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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 29.01.2008
Aktenzeichen: 9 Sa 1208/07
Rechtsgebiete: SGB VII


Vorschriften:

SGB VII § 104 Abs. 1 S. 1
1. Es besteht kein berechtigter Anlass, die bereits mehrfach vom Bundesverfassungsgericht bejahte verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Haftungsausschlusses nach § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII bei Arbeitsunfällen sogenannter Minijobber anders zu bewerten.

2. Allein der Umstand, dass der Arbeitgeber Minijobbern, die Flurförderfahrzeuge bedienen, entgegen den Unfallverhütungsvorschriften und anders als bei Vollzeitkräften keine Sicherheitsschuhe zur Verfügung gestellt hat, begründet nicht den Vorwurf, er habe vorsätzlich den Unfall (Überfahren eines Fußes) und dessen Folgen (Bruch des Fußes) verursacht.


Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 12. Juli 2007 - 1 Ca 1/07 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger von der Beklagten Ersatz von materiellen und immateriellen Schäden aufgrund eines Arbeitsunfalls vom 27. Juni 2003 sowie Schmerzensgeld verlangen kann.

Der Kläger, geboren am 23. Februar 1945, war bei der Beklagten seit dem 2. Juni 2003 zur Aushilfe zur Kommissionierung im Zentrallager in M auf EUR 400,00-Basis (Minijob) beschäftigt. Dabei benutzte er motorbetriebenes Flurförderfahrzeug (Ameise).

Am 27. Juni 2003 erlitt der Kläger einen Arbeitsunfall, der in der Unfallanzeige der Beklagten vom 22. Dezember 2003 an die Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft wie folgt beschrieben worden ist: Er wollte mit seinem beladenen Fahrzeug in eine Kurve fahren. Da der Winkel nicht stimmte und er nicht hineinfahren konnte, setzte er rückwärts zurück, wobei laut Aussage von Herrn R das Fahrzeug aus nicht erklärbaren Gründen schneller wurde und in Richtung Wand fuhr. Aus Furcht sprang er vom fahrenden Flurförderfahrzeug ab. Dieses fuhr ihm über den linken Fuß.

Da das Kraftfahrzeug mit einer automatischen Sicherung ausgestattet ist, kam es vor einem Aufprall an der Wand zum Stehen.

Der Kläger, dem die Beklagte nicht entsprechend den Unfallverhütungsvorschriften Sicherheitsschuhe zur Verfügung gestellt hatte, erlitt eine schwere Fußverletzung, wegen derer sich der Kläger erstmals am 3. Dezember 2003 in ärztliche Behandlung begab, und zwar in die Ambulanz des St. P K in Bonn. Dort wurde ein in der Zwischenzeit deform-verheilter Verrenkungsbruch der Basis des ersten Mittelfußknochens am linken Fuß diagnostiziert.

Nach dem Unfall am 27. Juni 2003 war der Kläger von einem Mitarbeiter in den Aufenthaltsraum des Zentrallagers der Beklagten gebracht worden. Dort wartete der Kläger eine Dreiviertelstunde vergebens auf einen Vorgesetzten, den er unterwegs angetroffen hatte und der versprochen hatte, sich sogleich um ihn zu kümmern. Danach ließ er sich gegen Entgelt in Höhe von EUR 20,00 von zwei Mitarbeitern nach Hause bringen.

Am 3. Juli 2003 telefonierte der Kläger mit einem Mitarbeiter der Beklagten, der ihm empfahl, sich bei der Beklagten wieder zu melden, wenn er wieder gesund sei, bis dahin habe auch die Unfallanzeige an die Berufsgenossenschaft Zeit, für die er ohnehin wieder in den Betrieb kommen müsse. Auch in der Folgezeit gab es telefonischen Kontakt zwischen dem Kläger und Mitarbeitern der Beklagten über die Unfallanzeige. Mit Schreiben vom 1. Oktober 2003 teilte der Kläger der Beklagten mit, trotz eines an sich guten Heilungsverlaufs schwelle der Fuß bei jeder stärkeren Belastung unverändert an und schmerze. Deshalb könne er auf nicht absehbare Zeit seine Arbeit nicht wieder aufnehmen. Am 29. September 2003 habe ihm ein Mitarbeiter der Beklagten erklärt, Voraussetzung für die Erstattung der Unfallanzeige sei eine ärztliche Krankschreibung. Er, der Kläger, besitze aber leider keine Krankenversicherung mehr, so dass die Berufsgenossenschaft die medizinische Abklärung der Unfallfolgen veranlassen und bezahlen müsse.

Die Berufsgenossenschaft hat anerkannt, dass ein Arbeitsunfall vorlag.

Sie zahlte dem Kläger nach § 45 SGB VII ein Verletztengeld in Höhe von EUR 9,71 und ab 1. Juli 2004 in Höhe von EUR 9,83 pro Kalendertag für den Zeitraum 28. Juni 2003 bis 23. Dezember 2004 unter Berücksichtigung des vom Kläger vom 30. Juni 2003 bis zum 10. August 2003 bezogenen Arbeitsentgelts.

Nachdem das Sozialgericht Köln in dem vom Kläger gegen die Berufsgenossenschaft angestrengten Klageverfahren ein ärztliches Fachgutachten vom 27. Oktober 2006 eingeholt hatte, hat die Berufsgenossenschaft mit Bescheid vom 27. November 2006 festgestellt, dass ihm - ab dem 24. Dezember 2004 - auf unbestimmte Zeit eine Rente in Höhe von monatlich EUR 190,40 wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 % zusteht. Dabei hat sie nachstehende Folgen des Arbeitsunfalls berücksichtigt:

Knöchern fest verheilter Bruch der Basis des 1. Mittelfußknochens und des 1. Keilbeines des linken Fußes mit Muskelminderung des Unterschenkels, Minderbelastbarkeit des Fußes, Bewegungseinschränkung des Vorfußes, Minderbeschwielung der Fußsohle, Gang- und Standbehinderung sowie subjektive Beschwerden.

Mit der vorliegenden Klage, die nach Angaben der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 31. Dezember 2006 in den Briefkasten des Arbeitsgerichts Bonn eingeworfen worden ist, macht der Kläger geltend, die Beklagte habe ihm die entstandenen und nicht behebbaren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen und Schmerzensgeld zu zahlen.

Er ist der Ansicht, die Beklagte habe vorsätzlich den Arbeitsunfall verschuldet und auch die Folgen billigend in Kauf genommen. Dies bestreitet die Beklagte.

Das Arbeitsgericht Bonn hat durch Urteil vom 12. Juli 2007 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, für die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche gelte der Haftungsausschluss nach § 104 SGB VII. Der Kläger habe keine ausreichenden Indizien dafür vorgetragen, dass die Beklagte den Unfall gewollt und gebilligt habe. Auch bei einer vorsätzlichen Missachtung von Unfallverhütungsvorschriften könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Unfall vorsätzlich herbeigeführt worden sei. Zu einer medizinischen Hilfeleistung seien die Mitarbeiter der Beklagten nicht in der Lage gewesen. Der Kläger habe selbst entschieden, sich nach Hause und nicht in ein Krankenhaus zu begeben. Auch aus dem Nichterstatten der Unfallanzeige innerhalb von drei Tagen nach dem Unfall könne nicht geschlossen werden, dass die Beklagte vorsätzlich die Unfallfolgen herbeigeführt habe.

Das Urteil ist dem Kläger am 31. August 2004 zugestellt worden. Er hat hiergegen am 1. Oktober 2007 (Montag) Berufung einlegen und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 7. November 2007 - am 7. November 2007 begründen lassen.

Er hält den Haftungsausschluss nach § 104 SGB SGB VII für verfassungswidrig, soweit dieser dazu führe, dass er sich mit einem Verletztengeld in Höhe von EUR 9,71 bzw. EUR 9,83 pro Kalendertag habe begnügen müssen. Es liege eine sachwidrige, gegen Art. 3 GG verstoßende Ungleichbehandlung vor, da die Besonderheiten eines Minijobs nicht berücksichtigt würden. Mit einer solchen Beschäftigung werde die Möglichkeit zum Erwerb von Arbeitseinkommen nur zu einem Bruchteil ausgeschöpft. Er hat angeregt, zunächst durch Zwischenurteil über den Anspruchsgrund zu entscheiden und die Revision zuzulassen.

Er trägt unter Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen vor, die Beklagte habe vorsätzlich den Unfall verursacht. Aus einem Sicherheitsbrief der zuständigen Berufsgenossenschaft habe sich ohne weiteres sowohl die Unfallgefahr als auch die erlittene Fußverletzung als typische Unfallfolge ergeben. Zu berücksichtigen sei auch, dass sie den Vollzeitkräften Sicherheitsschuhe zur Verfügung gestellt, dagegen den Minijobbern vorenthalten habe. Daraus ergebe sich, dass sie eine mögliche Fußverletzung billigend in Kauf genommen habe. Dies sei durch das abwiegelnde Verhalten der Beklagten in der Folgezeit bestätigt worden.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Bonn vom 12. Juli 2007 - 1 Ca 1/07 -

1. a) die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Zeit vom 27. Juni 2003 bis zum 8. Mai 2007 ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das unter Berücksichtigung aller in der Klagebegründung und nachfolgend dargelegten Umstände und Bemessungskriterien ausübende Ermessen des Gerichts gestellt wird, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit,

1. b) die Beklagte zur verurteilen, an ihn beginnend mit dem 28. Juni 2003 eine jeweils vierteljährlich bis zum 3. Werktag des entsprechenden Monats vorauszahlbare Rente wegen Verdienstausfalls zu zahlen, deren Bemessung - unter entsprechendem Abzug der Sozialleistungen - und möglicher Dauer mit Blick auf den Feststellungsantrag zu Ziffer 2 mit gleicher Maßgabe wie zu Ziffer a genannt in das Ermessen des Gerichts gestellt wird - die Rückstände sofort und zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit, die künftig fällig werdenden Rentenbeträge mit gleicher Zinspflicht ab dem 4. Werktag des entsprechenden Fälligkeitsmonats,

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm jeden mit der am 9. Mai 2007 im M A stattgefundenen Fußoperation verbundenen, resp. verbleibenden materiellen und immateriellen Schaden aus dem Arbeitsunfall vom 27. Juni 2003 zu ersetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie hält die vom Kläger vorgetragenen Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit von § 104 SGB VII für nicht stichhaltig, da ihm wie anderen Arbeitnehmern Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung erbracht würden. Sie hat in der mündlichen Verhandlung am 29. Januar 2008 erklärt, es treffe zwar zu, dass sie dem Kläger keine Sicherheitsschuhe zur Verfügung gestellt habe. Es sei aber nicht richtig, dass sie generell Minijobbern keine Sicherheitsschuhe zur Benutzung überlassen habe. Sie bestreitet in der Berufungsbeantwortung, dass dieses Fehlverhalten ursächlich für die erlittene Fußverletzung des Klägers gewesen ist. Sie habe keinesfalls den Verletzungserfolg billigend in Kauf genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung ist zulässig.

Sie ist nach § 64 Abs. 2 b ArbGG statthaft und wurde innerhalb der Fristen nach § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG eingelegt und begründet.

II. Die Berufung hat in der Sache aber keinen Erfolg.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Ersatz seiner Personenschäden und auch keinen Anspruch auf Schmerzensgeld, namentlich gestützt auf §§ 823, 253 BGB, da ihre Ersatzpflicht gemäß § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII ausgeschlossen ist.

Nach § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII sind Unternehmer den gesetzlich Unfallversicherten, die für ihr Unternehmen tätig sind, zum Ersatz von Personenschäden nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 - 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt haben. Die Norm bezieht sich auf alle Haftungsgründe des bürgerlichen Rechts einschließlich der Gefährdungshaftung z. B. nach den Vorschriften des StVG (vgl. BAG, Urteil v. 19. August 2004 - 8 AZR 349/03 -).

1. Die vom Kläger gegen die Vorschrift erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken sind nicht stichhaltig.

a.) Die bis zum 31. Dezember 1996 geltenden §§ 636 ff. RVO als Vorläuferbestimmungen der §§ 104 ff. SGB VII und ihre beamtenrechtlichen Parallelnormen (§ 46 Abs. 2 BeamtVG, § 91 a SVG) sind im Hinblick darauf, dass sie auch den Anspruch auf Schmerzensgeld ausschließen, obwohl die gesetzliche Unfallversicherung immaterielle Schäden nicht ersetzt, mehrfach Gegenstand verfassungsrechtlicher Prüfung gewesen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Normenkontrollanträge und Verfassungsbeschwerden stets zurückgewiesen (BVerfG, Beschlüsse vom 7. November 1972 - 1 BvL 4/71 - und vom 8. Februar 2005 - 1 BvR 753/94 -). Dazu hat es ausgeführt, das Entschädigungssystem der Unfallversicherung sei insgesamt nicht ungünstiger als das des Privatrechts, weil es anders als dieses Leistungen einerseits auch dann gewähre, wenn der Unfall nicht von einem Dritten verschuldet worden sei, und andererseits ein Mitverschulden des Verletzten nicht zu einer Leistungskürzung führe. Zudem hätten § 93 Abs. 2 Nr. 2 a SGB VI und § 57 SGB VII die Situation des Schwerverletzten weiter verbessert, indem die Unfallrente teilweise nicht mehr auf die Erwerbminderungsrente angerechnet, bzw., wenn eine solche nicht zu zahlen sei, der Verletzte infolge des Unfalls aber einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen könne, um 10 % erhöht werde. Damit werde den Schwerverletzten nunmehr eine Leistung gewährt, die über den materiellen Schadensausgleich hinausreiche und dementsprechend nur als Kompensation der Einbußen an Immaterialgüterrechten verstanden werden könne. In der dem Sozialversicherungsrecht typischen pauschalierenden Betrachtungsweise werde damit der Entzug des Schmerzensgeldanspruchs durch die §§ 104 ff. SGB VII zumindest teilweise kompensiert (BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 1995 - 1 BvR 753/94 -; ErfK-Rolfs, Arbeitsrechtskommentar, 8. Aufl., § 104 SGB VII Rdn. 3).

2. Für eine andere Betrachtungsweise besteht entgegen der Ansicht des Klägers bei sogenannten Minijobs kein berechtigter Anlass. Auch geringfügig Beschäftigte werden in der Unfallversicherung versichert. Sie haben im Falle einer durch Arbeitsunfall verursachten Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Verletztengeld, dessen Höhe sich nach § 47 SGB VII richtet. Bei Mehrfachbeschäftigten sind der Berechnung des Verletztengeldes grundsätzlich die Arbeitsentgelte aus allen Beschäftigungsverhältnissen als Gesamtregelentgelt zugrunde zu legen (vgl. BSG, Urteil vom 21. März 1974 - 8 RU 81/73 -; KassKommentar-Ricke, Sozialversicherungsrecht, § 47 SGB VII Rdn. 4). Dies gilt auch, wenn ein Arbeitnehmer neben seiner geringfügigen Beschäftigung selbständig unternehmerisch tätig ist (vgl. KassKommentar-Ricke, a.a.O., § 47 SGB VII Rdn. 7).

Geringfügig Beschäftigte erhalten ebenfalls eine Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit unter den Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 SGB VII. Bei der Berechnung gilt ein Mindestjahresarbeitsverdienst nach § 85 SGB VII.

2. Den Unfall am 27. Juni 2003 hat der Kläger bei einer versicherten Tätigkeit erlitten. Es handelt sich um einen Arbeitsunfall, der von dem Unfallversicherungsträger anerkannt ist (§ 8 SGB VII).

3. Der Haftungsausschluss greift, da die Beklagte den Versicherungsfall nicht vorsätzlich herbeigeführt hat. Es bestehen keinerlei berechtigte Anhaltspunkte für die Annahme des Klägers, dass die Geschäftsführer, der Leiter des Zentrallagers oder ein anderer Vertreter der Beklagten in Meckenheim den Unfall und den Personenschadens des Klägers billigend in Kauf genommen haben.

a.) Auch nach Inkrafttreten der §§ 104, 105 SGB VII gilt, dass die Haftungsbeschränkung des Unternehmens oder der im selben Betrieb Beschäftigte nur dann wegen Vorsatz entfällt, wenn der Schädiger den Arbeitsunfall gewollt oder für den Fall seines Eintritts gebilligt hat. Danach genügt es für die Entsperrung des Haftungsausschlusses nicht, dass ein bestimmtes Handeln, das für den Unfall ursächlich war, gewollt und gebilligt wurde, wenn der Unfall selbst nicht gewollt und nicht gebilligt wurde. Der Vorsatz muss nicht nur die Verletzungshandlung, sondern auch den Verletzungserfolg umfassen. Der Versicherungsfall ist erst eingetreten, wenn die Verletzungshandlung auch zu einem Schaden, also zu einem Verletzungserfolg geführt hat. Zudem gebietet die gesetzliche Regelung, den Versicherungsschutz nur dann zu versagen, wenn die mit dem Unfallversicherungsschutz zusammenhängende Freistellung von der Haftung nicht mehr hinnehmbar erscheint (vgl. BAG, Urteil vom 19. August 2004 - 8 AZR 349/03 -; ErfK-Rolfs, a.a.O., § 104 SGB VII Rdn. 24; KassKommentar-Ricke, a.a.O., § 104 SGB VII Rdn. 12).

b.) Selbst wenn der Geschäftsführer oder sonstige Vertreter der Beklagten im Zentrallager in M in Kenntnis des Sicherheitsbriefes der zuständigen Berufsgenossenschaft über die Benutzung von Fuß- und Beinschutz bei der Bedienung von Flurförderfahrzeugen dem Kläger und anderen Minijobbern keine Sicherheitsschuhe zur Verfügung gestellt haben sollten, rechtfertigt dies nicht die Annahme, die für die Beklagte verantwortlich handelnden Personen hätten mit einem solchen Unfall gerechnet und diesen billigend in Kauf genommen. Allenfalls könnte ihnen ein grob fahrlässiges, nicht aber ein vorsätzliches Herbeiführen des Unfalls vorgeworfen werden.

Das Bundesarbeitsgericht hat bereits wiederholt entschieden, dass die vorsätzliche Verletzung von Unfallverhütungsvorschriften nicht die Annahme rechtfertigt, der Unfall sei vorsätzlich herbeigeführt worden (vgl. BAG, Urteil vom 10. Oktober 2002 - 8 AZR 103/02 - und vom 19. August 2004 - 8 AZR 349/03 -; so auch: LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 23. August 2004 - 1 Ta 106/04 -; LAG Hamm, Urteil vom 11. August 2006 - 13 Sa 282/06 -; KassKommentar-Ricke, a.a.O., § 104 Rdn. 12). Grobe Fahrlässigkeit und nicht bedingter Vorsatz liegt vor, wenn der Unternehmer den möglicherweise eintretenden Erfolg zwar sieht, aber hofft, er werde ausbleiben, oder wenn es ihm gleichgültig ist, ob er eintritt (vgl. BAG, Urteil vom 8. Dezember 1970 - 1 AZR 81/70 -; ErfK-Rolfs, a.a.O., § 104 SGB VII Rdn. 24).

Es fehlen jegliche Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte billigend in Kauf genommen hat, dass Arbeitnehmer beim Bedienen der Flurförderfahrzeuge Fußverletzungen wegen fehlender Sicherheitsschuhe erleiden. Ein Unternehmer, der gegen ihm bekannte Unfallverhütungsvorschriften verstößt, hofft regelmäßig darauf, dass es nicht zu einem Unfall kommt. Allenfalls ist es ihm gleichgültig. Es sind auch keine besonderen Umstände ersichtlich, die zwingend den Schluss rechtfertigen, die Beklagte habe den Unfall billigend in Kauf genommen. Insbesondere fehlen jegliche Erklärungen der Beklagten in dieser Richtung. Ihr kann nicht einmal vorgehalten werden, sie habe aufgrund von selbst gemachten Erfahrungen eigentlich nicht hoffen dürfen, dass solche Unfälle ausbleiben würden. Es ist nicht ersichtlich, dass es in der Vergangenheit bereits derartige Unfälle in ihrem Betrieb gegeben hat. Im Übrigen könnte auch dann (nur) grobe Fahrlässigkeit mit der Begründung bejaht werden, die Folgen ihrer Pflichtverletzung seien ihr gleichgültig gewesen.

c.) Auch das nach Ansicht des Klägers abwiegelnde Verhalten der Beklagten in der Folgezeit rechtfertigt nicht den Schluss, die Beklagte habe den Arbeitsunfall vorsätzlich herbeigeführt. Weder der Umstand, dass sich kein Vertreter der Beklagten sofort um den verletzten Kläger kümmerte, noch die verzögerte Erstattung der Unfallanzeige zwingen zu dem Schluss, die Beklagte habe zum Unfallzeitpunkt den Unfall und die Folgen billigend in Kauf genommen. Es sind nachträgliche Umstände, die keine Aussage über die Einstellung der Beklagten bei Eintritt des Unfalls zulassen.

Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte die Unfallfolgen überhaupt übersehen hat. Das Ausmaß der Verletzung hätte nur durch eine ärztliche Untersuchung geklärt werden können. Weshalb es nicht zu dieser Untersuchung gekommen ist, ergibt sich aus dem Schreiben des Klägers vom 1. Oktober 2003. Er besaß keine Krankenversicherung und sah sich aus finanziellen Gründen gehindert, einen Arzt aufzusuchen. Als er dies der Beklagten mitteilte, lag der Unfall bereits mehr als 3 Monate zurück. Nach eigenen Angaben hatte der Kläger zuvor im August, also auch erst mehr als einen Monat nach dem Unfall, einen niedergelassenen Durchgangsarzt kontaktiert, der ihn nur gegen Bezahlung untersuchen wollte. Es kommt hinzu, dass der Kläger die Schwere der Verletzung verkannte und auf eine vollständige Genesung ohne ärztliche Behandlung vertraute. Auch dies ergibt sich aus dem Schreiben des Klägers an die Beklagte vom 1. Oktober 2003, die sich offensichtlich dieser Einschätzung des Klägers anschloss. Die Konsultation eines Arztes sollte nicht erfolgen, um Verletzungsfolgen zu beseitigen, sondern um eine ärztliche Krankschreibung zur Vorlage bei der Berufsgenossenschaft zu erlangen, damit diese (finanzielle) Leistungen erbrachte.

Soweit dieses einvernehmliche Abwarten dazu geführt hat, dass sich die Unfallfolgen verschlimmert haben, greift ebenfalls der Haftungsausschluss nach § 104 SGB VII. Er gilt auch für Spätfolgen eines Unfalls (vgl. dazu: BAG, Urteil vom 24. Juni 2004 - 8 AZR 292/03 -).

Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge nach § 97 ZPO zurückzuweisen.

Die Revision war nicht zuzulassen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung. Die sich dabei stellenden Rechtsfragen sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung beantwortet.

Ende der Entscheidung

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