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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 11.09.2006
Aktenzeichen: 6 Sa 1089/05
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 54 Abs. 5 S. 4
ZPO § 269 Abs. 3
§ 269 Abs 3 ZPO ist gemäß § 54 Abs. 5 S. 4 ArbGG nicht analog anzuwenden (also keine fiktive Klagerücknahme), wenn von den Parteien im ersten Gütetermin aufgrund einer außergerichtlichen Absprache, über die sie das Gericht zuvor unterrichtet hatten, eine nicht erscheint, die andere nicht verhandelt und das Verfahren anschließend länger als sechs Monate ruht. Aufgrund eines außergerichtlichen Prozessvertrages über das Ruhen des Verfahrens gilt nicht § 54 Abs. 5 ArbGG, sondern § 251 ZPO.

Die Unterrichtung des Gerichts hierüber war mit dem Antrag verbunden gewesen, den Gütetermin aufzuheben.

Dass dieser um 9.18 Uhr als Fax bei Gericht eingegangene Antrag dem Vorsitzenden vor der um 14.00 Uhr anberaumten Güteverhandlung auf einem Gerichtstag nicht vorgelegt worden ist, ändert daran nichts.


LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

6 Sa 1089/05

Verkündet am: 11. September 2006

In dem Rechtsstreit

hat die Sechste Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 11. September 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Staudacher sowie die ehrenamtlichen Richter Raila und Lerchl für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers vom 27. Oktober 2005 wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 19. September 2005 aufgehoben.

2. Der Rechtsstreit wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Arbeitsgericht Augsburg zurückverwiesen.

3. Für die Beklagte wird die Revision zugelassen.

Tatbestand:

Der im Mai 1959 geborene, verheiratete und zwei Kindern unterhaltspflichtige Kläger war seit dem 13. September 1990 bei der Beklagten als Monteur beschäftigt gewesen. Als ihm diese mit Schreiben vom 28. April 2004 (Blatt 13 der Akte) eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung zum 30. September 2004 aussprach, ließ er dagegen mit anwaltschaftlichem Schriftsatz vom 12. Mai 2004 Kündigungsschutzklage verbunden mit einem allgemeinen Feststellungsantrag und einem Beschäftigungsantrag erheben.

Nach zwei Verlegungsanträgen war Termin zur Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht Augsburg, Gerichtstag Donauwörth, auf den 7. Juni 2004, 14:00 Uhr, bestimmt worden.

Mit Schriftsatz vom 7. Juni 2004, vorweg per Fax eingegangen um 9:18 Uhr beim Arbeitsgericht Augsburg (Blatt 33/34 der Akte), haben die klägerischen Prozessbevollmächtigten beantragt, in Übereinstimmung mit der Beklagtenseite das Ruhen des Verfahrens mit dem Recht des jederzeitigen Wiederaufrufs anzuordnen. Zur Begründung ist vorgetragen worden, die Parteien befänden sich derzeit in außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen, so dass eine außergerichtliche Streitbeilegung in dieser Rechtsangelegenheit möglich erscheine. Gleichzeitig ist darum gebeten worden, den auf den 7. Juni 2004, 14:00 Uhr, anberaumten Termin zur Durchführung der Güteverhandlung aufzuheben.

Eine Terminaufhebung erfolgte nicht. Zum Termin war nur der Beklagtenvertreter erschienen. Er teilte nach dem Tatbestand des Ersturteils mit, dass der heutige Termin von keiner Partei wahrgenommen werde, da man sich in außergerichtlichen Verhandlungen befände.

Mit Beschluss vom 7. Juni 2004 hat das Erstgericht daraufhin das Ruhen des Verfahrens angeordnet (Blatt 37/38 der Akte).

Mit Schriftsatz vom 11. Mai 2005 beantragten die klägerischen Prozessbevollmächtigten die Fortsetzung des Verfahrens mit der Begründung, die Vergleichsverhandlungen zwischen den Parteien seien gescheitert.

Die Beklagte ist diesem Antrag unter Hinweis auf § 54 Abs. 5 ArbGG in Verbindung mit § 269 Abs. 3 - 5 ZPO entgegengetreten.

Nach entsprechender Antragstellung hat das Erstgericht entschieden, dass die Klage als zurückgenommen gilt. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe seines Endurteils vom 19. September 2005 wird Bezug genommen.

Mit der am 28. Oktober 2005 beim Landesarbeitsgericht München eingegangenen Berufung gegen diese seinen Prozessbevollmächtigten am 19. Dezember 2005 zugestellte Entscheidung verfolgt der Kläger seinen Kündigungsschutzantrag weiter. Die Begründung dazu ist am 6. Dezember 2005 eingegangen. Darin wird die Ansicht vertreten, ein Ruhen des Verfahrens gem. § 54 Abs. 5 Satz 1 ArbGG könne vom Gericht nur angeordnet werden, wenn in einem ordnungsgemäß anberaumten Gütetermin sowohl Kläger als auch Beklagte bzw. deren Vertreter zum Termin nicht erscheinen oder beide Parteien bzw. deren Prozessbevollmächtigte im Gütetermin erscheinen, jedoch nicht verhandeln. Dieser Fall sei vorliegend nicht gegeben. Gemäß Protokoll über die öffentliche Sitzung des Arbeitsgerichts Augsburg vom 7. Juni 2004 war bei Aufruf der Sache für die Beklagte Herr Rechtsanwalt H. erschienen. Die Berufungsanträge lauten damit:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 19. September 2005, Az.: 7 Ca 2076/04 D, wird aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass die Klage als nicht zurückgenommen gilt.

3. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Arbeitsgericht Augsburg zurückverwiesen.

Die Beklagte lässt beantragen:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Den Überlegungen des Erstgerichts in der angefochtenen Entscheidung pflichtet sie bei, den Ausführungen in der Berufungsbegründung tritt sie entgegen. Ihr Prozessbevollmächtigter sei zum Termin am 7. Juni 2004 zwar erschienen, er habe aber - wie vom Erstgericht zutreffend festgestellt - nicht zur Sache verhandelt. Damit stehe fest, dass im ordnungsgemäß anberaumten Termin vom 7. Juni 2004 weder beide Parteien an der Güteverhandlung teilgenommen noch zur Sache in der Güteverhandlung verhandelt haben. Vom Erstgericht sei das Ruhen des Verfahrens damit zu Recht angeordnet worden. Innerhalb einer Frist von sechs Monaten habe nach dem 7. Juni 2004 keine Partei einen Antrag auf Terminsbestimmung gestellt. Damit hat das Erstgericht nach Ansicht der Beklagten auch zutreffend die Kündigungsschutzklage als zurückgenommen angesehen.

Zur Ergänzung des Parteivorbringens im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 6. Dezember 2005 (Blatt 180 bis 182 der Akte), auf die Berufungsbeantwortung vom 11. Januar 2006 (Blatt 185 bis 187 der Akte), auf die weitere Berufung der klägerischen Prozessbevollmächtigten vom 19. Januar 2006 (Blatt 190/ 191 der Akte) in Verbindung mit der am 17. Februar 2006 eingegangenen Berufungsbegründung vom 28. November 2005 (Blatt 196 bis 198 der Akte), auf die erneute Berufungsbeantwortung vom 1. März 2006 (Blatt 200 bis 202 der Akte) sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 11. September 2006 (Blatt 223/224 der Akte).

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§ 64 Abs. 2 ArbGG) und auch sonst zulässige Berufung (§ 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, § 11 Abs. 2 ArbGG) mit dem Ziel, die Klageanträge als nicht zurückgenommen festgestellt zu bekommen, hat im wesentlichen Erfolg. Die Klage gilt nicht als zurückgenommen i. S. v. § 54 Abs. 5 S. 4 ArbGG i. V. m. § 269 Abs. 3 ZPO. Der im Gütetermin verkündete Beschluss, mit dem das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden ist, beruht nach Auffassung der Kammer nicht auf § 54 Abs. 5 S. 1 ArbGG , sondern auf § 251 ZPO, so dass § 54 Abs. 5 S. 4 ArbGG nicht zur Anwendung kommt.

Antragsgemäß war der Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Endurteils an das Arbeitsgericht zur Verhandlung und erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO entspr. in Verbindung mit § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG). Das Erstgericht hat die Klage zu Unrecht als zurückgenommen angesehen, damit keine Sachentscheidung getroffen (vgl. BCF/Friedrich ArbGG, 4. Auflage, § 68 Rz. 3); der Rechtsstreit ist noch nicht entscheidungsreif (§ 300 ZPO).

1. Die Voraussetzungen des § 54 Abs. 5 ArbGG lagen im Termin am 7. Juni 2004 nicht vor. Einmal hätte diese Güteverhandlung um 14:00 Uhr nach Eingang des Schriftsatzes vom 7. Juni 2004 (Blatt 33/34 der Akte) wohl aufgehoben werden müssen, war dies doch von den klägerischen Prozessbevollmächtigten in anwaltschaftlich versicherter Abstimmung mit dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten beantragt worden. Wenn beim Hauptgericht am 7. Juni 2004 um 9:18 Uhr ein solcher Antrag eingeht, dessen Wortlaut Eilbedürftigkeit erkennen lässt, soll doch der auf 7. Juni 2004,14:00 Uhr, anberaumte Termin zur Güteverhandlung aufgehoben werden, kann und muss erwartet werden, dass darüber unverzüglich entschieden bzw. der in Donauwörth tagende Vorsitzende unterrichtet wird. Beides ist im Streitfall nicht geschehen.

Weiter kann nicht davon ausgegangen werden, dass beide Parteien in dieser Güteverhandlung nicht erschienen waren oder nicht verhandelt haben. Nur die klägerischen Prozessbevollmächtigten waren nicht erschienen, der erschienene Prozessbevollmächtigte der Beklagten hatte dagegen nicht verhandelt. Ein außerhalb des § 54 Abs. 6 ArbGG angeordnetes Ruhen des Verfahrens hat nicht die Folgen des § 269 Abs. 3 ZPO.

2. Die Berufungskammer folgt auch der vom LAG Saarland im Beschluss vom 9. Juni 2000 - 2 Ta 2/2000 und vom Arbeitsgericht Regensburg im Zwischenurteil vom 8.05.2006 - 4 Ca 2656/05 vertretenen Ansicht, dass § 269 Abs. 3 ZPO gemäß § 54 Abs. 5 S 4 ArbGG (fiktive Klagerücknahme) nicht analog anzuwenden ist, wenn die Parteien im ersten Gütetermin aufgrund einer außergerichtlichen Absprache, über die sie das Gericht zuvor unterrichtet hatten, nicht erschienen sind (oder nicht verhandelt haben) und das Verfahren anschließend länger als sechs Monate ruhte. Aufgrund eines außergerichtlichen Prozessvertrages über das Ruhen des Verfahrens gilt nicht § 54 Abs. 5 ArbGG , sondern § 251 ZPO . Die Unterrichtung des Gerichts hierüber kann entsprechend § 227 ZPO als Vertagungsantrag auf unbestimmte Zeit angesehen werden. Diese Voraussetzungen sind durch den Schriftsatz der klägerischen Prozessbevollmächtigten vom 7. Juni 2004 ebenfalls erfüllt.

a. § 251 S. 1 ZPO gibt den Parteien eines Rechtsstreits die Möglichkeit, unter Wahrung der Rechtshängigkeit gezielt von einer Durchführung des Rechtsstreits vorerst Abstand zu nehmen. Erforderlich ist, dass beide Parteien das Ruhen des Verfahrens beantragen und anzunehmen ist, dass z.B. wegen Schwebens von Vergleichsverhandlungen oder aus sonstigen wichtigen Gründen diese Anordnung zweckmäßig ist. Das Gericht hat dem Antrag der Parteien zu entsprechen, wenn die Voraussetzungen gegeben sind. Einen bereits anberaumten Termin wird es gem. § 227 Abs. 1 ZPO in der Regel aufheben oder ausnahmsweise den Ruhensbeschluss im Termin verkünden.

§ 54 Abs. 5 S. 1 ArbGG und § 251 ZPO regeln unterschiedliche Sachverhalte und unterscheiden sich auch in ihrer jeweiligen Zielsetzung: Nach § 54 Abs. 5 ArbGG ist zu entscheiden, wenn das Arbeitsgericht auf Grund des Verhaltens der Parteien davon ausgehen muss, dass diese Verhandlungen zur gütlichen Einigung nicht aufnehmen wollen. Das Gesetz sieht deshalb eine sanktionierte Frist zur Aufnahme der streitigen Verhandlung vor.

Nach § 251 ZPO ist dagegen zu entscheiden, wenn beide Parteien außergerichtliche Aktivitäten zur Beilegung des Rechtsstreits oder sonstige wichtige Gründe für ein Ruhen des Verfahrens mitteilen und übereinstimmend einen entsprechenden Antrag stellen. Eine Ruhensanordnung nach § 251 S. 1 ZPO wirkt, anders als nach § 54 Abs. 5 S. 1 ArbGG, so lange, bis das Gericht die Anordnung wegen Wegfalls der Voraussetzungen aufhebt oder bis zur Aufnahme des Verfahrens durch eine Partei nach § 250 ZPO, es sei denn, die Anordnung wäre von vorneherein beschränkt gewesen (vgl. Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 27. Aufl., § 251 ZPO Rz. 5 ff.; Gift/Baur, Urteilsverfahren, D Rz. 179 ff., 188).

Wegen dieses unterschiedlichen Regelungsgegenstandes und Regelungszwecks kann § 54 Abs. 5 S. 1 ArbGG nicht als Sondervorschrift zu § 251 ZPO gesehen werden, sondern nur als Spezialnorm zu § 251 a Abs. 1 und 3 ZPO.

b. Auch eine analoge Anwendung des § 54 Abs. 5 S. 3 und 4 ArbGG scheidet aus, weil eine Regelungslücke nicht besteht. Eine Analogie würde sich auch im Hinblick auf den Ausnahmecharakter der - in Fällen wie dem vorliegenden sehr weitgehenden - Sanktionsnorm verbieten (vgl. dazu auch LAG Düsseldorf LAGE § 54 ArbGG 1979 Nr. 6; Germelmann u.a., ArbGG, 5.Aufl., Rz. 54 zu § 54 ArbGG; a.A. BCF/Creutzfeldt, ArbGG, § 54 Rz. 17).

c. Sind die Voraussetzungen des § 251 S. 1 ZPO gegeben, ist für § 54 Abs. 5 S. 4 ArbGG kein Raum ( LAG Berlin, Beschluss v. 19.09.2003, AZ: 5 Ta 841/03, LAGE § 54 ArbGG 1979 Nr. 7).

3. Der das Ruhen des Verfahrens anordnende Beschluss des Erstgerichts vom 7. Juni 2004 beruhte auf § 251 S. 1 ZPO, dessen Voraussetzungen gegeben waren. Die Klägervertreter hatten mit Schriftsatz vom 7. Juni 2004 beantragt, den anberaumten Termin zur Güteverhandlung am 7. Juni 2004 wegen außergerichtlicher Vergleichsverhandlungen aufzuheben. Diese Vorgehensweise sei mit dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten abgestimmt. Der Beklagtenvertreter hat dem auch nicht widersprochen. Damit hätte der Vorsitzende am 7. Juni 2004 davon ausgehen müssen, dass beide Parteien das Ruhen des Verfahrens beantragen und die zur Begründung mitgeteilten Umstände zutreffen. Die Anordnung des Ruhens des Verfahrens war also zweckmäßig.

Für einen Beschluss nach § 54 Abs. 5 S. 1 ArbGG blieb damit kein Raum, weil die Parteien dem Gütetermin nicht einfach nur ferngeblieben sind, sondern bereits vorher einen begründeten Antrag auf Terminsaufhebung und Anordnung des Ruhens des Verfahrens nach § 251 ZPO gestellt haben. Dass das Gericht den Gütetermin nicht aufgehoben hat und einen Ruhensbeschluss erst im Termin verkündete, ändert daran nichts. Eine Begründung für diesen Beschluss ist nicht gegeben worden.

Der Kläger hat mit Antrag vom 11. Mai 2005 das Verfahren gemäß § 250 ZPO wieder aufgenommen und so das Ruhen des Verfahrens beendet. Dem Antrag der Beklagten, die Rücknahme der Klage festzustellen, konnte damit nicht entsprochen werden. Der Rechtsstreit ist nicht infolge Klagerücknahme beendet.

4. Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst. Für die Beklagte wird die Revision zugelassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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