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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 17.05.2006
Aktenzeichen: 10 Sa 971/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 242
1. Macht der Arbeitgeber aufgrund eines vereinbarten Vorbehalts einen Rückzahlungsanspruch eines Weihnachtsgeldes wegen vorzeitigem Ausscheiden des Arbeitnehmers geltend, ist der Arbeitnehmer nicht gehindert, sich auf die Unwirksamkeit seiner eigenen außerordentlichen Kündigung zu berufen.

2. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben ist dem Arbeitnehmer auch dann nicht anzulasten, wenn er seine Kündigungsabsicht vor oder nach der Kündigung mehrfach bekräftigt.


LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

10 Sa 971/05

Verkündet am: 17.05.2006

In dem Rechtsstreit

hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts München aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 26.04.2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Moeller sowie die ehrenamtlichen Richter Karl Böhrer und Ernst Koether für Recht erkannt:

Tenor: I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 17.08.2005 (Az.: 6 Ca 14505/04) abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung eines tariflichen Weihnachtsgeldes.

Die 1946 geborene Beklagte war seit 15.02.2003 bei der Klägerin als kaufmännische Angestellte beschäftigt.

Rechtsgrundlage des Arbeitsverhältnisses war ein zuletzt zwischen den Parteien am 05.06./16.09.2003 schriftlich geschlossener Arbeitvertrag (Bl. 23 d. A.), nach dem die Beklagte ein monatliches Bruttogehalt von EUR 2.539,00 bezog. Weiter war im Arbeitsvertrag u. a. folgende Regelung enthalten:

6. Fällt die Mitarbeiterin in den Geltungsbereich des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer der GmbH, so gilt für das Arbeitsverhältnis der jeweils gültige Tarifvertrag, der bei der Geschäftsführung bzw. beim Personalwesen eingesehen werden kann.

. . .

Zwischen der Klägerin und der IG und sowie der IG war am 16.12.1996 ein Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der GmbH abgeschlossen worden, der in der Fassung vom 01.07.2001 (Bl. 22 d. A.) u. a. folgende Bestimmungen enthielt:

§ 22 Weihnachtsgeld

(1) Alle Arbeitnehmer erhalten ein Weihnachtsgeld.

(2) Das Weihnachtsgeld wird mit der Zahlung des Novemberentgeltes fällig. Der Anspruch auf Zahlung von Weihnachtsgeld entfällt, wenn die Hauptleistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis während des gesamten Kalenderjahres ruhen.

(3) Das Weihnachtsgeld beträgt 100 % der monatlichen Grundvergütung. Maßgeblich ist die Höhe der Grundvergütung, auf die der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Fälligkeit Anspruch hat.

(4) Der Anspruch auf das Weihnachtsgeld besteht für Arbeitnehmer, die am 31. Dezember in einem ungekündigten Beschäftigungsverhältnis stehen. Eine Kündigung durch den Arbeitgeber zum 31. Dezember oder im laufenden Jahr zu einem späteren Zeitpunkt ist unschädlich, wenn hierfür nicht in der Person des Arbeitnehmers ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 BGB vorliegt.

(5) Das volle Weihnachtsgeld erhalten Arbeitnehmer, deren Beschäftigungsverhältnis während des ganzen Kalender-Jahres bestanden hat. Arbeitnehmer, deren Beschäftigungsverhältnis während des laufenden Kalenderjahres begonnen hat, erhalten für jeden vollen Beschäftigungsmonat 1/12 des Weihnachtsgeldes.

(6) Wird das Beschäftigungsverhältnis durch Kündigung des Arbeitnehmers vor dem 31. März des folgenden Jahres beendet, so entfällt der Anspruch auf das Weihnachtsgeld, soweit er 100,-- DM übersteigt. Das gleiche gilt, wenn der Arbeitnehmer vor dem genannten Zeitpunkt durch eigenes Verschulden aus einem Grund entlassen wird, der eine fristlose Kündigung rechtfertigt. Bereits geleistete Zahlungen sind entweder zurückzuerstatten oder können vom Arbeitsentgelt einbehalten werden.

. . .

§ 36 Ausschlussfristen

(1) Beschwerden wegen unrichtiger Ermittlung oder Errechnung oder Zahlung von Entgelt sind von dem Arbeitnehmer unverzüglich vorzubringen; der Arbeitgeber hat unverzüglich zum Sachverhalt Stellung zu nehmen.

(2) Hat der Arbeitgeber ablehnend Stellung genommen, sind die vorstehenden Ansprüche innerhalb einer Ausschlussfrist von 6 Monaten gerichtlich geltend zu machen. Die Frist beginnt mit der ablehnenden Stellungnahme des Arbeitgebers.

(3) Der Arbeitgeber hat Ansprüche auf Rückzahlung zu Unrecht gezahlten Einkommens ebenfalls innerhalb einer Ausschlussfrist von 6 Monaten gerichtlich geltend zu machen.

(4) Nach Ablauf vorstehender Fristen gilt die Vergütungszahlung unter Ausschluss des Gegenbeweises als rechtmäßig und rechtsgültig erfolgt.

. . .

(6) Ansprüche anderer Art werden hierdurch nicht berührt.

Mit der Abrechnung für den Monat November 2003 (Bl. 102 d. A.) erhielt die Beklagte eine Weihnachtsgeldzahlung i.H.v. EUR 2.246,33 brutto ausbezahlt.

Mit Rechtsanwaltsschreiben vom 13.02.2004 (Bl. 103/104 d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum nächst zulässigen Termin. Als Begründung gab die Beklagte darin an, dass sie durch den Arbeitsanfall überlastet und deshalb erkrankt sei. Die Klägerin widersprach mit Schreiben vom 18.02.2004 der fristlosen Kündigung der Beklagten und wies eine Verletzung der Fürsorgepflicht durch die Klägerin zurück.

Die Beklagte teilte daraufhin durch erneutes Rechtsanwaltsschreiben vom 09.03.2004 (Bl. 108 bis 109 d. A.) der Klägerin mit, dass es bei der außerordentlichen Kündigung verbleibe. Darauf erwiderte die Klägerin mit Schreiben vom 19.03.2004 (Bl. 110 d. A.) u. a. wie folgt:

. . .

Wir dulden die fristlose Kündigung Ihrer Mandantin und beendigen somit das Arbeitsverhältnis mit der Mitarbeiterin Frau B. zum genannten Zeitpunkt.

Die fristlose Kündigung erkennen wir zwar an, jedoch ohne Anerkennung der Gründe und Darstellungen, die zur Kündigung geführt haben sollen. Insbesondere weisen wir jegliche gesundheitliche Schädigungen, bedingt durch die Tätigkeit Ihrer Mandantin, zurück.

Eine ordnungsgemäße Abwicklung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ausscheidungszeitpunkt wird durch uns gewährleistet.

Wir gehen davon aus, dass sich damit die Angelegenheit erledigt hat.

. . .

Mit Schreiben vom 05.04. und 07.05.2004 forderte die Klägerin die Beklagte vergeblich zur Rückzahlung von Weihnachtsgeld auf. Daraufhin hat die Klägerin einen Rückzahlungsanspruch mit der der Beklagten am 21.09.2004 zugestellten Klage vom 08.09.2004 gerichtlich geltend gemacht.

Die Klägerin hat vorgetragen, aufgrund der Regelung in § 22 des Manteltarifvertrages für die GmbH (im Folgenden: MTV) sei die Beklagte verpflichtet, das Weihnachtsgeld zurückzuzahlen, da sie vor dem 31.03.2004 ausgeschieden sei. Dem Anspruch der Klägerin stehe auch nicht die tarifliche Ausschlussfrist entgegen. Denn der Anspruch der Klägerin werde von dieser gar nicht erfasst. Selbst wenn das doch der Fall wäre, hätte der Lauf der Frist erst mit der Ablehnung des Anspruchs durch die Beklagte mit einem Ablehnungsschreiben vom 27.04.2004 begonnen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag i.H.v. EUR 1.624,49 zzgl. 5 % Zinsen seit dem 18.05.2004 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, sie sei nicht mehr in der Lage gewesen, den ihr übertragenen Arbeitsanfall zu bewältigen. Deshalb sei sie immer wieder an ihre Vorgesetzten herangetreten, ohne dass tatsächlich etwas verändert worden sei. Die Beklagte sei an einer Dysthymia erkrankt, wie sich aus einem nervenärztlichen Attest vom 20.02.2004 (Bl. 31 d. A.) ergebe. Nachdem sich ihr Gesundheitszustand laufend verschlechtert habe, habe sie schließlich zu Recht das Arbeitsverhältnis außerordentlich gekündigt. Diese Kündigung habe die Klägerin akzeptiert, so dass das Arbeitsverhältnis einvernehmlich beendet worden sei und schon deshalb ein Rückzahlungsanspruch entfalle. Jedenfalls sei der Anspruch der Klägerin nach der tariflichen Ausschlussfrist verfallen.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin EUR 1.624,49 zzgl. Zinsen zu bezahlen. Wegen des weiteren erstinstanzlichen Sachvortrags der Parteien sowie den Ausführungen des Arbeitsgerichts wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Ersturteils Bezug genommen.

Gegen das der Beklagten am 25.08.2005 zugestellte Urteil hat diese mit einem am 19.09.2005 bei dem Landesarbeitsgericht München eingegangenen Schriftsatz Berufung einlegen lassen und ihr Rechtsmittel durch einen am 15.12.2005 innerhalb der bis dahin verlängerten Berufungsbegründungsfrist eingegangenen Schriftsatz begründet.

Sie trägt vor, die Klägerin habe mit Schreiben vom 19.03.2004 die Kündigung akzeptiert. Demnach sei zwischen den Parteien ein Aufhebungsvertrag zustande gekommen. Für diesen Fall bestehe schon kein Rückzahlungsanspruch. Im Übrigen sei die Kündigung der Beklagten wirksam gewesen. Deshalb stehe ihr gegen die Klägerin ein Schadensersatzanspruch in gleicher Höhe zu. Schließlich sei der Anspruch auch verfallen, da das Weihnachtsgeld zum Einkommen gehöre, und daher von der Ausschlussfrist erfasst werde.

Die Beklagte beantragt:

I. Das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 17.08.2005 (Az.: 6 Ca 14505/04) wird aufgehoben.

II. Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, die Duldung der Kündigung der Beklagten stelle gerade keine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses dar. Für eine solche fehle es auch an der Schriftform. Die Berufung der Beklagten darauf wäre auch treuwidrig und widersprüchlich. Die Kündigung der Beklagten sei ohne Grund erfolgt. Darauf komme es aber gar nicht an, weil der Rückzahlungsanspruch auch bei wirksamer Kündigung der Beklagten bestünde. Unter die Ausschlussfrist falle der Rückzahlungsanspruch nicht. Dieser gelte nur für zu Unrecht bezahltes Einkommen. Die Zahlung an die Beklagte sei zum Auszahlungszeitpunkt jedoch rechtmäßig erfolgt.

Wegen des weiteren Sachvortrags der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 15.12.2005 (Bl. 78 bis 81 d. A.), der Klägerin vom 21.02.2006 (Bl. 95 bis 100 d. A.) und 10.05.2006 (Bl. 125 bis 129 d. A.) sowie die Sitzungsniederschrift vom 26.04.2006 (Bl. 117 bis 119 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist in der rechten Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO) und daher zulässig.

II.

Die Berufung der Beklagten ist auch begründet.

1. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Rückzahlung des Weihnachtsgeldes gegen die Beklagte zu. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das Rückzahlungsbegehren der Klägerin bereits daran scheitert, dass der von der Klägerin verfolgte Anspruch einen Anspruch auf Rückzahlung von zu Unrecht gezahlten Einkommens gem. § 36 Abs. 3 MTV darstellt und ob die Klägerin daher diesen rechtzeitig geltend gemacht hat. Für einen Rückzahlungsanspruch der Klägerin fehlt es aber bereits an einer Rechtsgrundlage.

2. Der Anspruch der Klägerin ergibt sich nicht aus § 22 Abs. 6 MTV.

a) Zwar finden die Bestimmungen des Manteltarifvertrages auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung, auch wenn die Klägerin mangels Tarifgebundenheit gem. § 1 Abs. 1 MTV nicht unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fällt (§§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG). Denn in Ziffer 6) des Arbeitsvertrages vom 05.06./16.09.2003 (Bl. 23 d. A.) haben die Parteien bestimmt, dass dieser Tarifvertrag in der jeweils gültigen Fassung Anwendung findet. Damit haben die Arbeitsvertragsparteien eine dynamische Bezugnahmeklausel vereinbart, der stets eine rechtsbegründende Wirkung zukommt (vgl. BAG vom 19.03.2003 - 4 AZR 331/02 = AP Nr. 33 zu § 1 TVG "Bezugnahme auf Tarifvertrag"; BAG vom 26.09.2001 - 4 AZR 544/00 = AP Nr. 21 zu § 1 TVG "Bezugnahme auf Tarifvertrag"). Die Verweisung hat zur Folge, dass die in dem Bezug genommenen Tarifvertrag geregelten Rechte und Pflichten in das Arbeitsverhältnis einbezogen wurden, ohne dass der Kollektivvertrag in seinem vollständigen Wortlaut in den Arbeitsvertrag übernommen werden musste (vgl. Gaul ZfA 2003, 75 m.w.N.). Danach findet auch § 22 Abs. 6 MTV auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung.

b) Aus § 22 Abs. 6 MTV ergibt sich aber kein Rückzahlungsanspruch der Klägerin. Gem. § 22 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. Satz 3 MTV ist der Arbeitnehmer verpflichtet, ein an ihn gezahltes Weihnachtsgeld zurückzuerstatten, wenn das Beschäftigungsverhältnis durch Kündigung des Arbeitnehmers vor dem 31.03. des folgenden Jahres endet. Diese Voraussetzung liegt nicht vor. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat nicht vor dem 31.03.2004 geendet.

c) Zwar hat die Beklagte durch das Schreiben ihres Rechtsanwalts vom 13.02.2004 das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fristlos gekündigt. Diese Kündigung ist jedoch mangels Vorliegen eines wichtigen Grundes unwirksam.

aa) Denn gem. § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus einem wichtigen Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist nur gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Diese Voraussetzung gilt nicht nur für eine Kündigung des Arbeitgebers. Vielmehr setzt auch die wirksame Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine außerordentliche Kündigung des Arbeitnehmers gem. § 626 Abs. 1 BGB das Vorliegen eines wichtigen Grundes voraus (vgl. BAG vom 24.01.1985 - 2 AZR 67/84 = AP Nr. 7 zu § 1 TVG "Tarifverträge: Einzelhandel"; BAG vom 13.04.1972 - AP Nr. 64 zu § 626 BGB; LAG Berlin DB 1989, 1826).

bb) An einem derartigen wichtigen Grund fehlt es hier. Dabei kann dahinstehen, ob die von der Beklagten behauptete Überlastung aufgrund eines von der Klägerin übertragenen übermäßigen Arbeitsanfalls tatsächlich zutrifft. Denn selbst wenn dies der Fall ist, hätte dies die Beklagte allenfalls dann zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigen können, wenn sie die Klägerin zuvor deshalb vergeblich abgemahnt hätte. Dazu ist auch der Arbeitnehmer verpflichtet, bevor er eine außerordentliche Kündigung wegen eines von ihm beanstandeten Verhaltens des Arbeitgebers ausspricht (vgl. LAG Niedersachsen MDR 2004, 218; LAG Hamm NZA-RR 2000, 242; LAG Baden-Württemberg BB 1991, 415). Daran fehlt es. Denn dass die Beklagte die Klägerin wegen der übermäßigen Übertragung von Arbeit unter Androhung einer Kündigung abgemahnt hätte, behauptet die Beklagte selbst nicht.

cc) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Beklagte auch nicht gehindert, die Unwirksamkeit ihrer eigenen Kündigung geltend zu machen. Eine dahingehende Beschränkung lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Es gibt kein allgemeines Verbot widersprüchlichen Verhaltens. Vielmehr ist jeder, der sich nicht rechtsgeschäftlich gebunden hat, darin frei, sein Verhalten zu ändern. Deshalb besteht auch kein Hindernis, sich nach einer selbst ausgesprochenen außerordentlich Kündigung auf deren Unwirksamkeit zu berufen (vgl. BAG vom 16.01.2003 - AP Nr. 2 zu § 67 SeemG; ErfK/Müller-Glöge 6. Aufl. § 626 BGB Rn. 193).

d) Zutreffend weist die Klägerin allerdings darauf hin, dass dies dann anders ist, wenn das Verhalten des Arbeitnehmers durch Geltendmachung der von ihm selbst ausgesprochenen Kündigung gegen Treu und Glauben verstößt (§ 242 BGB). Der Grundsatz von Treu und Glauben bildet ein allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung. Eine gegen § 242 BGB verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage wird wegen Rechtsüberschreitung als unzulässig angesehen. Wann dies der Fall ist, ist allerdings unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (vgl. BAG vom 16.01.2003 - a.a.O.; BAG vom 04.12.2997 - AP Nr. 141 zu § 626 BGB).

aa) Ein derartiger Rechtsmissbrauch liegt hier nicht vor. Dadurch, dass die Beklagte nicht gehindert war, die Rechtsunwirksamkeit ihrer eigenen Kündigung geltend zu machen, kann dieser Umstand für sich allein keinen Verstoß gegen Treu und Glauben begründen. Ein Vertrauen des Arbeitgebers ist hier nicht schutzwürdig. Dies gilt auch dann, wenn die Kündigungsabsicht vor und nach Ausspruch der Kündigung mehrfach mündlich bekräftigt worden ist. § 626 BGB dient außer den Interessen des Kündigenden und des Kündigungsempfängers der Rechtssicherheit. Zur Vermeidung unsicherer Schwebelagen kann der Kündigungsempfänger daher nicht auf die Voraussetzungen eines wichtigen Grundes verzichten und die Erklärung gegen den - zwischenzeitlich revidierten - Willen des Kündigenden gelten lassen (vgl. Singer NZA 1998, 1309, 1315).

bb) Ein Verstoß gegen Treu und Glauben kann in diesem Fall daher erst dann angenommen werden, wenn das Verhalten des Arbeitnehmers besonders verwerflich erscheint und daher als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist (vgl. BAG vom 16.09.2004 - 2 AZR 659/03). Davon ist auszugehen, wenn durch das Verhalten der Beklagten eine Existenzgefährdung der Klägerin eingetreten wäre oder eine besonders schwere Treuepflichtverletzung der Beklagten anzulasten wäre (vgl. BGH DB 2004, 2692).

cc) Dies scheidet hier offensichtlich aus. Der Klägerin war erkennbar, dass die außerordentliche Kündigung allein aufgrund der - von der Beklagten möglicherweise nur so empfundenen - übermäßigen Arbeitsbelastung erfolgte, die bei ihr allerdings sogar zu einer Beeinträchtigung des Gesundheitszustands geführt haben soll. Darauf hat die Beklagte die Klägerin durch die Vorlage des Attestes vom 20.02.2004 (Bl. 31 d. A.) bereits im Schreiben vom 09.03.2004 hingewiesen. Dieser Umstand deutet sogar darauf hin, dass die Beklagte zum Zeitpunkt der Kündigung arbeitsunfähig krank war und daher auch bei Ausspruch einer ordentlichen Kündigung nicht mehr in der Lage gewesen wäre, ihre Arbeitsleistung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zu erbringen, die Klägerin aber verpflichtet gewesen wäre, gem. § 3 EntGFZG der Beklagten Vergütung fortzuzahlen. Wenn angesichts dieser Situation die Beklagte den Weg einer - wenn auch unwirksamen - außerordentlichen Kündigung beschritten hat, kann dies jedenfalls keinen schwerwiegenden Rechtsmissbrauch darstellen, wenn sie sich jetzt auf die Unwirksamkeit dieser Kündigung beruft. Damit steht fest, dass die Kündigung vom 13.02.2004 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst hat.

3. Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien dennoch vor dem 31.03.2004 aufgrund des späteren Einverständnisses der Klägerin mit der Kündigung der Beklagten (vgl. BAG vom 24.01.1985 a.a.O.) und trotz der Vorschrift des § 623 BGB durch Aufhebungsvertrag geendet haben könnte, kann offen bleiben. Denn selbst wenn dies der Fall wäre, könnte dieser Umstand einen Rückzahlungsanspruch der Klägerin nicht begründen. § 22 Abs. 6 MTV setzt eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine Kündigung des Arbeitnehmers oder eine außerordentliche Kündigung des Arbeitgebers voraus. Dem kann eine Beendigung durch einen Aufhebungsvertrag nicht gleichgesetzt werden. Der Abschluss eines Aufhebungsvertrages begründet deshalb keinen Rückzahlungsanspruch nach § 22 Abs. 6 MTV (vgl. BAG vom 07.10.1992 - 10 AZR 186/91 = AP Nr. 146 zu § 611 BGB "Gratifikation"; LAG Hamm NZA-RR 1999, 514; LAG München BB 1991, 1571).

4. Ist die außerordentlich Kündigung der Beklagten unwirksam, ist auch im Fall einer Arbeitnehmerkündigung davon auszugehen, dass diese gem. § 140 BGB in eine wirksame ordentliche Kündigung umzudeuten ist (vgl. LAG Rheinland-Pfalz NZA-RR 2005, 251), die das Arbeitsverhältnis der Parteien dann aber gem. § 4 Abs. 1 MTV frühestens zum 31.03.2004 beendet haben kann. Dadurch wird aber kein Rückzahlungsanspruch der Klägerin begründet. Denn § 22 Abs. 6 MTV setzt ausdrücklich voraus, dass das Arbeitsverhältnis vor diesem Zeitpunkt sein Ende gefunden hat.

III.

Nach alledem war das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und die Klage mit der Kostenfolge aus § 91 Abs. 1 ZPO abzuweisen.

Da dem Rechtsstreit über die Klärung der konkreten Rechtsbeziehungen der Parteien hinaus keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, bestand für die Zulassung der Revision gem. § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung.

Gegen dieses Urteil ist deshalb die Revision nur gegeben, wenn sie das Bundesarbeitsgericht aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde, auf deren Möglichkeit und Voraussetzungen nach § 72 a ArbGG die Klägerin hingewiesen wird, zulassen sollte.

Ende der Entscheidung

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