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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 08.08.2007
Aktenzeichen: 11 Sa 496/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 125
BGB § 626
Die Entscheidung befasst sich mit der Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung bei grob beleidigendem Verhalten einer in der Nachtwache tätigen Altenpflegerin gegenüber den ihr anvertrauten Menschen.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

11 Sa 496/06

Verkündet am: 8. August 2007

In dem Rechtsstreit

hat die Elfte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 13. Juli 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Obenaus sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Klein und Fischer für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Rosenheim vom 24. Januar 2006, Az.: 1 Ca 1230/04, wird das bezeichnete Endurteil dahin gehend abgeändert, dass die Klage insgesamt abgewiesen wird.

2. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil vom 24. Januar 2006 wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz werden der Klägerin auferlegt.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Arbeitgeberkündigung vom 14.6.2004 sowie einen Auflösungsantrag der Klägerin.

Der Auseinandersetzung liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zu Grunde:

Die am .....1961 geborene Klägerin ist seit 1. November 1993 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin zunächst als Stationsleitung, seit 1.11.2003 auf Teilzeitbasis im Nachtdienst mit einem monatlichen Bruttogehalt von 1.787,90 € beschäftigt.

Die Beklagte beschäftigt im Beschäftigungsbetrieb circa 80 Arbeitnehmer. Es besteht ein Betriebsrat.

Der von den Parteien am 1.11.1993 unterzeichnete Arbeitsvertrag enthält unter § 14 "Beendigung des Arbeitsverhältnisses" in Ziff. 3. Satz 2 folgende Regelung:

"Die außerordentliche Kündigung hat die wesentlichen Kündigungsgründe zu enthalten."

Mit Schreiben vom 14.6.2004, das der Klägerin am 15.6.2004 zugegangen ist, hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.10.2004 gekündigt. Mit Schreiben vom 9.6.2004 hatte die Beklagte zuvor den Betriebsrat zu der beabsichtigten Kündigung angehört.

Mit ihrer am 2.7.2004 beim Arbeitsgericht Rosenheim eingegangenen Klage vom 28.6.2004 hat die Klägerin die gerichtliche Feststellung begehrt, dass die Kündigung vom 14.6.2004 rechtsunwirksam ist und das Arbeitsverhältnis weder fristlos noch zum 31.10.2004 beendet hat. Ferner hat sie - klageerweiternd - die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses und die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Abfindung begehrt.

Zur Begründung hat sie in erster Instanz vorgetragen, die fristlose Kündigung sei bereits formell unwirksam, da in § 14 des Arbeitsvertrages vom 1.11.1993 vereinbart sei, dass die außerordentliche Kündigung die wesentlichen Kündigungsgründe zu enthalten haben. Dies sei jedoch nicht geschehen. Die Kündigung sei im Übrigen aber auch deshalb unwirksam, weil ein wichtiger Grund nicht vorliege und sie auch als ordentliche Kündigung sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam sei. Außerdem sei der bei der Beklagten bestehende Betriebsrat weder im Hinblick auf die außerordentliche noch die ordentliche Kündigung ordnungsgemäß angehört worden.

Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass die Kündigung der Beklagten vom 14.6.2004 rechtsunwirksam ist und das Arbeitsverhältnis weder fristlos noch zum 31.10.2004 beendet hat.

2. Das Arbeitsverhältnis wird aufgelöst und die Beklagte zur Zahlung einer angemessenen Abfindung verurteilt, die in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber 5.500 € nicht unterschreiten sollte.

Die Beklagte hat beantragt,

den Klageantrag Ziffer 1. abzuweisen.

Hilfsweise, für den Fall, dass die Kündigung der Beklagten vom 14.6.2004 auch zum 31.10.2004 nicht wirksam sein sollte, hat sie beantragt,

das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die aber 1787,90 € nicht überschreiten sollte.

Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Klägerin habe mehrfach gegenüber pflegebedürftigen und hilflosen Personen ein nicht hinnehmbares menschenunwürdiges beleidigendes und gewalttätiges Verhalten gezeigt, das eine Weiterbeschäftigung unmöglich mache. Eine Abmahnung sei in Anbetracht des Gewichts der Vertragsverletzungen nicht erforderlich gewesen. Der Betriebsrat sei am 9. Juni 2004 mündlich über die beabsichtigte Kündigung informiert worden. Außerdem sei eine schriftliche Information durch Schreiben vom 9.6.2004 erfolgt.

Die Klägerin hat erstinstanzlich erwidert, der von der Beklagten benannte Bewohner S. sei aufgrund seiner Hirnschädigung strafrechtlich nicht beleidigungsfähig. Auch die weitere benannte Bewohnerin H. sei aufgrund ihrer geistigen Verfassung nicht beleidigungsfähig. Unabhängig davon hat die Klägerin die ihr zur Last gelegten Äußerungen bestritten.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Sach- und Rechtsvortrags wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze ('Bl. 1 ff; 19 ff; 54 ff; 60 ff; 63 ff.) sowie die Sitzungsniederschriften vom 24.8.2004 (Bl. 33 f.); 25.1.2005 (Bl. 68 ff); 5.10.2005 (Bl. 88 ff) und 19.1.2006 (Bl. 116 ff) ergänzend Bezug genommen.

Es wurde erstinstanzlich Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeuginnen F. S., U. und W. sowie des Zeugen A. Hinsichtlich der Beweisbeschlüsse sowie des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 5.10.2005 sowie vom 19.1.2006 ergänzend Bezug genommen.

Mit Endurteil vom 24.1.2006, das der Klägerin am 31.3.2006 und der Beklagten am 30.3.2006 zugestellt worden ist, hat das Arbeitsgericht Rosenheim festgestellt, dass die Kündigung der Beklagten vom 14. Juli 2004 als außerordentliche Kündigung rechtsunwirksam ist und das Arbeitsverhältnis erst zum 31.10.2004 beendet worden ist. Im Übrigen hat das Arbeitsgericht Rosenheim die Klage abgewiesen.

Zur Begründung der teilweisen Stattgabe der Klage führt das Arbeitsgericht aus, es könne dahinstehen, ob sich die Klägerin gegenüber verschiedenen Heimbewohnern in deren Gegenwart in der von der Beklagten behaupteten Weise geäußert hätte. Der Beklagten sei es - was Voraussetzung für eine fristlose Kündigung sei - jedenfalls nicht unzumutbar, die Klägerin bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zu beschäftigen. Das habe seinen Grund darin, dass die Klägerin zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung im Juni 2004 schon 10 1/2 Jahre bei der Beklagten tätig gewesen sei und das Arbeitsverhältnis bis zum Sommer 2004 nahe zu beanstandungsfrei verlaufen sei.

Soweit das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen hat, führt das Gericht zur Begründung an, aufgrund der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin im Frühjahr 2004 zumindest drei ihr als Altenpflegerin anvertraute Heimbewohner in deren Gegenwart mit äußersten abfälligen Äußerungen bedacht habe. Die Zeugin F. habe ausgesagt, dass die Klägerin im März 2004 zum Heimbewohner S., der sich eingenässt gehabt habe, "Schwein" gesagt habe. Die Zeugin S. habe erklärt, dass die Klägerin im Mai 2004, nachdem sich die Heimbewohnern Dr. H. eingekotet gehabt habe, gefragt habe, ob sie eine hoch gebildete Frau oder ein Schwein sei. Die Zeugin U. habe schließlich bei ihrer Einvernahme gesagt, dass die Klägerin im Mai 2004 zu der Heimbewohnerin H. gesagt habe "alte Pisssau und Dreckschwein", weil diese ständig ins Bett mache und daher das Bett immer wieder neu bezogen werden müsse. Die bezeugten Äußerungen seien - so das Arbeitsgericht - nicht akzeptabel. Eine Abmahnung sei entbehrlich gewesen. Auch die Interessenabwägung habe nicht dazu führen können, dass dem Interesse der Klägerin der Vorrang einzuräumen sei. Der Betriebsrat sei auch ordnungsgemäß angehört worden. Die Beklagte habe mit Schreiben vom 9. Juli die ihrer Auffassung nach der Kündigung zu Grunde liegenden Gründe dem Betriebsrat mitgeteilt und darüber hinaus die Betriebsratsvorsitzende mündlich am 9. Juni 2004 über die Kündigung informiert.

Gegen die teilweise Stattgabe der Klage (Feststellung der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung) wendet sich die Beklagte mit ihrer beim Landesarbeitsgericht München am 30. Mai 2006 eingegangen und im selben Schriftsatz begründeten Berufung vom 30. Mai 2006.

Unter Vertiefung und teilweise Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vortrags macht die Beklagte geltend, die außerordentliche Kündigung sei rechtmäßig. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass die Klägerin die Heimbewohner S., Dr. H. sowie H. menschenunwürdig angeredet und behandelt habe. Der Klägerin fehle jegliche Einsichtsfähigkeit, sie meine sogar, dass die ihr anvertrauten Heimbewohner nicht beleidigungsfähig seien. Durch die durch die Beweisaufnahme bestätigten Vorkommnisse sei das Vertrauensverhältnis nachhaltig gestört.

Gerade weil die Klägerin in der Dauernachtwache beschäftigt werde, habe man sie nicht bis zum Ablauf der Kündigungsfrist darauf kontrollieren können, ob sie einen ordnungsgemäßen Umgang mit den Heimbewohnern pflege. Das Arbeitsgericht habe bei der Interessenabwägung einseitig nur auf die Beschäftigungsdauer abgestellt und habe nicht hinreichend das Interesse der Beklagten, der Heimbewohner, der Angehörigen und der Mitarbeiter berücksichtigt. Völlig unberücksichtigt geblieben sei auch, dass sich die Heimbewohner insbesondere während des Nachtdienstes in einer wehrlosen Lage befänden. In der Regel seien weder Zeugen zugegen, noch könnten sich die Heimbewohner entsprechend wehren. Es handele sich auch nicht um ein einmaliges Vergehen, sondern es habe gleich mehrere Vorfälle gegeben, die die Arbeitskollegen aus falsch verstandener Kollegialität zunächst nicht weitergeleitet hätten.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des am 24.1.2006 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts in Rosenheim, Az.: 1 Ca 1230/04 Mü, die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt:

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Zur Begründung trägt sie vor, die außerordentliche Kündigung sei bereits wegen Formmangels gemäß § 125 BGB unwirksam. Das Arbeitsgericht gehe rechtsfehlerhaft davon aus, dass die Beklagte die zur Kündigung von ihr herangezogenen Vorfälle nicht detailliert angeben müsse.

Die Beklagte erwidert hierzu, die außerordentliche Kündigung sei durch die Beklagte hinreichend begründet worden.

Gegen die teilweise Abweisung der Klage durch das Arbeitsgericht (Feststellung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch ordentliche Kündigung zum 31.10.2004) wendet sich die Klägerin mit ihrer beim Landesarbeitsgericht München am 26.4.2006 eingegangenen Berufung vom 25.4.2006.

Zur Begründung führt sie aus, das Arbeitsgericht begründe die Interessenabwägung zu Ungunsten der Klägerin auf unzutreffender Tatsachengrundlage in der Weise, dass mehrere Kolleginnen nicht mehr mit der Klägerin hätten zusammen in derselben Gruppe eingesetzt werden wollen. Richtig sei, dass es zu den Schwierigkeiten deswegen gekommen sei, weil die Klägerin einen Pflegefehler der Kollegin F. gerügt habe. Das Gericht habe außerdem zu Unrecht die Frage offen gelassen, ob die Heimbewohner die Äußerungen der Klägerin ihrem Sinngehalt nach hätten wahrnehmen können. Bei der Bewertung der Äußerungen der Klägerin als Kündigungsgrund sei auch zu berücksichtigen, dass diese nicht in der Öffentlichkeit getätigt worden seien, sondern vielmehr im Affekt gegenüber den betroffenen Bewohnern, welche nicht in der Lage waren, den Gehalt der Aussage zu erfassen. Die vorgeworfenen Äußerungen der Klägerin unterstellt seien diese Äußerungen im Bewusstsein dieses Umstandes gefallen. Besondere Umstände, die die grundsätzlich erforderliche Abmahnung entbehrlich machten, lägen nicht vor. Die Beklagte habe nichts unternommen, um den Sachverhalt aufzuklären. Zumindest eine Anhörung der Klägerin sei bei gegebenem Sachstand erforderlich gewesen. Durch ihre Zurückhaltung (keine Anhörung, keine Abmahnung) habe die Beklagte eindeutig zu erkennen gegeben, dass es sich auch nach Auffassung der Beklagten ganz offensichtlich nicht um einen so schwer wiegenden Grund handele, der eine sofortige Kündigung zulässig und eine vorhergehende Abmahnung entbehrlich mache. Schließlich berücksichtige das Arbeitsgericht bei seiner Interessenabwägung auch in unzulässiger Weise den Auflösungsantrag der Klägerin.

Die Klägerin beantragt:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichtes Rosenheim - Gerichtstag Mühldorf vom 24.1.2006, Az.: 1 Ca 1230/04 Mü, wird aufgehoben, soweit die Klage abgewiesen wurde.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 14. Juni 2004 nicht zum 31.10.2004 aufgelöst wurde.

3. Das Arbeitsverhältnis wird gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gelegt wird, mindestens jedoch 5.500 €, zum 31.10.2004 aufgelöst.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Zur Begründung trägt sie vor, Es sei unerheblich, ob eine Person die Beleidigung dem Sinn nach wahrnehmen könne. Der klägerische Vortrag zeige nur die Gesinnung der Klägerin, die offensichtlich nach dem Gesundheitszustand der einzelne Bewohner entscheiden wolle, ob eine Beleidigung angemessen sei oder nicht. Die Klägerin trage widersprüchlich vor: Sie bestreite die in der Beweisaufnahme erwiesenen Beleidigungen und meine nunmehr, dass die Beleidigungen im Affekt erfolgt seien, was erwiesenermaßen nicht der Fall sei. Es sei auch nicht richtig, dass die Klägerin beanstandungsfrei gearbeitet habe. Es habe nämlich zwei Abmahnungen, und zwar vom 13. August 1998 und vom 23 September 2002, gegeben. Der kündigungsberechtigte Heimleiter habe keine vorherige Kenntnis über die kündigungsrelevanten Sachverhalte gehabt. Eine Anhörung sei nur im Fall einer Verdachtskündigung erforderlich. Mit einer Abmahnung hätte die Beklagte die Vorfälle verziehen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die gewechselten Schriftsätze (Bl. 172 ff; 177 ff; 188 ff; 202 ff) ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufungen sind zulässig. Sie sind statthaft nach § 64 Abs. 1 und 2 c ArbGG ferner in der richtigen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 519 Abs. 2, 520 Abs. 3 ZPO, § 66 Abs. 1 Sätze 1,2,5 ArbGG i.V.m. § 222 ZPO).

II.

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Die Berufung der Klägerin ist unbegründet.

1. Die streitgegenständliche außerordentliche Kündigung vom 14. Juni 2004 ist rechtswirksam und hat das Arbeitverhältnis mit sofortiger Wirkung aufgelöst, so dass die Klage abzuweisen ist.

Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Zunächst ist zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht (BAG, Urteil vom 07.07.2005 - 2 AZR 581/04 - NZA 2006, 98 mit weiteren Nachweisen).

In Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die außerordentliche Kündigung vom 14.6.2006 als wirksam.

a) Nach der Beweisaufnahme vor der Kammer des Arbeitsgerichts steht fest, dass die Klägerin ihre arbeitsvertragliche Hauptpflicht, nämlich die während der Nachtwache in ihre Obhut gegebenen hilfsbedürftigen alten Menschen menschenwürdig zu betreuen, in schwerwiegender Weise verletzt hat.

Rechtsfehler bei der Beweiserhebung durch das Arbeitsgericht sind ebenso wenig zu erkennen wie Verstöße gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze. Das Arbeitsgericht ist aufgrund der ihm obliegenden freien Beweiswürdigung (§ 286 Absatz 1 ZPO) beanstandungsfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin im Frühjahr 2004 zumindest drei ihr als Altenpflegerin anvertraute Heimbewohner in deren Gegenwart mit äußerst abfälligen Äußerungen bedacht hat. Die Zeugin F. hat ausgesagt, dass die Klägerin im März 2004 zum Heimbewohner S., der sich eingenässt gehabt hatte, "Schwein" gesagt hat. Die Zeugin S. hat erklärt, dass die Klägerin im Mai 2004, nachdem sich die Heimbewohnern Dr. H. eingekotet hatte, gefragt hat, ob sie eine hoch gebildete Frau oder ein Schwein sei. Die Zeugin U. hat schließlich bei ihrer Einvernahme gesagt, dass die Klägerin im Mai 2004 zu der Heimbewohnerin Herfurth gesagt hat "alte Pisssau und Dreckschwein", weil diese ständig ins Bett mache und daher das Bett immer wieder neu bezogen werden müsse.

b) Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass zynische herabwürdigende Äußerungen von in der Altenpflege beschäftigten Personen gegenüber den ihnen anvertrauten hilfsbedürftigen Menschen unabhängig von den konkreten Umständen geeignet sind, eine außerordentliche Kündigung zu begründen.

Darüber hinaus ist die Kammer der Auffassung, dass auch im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls eine Weiterbeschäftigung der Klägerin unter Abwägung der beiderseitigen Interessen für die Beklagte nicht zumutbar war (§ 626 Abs. 1 BGB).

Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, gehört der Umgang mit eingenässten und eingekoteten Heimbewohnern zum pflegerischen Alltag in einem Pflegeheim. Dabei schließt der menschenwürdige Umgang mit Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen aus, dass diesen gegenüber in deren Gegenwart gesagt wird, dass sie eine "Pisssau" oder ein "Dreckschwein" seien. Es mutet geradezu zynisch an, wenn die Klägerin sich in diesem Zusammenhang darauf beruft, die angesprochenen Personen seien nicht "beleidigungsfähig". Nach Auffassung der Kammer kommt es für die Beurteilung nicht darauf an, ob die betroffenen Personen "beleidigungsfähig" sind oder nicht. Entscheidend ist, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Menschen verachtenden Äußerungen von den Betroffenen Bewohnern in irgendeiner Weise wahrgenommen werden können und dass weiterhin zumindest die Zeuginnen - also Dritte - jeweils anwesend waren. Dabei spielt es entgegen der Auffassung der Klägerin auch keine Rolle, ob die Anwesenheit der Kolleginnen als "Öffentlichkeit" eingestuft werden kann. Entscheidend ist, dass die Klägerin mit ihren menschenverachtenden Äußerungen ihre Kolleginnen bei einer von persönlicher Zuwendung zu den betreuten Menschen getragenen Aufgabenerfüllung behindert und sich damit bezogen auf die gemeinsame Aufgabe zutiefst destruktiv verhalten hat. Mit ihren Äußerungen hat sie in einem Arbeitsbereich, der - wie kaum ein anderer - von der positiven Energie der Beteiligten getragen wird, das Gift böser, diskriminierender Gedanken ausgestreut.

Dabei wird nicht verkannt, dass die Tätigkeit als Altenpflegerin in einem Alten- und Pflegeheimen mit inkontinenten Heimbewohnern äußerst schwierig und psychisch belastend ist. Dies vermag die Klägerin jedoch nicht zu entlasten, nachdem es sich bei dem beanstandeten Verhalten nicht um einen Einzelfall gehandelt hat. Die Klägerin hat sich zwar darauf berufen, die Vorfälle seien Ergebnis eines Affekts gewesen. Nachdem sie jedoch die Existenz der Vorfälle bestritten hat, kann ihr auch kein Affekt entlastend zugeschrieben werden. Insoweit sind die Überlegungen der Klägerin rein fiktiver Natur.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Klägerin bei den bezeugten Vorgängen mit pflegebedürftigen Heimbewohnern zu tun hatte, die sich gegen die unangemessene Behandlung nicht wehren konnten.

c) Im Hinblick auf die Schwere der arbeitsvertraglichen Pflichtenverstöße der Klägerin sowie ihre Häufung war eine Abmahnung entbehrlich. Die Klägerin konnte nicht davon ausgehen, dass das beanstandete Verhalten von der Beklagten hingenommen würde.

d) Auch die im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorgesehene Interessenabwägung führt nicht dazu, das Vorliegen eines wichtigen Grundes zu verneinen.

Bei der Interessenabwägung sind insbesondere die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen beanstandungsfreier Bestand, das Bestehen einer Wiederholungsgefahr, das Maß der dem Arbeitgeber entstandenen Schädigung und auch die Frage in Betracht zu ziehen sein, ob dem Verhalten des Arbeitnehmers eine besondere Verwerflichkeit innewohnt (BAG, Urteil vom 27.4.06, NZA 06,1033).

Das Arbeitsverhältnis hat im Zeitpunkt der Kündigung bereits 10 1/2 Jahre weitgehend beanstandungsfrei bestanden, was zu Gunsten der Klägerin zu werten ist. Andererseits ist angesichts der Häufung der Fälle und der Einlassung der Klägerin, einzelne Bewohner seien nicht beleidigungsfähig, eine Wiederholungsgefahr zu bejahen. Offenbar fehlt es der Klägerin in Belastungssituationen, wie den von den Zeuginnen beschriebenen Fällen, an der nötigen Selbstkontrolle, um die beschriebenen Entgleisungen zu vermeiden.

Das Fehlverhalten der Klägerin ist auch so gravierend, dass der Beklagten eine Weiterbeschäftigung der Klägerin bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar ist.

2. Die außerordentliche Kündigung ist auch nicht deshalb unwirksam, weil die Klägerin die Verletzung der arbeitsvertraglichen Form gerügt hat (§ 125 Satz 2 BGB).

Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Urteil, das sich mit dem in § 54 BMT-G II enthaltenen Formerfordernis der Angabe der Kündigungsgründe im Kündigungsschreiben befasst, ausgeführt, es könne nur von Fall zu Fall entschieden werden, in welchem Umfang die Gründe bei einer Kündigung angegeben werden müssten (BAG, Urt. vom 25. Aug.1977, Az: 3 AZR 705/75). Durch Angabe der Kündigungsgründe solle der Arbeitnehmer erfahren, welche Gründe zur Kündigung geführt hätten. Dabei hänge es vom Einzelfall ab, wie weit die Gründe aufgeführt werden müssten. Eine eingehende Substantiierung wie im Prozess könne nicht grundsätzlich und allgemein gefordert werden. Entscheidend sei vielmehr, ob die Gründe so genau bezeichnet seien, dass der Kündigungsempfänger genügend klar erkennen könne, was gemeint sei und was ihm - im Fall einer verhaltensbedingten Kündigung - zur Last gelegt werde. Nach dem Sinn der Regelung müsse der gekündigten Arbeitnehmer aufgrund der ihm mitgeteilten Gründe sich darüber klar werden können, ob er die ihm erklärte Kündigung anerkennen oder dagegen vorgehen wolle.

Bei Anwendung dieser Grundsätze ist das Gericht zu der Auffassung gelangt, dass die Beklagte im Kündigungsschreiben die Kündigungsgründe hinreichend konkret bezeichnet hat, so dass die Klägerin wissen konnte welches der tragende Anlass für die Kündigung gewesen ist. Ihr wurde hinreichend deutlich, dass es sich weder um eine personenbedingte noch um eine betriebsbedingte außerordentliche Kündigung handelte und dass sich die Beklagte mit ihrem Hinweis auf "nicht hinnehmbares Verhalten gegenüber Pflegebedürftigen und hilflosen Bewohnern" auf die von den Zeuginnen beschriebenen eklatanten Vorfälle bezogen hat. Die Tatsache, dass die Klägerin - wie ihr pauschales Bestreiten belegt - die streitgegenständlichen Vorfälle aus ihrer Wahrnehmung bzw. Erinnerung ausgeblendet hat, führt nicht zu einer gesteigerten Substantiierungslast der Beklagten bei Formulierung des Kündigungsschreibens.

3. Nachdem das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die außerordentliche Kündigung vom 14.6.2006 mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden ist, ist die Berufung der Klägerin, die sich dagegen wendet, dass ihr Feststellungsantrag bezüglich der ordentlichen Kündigung sowie Auflösungsantrag abgewiesen wurden, unbegründet.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 und 97 ZPO.

IV.

Da dem Rechtsstreit über die Klärung der streitgegenständlichen Fragen hinaus keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, besteht für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung. Gegen dieses Urteil ist deshalb die Revision nur gegeben, wenn sie das Bundesarbeitsgericht auf Grund einer Nichtzulassungsbeschwerde, auf deren Möglichkeit und Voraussetzungen gemäß § 72 a ArbGG hingewiesen wird, zulassen sollte.

Ende der Entscheidung

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