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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 14.01.2004
Aktenzeichen: 8 TaBV 72/03
Rechtsgebiete: ArbGG, BetrVG


Vorschriften:

ArbGG § 98
BetrVG § 106
1. Wegen fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle kann der Antrag auf Einrichtung einer Einigungsstelle nur zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. Dies bedeutet, dass ein Antrag nur dann zurückgewiesen werden kann, wenn offensichtlich ist, dass das vom Beteiligten zu 1) in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht nicht gegeben ist (BAG vom 06.12.1983, AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972, Überwachung). Die fachkundige Beurteilung durch das Gericht muss somit sofort erkennbar machen, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in der fraglichen Angelegenheit unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommen kann.

2. Eine Einigungsstelle zur Regelung der Streitfrage, ob dem Betriebsrat Unterlagen die sog. Mittelfristplanung und den sog. Management-Report betreffend vorzulegen sind, war einzurichten. Zweck der dem Unternehmen nach § 106 Abs. 2 BetrVG auferlegten Verpflichtung, den Betriebsrat über wirtschaftliche Angelegenheiten unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen zu unterrichten, ist es, dem Wirtschaftsausschuss die notwendigen Kenntnisse zu vermitteln, damit dieser gleichberechtigt die in seinen Zuständigkeitsbereich fallenden wirtschaftlichen Angelegenheiten mit dem Unternehmer beraten kann. Sinn dieser Beratung ist es wiederum, auf die Entscheidungen des Unternehmens in wirtschaftlichen Angelegenheiten Einfluss nehmen zu können (BAG, Beschluss vom 08.08.1989 - 1 ABR 61/88 - AP Nr. 6 zu § 106 BetrVG 1972). Daher sind auch die von der Beteiligten zu 2) als "Vorfeldunterlagen" bezeichneten Unterlagen der sog. Mittelfristplanung und der sog. Management-Report solche des Mitbestimmungsfeldes nach § 106 Abs. 2 BetrVG. Gegenstand der Mittelfristplanung ist nämlich gerade eine Zusammenstellung unternehmensrelevanter Daten einschließlich sich daraus ergebender Auswirkungen. Der Management-Report dient eigener Einlassung der Beteiligten zu 2) Überlegungen zur Steuerung des Geschäftsfeldes der Beteiligten zu 2). Im jährlichen Geschäftsverlauf vermag angesichts dieser Umstände nicht angenommen zu werden, es handele sich um reine Unverbindlichkeiten ohne jede Relevanz.

3. Die Prüfung der Frage, ob objektiv sachliche Interessen an der völligen Geheimhaltung bestimmter Tatsachen wegen einer ansonst zu befürchtenden Gefährdung des Bestandes oder der Entwicklung des Unternehmens bestehen und deshalb der Vorlage der Unterlagen der sog. Mittelfristplanung und des sog. Management-Reports entgegenstehen, war der Prüfung der Einigungsstelle selbst vorzubehalten.


LANDESARBEITSGERICHT KÖLN BESCHLUSS

8 TaBV 72/03

In Sachen

hat die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Anhörung vom 14.01.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Jüngst als Vorsitzenden

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 29.10.2003 - 2 BV 119/03 - wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Die Parteien streiten um die Bestellung einer Einigungsstelle, mit welcher der Beteiligte zu 1) die Verpflichtung der Beteiligten zu 2) erreichen will, dem im Unternehmen bestehenden Wirtschaftsausschuss die sog. Mittelfristplanung sowie den sog. Management-Report des Projektfeldes Print-Com vorzulegen.

Bezüglich beider Unterlagen macht die Beteiligte zu 2) geltend, dass die von der Beteiligten zu 1) beantragte Einigungsstelle offensichtlich unzuständig sei.

Die vom Beteiligten zu 1) zur Vorlage des Wirtschaftsausschusses begehrten Unterlagen beträfen nicht den Zuständigkeitskatalog des Wirtschaftsausschusses gemäß § 106 BetrVG; jedenfalls sei die Einigungsstelle deshalb offenkundig unzuständig, weil der Beteiligte zu 1) mit der Vorlage der begehrten Unterlagen an den Wirtschaftsausschuss ein Verlangen stelle, das offensichtlich die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens gefährde.

Das Arbeitsgericht hat durch Beschluss vom 29.10.2003 zum Vorsitzenden einer im Unternehmen der Beteiligten zu 2) zu bildenden Einigungsstelle betreffend die Verpflichtung zur Vorlage von Unterlagen - sog. Mittelfristplanung sowie Management-Report des Projektfeldes Print-Com - den Richter am Arbeitsgericht Köln, W , bestellt und die Zahl der Beisitzer auf zwei für jede Seite festgesetzt.

Gegen diesen am 05.11.2003 zugestellten Beschluss erster Instanz wendet sich die Beteiligte zu 2) mit ihrer Beschwerde vom 19.11.2003, eingegangen beim Landesarbeitsgericht am 19.11.2003, die die Beteiligte zu 2) gleichzeitig begründet.

Die Beteiligte zu 2) weist unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags darauf hin, dass das Arbeitsgericht fehlerhaft davon ausgegangen sei, dass die von dem Beteiligten zu 1) begehrte Einigungsstelle nicht offenkundig unzuständig sei.

Bei den Unterlagen, hinsichtlich derer der Beteiligte zu 1) Unterrichtung verlange, handele es sich um Unterlagen der Beteiligten zu 2), die im Vorfeld relevanter Entscheidungen lägen. Richtig sei zwar, dass der Management-Report der Geschäftsführung zur Steuerung des Geschäftsfeldes im jährlichen Geschäftsverlauf diene. Er sei allerdings eine Unterlage, die nur für die Geschäftsführung und den zuständigen Bereichsvorstand des Konzerns D erstellt werde.

Das Geschäftsfeld Print-Com arbeite auf einem für den Konzern generell sehr wichtigen und hochumkämpften Markt. Allgemein gehe ein Trend bei vielen Unternehmen dahin, die tägliche Geschäftspost im Wege des "Outsourcings" fremdzuvergeben.

Für die Planungen der Beteiligten zu 2) bezüglich der Absatz- und Umsatzmengen, des Personalhaushalts und der Investitionen seien diese Unterlagen von größter Bedeutung.

In Kenntnis dieser Zahlen könnten Konkurrenten - was offenkundig sei und keiner weiteren Darlegung bedürfe - der Beteiligten zu 2) in weitem Umfang Konkurrenz machen und diese auf den Zukunftsmärkten schädigen.

Damit ergebe sich aus der Vorlage der begehrten Unterlagen offenkundig eine Gefährdung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen des Unternehmens.

Die Beteiligte zu 2) beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn - 2 BV 119/03 - vom 29.10.2003 abzuändern und den Antrag zurückzuweisen.

Der Beteiligte zu 1) beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Beteiligte zu 1) verteidigt den Beschluss des Arbeitsgerichts und macht sich die dortigen Ausführungen zur Zuständigkeit der Einigungsstelle zu eigen.

Wegen des sonstigen Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Akten und die gewechselten Schriftsätze beider Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

II. Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

1. Die Beschwerde ist fristgemäß innerhalb der Beschwerdefrist gemäß § 98 Abs. 2 Satz 2 ArbGG eingelegt und begründet worden.

Die Begründung der Beschwerde setzt sich im Einzelnen mit dem erstinstanzlichen Beschluss auseinander und erfüllt damit die formalen Voraussetzungen an ein ordnungsgemäß eingelegtes Rechtsmittel.

2. In der Sache führt die Beschwerde nicht zu einer Änderung des Beschlusses erster Instanz.

Das Arbeitsgericht ist bei seiner Entscheidung zutreffend davon ausgegangen, dass nach dem Prüfmaßstab des § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG der Vorsitzende für eine Einigungsstelle zu bestimmen und die Anzahl der Beisitzer je Seite festzulegen war.

Wegen der geltend gemachten Bedenken der Beteiligten zu 2) schied eine derartige Entscheidung nicht aus.

a) Wegen fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle können die Anträge nämlich nur zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. Dies bedeutet, dass ein Antrag nur dann zurückgewiesen werden kann, wenn offensichtlich ist, dass das vom Beteiligten zu 1) in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht nicht gegeben ist (BAG vom 06.12.1983, AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972, Überwachung). Die fachkundige Beurteilung durch das Gericht muss somit sofort erkennbar machen, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in der fraglichen Angelegenheit unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommen kann.

Gemessen an diesen Maßstäben vermag die Bildung einer Einigungsstelle nicht wegen offenkundiger Unzuständigkeit ausgeschlossen zu werden.

Aus dem Sachvortrag der Beteiligten zu 1) in Verbindung mit den Hinweisen des Beteiligten zu 2) vermag zunächst nicht angenommen zu werden, die zur Vorlage begehrten Unterlagen berührten nicht Gegenstände der Unterrichtung gemäß § 106 Abs. 1 Satz 2 BetrVG.

Unzutreffend ist in diesem Zusammenhang insbesondere der Hinweis der Beteiligten zu 1), dass diese Fragestellung danach zu beantworten sei, ob es sich bei diesen Unterlagen um bloße Vorfeldunterlagen handele, deren Vorlage allein deshalb nicht verlangt werden könne, weil dies mit Überlegungen der Beteiligten zu 2), die das Stadium einer Planung erreicht hätten, nichts zu tun habe.

Unter Hinweis auf die von der Beteiligten zu 2) zitierte Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln vom 24.01.2003 - 12 TaBV 74/02 - sei wiederholt:

Zweck der dem Unternehmen nach § 106 Abs. 2 BetrVG auferlegten Verpflichtung, den Betriebsrat über wirtschaftliche Angelegenheiten unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen zu unterrichten, ist es, dem Wirtschaftsausschuss die notwendigen Kenntnisse zu vermitteln, damit dieser gleichberechtigt die in seinen Zuständigkeitsbereich fallenden wirtschaftlichen Angelegenheiten mit dem Unternehmer beraten kann. Sinn dieser Beratung ist es wiederum, auf die Entscheidungen des Unternehmens in wirtschaftlichen Angelegenheiten Einfluss nehmen zu können (BAG, Beschluss vom 08.08.1989 - 1 ABR 61/88 - AP Nr. 6 zu § 106 BetrVG 1972).

Dies bedeutet aber, dass der Unternehmer daher gerade vor geplanten unternehmerischen Entscheidungen und sonstigen Vorhaben den Wirtschaftsausschuss frühzeitig und umfassend informieren muss, damit dieser - und der Betriebsrat bzw. der Gesamtbetriebsrat - durch seine Stellungnahme und seine eigenen Vorschläge noch Einfluss auf die Gesamtplanung wie auch auf die einzelnen Vorhaben nehmen kann (BAG vom 11.07.2000 - 1 ABR 43/99 - NZA 2001, 402 ff.).

Daher sind auch die von der Beteiligten zu 2) als "Vorfeldunterlagen" bezeichneten Unterlagen solche des Mitbestimmungsfeldes nach § 106 Abs. 2 BetrVG; Gegenstand der Mittelfristplanung ist nämlich gerade eine Zusammenstellung unternehmensrelevanter Daten einschließlich sich daraus ergebender Auswirkungen. Der Management-Report dient eigener Einlassung der Beteiligten zu 2) Überlegungen zur Steuerung des Geschäftsfeldes der Beteiligten zu 2). Im jährlichen Geschäftsverlauf vermag angesichts dieser Umstände nicht angenommen zu werden, es handele sich um reine Unverbindlichkeiten ohne jede Relevanz auf die Belange der Arbeitnehmer. Keinesfalls ist daher unter Berücksichtigung des § 106 Abs. 3 Nr. 10 BetrVG eine offenkundige Unzuständigkeit der Einigungsstelle anzunehmen.

b) Auch die Hinweise der Beteiligten zu 2) auf eine in Anspruch genommene Gefährdung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen vermag die Bildung der beantragten Einigungsstelle nicht zu hindern.

Die Argumentation der Beteiligten zu 2) verkennt, dass der Unternehmer gerade grundsätzlich verpflichtet ist, den Wirtschaftsausschuss auch über Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu informieren (MünchArbR/Joost Bd. 3 § 319 Rn. 55).

Eine Gefährdung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen vermag nur in Ausnahmefällen in Betracht gezogen zu werden, etwa wegen besonderer Bedeutung von Tatsachen für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens oder wegen persönlicher Umstände von Mitgliedern des Wirtschaftsausschusses.

Zu letzterem Gesichtspunkt enthält die Beschwerdebegründung keinerlei Tatsachenvortrag.

Die Prüfung der Fragestellung, ob objektiv sachliche Interessen an der völligen Geheimhaltung bestimmter Tatsachen wegen einer ansonst zu befürchtenden Gefährdung des Bestandes oder der Entwicklung des Unternehmens bestehen, muss der Prüfung der Einigungsstelle selbst vorbehalten bleiben.

Die Prüfung dieser Streitfrage ist einer Offenkundigkeitsprüfung im Bestellungsverfahren nach § 98 ArbGG nicht zugänglich; jedenfalls reicht hierzu der Sachvortrag der Beteiligten zu 2) nicht aus.

Der Beteiligten zu 2) ist daher zumutbar, eine Beschränkung ihrer Unterrichtungspflicht wegen bestehender Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zum Gegenstand des Einigungsstellenverfahrens selbst zu machen. Auch zu dieser Streitfrage hat nämlich bei Vorliegen entsprechender Voraussetzungen die Einigungsstelle eine Entscheidung herbeizuführen (BAG vom 11.07.2000 - 1 ABR 43/99 - a.a.O.).

3. Somit sind mit der Beschwerdebegründung keinerlei Umstände dargetan, die zu einer Änderung der Entscheidung des Arbeitsgerichts führten.

Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.

III. Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben, § 98 Abs. 2 Satz 4 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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