam war. Darüber hinaus hat es das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Klägers zu Recht nach Maßgabe der § 9, 10 KSchG aufgelöst. Auch die Höhe der vom Arbeitsgericht festgesetzten Abfindung ist nicht zu beanstanden.

Das Arbeitsgericht hat sein Urteil tragfähig und überzeugend begründet. An die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils kann das Berufungsgericht anknüpfen. Aus der Sicht der letzten mündlichen Verhandlung gilt zusammenfassend und ergänzend das Folgende:

1. Die Beklagte hat nicht ausreichend darzulegen vermocht, dass ihre streitige Kündigung vom 24.11.2004 durch Gründe in dem Verhalten des Klägers bedingt ist, die einer Weiterbeschäftigung in dem Betrieb der Beklagten entgegenstanden.

a. Die Beklagte stützt die streitige verhaltensbedingte Kündigung vom 24.11.2004 bekanntlich darauf, dass der Kläger trotz vorangegangener einschlägiger Abmahnungen fortgesetzte arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen begangen hätte.

Was die Abmahnung vom 31.08.2004 angeht, so hat jedoch das Arbeitsgericht bereits zu Recht Bedenken dagegen erhoben, ob in dieser Abmahnung hinreichend bestimmt wiedergegeben wird, welche konkreten Bearbeitungsfehler bei den Garantieanträgen dem Kläger zur Last zu legen sind bzw. ob der Sachvortrag der Beklagten, mit welchem die Abmahnung gerechtfertigt werden sollte, hinreichend substantiiert und für den Kläger einlassungsfähig darstellt, welche konkreten Fehler vom Kläger gemacht worden sind. In diesem Zusammenhang ist von Interesse, dass der Zeuge I in der Beweisaufnahme u. a. angegeben hat: "Es gab eine Fehlerquote von 69 %, es war nicht alles nur auf Fehler von Herrn F zurückzuführen".

b. Letztlich kann jedoch bei der Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits die Frage dahingestellt bleiben, ob die Abmahnung der Beklagten vom 31.08.2004 einer rechtlichen Überprüfung standhält und ob die übrigen Abmahnungen vom 19.10., 27.10. und 11.11.2004 berechtigt waren. Es kann nämlich, worauf ebenfalls das Arbeitsgericht bereits zu Recht hingewiesen hat, nicht festgestellt werden, dass der Kläger in der Zeit nach Erhalt der letzten Abmahnung vom 11.11.2004 bis zum Erhalt der Kündigung vom 24.11.2004 weitere arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen begangen hätte, die nunmehr den Ausspruch einer Kündigung rechtfertigen würden.

aa. Ein konkretes Fehlverhalten, dass die Beklagte bereits einmal mit einer Abmahnung belegt hat, kann später nicht mehr zur Rechtfertigung einer Kündigung herangezogen werden, wenn nicht weiteres einschlägiges Fehlverhalten nach Ausspruch der Abmahnung hinzugekommen ist. Noch mit Erteilung der Abmahnung vom 11.11.2004 hat die Beklagte konkludent zum Ausdruck gebracht, dass selbst nach ihrer eigenen Einschätzung zu diesem Zeitpunkt die Zeit für eine Kündigung noch nicht reif war. Dies gilt um so mehr, als die Beklagte selbst für sich reklamiert, dass das in den verschiedenen bis dahin erteilten Abmahnungen angeprangerte Fehlverhalten des Klägers auf einen einschlägig vergleichbaren Kern eines bestimmten pflichtwidrigen Verhaltens zurückgeführt werden konnte.

bb. Es wäre daher Sache der Beklagten gewesen, darzulegen und im Bestreitensfalle nachzuweisen, welche erneute konkrete Pflichtverletzung des Klägers in der Zeit nach dem 11.11., aber vor dem 24.11.2004 nunmehr nach ihrer Auffassung "das Fass zum überlaufen" gebracht hat. Wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, fehlte hierzu erstinstanzlich jedweder substantiierter Sachvortrag. Trotz der deutlichen Hinweise im arbeitsgerichtlichen Urteil hat die Beklagte auch in der Berufungsinstanz diesen Mangel nicht beheben können. Vielmehr ist ihr Vorbringen auch in der Berufungsinstanz diesbezüglich so unkonkret und sogar widersprüchlich geblieben, dass er nicht nachvollzogen werden kann.

cc. Die Beklagte hat in der Berufungsinstanz versucht, den kündigungsbegründenden Pflichtenverstoß dadurch zu konkretisieren, dass sie behauptete, die weisungsbefugte Mitarbeiterin S habe den Kläger am 25.10.2004 zum wiederholten Male unmissverständlich dazu aufgefordert, sich ab sofort ausschließlich [Hervorhebung im Original] mit der Bearbeitung von Garantieanträgen zu beschäftigen und sich vor Erledigung dieser Aufgabe keiner anderen Tätigkeit zu widmen. Gleichwohl sei der Kläger auch nach Erhalt der Abmahnung vom 27.10.2004 demonstrativ "mehrfach anderen Tätigkeiten, insbesondere der Kundenbetreuung" nachgegangen, anstatt sich um die ausschließliche Garantiebearbeitung zu kümmern, so dass diese bis zur Kündigung am 24.11. unerledigt geblieben sei. Auf welche konkreten Ereignisse die Beklagte mit dem Vorwurf hinaus will, der Kläger sei auch nach dem 27.10.2004 mehrfach demonstrativ anderen Tätigkeiten, insbesondere der Kundenbetreuung, nachgegangen, und wann dies gewesen sein soll - insbesondere vor oder nach dem 11.11.2004 ? -, dazu schweigt sich die Beklagte aus. Weder teilt die Beklagte mit, in welchem Umfang im Zeitpunkt der Erteilung der Weisung vom 25.10.2004 die Bearbeitung von Garantieanträgen rückständig war, welche Zeit zur Aufarbeitung dieser Rückstände zu veranschlagen gewesen wäre und wie sich der Umfang der Rückstände im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung dargestellt hat. Ebenso wenig teilt die Beklagte mit, was der Kläger zwischen dem 11.11. und 24.11.2004 an Stelle der Bearbeitung rückständiger Garantieanträge anderes gemacht hat.

dd. Allerdings drängt sich nach der Sachdarstellung der Beklagten auch die Frage auf, ob die Weisung vom 25.10.2004, sich ausschließlich nur noch der Bearbeitung rückständiger Garantieanträge zu widmen, am 11.11.2004 und in der Zeit danach überhaupt noch Bestand hatte. Offensichtlich hat die Mitarbeiterin S dem Kläger nämlich nach dem 25.10.2004 auch noch andere Arbeitsaufträge erteilt; denn anders ist es nicht zu erklären, dass die Beklagte in der Abmahnung vom 11.11.2004 beanstandet, der Kläger sei der Weisung nicht nachgekommen, alte Buchhaltungsunterlagen der insolventen Firma J O KG in Ordner abzulegen, die Ordner zu beschriften und die Ordner sodann in ein bestimmtes dafür vorgesehenes Büro zu transportieren. Hatte die Weisung vom 25.10.2004, sich ausschließlich mit rückständigen Garantieanträgen zu beschäftigen, nach Erteilung der Weisung, die Ordner betreffend, noch Bestand oder nicht?!

ee. Ebenso widersprüchlich führt die Beklagte zur Erläuterung des Kündigungsgrundes auf Seite 7 der Berufungsbegründung aus, "dass die wiederholte Pflichtverletzung des Klägers nicht [Hervorhebung nur hier] darin liegt, dass er nach Erhalt der Abmahnung die Buchhaltungsunterlagen nicht bearbeitet und abgelegt habe", während es auf Seite 8 der Berufungsbegründung in demselben Zusammenhang heißt: "Ebenso hat er die mehrfachen Anweisungen der weisungsbefugten Mitarbeiterin der Beklagten, Frau S , ignoriert, die Buchungsunterlagen zu bearbeiten und ordnungsgemäß abzulegen".

c. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Beklagte auch das Berufungsgericht nicht in die Lage versetzt hat nachvollziehen zu können, auf welchem konkreten, wiederholten Pflichtenverstoß des Klägers aus der Zeit nach Erteilung der letzten Abmahnung vom 11.11.2004 die Kündigung vom 24.11.2004 beruht. Kann das Gericht schon nicht erkennen, um welchen konkreten Pflichtenverstoß es geht, so ist es erst Recht nicht in der Lage, bei der Überprüfung der streitigen Kündigung die erforderliche Interessenabwägung vorzunehmen.

Es muss somit bei dem vom Arbeitsgericht gefundenen Ergebnis bleiben, dass die Kündigung der Beklagten vom 24.11.2004 nicht als sozial gerechtfertigt im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG gelten kann.

2. Zutreffend hat das Arbeitsgericht sodann das Arbeitsverhältnis der Parteien auf Antrag des Klägers gemäß §§ 9, 10 KSchG zum 30.04.2005 aufgelöst. Nach dem Vorfall vom 15.02.2005 war es dem Kläger nicht mehr zuzumuten, das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten fortzusetzen.

a. Nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme bezweifelt auch die Beklagte nicht mehr, dass in dem Gespräch vom 15.02.2005 die leitende Mitarbeiterin S den Kläger massiv an Leib und Leben bedroht und tätlich beleidigt hat. Ein Verhalten, wie es die Mitarbeiterin S an den Tag gelegt hat, wäre objektiv geeignet gewesen, als wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB ggf. den Ausspruch einer außerordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung zu rechtfertigen. Wenn ein solches Verhalten indessen geeignet ist, die weitere Zusammenarbeit zwischen dem Arbeitgeber und dieser Mitarbeiterin als unzumutbar anzusehen, so muss dasselbe umgekehrt auch für den Arbeitnehmer gelten, der in der in der Beweisaufnahme beschriebenen Art und Weise das Opfer des Verhaltens einer leitenden Repräsentantin seines Arbeitgebers wird. Dabei sind nach allgemeiner Meinung an die Unzumutbarkeitsgründe des § 9 KSchG sogar geringere Anforderungen zu stellen als an den wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB

b. Die Beklagte muss sich das Verhalten der Mitarbeiterin S auch zurechnen lassen. Diese war zwar im Zeitpunkt der hier interessierenden Ereignisse nicht mehr selbst Geschäftsführerin der Beklagten. Aufgrund ihrer früheren beherrschenden Stellung in der Vorgängerfirma J O KG bekleidete sie aber auch bei der im Jahre 2004 neu gegründeten Beklagten eine herausragende Funktion unmittelbar unterhalb der Geschäftsführung und von dieser mit Vollmacht und Weisungsbefugnis gegenüber allen Arbeitnehmern versehen (vgl. den Einleitungssatz der Abmahnung vom 11.11.2004). Auch war die Mitarbeiterin jedenfalls Ende Oktober 2004 offenbar noch selbst befugt, Abmahnungen zu erteilen (vgl. die Abmahnung vom 27.10.2004).

c. Unerheblich ist auch der Sachvortrag der Beklagten, das Arbeitsgericht habe der Beklagten nach der Beweisaufnahme vom 08.12.2005 durch Verweigerung des erbetenen Schriftsatznachlasses die Möglichkeit genommen, sich von dem Verhalten der Mitarbeiterin S gegenüber dem Kläger zu distanzieren. Ein Umstand, der es für den Kläger unzumutbar macht, an dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten für die Zukunft festzuhalten, liegt gerade darin, dass es die Beklagte erst durch - objektiv wahrheitswidriges - Bestreiten des entsprechenden Tatsachenvortrages des Klägers auf eine gerichtliche Beweisaufnahme hat ankommen lassen, um überhaupt eine Distanzierung gegenüber dem Verhalten der Mitarbeiterin S in Erwägung zu ziehen. Das Arbeitsgericht hat ausgeführt: "Die Beklagte hat sich von dem Verhalten der Zeugin zu keinem Zeitpunkt distanziert, sondern sich ihre Darstellung zu eigen gemacht und den Vortrag des Klägers bestritten, ohne auch nur die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, dass der Kläger die Wahrheit sagt. Auch wenn man zu Gunsten der Beklagten annimmt, sie sei von der Zeugin S wahrheitswidrig dahin unterrichtet worden, die Zeugin habe den Kläger nicht bedroht, und eine Konfliktsituation unterstellt, weil ja dann die Aussage des Klägers gegen die Aussage der Zeugin S gestanden hätte, also sich zwei widersprechende Aussagen von Mitarbeitern vorgelegen hätten, hätte die Beklagte die Möglichkeit gehabt, den Sachverhalt durch Befragung der Zeugen I und S selbst aufzuklären oder zumindest eine neutrale Haltung einzunehmen. Dies hat sie jedoch bewusst nicht getan, sondern sich von vornherein die Darstellung der Zeugin S zu eigen gemacht." Dem ist aus Sicht des Berufungsgericht nichts hinzuzufügen.

d. Im Übrigen hätte es dem Kläger für die Zukunft seines Arbeitsverhältnisses auch nicht weitergeholfen, wenn die Beklagte unter dem Eindruck des eindeutigen Ergebnisses der Beweisaufnahme vom 08.12.2005 der Mitarbeiterin S die Weisungsbefugnis gegenüber dem Kläger entzogen hätte. Der Kläger musste davon ausgehen, dass die Mitarbeiterin S grundsätzlich ihre einflussreiche Stellung im Betrieb behalten würde, und er konnte realistischerweise nicht unterstellen, dass er in einem Betrieb von der Größenordnung desjenigen der Beklagten der leitenden Mitarbeiterin S auf Dauer aus dem Wege würde gehen können.

3. Schließlich ist auch mit 20.000,00 € die Höhe der vom Arbeitsgericht festgesetzten Abfindung nicht zu beanstanden.

a. Die Abfindung hält sich im Rahmen der in § 10 KSchG festgelegten Größenordnungen. Zu Recht hat das Arbeitsgericht im Ausgangspunkt auf die nahezu vierzehnjährige Betriebszugehörigkeit des Klägers abgestellt, wobei die bei der Vorgängerfirma J O KG zurückgelegten Vordienstzeiten unstreitig zu berücksichtigen waren. Die Dauer der Betriebszugehörigkeit bildet einen anerkannten Indikator für das Maß des sozialen Besitzstandes, der dem Kläger durch den Verlust des Arbeitsplatzes verloren geht. In Anbetracht einer aufgerundet vierzehnjährigen Betriebszugehörigkeit (vgl. § 1 a Abs. 2 Satz 3 KSchG) übersteigt die festgesetzte Abfindung nur geringfügig die in § 1 a Abs. 2 Satz 1 vorgesehene und in der Vergleichspraxis in durchschnittlichen Kündigungsschutzverfahren weithin übliche Richtgröße.

b. Der geringfügige Aufschlag der Abfindung ist gerechtfertigt, da der Kläger das Opfer eines besonders krassen Fehlverhaltens einer leitenden Mitarbeiterin der Beklagten geworden ist. Wie die vom Arbeitsgericht eingeholten Zeugenaussagen belegen, hat der Kläger in dem Gespräch vom 15.0.2005 selbst in keiner Weise nachvollziehbar zur Eskalation des Verhaltens der Mitarbeiterin S beigetragen. Dass der Kläger trotz bestehender Arbeitsunfähigkeit überhaupt zu dem Erörterungsgespräch erschienen war, stellte bereits ein Entgegenkommen seinerseits dar. Dem neutralen Zeugen I zu Folge hatte der Kläger sich im Rahmen des Gespräches redlich bemüht, die an ihn gestellten Fragen zu beantworten. Der Zeuge gibt an: "Ich möchte noch dazu sagen, dass Herr F sich schon bemüht hat, das aufzuklären. Er war auch wirklich krank. Als er reinkam, hat er noch nicht einmal den Mantel ausgezogen. Er wirkte gebrechlich."

c. Es kann die Beklagte auch nicht entlasten und zur Festsetzung einer niedrigeren Abfindung führen, dass die Mitarbeiterin S als ehemalige persönlich haftende Gesellschafterin der kurz zuvor in Insolvenz geratenen Vorgängerfirma bis zu einem gewissen Grade verständlicherweise besonders empfindlich auf wirtschaftlich relevante vermeintliche oder wirkliche Fehlleistungen von Mitarbeitern reagierte. Von einer leitenden Angestellten kann dennoch erwartet werden, dass sie sich insbesondere im Rahmen ihrer Vorgesetztenrolle gegenüber untergebenen Mitarbeitern nicht zu Tätlichkeiten hinreißen lässt. Vor allem aber kommt hinzu, dass die Beklagte selbst, wie bereits oben an anderer Stelle ausgeführt, gänzlich unangemessen auf den Vorfall reagiert und dem Kläger so den Eindruck vermittelt hat, dass er auch in Zukunft derartigen möglichen Entgleisungen von Vorgesetzten schutzlos ausgeliefert sein würde.

4. Die Berufung der Beklagten musste somit mit allen ihren Hilfsanträgen erfolglos bleiben.

III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

In Ermangelung eines gesetzlichen Revisionsgrundes ist gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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