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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 15.07.2009
Aktenzeichen: 11 Sa 39/09
Rechtsgebiete: BGB, KSchG


Vorschriften:

BGB § 626
KSchG § 1
Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung sowie einer hilfsweise ausgesprochenen weiteren ordentlichen Kündigung wegen Täuschungsverhaltens im Zusammenhang mit der Nutzung eines betrieblichen Zeiterfassungssystems.
Landesarbeitsgericht München Im Namen des Volkes URTEIL

11 Sa 39/09

Verkündet am: 15.07.2009

In dem Rechtsstreit

hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 15. Juli 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Obenaus und die ehrenamtlichen Richter Böhrer und Koether

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Das Endurteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 23. September 2008, Az.: 5 Ca 1382/08, wird wie folgt abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung vom 11. April 2008 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin

a. 4.520,-- € brutto abzüglich 942,98 € netto nebst Zinsen aus 3.577,02 € in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1. Mai 2008 sowie

b. 9.040,-- € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 4.520,-- € seit 1. Juni 2008 und aus weiteren 4.520,-- € seit 1. Juli 2008 zu zahlen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 4/10 und die Beklagte 6/10.

5. Der Streitwert wird auf 44.257,02 € festgesetzt.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte 6/10 und die Klägerin 4/10.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, einer hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung der Klägerin durch die Beklagte, über Vergütungsansprüche sowie über einen Weiterbeschäftigungsanspruch der Klägerin.

Die Klägerin ist seit dem 01.06.1990 bei der Beklagten beschäftigt, seit 27.03.2003 ist die Klägerin als L. der Gruppe E. im Werk der Beklagten in B. AT-Angestellte.

Ihr monatliches Arbeitsentgelt beträgt 4.520,00 € brutto zuzüglich Bonuszahlungen. Bei der Beklagten ist ein Betriebsrat errichtet. Es gibt eine Betriebsvereinbarung "Jahresarbeitszeit im Einkauf B." vom 10.03.2000 und eine Betriebsvereinbarung "Elektronische Zeiterfassung" vom 19.12.2004. Danach werden Überstunden von minus oder plus 24 Stunden in das nächste Jahr übernommen. Der Rest der positiven Überstunden wird nicht gesondert vergütet. Eine "Gesamtvereinbarung zur Jahresarbeitszeit von außertariflichen Mitarbeitern" vom 25.02.1999 sieht vor, dass bei außertariflichen Mitarbeitern auf die Erstellung von Arbeitsplänen und auf Kernarbeitszeiten verzichtet wird. Die Klägerin kann ihre Tätigkeit in persönlicher Arbeitszeit zwischen 06.00 Uhr und 20.00 Uhr erbringen. Nach der Betriebsvereinbarung vom 29.12.1995 steht den Arbeitnehmern der Beklagten eine Mittagspause von 45 Minuten zu. In der Betriebsvereinbarung heißt es:

"Die Dauer der Mittagspause beträgt 45 Minuten. Sie kann zwischen 11.30 Uhr und 13.30 Uhr genommen werden. Eine längere Abwesenheit und eine Abwesenheit außerhalb des Werkes ist wie bisher in SAP/Zeitwirtschaft (aus- und einstempeln) zu erfassen. Pro Arbeitstag werden maximal 10 Stunden plus 45 Minuten (Pause) als Anwesenheit erfasst".

Die bezeichneten 45 Minuten werden automatisch von der Arbeitszeit abgezogen. Sollte eine Mittagspause kürzer oder länger gewesen sein, kann dies bei der Zeitbeauftragten der Beklagten nachträglich korrigiert werden.

Die Klägerin stempelt in der Regel seit dem Jahr 2003 in der Mittagspause nicht mehr, außer wenn ihr bereits vorher bekannt ist, dass sie etwa bedingt durch Abwesenheit mehr als 45 Minuten von ihrem Arbeitsplatz entfernt sein wird. Stempeluhren befinden sich jeweils an den Werksgebäuden.

Durch eine seitens der Beklagten beauftragte Detektei wurde festgestellt, dass die Klägerin ihre Mittagspause am 25.03.2008 um 25 Minuten, am 26.03.2008 um 0 Minuten, am 27.03.2008 um 11 Minuten und am 01.04.2008 um 27 Minuten überzog, ohne zu stempeln. Eine Abmahnung hat die Klägerin nicht erhalten.

Deswegen kündigte die Beklagte der Klägerin am 11.04.2008 außerordentlich fristlos und am 15.04.2008 hilfsweise ordentlich zum 31.12.2008.

Der zu beiden Kündigungen angehörte Betriebsrat erhob gegen die ordentliche Kündigung Widerspruch.

Mit ihrer beim Arbeitsgericht Augsburg am 21. April 2008 eingegangenen Klage vom 17. April 2008 hat die Klägerin die gerichtliche Feststellung begehrt, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche Kündigung vom 11. April 2008 noch durch die ordentliche Kündigung vom 15. April 2008 aufgelöst worden ist, ferner hat sie die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 13.560,00 € brutto abzüglich 942,98 € netto sowie zur Weiterbeschäftigung über den Kündigungszeitpunkt hinaus begehrt.

Zur Begründung hat sie vorgetragen, es könne schon sein, dass sie in den fraglichen Zeiträumen länger in der Mittagspause gewesen sei. Sie bestreite jedoch die konkret behaupteten Minutenangaben der Beklagten. Als AT-Angestellte sei sie von der Zeiterfassung entbunden. Eine Kündigung sei deswegen keineswegs gerechtfertigt. Bereits eine Abmahnung deswegen sei übertrieben. Die 2-Wochen-Frist für die Erklärung der außerordentlichen Kündigung sei darüber hinaus nicht eingehalten, da die Beklagte schon früher Kenntnis durch einen unbekannten Informanten gehabt habe. Sie beanspruche ihre Gehälter für April, Mai und Juni 2008 in Höhe von dreimal 4.520,-- € brutto abzüglich erhaltener 942,98 € netto.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass weder die außerordentliche fristlose Kündigung vom 11.04.2008, noch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 15.04.2008 das Arbeitsverhältnis beendet hat.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände beendet wurde, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.

3. Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin zu unveränderten Arbeitsbedingungen, auch über den Kündigungszeitpunkt hinaus, weiter zu beschäftigen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 4.520,00 brutto, abzüglich € 942,98 netto, verzinst mit 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.05.2008, zu zahlen.

5. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 4.520,00 brutto, verzinst mit 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 01.06.2008, zu zahlen.

6. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 4.520,00 brutto, verzinst mit 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 01.07.2008, zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und erwidert, die Klägerin habe am 25. März, 27. März und 1. April 2008 einen Arbeitszeitbetrug begangen im dargestellten Umfang. Die Überziehungen der Mittagspause seien als Arbeitszeit gebucht und bezahlt worden. Dies rechtfertige eine außerordentliche und auch ordentliche Kündigung, die hilfsweise erklärt worden sei. Das Bestreiten der Klägerin bezüglich der Überziehungen der Mittagspause mit Nichtwissen sei prozessual unzulässig.

Bezüglich des weiteren erstinstanzlichen Sachvortrags der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Das Arbeitsgericht Augsburg hat der Klage mit Endurteil vom 23. September 2008, das der Klägerin am 15. Dezember 2008 zugestellt wurde, mit Ausnahme in Bezug auf den allgemeinen Feststellungsantrag (Ziffer II. der Klageanträge) in vollem Umfange stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, der Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete Arbeitszeit korrekt zu stempeln, sei an sich geeignet, einen Grund, sogar einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung abzugeben. Die Klägerin habe objektiv gegen ihre Verpflichtung verstoßen, bei Überziehung der Mittagspause um mehr als 45 Minuten und bei Verlassen des Werkes die Mittagspause korrekt zu stempeln oder aber nachträglich nachtragen zu lassen. Das rechtfertige jedoch keine ordentliche Kündigung. Der Klägerin habe der Vorsatz gefehlt, die Beklagte zu schädigen. Nach ihrer unwiderlegten Einlassung habe sie seit ihrer Beförderung zur AT-Angestellten im Jahr 2003 die Mittagspause bei Verlassen des Werksgeländes in der Regel nicht gestempelt. Lediglich wenn sie von vornherein gewusst habe, dass sie länger als 45 Minuten benötigte, habe sie die Stempeluhr betätigt. Nach ihrer Einlassung habe sie die etwas verlängerte Mittagspause dadurch ausgeglichen, dass sie an manchen Tagen keine Mittagspause genommen habe, etwa weil sie schon gegen 13:00 Uhr das Werk verlassen habe, ihr aber trotzdem automatisch 45 Minuten Mittagspause abgezogen worden seien. Ein Vorsatz zum Arbeitszeitbetrug sei dann zu bejahen, wenn es der Klägerin gerade darauf angekommen wäre, sich selbst zu bereichern und die Beklagte dadurch zu schädigen. Ihre Einlassung, etwa überzogene Zeiten der Mittagspause an anderen Tagen ausgeglichen zu haben bzw. auszugleichen, sei nicht zu widerlegen. Ihr - fehlerhafter - Glaube, als AT-Angestellte sei sie von der Stempelpflicht befreit, verbiete die Annahme eines vorsätzlichen Betruges. In dieser Situation sei unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes der vorherige vergebliche Ausspruch einer Abmahnung erforderlich gewesen. Eine solche sei nicht erklärt worden. Sie sei auch nicht entbehrlich gewesen. Es spreche nichts dagegen, dass die seit 1990 beschäftigte Klägerin in Zukunft ein insoweit beanstandungsfreies Verhalten an den Tag legen werde.

Gegen die Stattgabe der Klage wendet sich die Beklagte mit ihrer am 12. Januar 2009 beim Landesarbeitsgericht München eingegangenen Berufung vom selben Tag, die sie mit Schriftsatz vom 9. Februar.2009, der am selben Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist, begründet hat.

Unter Vertiefung und teilweiser Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vortrags macht die Klägerin geltend, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts habe die Klägerin vorsätzlich gehandelt und damit einen Arbeitszeitbetrug zulasten der Beklagten begangen. Der Klägerin sei ihre Stempelpflicht bekannt gewesen. Sie habe bewusst und gewollt und damit vorsätzlich gegen diese Pflicht verstoßen. Die Klägerin habe sich zu Unrecht Arbeitszeit gutschreiben lassen, obwohl sie in dieser Zeit nicht gearbeitet habe. Damit habe sie der Beklagten einen Vermögensschaden zugefügt. Nach der Betriebsvereinbarung vom 19. Dezember 2004 bestehe die Stempelpflicht in zwei Fällen, nämlich einmal im Fall dass der Mitarbeiter das Werksgelände während der Mittagspause verlasse und im zweiten Fall, dass er seine Mittagspause von 45 Minuten überziehe. Die Betriebsvereinbarung erfasse alle Beschäftigten. Eine Unterscheidung nach Hierarchieebenen existiere nicht. Die Klägerin habe gewusst, dass sie verpflichtet gewesen sei, während der Mittagspause auszustempeln. Das ergebe sich aus ihrem Vortrag, nach dem sie seit 2003 regelmäßig in der Mittagspause nicht mehr ausgestempelt habe, außer wenn ihr bereits vorher sicher bekannt gewesen sei, dass sie mehr als 45 Minuten von ihrem Arbeitsplatz entfernt sein würde. Damit stehe fest, dass die Klägerin die Betriebsvereinbarung, die Stempelpflicht vorsehe, gekannt habe. Denn andernfalls habe es keinen Sinn gemacht, sich dann auszustempeln, wenn sie im Voraus gewusst habe, dass sie ihre Mittagspause überziehen werde. Das Arbeitsgericht habe es auch als entlastend angesehen, dass die Klägerin - nach ihrer Behauptung - überzogene Zeiten der Mittagspause etwa durch Verzicht auf eine Mittagspause an anderen Tagen ausgeglichen habe. Diese Behauptung werde bestritten. Im Übrigen handele es sich um eine Schutzbehauptung. Das Zeiterfassungssystem solle sicherstellen, dass nur die tatsächlich gearbeitete Zeit bezahlt werde. Wenn Arbeitnehmer an einem Tag keine Mittagspause nähmen, könnten Sie die Zeiten von Zeitbeauftragten korrigieren lassen. Dieses System werde ausgehebelt, wenn ein Arbeitnehmer eigenmächtig entscheide, welche Zeiten auszugleichen seien. Durch das pflichtwidrige Unterlassen des Aus-/Einsstempelns bei Verlassen des Werksgeländes habe die Klägerin das Vertrauen der Beklagten unwiederbringlich zerstört. Die Beklagte müsse sich sicher sein können, dass sich ihre Vorgesetzten an die bestehenden Regeln hielten. Erschwerend komme hinzu, dass es sich nicht um einen einmaligen Vorfall gehandelt habe, sondern dass die Klägerin sich seit 2003 entsprechend verhalten habe. Die Detektei habe festgestellt, dass die Klägerin an vier von vier Tagen überzogen hat. Auf ein Arbeitsjahr von 220 Tagen hochgerechnet entspreche das einem Volumen von 68,75 Stunden im Jahr, also nahezu 2 Wochen Arbeitszeit. Eine Abmahnung sei auch entbehrlich gewesen. Der Klägerin sei ihre Stempelpflicht bekannt gewesen. Sie habe bewusst und gewollt hiergegen verstoßen. Die Pflichtverletzungen beträfen in erheblicher Weise das Vertrauensverhältnis. Die Klägerin sei Leiterin der Gruppe Einkauf mit Führungsverantwortung. Ihr komme eine Vorbildfunktion zu.

Die Beklagte beantragt,

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 23.09.2008, Az. 5 Ca 1382/08, wird aufgehoben.

2. Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung führt sie aus, sie habe nicht vorsätzlich gehandelt. Sie sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass sie seit ihrer Beförderung zur AT-Angestellten im Jahr 2003 nicht mehr zum Stempeln verpflichtet sei. Sie habe geglaubt, als AT-Mitarbeiterin müsse sie nur stempeln, wenn sie das Werksgelände für mehr als 45 Minuten verlasse. Diese unzutreffende Annahme sei dadurch begründet, dass sie seit ihrer Beförderung nicht mehr von der Kernarbeitszeit- Regelung betroffen sei. Sie habe daher ihre tägliche Arbeitszeit von 06:00 Uhr bis 20:00 Uhr ableisten müssen. Es müsse darauf hingewiesen werden, dass sich am Werkstor selbst keine Stempeluhr befinde, sondern nur an den Bürogebäuden. Die Mittagszeit von 45 Minuten werde den Mitarbeitern automatisch von ihrem Arbeitszeitkonto abgezogen. Die Mitarbeiter müssten also nicht stempeln, wenn sie die Mittagspause anträten und diese auf dem Werksgelände verbrächten. Jeder Mitarbeiter, der seine Mittagspause auf dem Werksgelände verbringe, habe daher theoretisch die Möglichkeit, seine Mittagspause zu überziehen, ohne dass dies von der Beklagten festgestellt werden könne. Daher sei das von der Beklagten angewandte System der Arbeitszeitkontrolle als generell ungeeignet zu betrachten. Im Übrigen fehle es an der Bereicherungs- und Schädigungsabsicht. Sie, die Klägerin, habe nämlich verlängerte Mittagspausen dadurch ausgeglichen, dass sie an manchen Tagen gar keine Mittagspause genommen habe. Von der Beklagten sei im erstinstanzlichen Verfahren nicht bestritten worden, dass sie regelmäßig gar keine oder nur eine verkürzte Mittagspause genommen habe. Darüber hinaus habe sie an mehreren Tagen über 10 Stunden am Tag gearbeitet. Trotzdem seien ihr nie mehr als 10 Stunden pro Arbeitstag auf ihrem Zeitkonto gutgeschrieben worden. Darüber hinaus seien ihr auch Überstunden von ihrem Zeitarbeitskonto gestrichen worden. So habe sie nachweislich im Januar 2007 einen Vormonatssaldo von plus 77,50 Stunden auf ihrem Arbeitszeitkonto gehabt. Es sei also keinesfalls so, dass sie versucht habe, Arbeitszeiten durch Verlängerung ihrer Mittagspause zu erschleichen. Vielmehr habe sie oft Mehrarbeit geleistet und auf ihre Mittagspause verzichtet, obwohl sie gewusst habe, dass diese Zeiten von der Beklagten nicht auf dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben werden würden. Die Schadensbetrachtung der Beklagten sei auch unzutreffend. Es müssten nämlich die Zeiten berücksichtigt bzw. gegengerechnet werden, die der Klägerin von ihrem Zeitkonto abgezogen worden seien, obwohl sie eine Arbeitsleistung für die Beklagte erbracht habe. Jedenfalls sei die Feststellung des Arbeitsgerichts richtig, dass die Klägerin die überzogene Mittagspause immer wieder ausgeglichen habe. Das Arbeitsgericht sei auch zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass vor Ausspruch der Kündigung eine Abmahnung erforderlich gewesen wäre. Ein Verzicht auf das Abmahnungserfordernis sei nur dann gerechtfertigt, wenn der Pflichtverstoß so gravierend sei, dass der Arbeitnehmer von vornherein nicht mit einer Billigung seines Verhaltens rechnen könne und er sich bewusst sein müsse, dass er seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setze. Die Beklagte habe bereits erstinstanzlich eingeräumt, dass es schon seit längerem auf Seiten der Beklagten Überlegungen gegeben habe, die Stempelpflicht für AT-Mitarbeiter abzuschaffen. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin sofort, als sie von den vorgesetzten Mitarbeitern auf ihren Pflichtverstoß angesprochen worden sei, diesen vollumfänglich eingeräumt und nicht erst versucht habe, ihn zu leugnen.

Die Beklagte hat hierzu erwidert, die Klägerin habe in der Zeit seit Juli 2003 bis zum Ende des Jahres 2003 wie vor Ihrer Beförderung aus- und eingestempelt. Im ersten Halbjahr 2003 habe sie achtmal für die Mittagspause gestempelt, im zweiten Halbjahr 7 mal. Das belege, dass sie gewusst habe, dass sie auch als AT-Mitarbeiterin zum Stempeln verpflichtet gewesen sei. Erst ab dem Jahr 2004 habe die Klägerin nicht mehr regelmäßig aus- und ein gestempelt. Damit stehe fest, dass die Klägerin gewusst habe, dass sie auch als AT-Mitarbeiterin der Stempelpflicht unterlegen habe. Im Übrigen bleibe es dabei, dass die Klägerin regelmäßig während der Mittagspause das Werksgelände verlassen habe. Sie habe nicht dargelegt, dass es sich hierbei um eine Sondersituation gehandelt habe.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die gewechselten Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft nach § 64 Abs. 1 und 2 c) ArbGG bezüglich der Feststellungsanträge und gemäß § 64 Abs. 1 und 2 b) bezüglich der übrigen Anträge und auch im Übrigen zulässig, insbesondere in der gesetzlichen Form und der vorgeschriebenen Frist eingelegt und begründet worden (§§ 11 Abs. 2 ArbGG, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 519 Abs. 2, 520 Abs. 3 ZPO, § 66 Abs. 1 Sätze 1,2,5 ArbGG i.V.m. § 222 ZPO).

II.

Die Berufung ist bezüglich der Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung nicht aufgelöst worden ist, unbegründet, im Übrigen ist sie begründet.

1. Außerordentliche Kündigung vom 11. April 2008

Die außerordentliche Kündigung vom 11. April 2008 ist rechtsunwirksam und hat das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst, weil ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB nicht vorliegt.

Nach § 626 Absatz 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

Es ist dabei in einer ersten Stufe zu prüfen, ob ein arbeitsvertraglicher Pflichtverstoß bzw. ein Kündigungssachverhalt unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung abzugeben. In der zweiten Stufe ist sodann zu klären, ob es dem Arbeitgeber im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalls und der beiderseitigen Interessen unzumutbar ist, den Arbeitnehmer auch nur für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen (vgl. BAG, Urteil vom 11. Dezember 2003, NZA. 2004, 486).

Das Berufungsgericht ist mit dem Arbeitsgericht der Auffassung, dass der von der Beklagten als Kündigungsgrund gerügte Verstoß der Klägerin, die Arbeitszeit korrekt zu stempeln, an sich geeignet ist einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB abzugeben. Gleichwohl ist die Kammer zu der Auffassung gelangt, dass es unter Berücksichtigung aller Umstände - die im Zusammenhang mit der Berechtigung der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung noch näher zu erörtern sind, der Beklagten zuzumuten war, die Klägerin bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen, so dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 11.04.2008 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden ist.

2. Ordentliche Kündigung vom 15. April 2008 zum 31.12.2008

Die gegen die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die ordentliche Kündigung vom 15. April 2008 gerichtete Feststellungsklage ist unbegründet, weil die ordentliche Kündigung durch Gründe, die in dem Verhalten der Klägerin liegen, bedingt und damit sozial gerechtfertigt ist (§ 1 Abs. i.V.m. Abs. 2 Satz 1 KSchG).

Wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, ist das Kündigungsschutzgesetz auf die streitgegenständliche Kündigung anwendbar.

Eine Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG ist sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer mit dem ihm vorgeworfenen Verhalten eine Vertragspflicht - in der Regel schuldhaft - erheblich verletzt, das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird, eine zumutbare Möglichkeit einer anderen Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheint (BAG, Urt. 31.5.07 - 2 AZR 200/06, NZA 07,923).

Für eine verhaltensbedingte Kündigung gilt dabei das Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht eine Sanktion für eine begangene Vertragspflichtverletzung, sondern die Vermeidung des Risikos weiterer erheblicher Pflichtverletzungen. Die vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb noch in der Zukunft belastend auswirken. Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde zukünftig den Arbeitsvertrag auch nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen (EK-Ascheid/Oetker 7. Aufl. § 1 KSchG Rn. 297). Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Diese dient der Objektivierung der negativen Prognose.

Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die Kammer zu der Auffassung gelangt, dass der wiederholte Verstoß der Klägerin gegen die nach der Betriebsvereinbarung vom 19.12.2004 bestehende Stempelpflicht die ausgesprochene Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung rechtfertigt. Grundsätzlich gilt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass ein Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber sonst kaum sinnvoll kontrollierbare Arbeitszeit korrekt zu stempeln, an sich geeignet ist, einen Grund, ggf. auch wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch an (BAG Urt. vom 24.11.2005, Az.: 2 AZR 39/05, NZA 2006, 484 m.w.N.).

Im vorliegenden Fall steht bei der Würdigung nicht die Vermögensschädigung im Vordergrund, sondern dass die Klägerin als Leiterin der Gruppe Einkauf mit Führungsverantwortung sich angemaßt hat, sich über eine Betriebsvereinbarung hinwegzusetzen, die unstreitig auch für sie galt. Dabei kommt aus Sicht der Kammer erschwerend hinzu, dass sie zur ihrer Entlastung angeführt hat, sie habe Überstunden geleistet, die es gerechtfertigt hätten, Pausen ohne Kontrolle durch das Zeiterfassungssystem zu überziehen. Die Beklagte hat hiergegen zu Recht eingewandt, das System werde ausgehebelt, wenn ein Arbeitnehmer eigenmächtig entscheide, welche Zeiten auszugleichen seien. Die Beklagte hatte an die Klägerin die berechtigte Erwartung, dass sich die Klägerin an die mit dem Betriebsrat ausgehandelten und ihr bekannten Regeln der Zeiterfassung hielt. Dem kam umso größere Bedeutung zu, als die Klägerin in ihrer Führungsfunktion orientierend auch auf nachgeordnete Mitarbeiter wirkt.

Eine Abmahnung war im vorliegenden Fall aus Sicht der Kammer entbehrlich, weil die Klägerin nicht davon ausgehen konnte, dass ihr Verhalten von Seiten der Beklagten akzeptiert werde. Sie kannte die Betriebsvereinbarung. Die Regelung in Ziffer 5. der Gesamtbetriebsvereinbarung vom 25.02.1999, wonach "auf die Erstellung eines Einsatzplanes sowie auf die Einhaltung der Kernarbeitszeit bei außertariflichen Mitarbeitern verzichtet" werde, entlastet die Klägerin nicht, da diese Regelung nicht die Zeiterfassung für die Zwecke der Abrechnung betrifft.

Die Beklagte ist aus Sicht der Kammer auch zutreffend zu der Bewertung gelangt, dass das Vertrauensverhältnis dauerhaft beeinträchtigt und die Prognose daher ungünstig ist. Dabei fällt ins Gewicht, dass die Klägerin zu keinem Zeitpunkt hat erkennen lassen, dass ihr Verhalten einen gravierenden Pflichtenverstoß beinhaltet. So hat sie im Gegenteil das mit dem Betriebsrat ausgehandelte Zeiterfassungssystem als generell ungeeignet bezeichnet und darauf hingewiesen, dass derjenige Mitarbeiter, der seine Mittagspause auf dem Werksgelände verbringe, die Möglichkeit habe seine Mittagspause zu überziehen, ohne dass dies von der Beklagten festgestellt werden könne. Damit erweckt sie den Eindruck, ihr Fehlverhalten sei damit zu rechtfertigen, dass ja auch bei Beachtung der Zeiterfassungsregeln die Möglichkeit bestehe, die Beklagte über real geleistete Arbeitszeiten zu täuschen.

Die Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Regelungen in diesem Bereich immer Kompromisscharakter trügen zwischen perfekter Kontrolle einerseits und völligem Verzicht auf Überwachung andererseits. Das gewählte System sei ein Kompromiss, der auf totale Kontrolle verzichte und den Mitarbeitern einen gewissen Vertrauensvorschuss gebe. Der von der Beklagten in Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat gewählte Weg erscheint auch aus Sicht der Kammer plausibel, weil bei Mittagspausen auf dem Betriebsgelände immer eine gewisse soziale Kontrolle durch Kollegen und Vorgesetze vorhanden ist, während eine solche bei Mittagspausen außerhalb des Betriebsgeländes weitgehend entfällt.

In der weiteren Stufe der Prüfung der Voraussetzungen einer sozial gerechtfertigen Kündigung ist das Berufungsgericht zu der Auffassung gelangt, dass die eingetretene Störung auch nicht durch eine Umsetzung beseitigt werden kann. Auch in anderen Bereichen ist die Klägerin damit konfrontiert, sich an Regeln zu halten, die mit dem Betriebsrat ausgehandelt sind, um die Erfüllung der arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflicht zu kontrollieren.

Schließlich führt auch die Interessenabwägung nicht zu einer veränderten Beurteilung. Die Klägerin war im Kündigungszeitpunkt zwar bereits mehr als 17 Jahre bei der Beklagten beanstandungsfrei beschäftigt. Gleichwohl erscheint es der Kammer im Hinblick auf die grundlegende Störung des Vertrauensverhältnisses, die sich auch in der Einstellung der Klägerin zu dem beanstandeten Verhältnis widerspiegelt, nicht zumutbar, die Klägerin über den Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist hinaus weiterzubeschäftigen.

Trotz der im Zusammenhang mit der ordentlichen Kündigung erörterten grundlegenden Störung des Vertrauensverhältnisses erscheint es für die Beklagte unter Berücksichtigung der langjährigen unbeanstandeten Beschäftigungsdauer zumutbar, anstelle einer sofortigen Kündigung das Arbeitsverhältnis - wie mit der hilfsweise ausgesprochenen Kündigung vom 15.04.2008 praktiziert - zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 31.12.2008 ordentlich zu beenden. Hierbei ist die Überlegung maßgeblich, dass nicht zu erwarten ist, dass die Klägerin bis zum Ablauf der Kündigungsfrist erneut gegen die Regeln des Zeiterfassungssystems verstößt.

3. Zahlungsansprüche

Die Berufung ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Verurteilung zur Zahlung der im Tenor genannten Beträge bezieht. Auf die Begründung des Arbeitsgerichts wird insoweit vollinhaltlich Bezug genommen.

5. Weiterbeschäftigungsanspruch

Die Berufung ist begründet, soweit sie sich gegen die Verurteilung zur Weiterbeschäftigung der Klägerin wendet. Nachdem das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31.12.2008 geendet hat, ist für einen Weiterbeschäftigungsanspruch keine Rechtsgrundlage gegeben.

III.

Die Kostenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 97 ZPO.

IV.

Da dem Rechtsstreit über die Klärung der streitgegenständlichen Fragen hinaus keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, besteht für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung. Gegen dieses Urteil ist deshalb die Revision nur gegeben, wenn sie das Bundesarbeitsgericht auf Grund einer Nichtzulassungsbeschwerde, auf deren Möglichkeit und Voraussetzungen gemäß § 72 a ArbGG hingewiesen wird, zulassen sollte.

Ende der Entscheidung

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