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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 28.06.2005
Aktenzeichen: 9 Sa 1623/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 626 Abs. 1
Verhaltensbedingte Kündigung wegen Übergabe von Fotografien, mit denen in ehrverletzender Weise auf das häufige Zähneputzen eines Arbeitskollegen angespielt wird.
Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 07.10.2004 - 7 Ca 2650/04 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch eine außerordentliche Kündigung des beklagten Universitätsklinikums beendet worden ist.

Der Kläger ist bzw. war bei dem beklagten Universitätsklinikum seit dem 1. Juli 2002 als Krankenpfleger zu einer monatlichen Vergütung von zuletzt EUR 2.595,00 brutto beschäftigt. Er war ausschließlich tätig auf der Station PS 09 der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Bundesangestellten-Tarifvertrag (BAT) Anwendung.

Mit Schreiben vom 6. Mai 2004 kündigte das beklagte Universitätsklinikum das Arbeitsverhältnis fristlos mit der Begründung, er habe seinen Arbeitskollegen H aufs Übelste in den Diensträumen der Klinik beleidigt. Er habe gewusst, dass ein weiterer Mitarbeiter, Herr S , im April 2004 vorsätzlich 3 Diensthosen des Herrn H im Schritt aufgeschnitten habe, um ihn bloß zu stellen. Der Kläger habe weder versucht, die Beschädigung zu verhindern, noch Herrn H zu schützen. Zudem habe der Kläger zusammen mit den Mitarbeitern Herr und Frau S auf der Station mehrere Fotografien hergestellt, auf denen zwei entblößte Gesäße (des Klägers und des Herrn S ) zu sehen seien, in die die Zahnbürste von Herrn H anal eingeführt worden sei. Der Kläger habe die Fotografien in einem Umschlag Herrn H mit dem Bemerken übergeben, der Brief sei über die Hauspost gekommen. Zwar habe der Kläger angegeben, es habe sich um einen Scherz gehandelt, er habe keine persönlichen Differenzen mit Herrn H . Jedoch lehne Herr H es ab, weiter mit dem Kläger und den Eheleuten S zusammen zu arbeiten. Durch sein Handeln habe der Kläger das Vertrauensverhältnis zu dem Arbeitgeber unwiderruflich zerstört.

Mit der vorliegenden Klage, die am 13. Mai 2004 beim Arbeitsgericht Aachen eingegangen ist, wendet sich der Kläger gegen die Kündigung. Er macht geltend, es fehle an einem wichtigen Grund, der das beklagte Universitätsklinikum zum Ausspruch der Kündigung berechtigt habe. Er habe nichts von einer angeblichen Absicht des Herrn S gewusst, Diensthosen des Herrn H zu zerschneiden. Er und die Eheleute S seien mit Herrn H befreundet, wobei ein rauer Umgang üblich sei. Mit den Fotografien hätten sie eine Manie des Herrn H karikieren wollen, der auch während des Nachtdienstes alle zwei Stunden seine Zähne putze. Die Fotos seien außerhalb seiner Arbeitszeit gefertigt worden. Er habe sie auch außerhalb seiner Arbeitszeit Herrn H übergeben. Herr H habe seinerseits ihm und den Eheleuten S pädophile und sexistische Witze erzählt und sich während des Nachtdienstes im Patiententagesraum Horrorfilme und Filme mit brutalen Vergewaltigungs- und sonstigen Gewaltszenen angesehen. Zudem hat der Kläger bestritten, dass der Personalrat vor Ausspruch der Kündigung beteiligt worden ist.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 6. Mai 2004 nicht aufgelöst worden ist.

Das beklagte Universitätsklinikum hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das beklagte Universitätsklinikum hat vorgetragen, es habe sich nicht um einen Scherz unter Freunden gehandelt. Zwischen dem Kläger und Herrn H habe es Differenzen gegeben, weil Herr H eine Beziehung zu einer früheren Freundin des Klägers aufgenommen habe. Wiederholt sei Herr H Opfer der Attacken seiner Arbeitskollegen geworden. Dem Kläger fehle die für seine Tätigkeit erforderliche Charakterstärke. Der Betriebsfrieden sei gravierend gestört. Der Personalrat habe dem Ausspruch der Kündigung zugestimmt.

Durch Urteil vom 7. Oktober 2004 hat das Arbeitsgericht Aachen der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, zwar sei die Mitwirkung des Klägers an der Fotoaktion an sich ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung. Es liege eine Herabwürdigung der Persönlichkeit und Würde von Herrn H vor. Es müsse aber berücksichtigt werden, dass der Kläger mit Herrn H befreundet sei, ein lockerer Umgangston geherrscht habe und derbe Scherze nicht unüblich gewesen seien. Der Kläger habe nicht damit rechnen müssen, dass sich Herr H an die Pflegedienstleistung wende. Es liege auch keine nachhaltige Störung des Betriebsfriedens vor. Zum einen könne Herrn H verdeutlicht werden, dass er durch sein Verhalten zu der Ehrverletzung beigetragen habe. Zum anderen könne die Beklagte den Kläger und die Eheleute S auf eine andere Station versetzen. Durch Ausspruch einer Abmahnung könne erreicht werden, dass der Kläger in Zukunft ein solches Verhalten unterlasse.

Das Urteil ist dem beklagten Universitätsklinikum am 13. Dezember 2004 zugestellt worden. Es hat hiergegen am 27. Dezember 2004 Berufung einlegen und diese am 10. Februar 2005 begründen lassen.

Das beklagte Universitätsklinikum trägt vor, der Kläger und das Ehepaar S hätten Herrn H systematisch gemoppt. So sei ein Brechmittel beschafft worden, um es Herrn H zu verabreichen. Auch von dem Zerschneiden der Diensthosen des Herrn H habe der Kläger gewusst. Durch die Fotografien sei Herr H gezielt verunglimpft worden. Auch sei in dem Verfahren gegen Frau S bekannt geworden, dass Herr H durch Kollegen mehr als 1 Stunde lang gefesselt worden sei. Das Arbeitsgericht hätte die Zeugen und Beteiligten hören müssen. Alle Handlungen des Klägers hätten Bezug zum Klinikum. Die Pflege von Patienten könne nicht solchen Bediensteten anvertraut werden, die sich wie der Kläger und die Eheleute S verhielten.

Das beklagte Universitätsklinikum beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Aachen vom 7. Oktober 2004 - 7 Ca 2650/04 - die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, aufgrund der Freundschaft und der privaten Kontakte zwischen ihm, den Eheleuten S und Herrn H sei auf der Station PS 09 ein ausgesprochen rauer Umgangston allseits akzeptiert worden. Weder habe er etwas mit einem angeblichen Zerschneiden von Diensthosen noch mit einer Fesselung des Herrn H zu tun. Das von dem beklagten Universitätsklinikum vorgelegte Protokoll über seine Anhörung am 23. April 2004 habe er nicht unterzeichnet.

Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung ist zulässig.

Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 c ArbGG statthaft und wurde innerhalb der in § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG vorgeschriebenen Fristen eingelegt und begründet.

II. Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Durch die Kündigung vom 6. Mai 2004 ist das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht beendet worden.

1. Das Verhalten des Klägers stellt unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht einen wichtigen Grund zur außerordentlichen fristlosen Kündigung im Sinne der §§ 626 Abs. 1 BGB, 54 Abs. 1 BAT dar.

Bei der Prüfung hat eine Orientierung an den allgemeinen Grundsätzen zur Bestimmung des wichtigen Grundes nach § 626 Abs. 1 BGB zu erfolgen. Verwendet ein Tarifvertrag den Begriff des wichtigen Grundes, ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien diesen in seiner allgemeingültigen Bedeutung im Sinne des § 626 BGB verstanden wissen wollen (vgl. BAG, Urteil vom 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 -).

2. Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers, seiner Vertreter oder von Arbeitskollegen, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, können einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellen und eine außerordentliche fristlose Kündigung an sich rechtfertigen. Auch eine einmalige Ehrverletzung ist kündigungsrelevant und umso schwerwiegender, je unverhältnismäßiger und je überlegter sie erfolgte (vgl. BAG, Urteil vom 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 -).

Die Übergabe der Fotografien, auf denen zwei entblößte Gesäße zu sehen sind, in die eine Zahnbürste anal (zum Zwecke der Reinigung des Darmausgangs) eingeführt worden ist, stellt eine grobe Beleidigung des Arbeitskollegen H dar. Der "Vorschlag", zu Zweit diese Prozedur auszuführen, kann zudem als ehrverletzende Unterstellung mit sexuellem Inhalt zu deuten sein.

Die Ehrverletzung war rechtswidrig. Der Kläger hat einen anzuerkennenden Rechtfertigungsgrund nicht vorgetragen. Das Recht der freien Meinungsäußerung aus Art. 5 GG schützt keine Beleidigungen und Schmähungen (vgl. BVerfG vom 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 -).

Der Kläger hat auch vorsätzlich und geplant gehandelt.

3. Für eine aktive Beteiligung des Klägers an weiteren Handlungen zum Nachteil des Herrn H sind keine begründeten Anhaltspunkte von der Beklagten vorgetragen worden. Sie bezieht sich bei ihrem Vorbringen auf die Angaben des Klägers bei seiner Anhörung vor Ausspruch der Kündigung, wobei anzumerken ist, dass der Kläger die Richtigkeit des Protokolls bestreitet. Ausweislich des von ihr vorgelegten Anhörungsprotokolls hat der Kläger abgestritten, an der Beschaffung eines Brechmittels und einer Verabredung, das Mittel Herrn H zu verabreichen, beteiligt gewesen zu sein. Die Richtigkeit des Anhörungsprotokolls hat die von der Beklagten benannte Zeugin S durch ihre Unterschrift bestätigt. Gleiches gilt für das Zerschneiden der Diensthosen des Herrn H . Der Kläger hat dazu - nach dem Vorbringen der Beklagten - nur angegeben, von der Absicht des Herrn S gewusst zu haben und dagegen nicht rechtzeitig eingeschritten zu sein, sich also passiv verhalten zu haben. Dass der Kläger an der Fesselung des Herrn H durch Arbeitskollegen beteiligt war, hat die Beklagte selbst nicht behauptet.

4. Bleibt mithin als vorwerfbares Verhalten ausschließlich die Ehrverletzung durch Übergabe der beanstandeten Fotografien, so erweist sich unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles der Ausspruch der Kündigung als unverhältnismäßig (vgl. zu diesem Prüfungsmaßstab: BAG, Urteil vom 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 -).

Zunächst ist zu beachten, dass der Kläger offensichtlich nicht die treibende Kraft war, sondern der Mitarbeiter S , der an allen Handlungen (Fotografien, Zerschneiden der Hosen, Brechmittel, Fesselung) aktiv teilgenommen haben soll. Auch hat die Beklagte weder erstinstanzlich noch in der Berufungsbegründung zu dem Vorbringen des Klägers Stellung genommen, Herr H habe seinerseits durch pädophile und sexistische Witze und durch das Abspielen von Horrorfilmen und Filmen mit Vergewaltigungs- und sonstigen Gewaltszenen im Patiententagesraum, der auch für andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zugänglich sei, die auf der Station übliche Toleranzschwelle im Umgang miteinander erheblich verändert. Ihr erstmaliges Vorbringen in der Berufungsverhandlung, bei einer polizeilichen Ermittlung seien keine Dateien mit verbotenem Inhalt vorgefunden worden, ist nicht aussagekräftig. Es ging um Witze sowie um Video- und DVD-Filme, die Herr H bereits an einen anderen Ort verbracht haben konnte. Des weiteren hat sie keine Stellung zu dem Vorbringen des Klägers genommen, zwischen dem Kläger, den Eheleuten S und Herr H habe es private Kontakte gegeben, die zu einem "lockeren Umgang" geführt hätten.

Angesichts dessen kann dem Kläger auch nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe durch die grobe Beleidigung den Betriebsfrieden ernsthaft gestört. Vielmehr haben eine Reihe von Umständen zu einer Eskalation geführt, wobei der Kläger nicht den entscheidenden Anteil hatte. Zu berücksichtigen ist, dass der Kläger bereits bei der Anhörung am 26. April 2004 erklärt haben soll, die Übergabe der Fotografien sei von ihm als Scherz gemeint gewesen, er sei sich nicht über die Ausmaße im klaren gewesen, es sei kein persönlicher Angriff gegen Herrn H beabsichtigt gewesen Abschließend heißt es in dem Anhörungsprotokoll, der Kläger sei im ganzen sehr einsichtig gewesen und haben den Vorfall bedauert. Es ist von der Beklagten nicht dargetan worden, dass sie unter Berücksichtigung dieser Stellungnahme des Klägers versucht hat, zwischen dem Kläger und Herrn H zu vermitteln.

Die Kammer teilt die Meinung des Arbeitsgerichts, dass angesichts dieser Einzelfallumstände die Beklagte den Kläger zunächst hätte abmahnen müssen. Der Kläger musste nicht damit rechnen, dass sein Verhalten zum Ausspruch einer Kündigung, geschweige denn einer fristlosen, führen konnte. Die Beklagte hatte schon bei der Anhörung festgestellt, dass sich der Kläger einsichtig zeigte und folglich eine Wiederholung ehrverletzender Erklärungen gegenüber Arbeitskollegen nicht zu befürchten war.

Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.

Rechtsmittelbelehrung

Die Berufung wurde nicht zugelassen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a ArbGG wird hingewiesen.



Ende der Entscheidung

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