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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 10.05.2007
Aktenzeichen: 2 Sa 1244/06
Rechtsgebiete: TVG


Vorschriften:

TVG § 3 Abs. 1
1. Ein Arbeitgeberverband kann in seiner Satzung eine Form der Mitgliedschaft vorsehen, die nicht zur Tarifbindung führt.

2. Auch wenn die Satzung einen Wechsel in eine OT-Mitgliedschaft ohne Einhaltung einer Frist zulässt, macht dies den Wechsel nicht unwirksam.


LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

2 Sa 1244/06

Verkündet am: 10. Mai 2007

In dem Rechtsstreit

hat die Zweite Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 29. März 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Waitz sowie die ehrenamtlichen Richter Hildegard Ewinger und Josef Hopper für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 29. 8. 2006 - 5 Ca 609/03 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger Ansprüche aus einem ab 1.4.2002 gültigen Lohnabkommen zustehen.

Der Kläger ist seit 1.10.1978 als gewerblicher Arbeitnehmer bei der Beklagten, einem Unternehmen der Druckindustrie mit etwa 180 Arbeitnehmern, beschäftigt.

Die Beklagte war seit 1959 ordentliches Mitglied im Verband Druck und Medien Bayern e.V. (vdmb). Die Satzung dieses Verbandes enthält u.a. folgende Regelungen:

"§ 4 Erwerb der Mitgliedschaft

(1) Ordentliche Mitglieder des vdmb mit Tarifbindung sowie ordentliche Mitglieder des vdmb ohne Tarifbindung können nur natürliche und juristische Personen oder Personenvereinigungen werden, die Inhaber eines Betriebes der Druckindustrie und Medienbranche mit einer Niederlassung im Gebiet des Freistaates Bayern sind.

Der Verbandsbeitritt als ordentliches Mitglied erfolgt grundsätzlich als Mitgliedschaft mit Tarifbindung.

...

§ 5 Wechsel der Mitgliedschaftsformen

(1) Der Wechsel in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung ist jederzeit auf schriftlichen Antrag durch Beschluss des Vorstandes möglich, wenn die Tarifbindung auch unter Berücksichtigung des gemeinsamen Verbandsinteresses an gleichen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen in der Branche für das Mitglied unzumutbar ist.

...

§ 7 Allgemeine Mitgliederrechte und -pflichten

...

(2) Für Mitglieder ohne Tarifbindung gilt: Mitglieder ohne Tarifbindung verpflichten sich, bei Verhandlungen zu Haus- bzw. Firmentarifverträgen den vdmb zu informieren und hinzuziehen.

Der vdmb kann Mitglieder ohne Tarifbindung in Tarifangelegenheiten, insbesondere beim Abschluss von Firmentarifverträgen beraten, unterstützen und vertreten. Hierüber entscheidet der Vorstand durch Beschluss unter Berücksichtigung der tarifpolitischen Interessenlage des vdmb.

Ein satzungsmäßiger Auftrag zum Abschluss von Verbandstarifverträgen für Mitglieder ohne Tarifbindung besteht nicht. Die Verbandsmitgliedschaft bewirkt somit keine Tarifgebundenheit im Sinne von § 3 Absatz 1 Tarifvertragsgesetz.

...

§ 8 Verbandstreue

(1) Jedes Mitglied ist an satzungsgemäße Beschlüsse des Hauptvorstandes und des Sozialpolitischen Ausschusses des Bundesverbandes Druck und Medien e.V. sowie an Vereinbarungen gebunden, die der Bundesverband Druck und Medien e.V. im Rahmen seiner Tätigkeit nach § 3 (1) Nr. 1 seiner Satzung schließt, soweit sich aus einer Mitgliedschaft ohne Tarifbindung nichts Besonderes ergibt.

..."

Am 21.12.2001 hatte die Beklagte ihre Mitgliedschaft im vdmb gekündigt. Nach § 6 Abs. 2 der Satzung kann der Austritt nur zum Jahresschluss mit einer Kündigungsfrist von einem Jahr erklärt werden.

Am 29.5.2002 fand die abschließende Sitzung der Tarifvertragsparteien ver.di und des Bundesverbandes Druck und Medien e.V. statt, in der man sich über ein Lohnabkommen einigte. Im Protokoll über diese Sitzung heißt es:

I. "Die Tarifvertragsparteien schließen nachfolgendes Lohnabkommen ab.

Mit Wirkung vom 1. Mai 2002 wird der tarifliche Wochenlohn (Lohngruppe V 100 %) um 3,4 % erhöht. Die Ausbildungsvergütungen werden ab 1. April 2002 um denselben Prozentsatz erhöht. Für den Monat April 2002 wird für jeden vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer eine Einmalzahlung in Höhe von 43 Euro geleistet, die mit der Juniabrechnung 2002 fällig wird. Teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer erhalten die Pauschalzahlung anteilig im Verhältnis ihrer vertraglichen zur tariflichen regelmäßigen Wochenarbeitszeit.

Dieses Lohnabkommen kann mit monatlicher Frist gekündigt werden, erstmals zum 31. März 2003.

II. Diese Vereinbarung wird wirksam, wenn sie bis Mittwoch, 19. Juni 2002 durch schriftliche Erklärung gegenüber der anderen Tarifvertragspartei angenommen wird. Sie gilt nicht für das Gebiet der Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg."

Am 10.6.2002 stellte die Beklagte unter Hinweis auf ihre erheblich verschlechterte wirtschaftliche Situation einen schriftlichen Antrag beim vdmb auf Wechsel in die Mitgliedschaft ohne Tarifbindung. Mit Schreiben vom 18.6.2002 bestätigte das geschäftsführende Vorstandsmitglied des vdmb N. der Beklagten "für den Vorstand des Verbandes Druck und Medien Bayern e.V. den Wechsel der Mitgliedschaft in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung mit sofortiger Wirkung." Streitig ist, wann dieses Schreiben der Beklagten zuging. Der Kläger bestreitet die Behauptung der Beklagten, dies sei noch am 18.6.2002 geschehen.

Jeweils mit Schreiben vom 19.6.2002 erklärten sowohl die ver.di als auch der Bundesverband Druck und Medien gegenüber der jeweils anderen Tarifvertragspartei die Annahme des Tarifabschusses. Das Lohnabkommen wurde am 19.6.2002 von Vertretern des Bundesverbandes unterzeichnet und am 20.6.2002 an die ver.di übersandt, deren Vertreter es anschließend unterzeichneten.

Die Beklagte zahlte ihren Mitarbeitern keine Einmalzahlung für den April 2002 und gab die tarifliche Lohnerhöhung zum 1.5.2002 nicht weiter.

Im März 2003 forderte die ver.di die Beklagte zu Verhandlungen über einen Haustarif auf. Am 5. und 6.5.2003 wurde die Beklagte bestreikt. Seit 1.8.2003 ist sie wieder ordentliches Mitglied des vdmb mit Tarifbindung.

Der Kläger ist der Auffassung, er habe aufgrund der Tarifbindung beider Parteien Anspruch auf die Leistungen nach dem Lohnabkommen. Der Tarifvertrag sei bereits mit der Unterzeichnung des Sitzungsprotokolls am 29.5.2002 wirksam geschlossen worden. Ein danach erfolgter Wechsel der Beklagten in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung sei daher unerheblich. Im Übrigen sei eine solche Mitgliedschaft auch unzulässig. Jedenfalls sei der Wechsel nicht wirksam erfolgt, da die satzungsmäßigen Voraussetzungen nicht vorgelegen hätten.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt, die Beklagte zur Zahlung von insgesamt € 1.985,19 brutto nebst Zinsen zu verurteilen.

Nach Ansicht der Beklagten hat der Kläger keine Ansprüche aus dem Lohnabkommen. Sie sei nämlich bei Abschluss des Lohnabkommens nicht tarifgebunden gewesen. Das Lohnabkommen sei erst mit Unterzeichnung durch die Tarifvertragsparteien, d.h. am 24.6.2002 und damit nach dem Wechsel in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung abgeschlossen worden. Der Wechsel sei satzungsgemäß erfolgt und zum 18.6.2002 wirksam geworden. Der Verband könne aufgrund seiner Organisationshoheit regeln, ob und unter welchen Voraussetzungen er eine OT-Mitgliedschaft ermögliche. Der Vorstandsbeschluss über den Wechsel sei gerichtlich lediglich auf Willkür überprüfbar, die jedoch nicht vorliege.

Mit Endurteil vom 29.8.2006 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keine Ansprüche aus dem Lohnabkommen, da die Beklagte nicht tarifgebunden gewesen sei. Die Satzungsbestimmung über den Wechsel in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung sei wirksam. Die Verbandssatzung könne die Angelegenheiten des Verbandes autonom regeln. Der Wechsel in der Mitgliedschaft sei mit der Zustimmung des Vorstandes des vdmb am 18.6.2002 wirksam geworden. Dabei sei es unerheblich, ob der Beklagten die Tarifbindung unzumutbar gewesen sei. Über das Vorliegen der satzungsgemäßen Voraussetzungen für einen entsprechenden Vorstandsbeschluss könne der Verband autonom entscheiden. Für offensichtliche Willensmängel bzw. Rechtsverstöße sei weder etwas vorgetragen noch seien sie ersichtlich. Das Lohnabkommen sei erst nach dem 18.6.2002 rechtswirksam geworden.

Gegen dieses den Klägervertretern am 25.10.2006 zugestellte Endurteil richtet sich die Berufung des Klägers vom Montag, den 27.11.2006, die am 4.1.2007 begründet worden ist, nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zum 5.1.2007 verlängert worden war.

Der Kläger hält die Ausführungen des Arbeitsgerichts weder im Ergebnis noch in der Begründung für überzeugend. Insbesondere habe das Arbeitsgericht sich nicht hinreichend mit den satzungsgemäßen Voraussetzungen für einen Wechsel in der Mitgliedschaft auseinandergesetzt. Ungeachtet der Zulässigkeit einer OT-Mitgliedschaft ergebe sich die Tarifbindung der Beklagten schon daraus, dass das Lohnabkommen vor dem Wirksamwerden des Wechsels abgeschlossen worden sei. Aus der Formulierung der Annahmeschreiben vom 19.6.2002 ergebe sich, dass das Tarifergebnis bereits am 29.5.2005 zustande gekommen sei. Am 19.6.2002 sei es mit den Annahmeerklärungen rückwirkend zum 29.5.2002 wirksam geworden. Im Übrigen sei die Beklagte auch bei Annahme des Tarifergebnisses am 19.6.2002 noch tarifgebunden gewesen. Für den Wechsel der Mitgliedschaft komme es auf die Bestätigung gegenüber der Beklagten an. Es werde bestritten, dass die Bestätigung der Beklagten bereits am 18.6.2002 zugegangen sei.

Im Übrigen sei eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht zulässig. Sie stehe im Widerspruch zu § 3 Abs. 1 TVG.

Jedenfalls sei ein Wechsel in die OT-Mitgliedschaft nach Abschluss des Tarifvertrages und in Kenntnis des Tarifergebnisses unwirksam. Das Verhalten der Beklagten stelle eine unzulässige Tarifflucht dar. Die Zulassung eines sofortigen Wechsels in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung störe die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Verhandlungsparität und stehe im Übrigen im Widerspruch zu der in der Satzung geregelten Kündigungsfrist für den Verbandsaustritt.

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts hätte geprüft werden müssen, ob die Tarifbindung für die Beklagte tatsächlich unzumutbar war. Der bloße Hinweis auf die angeblich erheblich verschlechterte wirtschaftliche Situation der Beklagten reiche hierfür nicht aus. Schließlich verstoße die Zulassung eines sofortigen Wechsels in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung gegen die Verpflichtung der Tarifvertragsparteien, alles zu unterlassen, wodurch die tarifvertraglichen Regelung leer laufen könnten und die Existenz des Tarifpartners ausgehöhlt und geschwächt werde.

Der Kläger stellt folgende Anträge:

1. Das Endurteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 29.8.2006, Az. 5 Ca 609/03, zugestellt am 25.10.2006, wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, € 833,82 brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit Klageerhebung zu zahlen.

3. Die Beklagte wird des Weiteren verurteilt, an den Kläger € 99,82 brutto nebst 5 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz der EZB seit Klageerweiterung zu zahlen.

4. Die Beklagte wird des Weiteren verurteilt, an den Kläger € 179,16 brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit Klageerweiterung zu zahlen.

5. Die Beklagte wird des Weiteren verurteilt, an den Kläger € 80,15 brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit Klageerweiterung zu zahlen.

6. Die Beklagte wird des Weiteren verurteilt, an den Kläger € 613,29 brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit Klageerweiterung zu zahlen.

7. Die Beklagte wird des Weiteren verurteilt, an den Kläger € 82,12 brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit Klageerweiterung zu zahlen.

8. Die Beklagte wird des Weiteren verurteilt, an den Kläger € 96,83 brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZR seit Klageerweiterung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Arbeitsgerichts für zutreffend. Eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung sei auch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zulässig. Das Lohnabkommen sei erst nach dem Wechsel der Beklagten in die OT-Mitgliedschaft wirksam geworden, nämlich mit Unterzeichnung durch die Tarifvertragsparteien am 19./24.6.2002. Ausweislich des Protokolls vom 29.5.2006 hätten die Tarifvertragsparteien bestimmt, dass der Tarifvertrag erst mit der Annahme zustande kommt. Der Wechsel sei mit dem Vorstandsbeschluss wirksam geworden. Der Kläger könne die Unwirksamkeit des Vorstandsbeschlusses nicht geltend machen, da andernfalls in verbandsinterne Entscheidungen eingegriffen werde. Durch den sofortigen Wechsel werde die Verhandlungsparität nicht gestört. Er stelle für die Gewerkschaft keinen Nachteil dar, da sie von dem Mitglied ohne Tarifbindung den Abschluss eines Haustarifvertrages fordern könne. So sei die Gewerkschaft ver.di auch gegenüber der Beklagten vorgegangen. Die Einwirkungspflicht des Verbandes auf seine Mitglieder entstehe erst mit dem wirksamen Abschluss des Tarifvertrages.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachvortrags der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründung vom 3.1.2007, die Berufungserwiderung vom 9.3.2007 sowie die nachgelassenen Schriftsätze vom 23.4.2007 und 4.5.2007 Bezug genommen, außerdem auf die Sitzungsniederschrift vom 29.3.2007.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist unbegründet, weil das Arbeitsgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat. Es hat überzeugend begründet, dass dem Kläger wegen fehlender Tarifbindung der Beklagten keine Ansprüche aus dem ab 1.4.2002 gültigen Lohnabkommen für die Druckindustrie zustehen. Die Ausführungen des Klägers im Berufungsverfahren führen aus folgenden Gründen nicht zu einem anderen Ergebnis.

1. Wenn man von der Wirksamkeit der Satzungsbestimmungen über den Wechsel in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung ausgeht, wurde das Lohnabkommen erst nach dem Wechsel der Beklagten in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung wirksam.

Ein wirksamer Tarifvertrag, an den die Mitglieder der Tarifvertragsparteien gebunden sind (§ 3 Abs. 1 TVG) und der nach § 4 Abs. 1 TVG Rechte der Mitglieder begründen kann, kommt mit dem Vertragsschluss in Schriftform zustande (§ 1 Abs. 2 TVG). Der Vertragsschluss erfolgt nach den Regelungen der §§ 145 ff BGB. Hier haben die Tarifvertragsparteien das den diesen Gesetzesbestimmungen zugrunde liegende Nacheinander von Angebot und Annahme in einer beim Abschluss von Tarifverträgen üblichen Weise dadurch modifiziert, dass sie im Protokoll vom 29.5.2002 zunächst den Inhalt des Lohnabkommens festgelegt und dann wechselseitig eine Frist für die Annahme gesetzt haben. Dadurch wurde ein Absegnen des Verhandlungsergebnisses durch die Tarifkommissionen der Tarifvertragsparteien ermöglicht. Die Regelung im Protokoll, dass die Vereinbarung erst wirksam, wenn sie gegenüber der anderen Tarifvertragspartei angenommen wird, stellt die Bestimmung einer Annahmefrist nach § 148 BGB dar. Der Wirksamkeit einer solchen Regelung steht nicht entgegen, dass die Annahmefrist für beide Tarifvertragsparteien gelten soll, denn ein Vertrag kann auch in der Weise geschlossen werden, dass beide Vertragsparteien übereinstimmende Angebote abgegeben und jeweils eine Annahmefrist für die andere Partei bestimmen. In einem solchen Fall wird der Tarifvertrag erst dann wirksam geschlossen, wenn die letzte Unterschrift unter dem Tarifvertrag geleistet (ErfK/Schaub § 1 TVG Rn. 6). Diese erfolgte hier jedenfalls nicht vor dem 20.6.2002.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist das Lohnabkommen mit den Annahmeerklärungen nicht rückwirkend zum 29.5.2002 wirksam geworden. Eine solche Rückwirkung steht im Widerspruch zur vereinbarten Annahmefrist und lässt sich nicht mit Formulierungen in den Annahmeschreiben der Tarifvertragsparteien begründen. Darin haben die Tarifvertragsparteien lediglich die Annahme innerhalb der zuvor vereinbarten Frist erklärt.

Beim wirksamen Abschluss des Lohnabkommens war die Beklagte nicht mehr ordentliches Mitglied des vdmb mit Tarifbindung im Sinne der Satzung. Dabei kann dahinstehen, ob der Beklagten der Wechsel in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung am 18.6.2002 bestätigt wurde. Selbst wenn man von einem Tarifvertragsabschluss schon am 19.6.2006 ausgehen würde (wie nicht), war die Beklagte an diesem Tag nicht mehr ordentliches Mitglied des vdmb. Nach § 5 Abs. 1 der Satzung ist der Wechsel in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung jederzeit auf schriftlichen Antrag durch Beschluss des Vorstandes möglich, wenn die Tarifbindung auch unter Berücksichtigung des gemeinsamen Verbandsinteresses an gleichen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen in der Branche für das Mitglied unzumutbar ist. Damit stellt die Satzung auf die Beschlussfassung des Vorstandes ab und nicht auf eine Bestätigung des Wechsels gegenüber dem Mitgliedsunternehmen. Der Kläger hat weder die Existenz des Bestätigungsschreibens vom 18.6.2002 noch den von der Beklagten behaupteten zugrunde liegenden Vorstandsbeschluss bestritten. Damit gilt der Sachvortrag der Beklagten zum Beschluss des Vorstandes als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO).

Die Gesichtspunkte der Tarifflucht und der Störung der Verhandlungsparität, auf die unten noch eingegangen wird, spielen für die Frage, ob auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung oder der Bestätigung gegenüber der Beklagten abzustellen ist, keine maßgebliche Rolle. Sie betrifft nämlich nur die internen mitgliedschaftlichen Rechtsbeziehungen zwischen der Beklagten und dem vdmb, nicht aber Interessen des Klägers oder der Gewerkschaft. Auch wenn man auf die Bekanntgabe des Vorstandsbeschlusses gegenüber dem Mitgliedsunternehmen abstellen würde, wäre ein rascher Wechsel der Mitgliedschaft möglich. Somit besteht keine Veranlassung, auf eine Bestätigung des Wechsels abzustellen und damit auf einen Zeitpunkt, der in der Satzung nicht vorgesehen ist. Eine solche Veranlassung ergibt sich entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht daraus, dass das Mitglied Sicherheit über den beantragten Wechsel haben muss. Eine gewünschte Sicherheit muss nicht durch eine förmliche Betätigung des Wechsels herbeigeführt werden, sondern das Mitglied kann sich bei entsprechendem Interesse beim Verband über den Vorstandsbeschluss erkundigen.

2. Die in der Satzung des vdmb vorgesehene Mitgliedschaft ohne Tarifbindung ist grundsätzlich zulässig. Zu dieser intensiv diskutierten Frage werden nach wie vor unterschiedliche Auffassungen vertreten, die den Parteien bekannt sind und auf die z.B. in dem von der Beklagten vorgelegten Rechtsgutachten (Junker, Zulässigkeit und Rechtsfolgen der Mitgliedschaft ohne Tarifbindung) eingegangen wird.

Die Kammer hält eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung vor allem aus den Gründen für zulässig, auf die der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinem Beschluss vom 18.7.2006 (1 ABR 36/05 - NZA 06, 1225) abgestellt hat. Danach ergibt sich die Möglichkeit, dass Verbände in ihrer Satzung eine Form der Mitgliedschaft vorsehen, die keine Tarifgebundenheit i.S.v. § 3 Abs. 1 TVG erzeugt, insbesondere aus der Satzungsautonomie der Verbände und dem Grundsatz der Koalitionsfreiheit. Auch § 3 Abs. 1 TVG schließt entgegen der Auffassung der Klägers eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung nicht generell aus. Diese Bestimmung regelt die Rechtsfolge einer Mitgliedschaft in einer Koalition, nämlich, dass die Mitglieder an einen Tarifvertrag, den der Verband schließt gebunden sind. Sie regelt aber nicht, wer Mitglied i.S.d. § 3 Abs. 1 TVG ist, auch beschränkt sie nicht die Satzungsautonomie. Der Einwand, durch die Zulassung einer OT-Mitgliedschaft würde die Verhandlungsparität zwischen Arbeitgeberverband und Gewerkschaft in unzulässiger Weise gestört, greift nicht durch. Von einer strukturellen Störung der Verhandlungsparität durch jede Form der OT-Mitgliedschaft kann nämlich nicht ausgegangen werden, zumal sich die Frage der Tarifgebundenheit einzelnen Arbeitgeber nicht nur bei einer OT-Mitgliedschaft stellt, sondern auch, wenn es darum geht, ob ein Arbeitgeber überhaupt Mitglied des Verbandes ist (BAG aaO).

3. Das Arbeitsgericht hat den Einwand des Klägers, der Beklagten sei die Tarifbindung nicht unzumutbar i.S.v. § 5 Abs. 1 der Satzung gewesen, zu Recht als unerheblich angesehen.

Die Satzung regelt das Verhältnis zwischen dem Verband und seinen Mitgliedern. In diesem Verhältnis räumt § 5 der Satzung dem vdmb die Befugnis ein, die Berechtigung des Wechsels in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung im Hinblick auf die dort geregelten Kriterien zu prüfen. Der Wechsel soll nicht schon aufgrund des Antrags des Mitgliedsunternehmens erfolgen. Dagegen ist es nicht Zweck der Satzungsbestimmung, die Arbeitnehmer eines Mitgliedsunternehmens oder die Gewerkschaft ver.di zu schützen.

Es kann dahinstehen, ob ein Vorstandsbeschluss über einen Wechsel der Mitgliedschaft gerichtlich daraufhin überprüft werden kann, ob er willkürlich oder unsachlich getroffen wurde. Wenn ein Arbeitnehmer dies geltend macht oder einwendet, sein Arbeitgeber habe mit dem beantragten Wechsel rechtsmissbräuchlich gehandelt, so hat der die Tatsachen darzulegen, aus denen sich die Berechtigung seiner Einwände ergibt. Hier hat der Kläger keine entsprechenden Tatsachen vorgetragen, sondern lediglich die Auffassung vertreten, der bloße Hinweis auf die angeblich erheblich verschlechterte wirtschaftliche Situation der Beklagten sei nicht ausreichend.

4. Der Wechsel der Beklagten in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung ist nicht deshalb unwirksam, weil er nach dem Abschluss der Tarifvertragsverhandlungen und in Kenntnis des Verhandlungsergebnisses erfolgte.

Zutreffend ist allerdings die Analyse der tatsächlichen Situation durch den Kläger. Die Beklagte beantragte den Wechsel in die OT-Mitgliedschaft erst nach dem Abschluss der Tarifverhandlungen und in Kenntnis des Inhalts des Lohnabkommens, das von den Tarifvertragsparteien nur noch angenommen werden musste. Die Annahme des Klägers, der Wechsel der Beklagten in die Mitgliedschaft ohne Tarifbindung sei zum Zwecke der Loslösung von dem erzielten Verhandlungsergebnis erfolgt, ist naheliegend.

Nach Ansicht der Kammer ergibt sich aus diesen Umständen nicht die Unwirksamkeit des Wechsels der Beklagten in eine OT-Mitgliedschaft. Die Bewertung des Verhaltens der Beklagten als "Tarifflucht" reicht zur Begründung eines unzulässigen Wechsels nicht aus. Eine Verpflichtung, für den Wechsel der Mitgliedschaft eine ähnliche Kündigungsfrist wie für den Austritt aus dem Verband vorzusehen, lässt sich nicht begründen. Zur Satzungsautonomie gehört auch die Befugnis des Verbandes, eine Kündigungsfrist nur beim Austritt aus dem Verband vorzusehen. Hierfür gibt es sachliche Gründe, insbesondere das Interesse des Verbandes, sich auf geringere Mitgliedsbeiträge einstellen zu können. Im Übrigen haben die Regelungen der Satzungen aus den unter 3. behandelten Gründen nicht den Zweck, Arbeitnehmer der Mitgliedsunternehmen oder die Gewerkschaft zu schützen.

Die Unzulässigkeit eines jederzeitigen Wechsels ohne Einhaltung einer Frist ergibt sich auch nicht aus einer Störung der Verhandlungsparität. Eine funktionierende Tarifautonomie setzt zwar voraus, dass zwischen den Tarifvertragsparteien ein ungefähres Kräftegleichgewicht besteht. Unvereinbar mit Art. 9 Abs. 3 GG wäre daher die Anerkennung einer OT-Mitgliedschaft, wenn diese dazu führen würde, dass die Verhandlungsfähigkeit einer Tarifvertragspartei bei Tarifauseinandersetzungen einschließlich der Fähigkeit, einen wirksamen Arbeitskampf zu führen, nicht mehr gewährleistet wäre (BAG aaO). Durch die Möglichkeit eines sofortigen Wechsels in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung wird die Funktionsfähigkeit des Tarifsystems nicht ernsthaft gefährdet. Die Gewerkschaft wird zwar in der Regel wissen, welche Arbeitgeber ordentliche Mitglieder des Arbeitgeberverbandes sind. Sie wird auch davon ausgehen, dass diese Mitglieder an die von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Ergebnisse gebunden sind. Ein schutzwürdiges Vertrauen der ver.di in dieser Hinsicht konnte allerdings nicht entstehen, da sie die vom vdmb eingeräumte Möglichkeit einer OT-Mitgliedschaft kannte. Zwar wird die Bedeutung eines Verhandlungsergebnisses gemindert, wenn Mitgliedsunternehmen nach Abschluss der Verhandlungen noch über ihre Tarifbindung entscheiden können. Die Kammer sieht hierin jedoch noch keine strukturelle Störung der Verhandlungsparität. Zum einen ist nicht zu erwarten, dass zahlreiche Unternehmen auf ein Verhandlungsergebnis so reagieren, wie dies die Beklagte getan hat. Mit ihrer Reaktion auf den Wechsel der Beklagten hat die Gewerkschaft ver.di gezeigt, dass sie durchaus Mittel hat, nach einem solchen Wechsel Druck auszuüben. Im Termin vom 29.3.2007 sind die Parteien übereinstimmend davon ausgegangen, dass die spätere Rückkehr der Beklagten zu einer ordentlichen Mitgliedschaft auch darauf zurückzuführen ist, dass die Gewerkschaft von der Beklagten den Abschluss eines Firmentarifvertrages forderte und die Beklagte bestreikte.

Zum anderen schwächt die Möglichkeit eines Wechsels in eine OT-Mitgliedschaft auch den Arbeitgeberverband. Seine Verhandlungsposition ist geschwächt, wenn er gegenüber der Gewerkschaft nicht sicherstellen kann, welche Mitglieder letztlich tarifgebunden sind.

Die Möglichkeit eines sofortigen Wechsels stellt tendenziell eine Schwächung des Systems einheitlicher Flächentarifverträge dar. Dies führt jedoch nicht dazu, dass ein Wechsel nur unter Einhaltung einer Frist oder nicht mehr nach der Aufnahme bzw. dem Abschluss von Tarifverhandlungen möglich wäre. Art. 9 Abs. 3 GG schützt die Tarifautonomie, nicht aber zwingend den Flächentarifvertrag.

5. Schließlich stellt der Wechsel der Beklagten in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung am 18.6.2002 keinen Verstoß gegen die Verpflichtung des Arbeitgeberverbandes dar, Handlungen zum Unterlaufen der tarifvertraglichen Regelungen und zur Schwächung des Tarifpartners zu unterlassen.

Die Beklagte weist nämlich zu Recht darauf hin, dass sich die Tarifvertragsparteien erst mit dem Abschluss des Tarifvertrages verpflichten, die daraus folgenden Rechte und Pflichten wahrzunehmen und sicherzustellen. Wie ausgeführt war die Beklagte beim formwirksamen Abschluss des Lohnabkommens schon nicht mehr tarifgebunden. Im Übrigen bestand keine Verpflichtung des vdmb, die Beklagte von einem nach der Satzung zulässigen Wechsel der Mitgliedschaft abzuhalten.

6. Da somit dem Kläger schon dem Grunde nach keine Ansprüche aus dem ab 1.4.2002 gültigen Lohnabkommen für die Druckindustrie zustehen, kann die Höhe der geltend gemachten Forderungen ebenso offen bleiben, wie die Frage, ob der Kläger sämtliche Ansprüche rechtzeitig nach § 15 des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie geltend gemacht hat.

II.

Nach § 97 Abs. 1 ZPO trägt der Kläger die Kosten seiner erfolglosen Berufung.

III.

Dieses Urteil ist für die Beklagte unanfechtbar, denn sie ist nicht beschwert. Die Zulassung der Revision für den Kläger beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Hierzu wird auf die folgende Rechtsmittelbelehrung Bezug genommen.

Ende der Entscheidung

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