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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Beschluss verkündet am 17.10.2007
Aktenzeichen: 11 TaBV 73/07
Rechtsgebiete: ArbGG, BetrVG, BGB


Vorschriften:

ArbGG § 98
BetrVG §§ 111 f.
BGB § 613 a
Verkauft ein Unternehmen seinen einzigen Produktionsbetrieb an einen Erwerber und gehen einzelne Arbeitsverhältnisse nicht auf den Erwerber über, weil die betroffenen Arbeitnehmer dem Betriebsübergang widersprochen haben, so ist die Kündigung der beim Veräußerer verbleibenden Arbeitnehmer durch den Veräußerer keine sozialplanpflichtige Betriebsänderung i.S. von § 111 Abs. 1 BetrVG, sofern der Veräußerer mit den bei ihm verbleibenden Arbeitnehmern nicht mehr im Rahmen einer betrieblichen Organisation wirtschaftlich tätig wird. Das gilt auch dann, wenn der Betrieb vor dem Betriebsübergang den Schwellenwert des § 111 Abs. 1 BetrVG überschritten hat und wenn die Zahl der nunmehr vom Veräußerer entlassenen Mitarbeiter den Schwellenwert des § 112 a BetrVG überschreitet.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES BESCHLUSS

11 TaBV 73/07

Verkündet am: 17. Oktober 2007

In dem Beschlussverfahren

hat die Elfte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der Anhörung vom 26. September 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Obenaus beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 24. Mai 2007, Az.: 37 BV 201/07 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Einsetzung einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand Aufstellung eines Sozialplans anlässlich einer behaupteten Betriebsänderung.

Der Auseinandersetzung liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zu Grunde:

Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 2)) hatte bis zur Veräußerung am 14.3.2007 einen Betrieb mit circa 30 Beschäftigten, der sich mit Produktdesign befasste. Der Beteiligte zu 1) ist der bei der der Arbeitgeberin gewählte Betriebsart.

Mit Schreiben vom 7.2.2007 wurden die Arbeitnehmer der Arbeitgeberin darüber informiert, dass die Arbeitgeberin beabsichtige, im März 2007 ihre gesamten Geschäftsaktivitäten auf der Basis eines Kaufvertrages im Wege der Einzelrechtsnachfolge auf die T. D. GmbH zu übertragen. Von den seinerzeit beschäftigten Arbeitnehmern haben acht Mitarbeiter dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber widersprochen. Von diesen acht Mitarbeitern schied eine Mitarbeiterin aufgrund Altersrente aus, der Geschäftsführer schloss einen Aufhebungsvertrag. Sechs Mitarbeitern wurde gekündigt, wobei bei vier Mitarbeitern streitig ist, ob der Widerspruch gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses rechtzeitig erfolgt ist.

Mit seinem beim Arbeitsgericht München am 27.4.2007 eingegangenen Antrag im Beschlussverfahren vom 23.4.2007 hat der Betriebsrat die gerichtliche Benennung des Direktors am Arbeitsgericht A. ... M. zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand Aufstellung eines Sozialplans anlässlich der Entlassung von sechs Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern begehrt.

Zur Begründung hat er vorgetragen, dass anlässlich der Kündigungen eine Massenentlassungsanzeige vorliege. Die regelmäßige Beschäftigtenzahl betrage 30 Mitarbeiter. Die Arbeitgeberin habe nicht versucht, einen Interessenausgleich und Sozialplan mit dem Betriebsrat zu verhandeln. Auf Nachfrage des Betriebsrats habe die Arbeitgeberin die Einrichtung einer Einigungsstelle abgelehnt.

Der Betriebsrat hat in erster Instanz beantragt:

Zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand Aufstellung eines Sozialplans anlässlich der Entlassung von sechs Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wird der Richter am Arbeitsgericht A. ... M. ernannt.

Die Anzahl der Beisitzer je Seite wird auf zwei festgesetzt.

Die Arbeitgeberin hat beantragt:

Der Antrag wird abgewiesen.

Zur Begründung hat sie vorgetragen, eine Einigungsstelle sei offensichtlich unzuständig, da nach dem Betriebsübergang kein Betrieb mehr vorhanden sei und zudem nur noch sechs Mitarbeiter zur Zeit der Kündigung vorhanden gewesen seien. Ein ordnungsgemäßer Betriebsratsbeschluss werde bestritten.

Das Arbeitsgericht München hat durch Beschluss vom 24. Mai 2007, der dem Betriebsrat am 25. Juni 2007 zugestellt worden ist, den Antrag zurückgewiesen.

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der Betriebsübergang selbst sei keine Betriebsänderung im Sinne des § 111 Betriebverfassungsgesetz, sondern ein Inhaberwechsel. Die Kündigung der verbleibenden sechs Mitarbeiter sei ebenfalls keine Betriebsänderung, da überhaupt kein Betrieb bei der Arbeitgeberin mehr bestehe. Selbst wenn man einen Betrieb unterstelle, habe dieser nur sechs Mitarbeiter und falle daher nicht unter den Regelungsgegenstand des § 111 Betriebverfassungsgesetz.

Der Entschluss, die Arbeitnehmer, die dem Betriebsübergang widersprechen, zu entlassen, habe zwar schon zeitlich vor dem Betriebsübergang gelegen. Die konkrete Kündigungsabsicht habe jedoch erst nach erfolgtem Widerspruch erfolgen können. Zu diesem Zeitpunkt habe es jedoch nur noch sechs Mitarbeiter gegeben. Zum Zeitpunkt des Informationsschreibens habe auch nicht die Absicht einer Betriebsstilllegung oder einer Betriebseinschränkung bestanden, da der Betrieb eben nicht stillgelegt oder eingeschränkt, sondern verkauft habe werden sollen.

Gegen den Beschluss vom 25. Juni 2007 hat der Betriebsrat mit Schriftsatz vom 9. Juli 2007, der beim Landesarbeitsgericht München am selben Tag eingegangen ist, Beschwerde eingelegt.

Zur Begründung seiner Beschwerde trägt er vor, das Arbeitsgericht habe rechtsfehlerhaft bei der Feststellung der Regelbeschäftigung auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung abgestellt. Während der Zeit der normalen Betriebsführung seien es unstreitig 30 Beschäftigte gewesen. Wolle man - wie es das Ausgangsgericht zu tun scheine - auf den Zeitpunkt der Kündigung abstellen, müsse man die Gesichtspunkte zur Feststellung eines Gemeinschaftsbetriebs zu Grunde legen. Der vorliegende Fall sei mit dem am 16.6.1987 vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall vergleichbar. Damals sei es darum gegangen, dass ein Unternehmer anlässlich eines Brandes zunächst allen Arbeitnehmern gekündigt gehabt und dabei in Aussicht gestellt gehabt habe, sie bei Wiederaufnahme des Betriebs wieder einzustellen, dass sich dieser Unternehmer dann aber später entschlossen habe, den Betrieb nicht wieder aufzubauen, sondern endgültig stillzulegen. In diesem Fall seien die Arbeitgeberentscheidungen streng genommen zu einem Zeitpunkt erfolgt, als es weder ein operatives Geschäft, noch Beschäftigte, noch Betriebsratsmitglieder mit Beschäftigungsverhältnissen gegeben habe. Im Übrigen sei die Einigungsstelle auch dann einzurichten, wenn Zweifel an der Zuständigkeit bestünden. Lediglich die offensichtliche Unzuständigkeit schließe die Bestimmung eines Einigungsstellenvorsitzenden aus.

Der Betriebsrat beantragt:

I. Der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 24.05.2007, Az.: 37 BV 201/07, zugestellt am 25.06.2007, wird abgeändert.

II. Zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand Aufstellung eines Sozialplans anlässlich der Betriebsänderung zum 14.03.2007 (Betriebsreduzierung, Betriebsverlagerung und Entlassung von sechs Arbeitnehmern) wird der Richter am Arbeitsgericht A. ... M. benannt.

III. Die Anzahl der Beisitzer je Seite wird auf zwei festgesetzt.

Die Arbeitgeberin beantragt,

die Beschwerde des Betriebsrats zurückzuweisen.

Zur Begründung führt sie aus, wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt habe, stelle der Betriebsübergang selbst keine Betriebsänderung im Sinn des § 111 Betriebverfassungsgesetz dar. Die Kündigungen der infolge ihres Widerspruchs bei der Beteiligten zu 2) verbliebenen 6 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stelle ebenfalls keine Betriebsänderung dar. Die Arbeitgeberin habe zum Zeitpunkt des Kündigungsentschlusses und zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung über keinen Betrieb mehr verfügt. Der am 14.3.2007 übergegangene Betrieb sei der einzige Betrieb der Arbeitgeberin gewesen. Der vom Betriebsrat befürwortete Rückblick auf die frühere Belegschaftsstärke komme zwar im Fall einer Betriebsstilllegung in Betracht, vorliegend habe jedoch keine Betriebsstilllegung stattgefunden, sondern ein Betriebsübergang. Die Argumentation des Betriebsrats im Hinblick auf einen Gemeinschaftsbetrieb gehe an der Sache vorbei. Die Arbeitgeberin unterhalte mit der neuen Inhaberin keinen Gemeinschaftsbetrieb.

Hinsichtlich des weiteren Ergebnisses der Anhörung wird auf die von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet.

Das Arbeitsgerecht hat zutreffend und mit zutreffender Begründung den Antrag zurückgewiesen.

Zum Beschwerdevorbringen wird ergänzend bemerkt:

Der Antrag des Betriebsrats auf Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden ist unbegründet, da die Einigungsstelle zu dem im Antrag bezeichneten Thema offensichtlich unzuständig ist (§ 98 ArbGG).

Gemäß § 98 Abs. 1 S. 2 ArbGG können Anträge nach § 76 Abs. 2 S. 2 und 3 BetrVG auf Bestellung des Vorsitzenden einer Einigungsstelle und auf Bestimmung der Zahl der Beisitzer nur zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. Mit dieser Regelung bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass das Arbeitsgericht grundsätzlich nicht die Vorfrage zu prüfen hat, ob eine Zuständigkeit der Einigungsstelle für die anstehenden Streitfragen gegeben ist. Eine Prüfung dieser nicht selten schwierigen Fragen wäre nicht mit dem Zweck des Bestellungsverfahrens nach § 98 ArbGG, die schnelle Bildung einer Einigungsstelle zu ermöglichen, vereinbar (vgl. BAG AP Nr. 11 zu § 76 BetrVG 1972; GK-Kreutz § 76 BetrVG Rz. 50; Fitting u.a. § 76 BetrVG Rz. 21). Die Einigungsstelle hat ihre Zuständigkeit vor einer Sachentscheidung selbst zu prüfen (ständige Rechtsprechung des BAG vgl. AP Nr. 2, 10 und 11 zu § 87 BetrVG 1972).

Das Arbeitsgericht darf also gemäß § 98 Abs. 1 S. 2 ArbGG den Antrag auf Bestellung des Vorsitzenden einer Einigungsstelle und auf Bestimmung der Anzahl der Beisitzer nur ablehnen, wenn die Zuständigkeit der Einigungsstelle offensichtlich nicht gegeben ist.

Die Frage nach der Zuständigkeit der Einigungsstelle beinhaltet im Regelfalle und in erster Linie die Frage nach dem Bestehen eines erzwingbaren Mitbestimmungsrechtes (vgl. BAG AP Nr. 11 zu § 76 BetrVG 1972; Fitting u.a. § 76 BetrVG Rz. 21; GK-Kreutz § 76 BetrVG Rz. 70). Die vom Betriebsrat gewünschte Einigungsstelle betrifft auch Gegenstände, die dem erzwingbaren Einigungsstellenverfahren unterliegen (§§ 11 Abs. 1; 112 Abs. 4 BetrVG).

Die angestrebte Einigungsstelle ist jedoch offensichtlich unzuständig, weil die Arbeitgeberin zu keinem Zeitpunkt eine Betriebsänderung geplant hat.

§ 112 Abs. 4 BetrVG i.V.m. § 111 Abs. 1 Satz 1 BetrVG setzt eine "geplante Betriebsänderung" voraus.

Wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, ist ein Betriebsübergang keine Betriebsänderung im Sinne von § 111 Abs. 1 Satz 1 BetrVG.

Ebensowenig ist die Kündigung von Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnisse wegen Widerspruchs gemäß § 613 a Abs. 6 BGB nicht auf den Erwerber übergegangen sind, eine Betriebsänderung. Die Tatsache, dass die Beklagte nach dem Betriebsübergang Rechtsbeziehungen zu mehreren Personen hat, die als Arbeitsverhältnisse zu qualifizieren sind, führt nicht dazu, dass hier ein Betrieb vorliegt. Wo es keinen Betrieb gibt, kann es auch keine Betriebsänderung geben.

Das gilt auch dann, wenn wie der Betriebsrat eingewandt hat, bereits vor der Veräußerung die Absicht des Veräußerers bestand, denjenigen Arbeitnehmern zu kündigen, deren Arbeitsverhältnisse wegen eines eventuellen Widerspruchs nicht übergehen würden.

Unter den gegebenen Umständen ist es unerheblich, dass das Unternehmen vor dem Betriebsübergang mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt hat (§ 111 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Hierauf kommt es nicht an, weil die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen einer Betriebsänderung im Sinne dieser Vorschrift nicht gegeben sind.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 12 Abs. 5 ArbGG.

Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben, § 98 Abs. 2 S. 4 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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