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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Urteil verkündet am 07.05.2008
Aktenzeichen: 2 Sa 296/07
Rechtsgebiete: TV-Ärzte


Vorschriften:

TV-Ärzte § 16 Abs. 2
Eine Zeit als Arzt im Praktikum ist als Vordienstzeit weder nach § 16 Abs. 2 Satz 1 oder Satz 2 des TV-Ärzte zu berücksichtigen.
Tenor:

I. Die Berufung des Klägers wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob die Beschäftigungszeit als Arzt im Praktikum bei der Stufenzuordnung nach § 16 des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken vom 30.10.2006 (TV-Ärzte) zu berücksichtigen ist.

Der Kläger war vom 01.01.2002 bis 30.06.2003 bei dem beklagten Land als Arzt im Praktikum (AiP) beschäftigt. Seit dem 01.07.2003 arbeitet er als Assistenzarzt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der TV-Ärzte auf Grund beiderseitiger Tarifbindung Anwendung. Das beklagte Land zahlte dem Kläger vom 01.07.2006 bis zum 30.06.2007 die Vergütung der Entgeltgruppe Ä 1 Stufe 3 (Arzt im 3. Jahr). Seit dem 01.07.2007 erhält er die Vergütungsgruppe der Entgeltgruppe Ä 1 Stufe 4 (Arzt im 4. Jahr).

Der Kläger meint, er sei unter Berücksichtigung der AiP-Zeit nach der jeweils höheren Entgeltstufe zu vergüten. Als AiP habe ihn das beklagte Land genauso eingesetzt wie einen voll approbierten Assistenzarzt. Er habe während dieser Zeit einschlägige Berufserfahrung erworben.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, ihm vom 01.07.2006 bis zum 30.06.2007 das Entgelt der Entgeltgruppe Ä 1 Stufe 4 und anschließend das Entgelt der Entgeltgruppe Ä 1 Stufe 5 TV-Ärzte nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf die beginnend mit dem 30.11.2006 jeweils monatlich fälligen Differenzbeträge zwischen den Bruttozahlungen gemäß Entgeltgruppe Ä1 Stufe 4 und Ä 1 Stufe 5 seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Das Arbeitsgericht Rostock hat durch Urteil vom 16.10.2007 - 1 Ca 1121/07 - die Klage abgewiesen und dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Den Streitwert hat es auf 6.000,00 EUR festgesetzt.

In den Entscheidungsgründen hat es unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25.09.1996 - 4 AZR 200/95 - ausgeführt, die AiP-Zeit sei keine ärztliche Tätigkeit im Sinne dieser Vorschrift. Es bestehe auch kein Anspruch auf Anrechnung der AiP-Zeit nach § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-Ärzte. Es könne dahinstehen, ob diese Zeit trotz ihres Ausbildungscharakters als Zeit von Berufserfahrung anzusehen ist. Jedenfalls entspreche die Entscheidung billigem Ermessen.

Das beklagte Land habe die Möglichkeit, AiP-Zeiten entweder generell zu berücksichtigen oder generell nicht zu berücksichtigen. Eine unterschiedliche Verfahrensweise je nach Art und Intensität der AiP-Tätigkeit komme nicht in Betracht. Die Tarifparteien hätten eine am Einzelfall orientierte Ermessensentscheidung gewollt. Eine generelle Berücksichtigung der AiP-Zeit sollte damit allerdings nicht verbunden sein, wie sich aus dem Verlauf der Tarifverhandlungen ergebe. Eine solche zwingende Regelung habe die Arbeitgeberseite gerade abgelehnt.

Dieses Urteil ist dem Kläger am 22.10.2007 zugestellt worden. Er hat dagegen Berufung eingelegt, die am 02.11.2007 beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist. Nachdem die Berufungsbegründungsfrist auf Grund eines fristgerecht eingegangenen Antrages bis zum 24.01.2008 verlängert worden ist, ist die Berufungsbegründung am 23.01.2008 beim Landesarbeitsgericht eingegangen.

Der Kläger ist der Auffassung, die AiP-Tätigkeit stelle keine Fortsetzung der Ausbildung dar, sondern beinhalte nach Bestehen der ärztlichen Prüfung die Anwendung der erlernten Kenntnisse und Fähigkeiten in der Praxis. Auch entspreche die Entscheidung des beklagten Landes nicht billigem Ermessen. Die Entscheidung sei nicht am Einzelfall orientiert. Die in der AiP-Zeit gewonnene Berufserfahrung komme der Tätigkeit eines approbierten Arztes näher als jede andere Tätigkeit.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock (1 Ca 1121/07) vom 16. Oktober 2007 aufzuheben und festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab dem 01. Juli 2006 Entgelt nach der Entgeltgruppe Ä 1 Stufe 5 des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken vom 30. Oktober 2006, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf die beginnend mit dem 30. November 2006 jeweils monatlich fälligen Differenzbeträge zwischen den Zahlungen gemäß Entgeltgruppe Ä 1 Stufe 4 und Ä 1 Stufe 5 brutto seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Es tritt der angefochtenen Entscheidung bei.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das Arbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen. Zu den Angriffen der Berufung gilt Folgendes:

1.

Für die Stufenzuordnung innerhalb der Entgeltgruppe Ä 1 kommt es entscheidend auf die Zeiten ärztlicher Tätigkeiten an, die der Arzt nachweisen kann. Hierfür enthält der maßgebliche Tarifvertrag TV-Ärzte/TdL mit § 17 Abs. 2 eine besondere Regelung:

Für die Anrechnung von Vorzeiten ärztlicher Tätigkeit gilt Folgendes:

Bei der Stufenzuordnung werden Zeiten mit einschlägiger Berufserfahrung als förderliche Zeiten berücksichtigt. Zeiten von Berufserfahrung aus nichtärztlicher Tätigkeit können berücksichtigt werden.

Das Arbeitsgericht hat unter zutreffender Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts festgestellt, dass eine Anrechnung von Vorzeiten ärztlicher Tätigkeit gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 TV-Ärzte nicht in Betracht kommt. Mit der Formulierung "Zeiten mit einschlägiger Berufserfahrung" sind Zeiten aus ärztlicher Tätigkeit gemeint. Dies ergibt sich spätestens aus der Gegenüberstellung zu § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-Ärzte, der Zeiten von Berufserfahrung aus nichtärztlicher Tätigkeit regelt.

Die AiP-Zeit ist keine Zeit ärztlicher Tätigkeit. Es kann dabei auf die bereits in der angefochtenen Entscheidung zitierte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Bezug genommen werden. Diese Rechtsprechung ist zwar zum BAT ergangen, es ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Tarifparteien des TV-Ärzte einen anderen Begriff von ärztlicher Tätigkeit verwenden wollten, als er im BAT enthalten ist. Es kann vielmehr umgekehrt davon ausgegangen werden, dass den Tarifparteien die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu der Auslegung des Begriffes ärztliche Tätigkeit bekannt war und dass der Umstand, dass sie diesen Begriff weiter verwendet haben, dafür spricht, dass sie an dieser Auslegung festhalten wollten. Dies gilt umso mehr, als die Arbeitnehmerseite versucht hat, in den Tarifverhandlungen eine ausdrückliche Regelung dahingehend zu erreichen, dass die AiP-Zeit als ärztliche Tätigkeit bei der Stufenzuordnung berücksichtigt wird.

2.

Mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht Rostock auch davon abgesehen, einen Anspruch auf Anrechnung der AiP-Zeit gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-Ärzte zu bejahen.

Es fehlt bereits an dem Merkmal Berufserfahrung. Dies setzt voraus, dass es sich um Erfahrungen in einem bereits erlernten Beruf handelt. Als solche können jedoch nicht Erfahrungen angesehen werden, die in und während der Ausbildung erworben und gesammelt werden. Die AiP-Zeit war aber nach der dafür maßgebenden Bundesärzteordnung gerade noch Teil der Ausbildung zum Arzt. Dies folgt unmittelbar aus § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und § 10 Abs. 4 Satz 2 der Bundesärzteordnung in der Fassung vom 16. April 1987, wonach die Zeit als AiP als weiterer Teil der Ausbildung galt und der es "zum Abschluss der Ausbildung" bedurfte (vgl. ebnso m. w. N. Rambach/Feldmann AiP als anrechnungsfähige ärztliche Tätigkeit in ZTR 2008 Seite 85 m. w. N). Darüber hinaus ist es auch ausgesprochen unwahrscheinlich, dass die Tarifparteien bei der Regelung des § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-Ärzte an den AiP gedacht haben. Die Regelung beinhaltet eine Ermessensvorschrift. Derartige Regelungen sind regelmäßig gedacht für Fälle, die seltener vorkommen und einer individuellen Handhabung bedürfen.

Die Tätigkeit als AiP wurde mit dem Vierten Gesetz zur Änderung der Bundesärzteordnung vom 14. Mai 19985 eingeführt und ist ab dem 01. Oktober 2004 ersatzlos gestrichen worden. Bei dieser Sachlage kann davon ausgegangen werden, dass eine Vielzahl der gegenwärtig tätigen Ärzte einmal Arzt im Praktikum gewesen sind.

Nachdem nun unstreitig die Arbeitnehmerseite bei den Tarifverhandlungen versucht hat, die AiP-Zeit als berücksichtigungsfähige Zeit ärztlicher Tätigkeit durchzusetzen, ist es unwahrscheinlich, dass die Tarifparteien die AiP-Zeit gerade bei der Ermessensregelung des § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-Ärzte im Blick hatten. Schließlich ist der Arbeitgeber aber auch befugt, bei einer Ermessensvorschrift eine generelle Vorentscheidung zu treffen, wie er eine Tarifnorm in der Praxis handhaben will (vgl. BAG vom 12.12.2000 - 9 AZR 706/99). Dies hat das beklagte Land offensichtlich im vorliegenden Fall getan, indem es sich entschlossen hat, die AiP-Zeit nicht als Zeit im Sinne des § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-Ärzte anzuerkennen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 97 ZPO.

Das Gericht hat in Hinblick auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG die Revision zugelassen.

Ende der Entscheidung

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