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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Urteil verkündet am 30.04.2008
Aktenzeichen: 2 Sa 59/08
Rechtsgebiete: TV Ärzte


Vorschriften:

TV Ärzte § 611 Abs. 2
Eine Zeit als Arzt im Praktikum ist als Vordienstzeit weder nach § 16 Abs. 2 Satz 1 oder Satz 2 des TV-Ärzte zu berücksichtigen.
Tenor:

I. Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock - 4 Ca 795/07 - dahin abgeändert, dass die Klage insgesamt abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt werden.

II. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die richtige Eingruppierung des Klägers. Dieser ist bei dem beklagten Land seit dem 01.06.2006 als Assistenzarzt beschäftigt. In der Zeit vom 01.01.2002 bis 30. Juni 2003 war er als Arzt im Praktikum (AiP) beschäftigt.

Mit Schreiben vom 13.12.2006 teilte das Personaldezernat des Universitätsklinikums allen Ärzten mit, dass AiP-Zeiten aus Rechtsgründen nicht bei Vordienstzeiten zu berücksichtigen seien. Der Kläger wurde daraufhin in die Entgeltgruppe Ä 1 Stufe 4 eingruppiert. Dem hat der Kläger mit Schreiben vom 20.12.2006 und 08.01.2007 widersprochen.

Mit einer am 02. Mai 2007 erhobenen Klage hat der Kläger beantragt,

festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, dem Kläger ab dem 01.10.2006 Entgelt nach der Entgeltgruppe Ä 1 Stufe 5 des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken vom 30.10.06 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf die beginnend mit dem 30. November 2006 jeweils monatlich fälligen Differenzbeträge zwischen den Zahlungen gemäß Entgeltgrupe Ä 1 Stufe 4 und der Stufe 5 brutto seit dem 01.06.07 zu zahlen.

Das Arbeitsgericht Rostock hat daraufhin durch Urteil vom 14.12.2007 - 4 Ca 759/07 - für Recht erkannt:

1. Es wird festgestellt, dass das beklagte Land verpflichtet ist, dem Kläger ab dem 01.10.06 Entgelt nach der Vergütungsgruppe Ä 1 Stufe 5 des Tarifvertrages Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken vom 30.10.06 (TV-Ärzte) zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu 1/3 und das beklagte Land zu 2/3.

4. Der Streitwert wird auf 10.800,00 EUR festgesetzt.

Dieses Urteil ist dem beklagten Land am 14.01.2008 zugestellt worden. Es hat dagegen Berufung eingelegt, die mit Begründung am 14.02.2008 beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist.

Das beklagte Land ist der Auffassung, die AiP-Zeit hätte gem. § 16 Abs. 2 TV-Ärzte weder nach Satz 1 noch nach Satz 2 der Vorschrift berücksichtigt werden dürfen.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage teilweise abändernd in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er tritt der angefochtenen Entscheidung bei. Die von dem Kläger absolvierte AiP-Zeit sei bei der Stufenfindung im Rahmen des § 16 Abs. 2 TV-Ärzte/TdL hinsichtlich beider in dieser Vorschrift genannten Alternativen zu berücksichtigen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Berücksichtigung der AiP-Zeit gem. § 16 Abs. 2 TV-Ärzte/TdL.

1.

Für die Stufenzuordnung innerhalb der Entgeltgruppe Ä 1 kommt es entscheidend auf die Zeiten ärztlicher Tätigkeiten an, die der Arzt nachweisen kann. Hierfür enthält der maßgebliche Tarifvertrag TV-Ärzte/TdL mit § 16 Abs. 2 eine besondere Regelung:

Für die Anrechnung von Vorzeiten ärztlicher Tätigkeit gilt Folgendes:

Bei der Stufenzuordnung werden Zeiten mit einschlägiger Berufserfahrung als förderliche Zeiten berücksichtigt. Zeiten von Berufserfahrung aus nichtärztlicher Tätigkeit können berücksichtigt werden.

Eine Anrechnung von Vorzeiten ärztlicher Tätigkeit gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 TV-Ärzte kommt nicht in Betracht. Mit der Formulierung "Zeiten mit einschlägiger Berufserfahrung" sind Zeiten aus ärztlicher Tätigkeit gemeint. Dies ergibt sich spätestens aus der Gegenüberstellung zu § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-Ärzte, der Zeiten von Berufserfahrung aus nichtärztlicher Tätigkeit regelt.

Die AiP-Zeit ist keine Zeit ärztlicher Tätigkeit. Es kann dabei auf die bereits in der angefochtenen Entscheidung zitierte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Bezug genommen werden. Diese Rechtsprechung ist zwar zum BAT ergangen, es ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Tarifparteien des TV-Ärzte einen anderen Begriff von ärztlicher Tätigkeit verwenden wollten, als er im BAT enthalten ist. Es kann vielmehr umgekehrt davon ausgegangen werden, dass den Tarifparteien die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu der Auslegung des Begriffes ärztliche Tätigkeit bekannt war und dass der Umstand, dass sie diesen Begriff weiter verwendet haben, dafür spricht, dass sie an dieser Auslegung festhalten wollten. Dies gilt umso mehr, als die Arbeitnehmerseite versucht hat, in den Tarifverhandlungen eine ausdrückliche Regelung dahingehend zu erreichen, dass die AiP-Zeit als ärztliche Tätigkeit bei der Stufenzuordnung berücksichtigt wird.

2.

Ein Anspruch auf Anrechnung der AiP-Zeit gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-Ärzte besteht nicht.

Es fehlt bereits an dem Merkmal Berufserfahrung. Dies setzt voraus, dass es sich um Erfahrungen in einem bereits erlernten Beruf handelt. Als solche können jedoch nicht Erfahrungen angesehen werden, die in und während der Ausbildung erworben und gesammelt werden. Die AiP-Zeit war aber nach der dafür maßgebenden Bundesärzteordnung gerade noch Teil der Ausbildung zum Arzt. Dies folgt unmittelbar aus § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und § 10 Abs. 4 Satz 2 der Bundesärzteordnung in der Fassung vom 16. April 1987, wonach die Zeit als AiP als weiterer Teil der Ausbildung galt und der es "zum Abschluss der Ausbildung" bedurfte (vgl. ebenso m. w. N. Rambach/Feldmann AiP als anrechnungsfähige ärztliche Tätigkeit in ZTR 2008 Seite 85 m. w. N). Darüber hinaus ist nicht davon auszugehen, dass die Tarifparteien bei der Regelung des § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-Ärzte die AiP-Zeit erfassen wollten. Die Regelung beinhaltet eine Ermessensvorschrift. Derartige Regelungen sind regelmäßig gedacht für Fälle, die seltener vorkommen und einer individuellen Handhabung bedürfen.

Die Tätigkeit als AiP wurde mit dem Vierten Gesetz zur Änderung der Bundesärzteordnung vom 14. Mai 19985 eingeführt und ist ab dem 01. Oktober 2004 ersatzlos gestrichen worden. Bei dieser Sachlage kann davon ausgegangen werden, dass eine Vielzahl der gegenwärtig tätigen Ärzte einmal Arzt im Praktikum gewesen sind.

Nachdem nun unstreitig die Arbeitnehmerseite bei den Tarifverhandlungen versucht hat, die AiP-Zeit als berücksichtigungsfähige Zeit ärztlicher Tätigkeit durchzusetzen, ist auszuschließen, dass die Tarifparteien die AiP-Zeit gerade bei der Ermessensregelung des § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-Ärzte im Blick hatten. Schließlich ist der Arbeitgeber aber auch befugt, bei einer Ermessensvorschrift eine generelle Vorentscheidung zu treffen, wie er eine Tarifnorm in der Praxis handhaben will (vgl. BAG vom 12.12.2000 - 9 AZR 706/99). Dies hat das beklagte Land offensichtlich im vorliegenden Fall getan, indem es sich entschlossen hat, die AiP-Zeit nicht als Zeit im Sinne des § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-Ärzte anzuerkennen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 97 ZPO.

Das Gericht hat in Hinblick auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG die Revision zugelassen.

Ende der Entscheidung

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