Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 28.12.2005
Aktenzeichen: 9 Ta 361/05
Rechtsgebiete: GG, ZPO


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 1
ZPO § 355 Abs. 2
1. Für die Zulassung einer außerordentlichen Beschwerde gegen einen grundsätzlich unanfechtbaren Beweisbeschluss (§ 355 Abs. 2 ZPO) besteht solange kein Bedürfnis, wie eine Korrektur der angegriffenen Entscheidung auf einem Wege möglich ist, der weniger stark in das gesetzliche Rechtsmittelsystem eingreift. Danach ist vorrangig durch eine Gegenvorstellung die Kammer, die den Beweisbeschluss erlassen hat, zu einer Selbstkorrektur zu veranlassen.

2. Eine außerordentliche Beschwerde ist auf Fälle krassen Unrechts zu beschränken. Die Entscheidung muss mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin unvereinbar sein, weil sie jeder rechtlichen Grundlage entbehrt und dem Gesetz inhaltlich fremd ist.

3. Einem gekündigten Arbeitnehmer widerfährt nicht krasses Unrecht, wenn das Arbeitsgericht über die Behauptung, der Arbeitnehmer habe bei seiner Tätigkeit für die Flughafenbetreiberin im Laderaum eines Flugzeugs Gegenstände aus Gepäckstücken der Fluggäste entwendet, Beweis erhebt durch Ansicht der heimlich von der Fluggesellschaft hergestellten Videoaufzeichnungen.

4. Eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts des bei der Flughafenbetreiberin gebildeten Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG liegt nicht vor, wenn ohne Wissen der Flughafenbetreiberin eine Fluggesellschaft heimlich die Flugzeugabfertiger während ihrer Tätigkeit im Laderaum ihrer Flugzeuge überwacht.


Tenor:

Die außerordentliche Beschwerde des Klägers gegen den Beweisbeschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 16. September 2005 - 5 Ca 4318/05 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Gründe: I. Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 5. November 1984 als Flugzeugabfertiger beschäftigt. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 27. April 2005 das Arbeitsverhältnis fristlos mit der Begründung gekündigt, der Kläger habe am 6. März 2005 zwischen 8.50 Uhr und 9.10 Uhr im Laderaum eines Flugzeugs der Fluggesellschaft B auf dem K Koffer von Fluggästen geöffnet, den Kofferinhalt durchsucht und Gegenstände aus den Koffern in seiner Kleidung versteckt. Die Fluggesellschaft habe in dem Laderaum heimlich Videobilder aufgenommen, auf denen der Kläger zu erkennen sei. Nachdem die Fluggesellschaft bei der Polizei Strafanzeige erstattet habe und sie am 7. April 2005 davon erfahren habe, sei der Kläger am 8. April 2005 angehört worden. Der Kläger streitet ab, Koffer von Fluggästen geöffnet und durchsucht zu haben und Gegenstände an sich genommen zu haben. Der Betriebsrat ist vor Ausspruch der Kündigung angehört worden. Er hat ihr u. a. mit dem Hinweis widersprochen, die Videoaufzeichnungen seien ohne seine Zustimmung gefertigt worden. Durch Beschluss vom 16. September 2005 hat die 5. Kammer des Arbeitsgerichts Köln beschlossen, über den Kündigungsvorwurf Beweis zu erheben durch Ansicht der Videoaufzeichnungen. Dagegen hat der Kläger mit einem am 30. September 2005 beim Arbeitsgericht Köln eingegangenen Schriftsatz außerordentliche Beschwerde eingelegt und zugleich eine Gegenvorstellung eingereicht. Er ist der Ansicht, die Videoaufzeichnungen seien unter Verletzung seines Persönlichkeitsrechts und des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Ziff. 6 BetrVG hergestellt worden. Sie unterlägen daher einem Beweisverwertungsverbot. Sofern die Beweisaufnahme in einer - öffentlichen - Gerichtsverhandlung durchgeführt werde, werde sein Persönlichkeitsrecht erneut verletzt. Die Beklagte ist der Ansicht, die außerordentliche Beschwerde sei bereits unzulässig, da Beweisbeschlüsse nach § 355 Abs. 2 ZPO nicht selbständig anfechtbar seien. Ein Beweisverwertungsverbot bestehe nicht. Die Fluggesellschaft habe ohne Wissen der Beklagten aufgrund zahlreicher Meldungen über Diebstähle aus dem Gepäck der Fluggäste bestimmte Flugzeuge mit versteckten Videokameras in dem Laderaum ausgestattet. Die Fluggesellschaft habe ihr Folgendes mitgeteilt: Sie setze diese Flugzeuge im gesamten Streckennetz ein. Die Videoaufzeichnungen könnten im Flugzeuginneren angesehen werden. Sie würden aber auch unter Beachtung der in G geltenden Datenschutzbestimmungen auf einer herausnehmbaren Festplatte abgespeichert, die von besonders beauftragten Sicherheitsmitarbeitern entfernt und zur Untersuchung in die Hauptniederlassung gebracht werde. Nach der Auswertung durch besonders beauftragte Sicherheitsmitarbeiter würden die Aufzeichnungen gelöscht, es sei denn, sie enthielten Hinweise auf Diebstähle. In diesem Fall würden die relevanten Daten auf andere Speichermedien kopiert und ausschließlich zum Zwecke der Strafverfolgung und Vorbeugung von Straftaten verwandt. Seit Mai 2002 seien weltweit über 350 Personen identifiziert worden, die Gepäck der Fluggäste beschädigt oder durchsucht hätten oder aus dem Gepäck Gegenstände gestohlen hätten. Nach Meldung von Vorfällen sei die Diebstahlsquote auf Flughäfen in Miami, Paris und Budapest um 60 % bis 92 % gesunken. Der Vorsitzende der 5. Kammer des Arbeitsgerichts hat eine Abhilfe der Beschwerde mit der Begründung abgelehnt, es handle sich um einen Kammerbeschluss. II. Die außerordentliche Beschwerde hat keinen Erfolg. 1. Die Beschwerde ist als außerordentlicher Rechtsbehelf nicht zulässig. Ein Zwischenbeschluss in der Form eines Beweisbeschlusses ist grundsätzlich unanfechtbar (§ 355 Abs. 2 ZPO). Für eine Zulassung eines außerordentlichen Rechtsbehelfs besteht solange kein Bedürfnis, wie eine Korrektur der angegriffenen Entscheidung auf einem Wege möglich ist, der weniger stark in das gesetzliche Rechtsmittelsystem eingreift. Eine solche Korrekturmöglichkeit besteht und ist vom Kläger auch ausdrücklich in der Beschwerdeschrift mit dem Hinweis, er erhebe gleichzeitig eine Gegenvorstellung, benannt worden. Das Bundesverfassungsgericht hat die Fachgerichte wiederholt dazu angehalten, durch eine grundrechtlich orientierte Handhabung der Prozessvorschriften dafür Sorge zu tragen, dass in ihrem Verfahren eingetretene Grundrechtsverstöße beseitigt werden. Es hat dies auch in seinem Beschluss vom 26. Januar 2005 - 2 BvR 1899/04 -, der eine Verfassungsbeschwerde gegen einen Beweisbeschluss eines Verwaltungsgerichts betraf, wiederholt. Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist von dem Bundesarbeitsgericht (vgl. Beschluss vom 22. Oktober 1999 - 5 AZB 21/99 - NZA 2000, 503, 504) und von dem Bundesgerichtshof (vgl. Beschluss vom 7. März 2002 - IX ZB 11/02 - NJW 2002, 1577) aufgegriffen worden. Danach ist von dem iudex a quo vorrangig zu prüfen, ob eine Selbstkorrektur zu erfolgen hat. Das Arbeitsgericht hat bislang nicht über die Gegenvorstellung entschieden. Allein der Umstand, dass es sich bei dem angegriffenen Beweisbeschluss um eine Kammerentscheidung handelt und daher die Entscheidung über die Gegenvorstellung auch von der Kammer zu treffen ist (vgl. dazu: Schwab/Weth, ArbGG, § 78 Rdn. 45), steht einer Bescheidung der Gegenvorstellung nicht entgegen. 2. Eine gleichwohl für zulässig gehaltene außerordentliche sofortige Beschwerde wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Entscheidung wäre jedenfalls unbegründet. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vor der Zivilprozessreform vom 27. Juli 2001 ist eine solche außerordentliche sofortige Beschwerde auf wirkliche Ausnahmefälle krassen Unrechts zu beschränken. Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn die Entscheidung mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin unvereinbar ist, weil sie jeder rechtlichen Grundlage entbehrt und dem Gesetz inhaltlich fremd ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer Gesetzesauslegung beruht, die offensichtlich dem Wortlaut und dem Zweck des Gesetzes widerspricht und die eine Gesetzesanwendung zur Folge hat, die durch das Gesetz ersichtlich ausgeschlossen werden sollte. Es reicht nicht aus, wenn sich die angefochtene Entscheidung lediglich als rechtsfehlerhaft erweist. Verfassungsverstöße sind - nach vergeblicher Gegenvorstellung - mit der vom Gesetzgeber dafür vorgesehenen Verfassungsbeschwerde geltend zu machen. Ein nach der Zivilprozessordnung unstatthaftes Rechtsmittel wird nicht dadurch statthaft, dass es auf einen Verfassungsverstoß gestützt wird (vgl. BAG, Beschluss vom 21. April 1998 - 2 AZB 4/98 -). Diese Einschränkung muss erst recht nach der Zivilprozessreform gelten, durch die das Beschwerderecht weiter eingeschränkt worden ist (vgl. dazu: BGH, Beschluss vom 7. März 2002 - IX ZB 11/02 - NJW 2002, 1577). Dem Kläger widerfährt nicht krasses Unrecht, wenn das Arbeitsgericht Beweis durch Ansicht der Videoaufzeichnungen erhebt. a. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts stellt die heimliche Videoüberwachung eines Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber einen Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers dar. Jedoch ist die heimliche Videoüberwachung eines Arbeitnehmers zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ausgeschöpft sind, die verdeckte Video-Überwachung praktisch das einzig verbleibende Mittel darstellt und insgesamt nicht unverhältnismäßig ist. Dabei macht der Umstand, dass der Verdacht bei Beginn der verdeckten Überwachung nicht allein einen bestimmten Arbeitnehmer betrifft, die Überwachung noch nicht unverhältnismäßig (vgl. BAG, Urteil vom 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 -). Diese Grundsätze können im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung kommen, weil nicht die Arbeitgeberin die Videoüberwachung durchgeführt oder veranlasst hat, sondern die Fluggesellschaft für einen räumlichen Bereich des in ihrem Eigentum stehenden Flugzeugs. b. Ob und in welchem Umfang eine heimliche Videoüberwachung sowie eine heimliche Videoaufzeichnung durch eine andere Person als den Arbeitgeber zulässig ist, muss unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles und durch Vornahme einer unter Berücksichtigung aller rechtlich, insbesondere auch verfassungsrechtlich geschützten Positionen der Beteiligten durchgeführten Güter- und Interessenabwägung ermittelt werden (vgl. BGH NJW 1995, 1955, 1957). Das allgemeine Persönlichkeitsrecht unterliegt, solange nicht die unantastbare Intimsphäre des Betroffenen berührt ist, keinem schrankenlosen Schutz. Es tritt in Konflikt mit den unter Umständen ebenfalls berechtigten Interessen desjenigen, der die Videoaufzeichnung angefertigt hat. Beide Belange sind - unter maßgeblicher Berücksichtigung der besonderen Umstände des konkreten Falles - bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Vorgehens gegeneinander abzuwägen (vgl. OLG Karlsruhe NJW 2002, 2799; OLG Köln NJW 2005, 2997, 2998). Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers erfolgte nur an einem Tag und nur für die Dauer von 20 Minuten. Die Videoüberwachung fand in einem räumlichen Bereich statt, der im Eigentum der Fluggesellschaft stand, für den die Fluggesellschaft eine besondere Verantwortung hatte und den sie deshalb auch schützen musste. Es ist ein berechtigtes Anliegen der Fluggesellschaft, den Diebstahl aus Gepäckstücken der Fluggäste zu verhindern. Dies wusste auch der Kläger. Aus dem schriftlichen Bericht des Sicherheitsbeauftragten der Fluggesellschaft ergibt sich, dass die heimliche Videoüberwachung zu einer hohen Aufklärungsquote geführt hat und sich die Zahl der Diebstähle an einzelnen Flughäfen drastisch verringert hat. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine gleich hohe Aufklärungsquote bei einer offenen Videoüberwachung zu erzielen ist. Zudem ist bei offener Videoüberwachung ein erheblicher höherer Aufwand für die Fluggesellschaft erforderlich. Sie muss ständig alle im Einsatz befindlichen Flugzeuge mit Videokameras ausstatten. Es fällt auch ein erheblich höherer Auswertungsaufwand an. Schließlich ist bei der Abwägung zu berücksichtigen, dass bei offener Videoüberwachung ständig auch die vielen ehrlichen Flugzeugabfertiger erfasst werden. Nach alledem kann nicht davon ausgegangen werden, dass nach einer Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Klägers einerseits und den berechtigten geschäftlichen Interessen der Fluggesellschaft sowie den Eigentumsrechten der Fluggäste andererseits eine Beweiserhebung als krasses Unrecht gegen den Kläger gewertet werden müsste. c. Eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG liegt nicht vor, da nicht die Arbeitgeberin die heimliche Videoüberwachung durchgeführt oder veranlasst hat. Das Mitbestimmungsrecht besteht nur, wenn der Arbeitgeber die Entscheidung trifft, Informationen über das Verhalten der seiner Direktionsbefugnis unterliegenden Arbeitnehmer durch eine zur Überwachung bestimmte technische Einrichtung erfassen zu lassen (vgl. BAG, Beschluss vom 27. Januar 2004 - 1 ABR 7/03 -). Im Übrigen ist zu beachten, dass eine entgegen § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG unterbliebene Mitbestimmung der Beweisverwertung durch die staatlichen Gerichte keinen eigenen Unrechtsgehalt gibt, soweit es um den Schutz des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers geht. Die unterbliebene Mitbestimmung führt für sich genommen nicht zu einem Verstoß der Beweisverwertung gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Ob allein die kollektivrechtliche Kompetenzüberschreitung zu einem Beweisverwertungsverbot führen kann, wenn nach den allgemeinen Grundsätzen die heimliche Videoüberwachung zulässig war, ist zumindest zweifelhaft (vgl. dazu: BAG, Beschluss vom 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 -). d. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Durchführung der Beweisaufnahme, sollte sie rechtswidrig sein, keine bleibenden rechtlichen Nachteile für den Kläger bringt, die sich nicht mehr durch eine das Kündigungsschutzverfahren abschließende Entscheidung eines Rechtsmittelgerichts beheben lassen (vgl. zu diesem Maßstab: BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 2005 - 2 BVR 1899/04 -). Sollte ein Rechtsmittelgericht ein Beweisverwertungsverbot bejahen und aus dem Grund der Kündigungsschutzklage stattgeben, ist die Beklagte verpflichtet, den Kläger weiterzubeschäftigen. An ihrer Überzeugung, dass der Kläger am 6. März 2005 aus Gepäckstücken von Fluggästen Gegenstände entwendet hat, wird sich dadurch nichts ändern. Nach alledem war die Beschwerde mit der Kostenfolge nach § 97 ZPO zurückzuweisen. Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht zulässig.

Ende der Entscheidung

Zurück