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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 25.01.2005
Aktenzeichen: 6 Sa 994/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 242
Ablehnung des Entstehens einer betrieblichen Übung; verschlechternde Betriebsvereinbarungen.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

6 Sa 994/04

Verkündet am: 25. Januar 2005

In dem Rechtsstreit

hat die Sechste Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 25. Januar 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Staudacher sowie die ehrenamtlichen Richter Juppe und Weikl

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin vom 2. September 2004 gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 4. August 2004 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Für die Klägerin wird die Revision zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, ein 13. Monatsgehalt zu bezahlen.

Die Klägerin war seit dem 1. November 1989 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten beschäftigt gewesen.

Der Betrieb der Beklagten in Wolfratshausen gehörte bis zum 19. Dezember 1995 zum Unternehmen der C. GmbH. Diese war an die Tarifverträge für die chemische Industrie kraft Mitgliedschaft im Bundesarbeitgeberverband Chemie e.V. gebunden und gewährte ihren Arbeitnehmern Weihnachtsgratifikationen (Weihnachtsgeld) nach Maßgabe der tariflichen Bestimmungen. Der Arbeitsvertrag zwischen den Parteien vom 3. Oktober 1989 (Blatt 3 bis 5 der Akte))ver­weist hinsichtlich Grundlohn, Arbeitszeit und Urlaub auf den Tarifvertrag, nicht jedoch bezüglich eines Weihnachtsgeldes.

Am 19. Dezember 1995 hat die Beklagte diesen Betrieb übernommen. Sie ist nicht tarifgebunden. Geschäftsleitung und Betriebsrat der Beklagten haben daraufhin am 1. Dezember 1996 eine Be­triebsvereinbarung (Blatt 16 bis 18 der Akte) abgeschlossen, in der unter anderem die Gewährung einer Weihnachtsgratifikation (Weihnachtsgeld) in Höhe eines Bruttomonatsgehalts bestimmt war.

Wegen aufkommender wirtschaftlicher Schwierigkeiten einigten sich die Betriebspartner in einer Betriebsvereinbarung vom 18. November 2002 (Blatt 20/21 der Akte) darauf, für das Jahr 2002 lediglich 50 % eines Bruttogehalts als Weihnachtsgeld (Weihnachtsgratifikation) zu gewähren und dieses aufgeteilt in sechs Monatsraten, beginnend mit Juli 2003, (erst) in der zweiten Hälfte des folgenden Jahres auszuzahlen.

In einer Betriebsvereinbarung vom 23. Juli 2003 (Blatt 22/23 der Akte) vereinbarten die Betriebspartner, dass sämtliche Ansprüche auf Zahlung einer Weihnachtsgratifikation für das Geschäftsjahr 2002 mit der bereits erfolgten Auszahlung zusammen mit dem Juligehalt 2003 vollständig erfüllt sind. Weiter wurde bestimmt, dass an die Stelle der Gewährung von Weihnachtsgratifikation und Urlaubsgeld ab dem Geschäftsjahr 2003 die Gewährung erfolgsabhängiger Boni, die Gegenstand einer gesonderten Betriebsvereinbarung sind, tritt. Diese Betriebsvereinbarung über erfolgsabhängige Bonuszahlungen (Blatt 24 bis 28 der Akte) ist ebenfalls am 23. Juli 2003 abgeschlossen worden.

Die Klägerin ist der Ansicht, zwischen den Parteien galten und gelten die Tarifvereinbarungen der chemischen Industrie nur soweit im Arbeitsvertrag darauf verwiesen worden ist, da sie selbst nicht Mitglied einer Tarifvertragspartei (gewesen) sei und dieser Tarifvertrag auch nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden war. Die langjährige vorbehaltlose Gewährung von Weihnachtsgeld durch die Rechtsvorgängerin der Beklagten habe eine betriebliche Übung entstehen lassen, die jetzt durch Betriebsvereinbarungen nicht verschlechtert oder beseitigt werden könne.

Mit anwaltschaftlichem Schriftsatz vom 3. Februar 2004 hat sie die noch offene Hälfte des Weihnachtsgeldes 2002 (€ 1.021,31) und das Weihnachtsgeld 2003 (€ 2.042,62) nebst Zinsen gerichtlich geltend machen lassen. Ihre Begehren sind vor dem angerufenen Arbeitsgericht München erfolglos geblieben. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des klageabweisenden Endurteils vom 4. August 2004 wird Bezug genommen.

Mit der am 3. September 2004 beim Landesarbeitsgericht München eingegangenen Berufung gegen diese ihrem Prozessbevollmächtigten am 18. August 2004 zugestellte Entscheidung verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter. Die Begründung dazu ist am 16. Oktober 2004 eingegangen. Darin wird dem Erstgericht vorgehalten, dem Arbeitsverhältnis einen Tatbestand unterlegt zu haben, der nicht zutrifft und so zu einem mit der Rechtslage nicht übereinstimmenden Ergebnis gekommen zu sein. Die Firma C. GmbH habe nie den Willen gehabt, alle Arbeitnehmer so zu behandeln, als gelte durchweg der Tarifvertrag. Die Klägerin wisse nicht, wie die übrigen Mitarbeiter behandelt worden seien und welchen Inhalt ab 1985 der Tarifvertrag gehabt habe. Mit Nichtwissen bestreitet die Klägerin, dass überhaupt alle Arbeitnehmer der Firma C. GmbH Weihnachtsgeld bekommen haben.

Tatsächlich habe die Firma C. GmbH höchst unterschiedliche Vereinbarungen getroffen, ihre Arbeitnehmer unterschiedlich behandelt und keineswegs im Einklang mit den tarifvertraglichen Bestimmungen. In keinem bekannt gewordenen Fall habe die Firma C. GmbH ins­gesamt auf den Tarifvertrag Bezug genommen. Auch der Klägerin gegenüber sei die Firma C. GmbH nicht tarifgebunden gewesen.

Ergänzend dazu werden Kopien von Arbeitsverträgen vorgelegt, abgeschlossen auf Arbeitgeberseite teils von der Firma C. GmbH mit jeweils unterschiedlichem Inhalt, teils findet man eine Weihnachtsgeldzahlung darin erwähnt, teils nicht. Die Klägerin lässt daraus ableiten, die Firma C. GmbH und später die Beklagte hätten nie den Erklärungswillen gehabt, alle gleich zu behandeln, wie es der Tarifvertrag vorsehe. Und so könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Firma C. GmbH einen Willen dahin geäußert habe, die weit überwiegende Mehrheit der Mitarbeiter so behandeln zu wollen, wie sie die ganz vereinzelten Gewerkschaftsmitglieder behandeln musste. Für die Klägerin sei es auf jeden Fall so gewesen, dass sie von ihrem Arbeitgeber jährlich vorbehaltlos Weihnachtsgeld in Höhe eines Bruttomonatsgehalts erhalten habe und dieser sich bei stillschweigendem Verzicht auf schriftliche Fixierung auch für die Zukunft binden wollte.

Die tarifvertragliche Norm selbst könne wegen des im Arbeitsvertrag enthaltenen Schriftformerfordernisses nicht durch betriebliche Übung zum Vertragsinhalt werden. Der Anspruch auf Weih­nachtsgeld sei direkt entstanden, ohne Umweg über die nicht einbezogenen Tarifverträge.

Die Berufungsanträge lauten damit:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 4. August 2004 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 3.063.93 brutto nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus € 1.021,31 seit 1. Juli 2003 und aus € 2.042,62 seit dem 1. Dezember 2003 zu bezahlen.

Die Beklagte lässt beantragen:

Die Berufung zurückzuweisen.

Den Überlegungen des Erstgerichts in der angefochtenen Entscheidung pflichtet sie bei, den Ausführungen in der Berufungsbegründung tritt sie entgegen. Die Klägerin habe zwar über mehrere Jahre hinweg vorbehaltlos Weihnachtsgeld erhalten, dies sei aber nicht ohne Rücksicht auf die Tarifbindung der Firma C. GmbH geschehen. Unter Hinweis auf die im Arbeitsvertrag vom 3. Oktober 1989 vereinbarte Schriftformklausel (§ 11) in Verbindung mit der vom Beklagtenvertreter zitierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird das Entstehen einer betrieblichen Übung schon dem Grunde nach verneint.

Wolle man die Entstehung einer betrieblichen Übung dem Grunde nach annehmen, komme es auf ihren Inhalt an. Die einzelvertragliche Bezugnahme könne sich auf den gesamten Tarifvertrag, aber auch nur auf Teile davon beschränken. Gleiches gelte für die betriebliche Übung. Im Arbeitsvertrag mit der Klägerin vom 3. Oktober 1989 sei hinsichtlich der wesentlichen materiellen Arbeitsbedingungen (Arbeitsentgelt, Dauer der Arbeitszeit und Urlaub) auf die tariflichen Bestimmungen verwiesen worden. Werde in einem solchen Fall auch hinsichtlich der anderen Arbeitsbedingungen nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers von den Tarifregelungen abgewichen, spreche schon dies für eine umfassende Bezugnahme. Dementsprechend sieht es die Beklagte als konsequent an, die Klägerin auch hinsichtlich der Gewährung von Weihnachtsgeld so zu behandeln wie gewerkschaftlich organisierte Mitarbeiter.

Die von der Klägerin vorgelegten Arbeitsverträge stehen dem nach Ansicht der Beklagten schon deshalb nicht entgegen, weil diese Verträge lange Zeit vor Einstellung der Klägerin zu Stande gekommen seien. Auch orientiere sich eine betriebliche Übung in einem tarifgebundenen Unternehmen erfahrungsgemäß eher an den einschlägigen Tarifstandards als an singulären Gestaltungen einzelner schriftlicher Arbeitsverträge. Dementsprechend seien auch die Betriebspartner bei Abschluss der Betriebsvereinbarung vom 1. Dezember 1996 ersichtlich davon ausgegangen, dass der durch § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB vermittelte Schutz zum Jahresende 1996 auslaufen würde. Vorgefunden worden sei eine Gewährung von Weihnachtsgeld nach kollektivrechtlichen bzw. tariflichen Bestimmungen.

Zur Ergänzung des Parteivorbringens im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 15. Oktober 2004 (Blatt 73 bis 76 der Akte) mit Anlagen, auf die Berufungsbeantwortung vom 22. November 2004 (Blatt 86 bis 89 der Akte) sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 25. Januar 2005 (Blatt 95 bis 97 der Akte).

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§ 64 Abs. 2 ArbGG) und auch sonst zulässige Berufung (§ 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, § 11 Abs. 2 ArbGG) mit dem Ziel, die zur Entscheidung gestellten Ansprüche auf Weihnachtsgeld zugesprochen zu bekommen, muss erfolglos bleiben. Für dieses Begehren gibt es auch nach Ansicht der Berufungskammer keine tragfähigen Rechtsgrundlagen.

Zu Gunsten der Klägerin ist durch das ihr in den zurückliegenden Jahren vorbehaltlos bezahlte jährliche Weihnachtsgeld in Höhe eines Monatsbruttolohns keine anspruchsbegründende betriebliche Übung für die Zukunft entstanden. Dem steht schon das arbeitsvertraglich vereinbarte Schriftformerfordernis entgegen. § 11 des Arbeitsvertrags vom 3. Oktober 1989, abgeschlossen von der Rechtsvorgängerin der Beklagten, begründet ein konstitutives Schriftformerfordernis, wie sich aus dem Wortlaut "zu ihrer Wirksamkeit" ergibt. Ein konstitutives Schriftformerfordernis für Vertragsänderungen verhindert das Entstehen einer betrieblichen Übung. Ein gewillkürtes Schriftformerfordernis kann zwar durch eine betriebliche Übung formlos abbedungen werden, für einen dahingehenden objektiven Erklärungswert der - klägerseits behaupteten - Betriebsübung ist jedoch nichts vorgetragen worden und auch nichts ersichtlich (vgl. BAG Urteil vom 27. März 1987, Az: 7 AZR 527/85 - BB 1987, 1885-1887 = EzA § 242 BGB Betriebliche Übung Nr. 22).

Zur Wirksamkeit der Betriebsvereinbarungen vom 1. Dezember 1996, vom 18. November 2002 und vom 23. Juli 2003 hat das Erstgericht eingehend und jeweils zutreffend Stellung genommen. Diesen Ausführungen schließt sich das Berufungsgericht an (§ 69 Abs. 2 ArbGG) mit der Folge, dass es für die von der Klägerin begehrten Weihnachtsgeldzahlungen keine Anspruchsgrundlagen gibt.

Soweit das Erstgericht im Streitfall eine durch langjährige Leistung begründete betriebliche Übung des Inhalts angenommen hat, auch bezüglich des Weihnachtsgeldes eine Gleichbehandlung mit tarifgebundenen Arbeitnehmern herbeizuführen, ist es im Folgenden ebenfalls zum Fehlen einer Anspruchsgrundlage für das zur Entscheidung gestellte Zahlungsverlangen gekommen. Die dagegen erhobenen Angriffe der Berufung erscheinen nicht gerechtfertigt. Die in Ablichtung vorgelegten Arbeitsverträge vom 23. Juni 1978 und vom 14. November 1983 können die klägerseits daraus abgeleiteten Rechtsansichten schon deshalb nicht stützen, weil man in diesen beiden Arbeitsverträgen den Lohn/das Gehalt einzelvertraglich und ohne Verweis auf ein Tarifentgelt vereinbart findet. Die Klägerin hatte ihr deutlich später abgeschlossenes Arbeitsverhältnis dagegen mit Bezug auf tarifvertragliche Regelungen hinsichtlich Grundlohn, Arbeitszeit und Urlaub vereinbart. Im ebenfalls vorgelegten Arbeitsvertrag vom 15. Juli 1996 war die Zahlung einer Weihnachtsgratifikation dagegen einzelvertraglich festgelegt worden. Gerade daran fehlt es aber bei der Klägerin. Eine durch Zahlungen der Firma C. GmbH - unterstellt - entstandene betriebliche Übung in Sachen Weihnachtsgeld/Gratifikation auf eine Gleichbehandlung der tarifgebundenen und der nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer gerichtet anzusehen, erscheint durchaus vertretbar, so dass sich die Berufungskammer diesem Abschnitt der Entscheidungsgründe im angefochtenen Urteil hilfsweise ebenfalls anschließt (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

Bleibt das Rechtsmittel erfolglos, hat die Klägerin auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Für die Klägerin wird die Revision zugelassen (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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