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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Urteil verkündet am 22.07.2009
Aktenzeichen: 2 Sa 262/08
Rechtsgebiete: TV Ärzte


Vorschriften:

TV Ärzte § 12
Für die Forderung einer abgeschlossenen Zusatzweiterbildung durch den Arbeitgeber gemäß § 112 TV Ärzte (Entgeltgruppe Ä 3) reicht es aus, wenn sich die Forderung nach der Zusatzweiterbildung aus den Umständen ergibt. Insbesondere ist maßgeblich, ob eine Ausübung der übertragenen Spezialfunktion ohne Zusatzweiterbildung nach den Umständen des Einzelfalles denkbar wäre.
Tenor:

I. Die Berufung des beklagten Landes wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand;

Die Parteien streiten um die richtige Eingruppierung. Zum Sachverhalt heißt es insoweit im Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Rostock - 4 Ca 878/07 - vom 06.08.2008 wie folgt:

Die 1952 geborene Klägerin ist Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin und in der Universitätsklinik - dem jetzigen Universitätsklinikum AöR - seit 1976 tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet unstreitig der Tarifvertrag für die Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken vom 30.10.2006 - in der Folge nur TV Ärzte genannt - Anwendung. Mit Wirkung vom 16.06.1992 erwarb die Klägerin die nach der alten und neuen Weiterbildungsordnung als Schwerpunkt ausgewiesene Subspezialisierung für Pulmologie auf ihrem Facharztgebiet. Im Rahmen einer Zusatzweiterbildung nach der Weiterbildungsordnung qualifizierte sich die Klägerin und darf seit dem 18.08.1993 die Zusatzbezeichnung Allergologie führen. Seitdem übt sie für das beklagte Land diese Tätigkeiten aus. Vom damaligen ärztlichen Direktor des Klinikums der Universität Rostock wurde sie am 04.10.1999 zur kommissarischen Oberärztin der Abteilung Allgemeine Pädiatrie der Kinder- und Jugendklinik schriftlich ernannt. Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin diese Funktion in der Folge ausgeübt hat. Ihre Eingruppierung erfolgte damals in die Ib Fallgruppe 7 BAT-O mit Bewährungsaufstieg in die Ia BAT-O. Tatsächlich ist die Klägerin nach dem Ausscheiden ihrer Vorgängerin die einzige Fachärztin im Universitätsklinikum, die die Schwerpunkt- und Zusatzweiterbildungen Pulmologie und Allergologie besitzt.

Mit der vorgenannten Entscheidung hat das Arbeitsgericht Rostock festgestellt, dass das beklagte Land verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 2. Juli 2006 Entgelt nach der Entgeltgruppe Ä 3 Stufe 3 des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken vom 30. Oktober 2006 zu zahlen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits hat es dem beklagten Land auferlegt. Der Streitwert ist auf 43.200,00 EUR festgesetzt worden.

Dieses Urteil ist dem beklagten Land am 12.08.2008 zugestellt worden. Es hat dagegen Berufung eingelegt, die am 01.09.2008 beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist. Die Berufungsbegründung ist am 10.10.2008 beim Landesarbeitsgericht eingegangen.

Das beklagte Land ist der Auffassung, die Klägerin habe nicht dargelegt, dass ihr in Bezug auf die übertragenen Aufgaben auch Aufsichtsfunktionen über ärztliches oder nichtärztliches Personal übertragen worden seien. Dies habe das erstinstanzliche Gericht noch nicht einmal festgestellt.

Auch habe die Klägerin weder einen Arbeitsvorgang dargelegt noch dass sie "zeitlich mindestens die Hälfte" der Anforderungen der Tarifnorm erfülle. Die Klägerin hätte vortragen müssen, welchen Umfang im Einzelnen die Tätigkeiten ausmachen und welche hiervon oberärztliche Tätigkeiten seien.

Der Klägerin sei nicht die medizinische Verantwortung für Teil- oder Funktionsbereiche übertragen. Auch medizinische Spezialfunktionen lägen nicht vor. Die Klägerin verfüge zwar über eine qualifizierte abgeschlossene Zusatzweiterbildung nach der Weiterbildungsordnung. Die Klägerin werde jedoch nicht in einer Spezialfunktion tätig, für die diese Weiterbildung gefordert wird. Es fehle jeder Vortrag zum Zeitaufwand. Auch sei ihr eine entsprechende Weiterbildung nicht abverlangt worden.

Das beklagte Land beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock vom 11.06.2008 - 4 Ca 878/07 - dahin abzuändern, dass die Klage insgesamt abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin auferlegt werden.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin tritt der erstinstanzlichen Entscheidung bei.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend der Klage in dem entschiedenen Umfang stattgegeben.

Auf das Arbeitsverhältnis findet unstreitig der Tarifvertrag für die Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken vom 30.10.2006 (im Folgenden nur TV Ärzte) Anwendung. Die maßgebliche Tarifnorm in § 12 TV Ärzte für die Entgeltgruppe Ä 3 lautet wie folgt:

"Oberarzt ist derjenige Arzt, dem die medizinische Verantwortung für Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik bzw. Abteilung vom Arbeitgeber übertragen worden ist.

Oberarzt ist ferner der Facharzt in einer durch den Arbeitgeber übertragenen Spezialfunktion, für die dieser eine erfolgreich abgeschlossene Schwerpunkt- oder Zusatzweiterbildung nach der Weiterbildungsordnung fordert."

Eine Eingruppierung nach dem 1. Absatz dieser Vorschrift kommt nicht in Betracht.

Nach dem Vortrag der Parteien ist nicht davon auszugehen, dass der Klägerin die medizinische Verantwortung für Teil- oder Funktionsbereiche übertragen worden ist. Die Klägerin ist zwar mit Schreiben vom 4. Oktober 1999 zur kommissarischen Oberärztin der Abteilung Allgemeine Pädiatrie der Kinder- und Jugendklinik ernannt worden (Anlage K1 zur Klageschrift, Blatt 5 der Akten). Aus dem ab 2006 Anwendung findenden Organigramm für die Kinder- und Jugendklinik ist jedoch ersichtlich, dass die Leitung für die Abteilung Allgemeine Pädiatrie spätestens ab diesem Zeitpunkt einem anderen Oberarzt übertragen worden ist (vgl. Anlage B1 Organigramm, Blatt 19 der Akten) und es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin sich im Zusammenhang mit dieser Übertragung auf eine eventuelle bisherige Aufgabenwahrnehmung aufgrund des Schreibens vom 4. Oktober 1999 gewandt hat.

Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass sie oberärztliche Leiterin der Poliklinik sei. Hierzu hat sie nicht in der erforderlichen Weise dargetan, dass es einen Teil- oder Funktionsbereich der Klinik bzw. Abteilung gibt, der unter dem Begriff "Poliklinik" firmiert und dass sie diesen Teilbereich leitet. Nach dem bereits angesprochenen Organigramm gibt es keinen Bereich Poliklinik. Die Ärzte, die Aufgaben im Bereich der Poliklinik wahrnehmen, handeln nach dem Vortrag der Beklagten in eigener Verantwortung. Wenn sie hin und wieder in Zweifelsfällen die Klägerin aufgrund ihrer Berufserfahrung um Rat fragen, begründet dies allein noch keine medizinische Verantwortung.

Die Klägerin erfüllt jedoch die Voraussatzungen der 2. Alternative der maßgeblichen Tarifnorm (Facharzt in einer durch den Arbeitgeber übertragenen Spezialfunktion).

Die Klägerin ist Fachärztin und verfügt über eine Zusatzweiterbildung nach der Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern. Die Klägerin wird in dieser Spezialfunktion auch in dem nach § 12 TV Ärzte geforderten Umfang tätig. Nach § 12 sind Ärzte entsprechend ihrer nicht nur vorübergehenden und zeitlich mindestens zur Hälfte auszuübenden Tätigkeit einzugruppieren. Die Klägerin ist mindestens zur Hälfte in der Spezialfunktion Pulmologie/Allergologie tätig.

Die Klägerin nimmt zwischen den Parteien unstreitig am Montag 6 Stunden, am Dienstag 7,5 Stunden und am Mittwoch und Donnerstag jeweils 3,5 Stunden in der Mukoviszidose-Fachambulanz und Bronchologischen Fachambulanz der Universitäts-Kinder- und Jugendklinik Rostock wahr. Auf die streitige halbe Stunde am Montagnachmittag von 16:00 Uhr bis 16:30 Uhr kommt es im Nachfolgenden nicht an. Ferner hat die Klägerin vorgetragen, dass sie auch am Freitag in der Zeit von 09:00 Uhr bis 12:00 Uhr Sprechstunden in dieser Fachambulanz wahrnimmt. Auch dies ist als unstreitig anzusehen. Das beklagte Land hat sich zwar darauf berufen, dass es sich dabei nur um Sprechstunden nach Vereinbarung handelt. Dem steht jedoch nicht entgegen, dass die Klägerin auch am Freitag in dem angegebenen Umfang tätig wird. Die Klägerin hat dies mehrfach in der mündlichen Verhandlung behauptet.

Aufgrund der umfangreichen Erkenntnismöglichkeiten, über die das beklagte Land als Arbeitgeber verfügt, hätte es den Vortrag der Klägerin substantiiert bestreiten müssen und darlegen, dass die Arbeitsaufgabe der Klägerin am Freitagmorgen teilweise andere sind, als die von der Klägerin behauptete Wahrnehmung der Sprechstunden. In der mündlichen Verhandlung ist ferner unstreitig geworden, dass es sich bei der Wahrnehmung der Sprechstunden um eine Tätigkeit in der Spezialfunktion Pulmologie/Allergologie handelt.

Die Klägerin hat ferner behauptet, sie sei darüber hinaus fünf bis sechs Stunden wöchentlich mit der Betreuung stationärer Patienten in der Klinik und in anderen Kliniken beschäftigt, die der Spezialfunktion zuzurechnen sind. Auch diesem Vortrag ist das beklagte Land nicht substantiiert genug entgegengetreten. Es hat sich lediglich darauf bezogen, dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung einen Zeitaufwand von ein bis zwei Stunden wöchentlich genannt haben soll. Dies ist dem Vorsitzenden Richter nicht mehr erinnerlich. In den Schriftsätzen findet sich eine derartige Angabe nicht. Es kann sich dabei auch um ein Missverständnis zwischen wöchentlichen bzw. täglicher Arbeitsbelastung gehandelt haben. Ein Zeitaufwand von fünf bis sechs Stunden wöchentlich ist zudem außerordentlich plausibel.

Bereits aus dem erstinstanzlichen Vortrag der Parteien ist ersichtlich, dass etwa zwanzig Prozent der stationären Patienten der Kinder- und Jugendklinik an pulmologischen bzw. allergologenen Erkrankungen leiden. Die Klägerin ist die einzige Ärztin in dieser Spezialfunktion. Bei den Sprechstunden, die bereits vorher genannt worden sind, handelt es sich um ambulante Patienten. Dass die Klägerin bei dieser Sachlage etwa fünf bis sechs Stunden wöchentlich in ihrer Spezialfunktion tätig ist, ist so glaubhaft, dass das beklagte Land abweichenden Sachvortrag konkreter hätte darlegen müssen als geschehen. Damit ist ein Zeitaufwand von 28 Stunden wöchentlich in der Spezialfunktion zwischen den Parteien als unstreitig anzusehen.

Hiervon sind vier Stunden abzuziehen, da diese vier Stunden von der Klägerin aufgrund einer Vereinbarung mit der Beklagten direkt mit den Leistungsträgern abgerechnet werden. Dass die Klägerin dabei einen Teil ihres Entgeltes (60 Prozent) an das beklagte Land abführen muss, ist unerheblich, da dies mit den Sachkosten des beklagten Landes an der Patientenbetreuung begründet werden kann. Ferner ist unerheblich, dass die Klägerin hierzu ausgeführt hat, diese Vorgehensweise sei auf Wunsch des beklagten Landes erfolgt. Dies ändert nichts daran, dass es sich um eine insoweit selbständige Tätigkeit der Klägerin im Rahmen der Patientenbetreuung handelt, die der Arbeitszeit nicht zuzurechnen ist.

Ferner können zwei Stunden von der errechneten Stundenzahl abgezogen werden, da die Klägerin sich - jedenfalls nach Behauptung des beklagten Landes - zu wöchentlich vier Überstunden verpflichtet habe. Wenn man insoweit einseitig vom Vorteil des beklagten Landes ausgeht, ergeben sich immer noch 22 Stunden, um mit dem Erfordernis der mindestens zur Hälfte auszuübenden Tätigkeit von insgesamt 42 Stunden tariflicher Arbeitszeit Rechnung getragen ist.

Das beklagte Land kann sich auch nicht darauf berufen, es habe eine entsprechende Weiterbildung nicht gefordert. Es trifft zu, dass es eine ausdrückliche Forderung nicht gibt. Angesichts der Bedeutung der Beklagten als Universitätsklinik und der Häufigkeit der angesprochenen Krankheitsbilder ist es für das Gericht nicht vorstellbar, dass das beklagte Land von der Fachkunde der Klägerin, wie sie in der Weiterbildung zum Ausdruck kommt, nicht in einer Weise profitiert, dass es für das beklagte Land aufgrund der Weiterbildung nicht erforderlich ist, eine entsprechende Weiterbildung von der Klägerin selbst oder von einem anderen Arzt zu fordern.

Man könnte auch die Auffassung vertreten, die Forderung der Weiterbildung durch den Arbeitgeber müsse ausdrücklich erfolgen. Es sollte nämlich ausgeschlossen werden, dass der Arbeitgeber sich einem Höhergruppierungsverlangen ausgesetzt sieht, das ihm aus fiskalischen Gründen unerwünscht ist.

Mindestens ebenso unbefriedigend wäre es aber, wenn der Arbeitgeber sich der Höhergruppierung allein dadurch entziehen könnte, indem er von einer ausdrücklichen Forderung absieht, bei der Stellenbesetzung aber nur Bewerber mit der Zusatzweiterbildung berücksichtigt.

Schließlich hätte die gegenteilige Auffassung die Konsequenz, dass die Höhergruppierung letztlich in das Belieben des Arbeitgebers gestellt wird, da er über das Steuerungsmittel der ausdrücklichen Forderung verfügt. Dann wäre es aber nicht erforderlich gewesen, überhaupt tarifliche Kriterien für eine Eingruppierung von Oberärzten festzusetzen, da es letztlich ohnehin dem Belieben des Arbeitgebers überlassen bleibt, ob er eine höhere Vergütung zahlen will.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 91 ZPO.

Die Revision wird gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

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