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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Urteil verkündet am 16.04.2008
Aktenzeichen: 2 Sa 330/07
Rechtsgebiete: BGB, BetrVG


Vorschriften:

BGB § 611
BetrVG § 77
Ein auf Grund betrieblicher Übung entstandener Anspruch auf eine Jahreszuwendung kann durch eine spätere Betriebsvereinbarung nicht beseitigt werden. Dies verstößt gegen das Günstigkeitsprinzip.
Tenor:

I. Das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin - 3 Ca 814/07 - wird in Ziffer 1. und 2. wie folgt abgeändert:

1. Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger 894,00 EUR brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.12.2006 zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

II. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Zahlung einer Jahreszuwendung für das Jahr 2006. Der Kläger war seit 1969 bei der Beklagten beschäftigt. Diese zahlte seit über zehn Jahren an ihre Arbeitnehmer jeweils mit dem Novemberentgelt zum 15.12. des Jahres eine sogenannte Jahressonderzuwendung (Weihnachtsgeld), zuletzt im Jahre 2005 von 894,00 EUR brutto. Berechnet wurde dieser Betrag mit einem jeweils gleichen Prozentsatz vom jeweiligen Monatseinkommen des Arbeitnehmers.

Am 21.11.2006 schloss die Beklagte mit dem Betriebsrat folgende Betriebsvereinbarung:

"Mit Blick auf die schwierige Lage, in der sich die LFW auf Grund der eingeschränkten Funktionsfähigkeit der neu errichteten Rohwurstproduktionsanlage gegenwärtig befindet, vereinbaren die Betriebspartner mit einer Geltung für alle im Unternehmen tätigen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, wie folgt.

1. Für das Kalenderjahr 2006 wird keine Jahressonderzuwendung (Weihnachtsgeld) gezahlt.

2. Diese Vereinbarung beschränkt sich auf das Kalenderjahr 2006."

Entsprechend zahlte die Beklagte im Jahre 2006 keine Jahressonderzuwendung. Eine Klage auf 894,00 EUR nebst Zinsen hat das Arbeitsgericht Schwerin durch Urteil vom 14.11.2007 - 3 Ca 814/07 - abgewiesen. Es sei ein Anspruch auf die Jahresendzuwendung jeweils zum 15.12. des Jahres entstanden. Dieser sei durch die Betriebsvereinbarung untergegangen. Der Arbeitsvertrag sei so auszulegen, dass er eine Abänderung durch die Betriebsvereinbarung zulasse. Entsprechend habe die Betriebsvereinbarung den Anspruch für das Jahr 2006 beseitigt. Im Übrigen wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Dieses Urteil ist dem Kläger am 28.11.2007 zugestellt worden. Er hat dagegen Berufung eingelegt, die am 20.12.2007 beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist. Die Berufungsbegründung ist am 25.01.2008 beim Landesarbeitsgericht eingegangen.

Der Kläger ist der Auffassung, ein Anspruch aus betrieblicher Übung lasse sich nicht durch eine Betriebsvereinbarung ablösen. Das Geld sei vorbehaltlos gezahlt worden. Dass die Vertragsparteien zur Zeit der Begründung der betrieblichen Übung eine Abänderbarkeit durch die Betriebsvereinbarung vorgesehen hätten, sei nicht vorgetragen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 14.11.2007 - 3 Ca 814/07 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 894,00 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.12.2006, zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tritt der angefochtenen Entscheidung bei. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet.

1.

Der Kläger hat einen Anspruch auf die Jahreszuwendung in Höhe von zumindest 894,00 EUR, (wobei das Gericht zur Klarstellung das Wort brutto hinzugefügt hat) nebst Zinsen gem. § 288 BGB. Unter einer betrieblichen Übung wird die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers verstanden, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt werden.

Aus dem Verhalten des Arbeitgebers wird konkludent auf eine Willenserklärung geschlossen, die vom Arbeitnehmer gem. § 151 BGB angenommen werden kann. Dadurch wird ein vertragliches Schuldverhältnis geschaffen, aus dem bei Eintritt der vereinbarten Anspruchsvoraussetzungen ein einklagbarer Anspruch auf die üblich gewordene Vergünstigung erwächst.

Auf einen entsprechenden Verpflichtungswillen des Arbeitgebers kommt es nicht an. Für jährlich an die gesamte Belegschaft geleistete Gratifikationen ist vom Bundesarbeitsgericht die Regel aufgestellt worden, dass eine dreimalige vorbehaltlose Gewährung zur Verbindlichkeit erstarkt (vgl. BAG vom 28.03.2007 10 AZR 720/05 m. w. N.). Damit ist für den Arbeitnehmer ein vertraglicher Anspruch auf die Jahreszuwendung entstanden.

2.

Dieser Anspruch konnte durch die Betriebsvereinbarung vom 21.11.2006 nicht beseitigt werden.

a)

Dass die Sonderleistung unter dem Vorbehalt der Abänderbarkeit durch eine Betriebsvereinbarung gewährt worden ist, ist nicht ersichtlich. Die Leistung ist gegenüber den Arbeitnehmern ohne irgendwelche zusätzlichen oder einschränkenden Erklärungen erfolgt. Nur daraus konnten die Arbeitnehmer den Verpflichtungswillen erkennen.

Es mag im Interesse der Arbeitgeberin gewesen sein, eine entsprechende Einschränkung der Verpflichtung durch eine ablösende Betriebsvereinbarung vorzusehen. Dies hätte sie jedoch problemlos zum Ausdruck bringen können. Getan hat sie dies nicht. Es trifft zu, dass die individualrechtliche Änderungskündigung in den Fällen, in denen ein vertraglicher Anspruch entstanden ist, ein wenig glückliches Instrument zur Beseitigung des Anspruches ist (vgl. Beppler RdA 2004 S. 240).

Dies kann jedoch nicht dazu führen, dass man deshalb einen stillschweigenden Abänderungsvorbehalt zu Gunsten einer Betriebsvereinbarung annimmt. Manche Arbeitgeber werden Sonderzuwendungen gerade deshalb vorbehaltlos gewähren, weil sie den Arbeitnehmern einen unbedingten Anspruch geben wollen, um sie damit zu einer größeren Betriebstreue zu bewegen. Diesen Arbeitgebern kann ein derartiger Vorbehalt ohnehin nicht unterstellt werden. Warum die anderen Arbeitgeber in der von Beppler a. a. O. vorgeschlagenen Weise durch eine entsprechende Auslegung geschützt werden sollen, ist nicht ersichtlich, zudem sie ohne Mühe einen derartigen Vorbehalt erklären könnten. Dass die dreimalige vorbehaltlose Gewährung einer Jahressonderleistung zu einem Rechtsanspruch führt, ist inzwischen allgemein bekannt.

b)

Eine Ablösung durch der einzelvertraglichen Zusage durch die Betriebsvereinbarung vom 21.11.2006 kommt auch nicht aus sonstigen Gründen in Betracht. Dies folgt aus dem Günstigkeitsprinzip (vgl. § 4 Abs. 3 TVG). Arbeitsrechtliche Gestaltungsfaktoren wie Betriebsvereinbarung und Tarifverträge schließen Verbesserungen nicht aus. Günstigere arbeitsvertragliche Regelungen bleiben auch gegenüber einer nachträglich verschlechternden Betriebsvereinbarung wirksam (BAG vom 17.06.2003 3 ABR 43/02 m. w. N.).

3.

Schließlich kann im vorliegenden Fall der Anspruch auf die Sonderzuwendung auch nicht dann beseitigt werden, wenn man eine Ablösung durch die Betriebsvereinbarung zuließe. Mangels weiterer Regelungen ist die Sonderzuwendung dergestalt auszulegen, dass sie Entgelt für die in der Vergangenheit erbrachte Arbeitsleistung ist. Dies folgt schon daraus, dass eine weitere Anspruchsvoraussetzung wie Fortbestand des Arbeitsverhältnisses in der Zukunft nicht genannt worden ist.

Da die Sonderleistung für das Jahr 2006 damit am 21. November 2006 bereits nahezu vollständig verdient war (es fehlten nur noch 9 Kalendertage bis zum 30.11.2006), konnte sie auch nicht mehr durch eine Betriebsvereinbarung beseitigt werden. Dies ergibt sich bereits aus den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes. Der völlige Wegfall der zugesagten Leistung würde dazu führen, dass dem Kläger die zugesicherte Gegenleistung für seine Arbeit wieder entzogen würde. Individualrechtlich kann auch bei einem Widerrufsvorbehalt der Widerruf oder der Entzug solcher Leistungen deshalb nur für die Zukunft erfolgen (vgl. BAG vom 07.11.1984 5 AZR 278/83). Diese Einschränkung muss auch bei einer Betriebsvereinbarung gelten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 91 ZPO.

Die Revision ist gem. § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG zugelassen worden.

Ende der Entscheidung

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