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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 27.03.2003
Aktenzeichen: 2 Sa 389/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 288 Abs. 1
BGB § 291
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

2 Sa 389/02

Verkündet am: 27. März 2003

In dem Rechtsstreit

hat die zweite Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Waitz sowie die ehrenamtlichen Richter Eva Melzer-Hollederer und Fritz Lehnert für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 7.3.2002 - 27 Ca 1157/01 - abgeändert:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.154,25 Euro brutto nebst Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10.8.2001 zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

II. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Arbeitsvergütung aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges und in diesem Zusammenhang insbesondere über die Frage, wann bei einer vor Arbeitsaufnahme ausgesprochenen Kündigung die Kündigungsfrist beginnt.

Die Parteien schlossen am 20.10.2000 einen Arbeitsvertrag, nach dem der Kläger mit Wirkung vom 1. November 2000 als Associate-Consultant im Geschäftsbereich ... beschäftigt werden sollte. Es war ein Monatsgehalt von DM 7.500,-- brutto sowie ein 13. Gehalt vereinbart. In der sechsmonatigen Probezeit sollte eine Kündigungsfrist von 4 Wochen zum Monatsende, danach eine Kündigungsfrist von 3 Monaten zum Monatsende gelten. Der Kläger sollte im Bereich der Personalberatung tätig werden. Am 26.10.2000 wurde nach einem Gespräch zwischen den Parteien der Arbeitsbeginn auf den 1.5.2001 festgelegt. Zu Weihnachten 2000 erhielt der Kläger eine Grußkarte von der Beklagten, in der es heisst, man würde gern mit dem Kläger zusammen arbeiten. Am 26.3.2001 kündigte die Beklagte den Arbeitsvertrag zum 30.4.2001.

Der Kläger ist der Auffassung, die Kündigung könne erst zum 31.5.2001 wirken, deshalb stehe ihm die Vergütung für Mai 2001 zu.

Mit Endurteil vom 7.3.2002 hat das Arbeitsgericht die Klage auf Zahlung von DM 8.125,-- brutto abgewiesen. Eine Kündigung vor Dienstantritt sei möglich. Bezüglich der Frage, zu welchem Zeitpunkt die vor Antritt des Dienstes erklärte Kündigung wirkt, liege eine Vertragslücke vor, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung dahingehend zu schließen sei, dass die Frist mit dem Zugang der Kündigung beginne. Ein besonderes Interesse der Parteien, das Arbeitsverhältnis zumindest für die Dauer der Kündigungsfrist durchzuführen, liege nicht vor. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass die Kündigungsfrist während der Probezeit erheblich kürzer sein sollte als die Kündigungsfrist für die Zeit danach.

Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Sachvortrags der Parteien und der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Gegen dieses dem Kläger am 18.4.2002 zugestellte Endurteil richtet sich seine Berufung vom 15.5.2002, die am 18.6.2002 begründet worden ist.

Der Kläger meint, das Arbeitsgericht habe die Vertragslücke nicht i.S. der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts geschlossen. Er habe darauf vertrauen können, nicht vor Arbeitsaufnahme gekündigt zu werden. Dies ergebe sich auch daraus, dass der Beginn seiner Tätigkeit hinausgeschoben worden sei. Auch der Inhalt der Weihnachtskarte belege, dass die Beklagte unbedingt an dem Arbeitsverhältnis festhalten wollte. Im Vertrauen darauf, dass eine Kündigung vor Dienstbeginn nicht erfolgen werde, habe er seine sichere Arbeitsstelle bei der Firma gekündigt, um seinen Umzug nach vorzunehmen.

Der Kläger stellt folgende Anträge:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts München, Az. 27 Ca 11571/01, verkündet am 7.3.2002, zugestellt am 18.4.2002, wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.154,25 Euro (entspricht DM 8.125,--) brutto nebst 9,26 % Zinsen seit Rechtshängigkeit aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Arbeitsgerichts für richtig. Der hinausgeschobene Starttermin habe keine Bedeutung. Die Arbeitsaufnahme am 1.5.2001 sei auf Wunsch des Klägers vereinbart worden. Ein Abwerben aus einer sicheren Anstellung liege nicht vor. Verträge, bei denen zwischen dem Abschluss und der tatsächlichen Arbeitsaufnahme mehrere Monate liegen, stünden unter dem Risiko sich wechselnder wirtschaftlicher Voraussetzungen und Rahmenbedingungen. Der Kläger wird zur Erklärung aufgefordert, ob er anrechenbares Einkommen im Monat Mai 2001 hatte.

Hierauf lässt der Kläger erwidern, er habe seine frühere Tätigkeit bei der Firma ungefähr im Februar 2001 beendet und im Mai 2001 noch keine neue Stelle gehabt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachvortrags im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründung vom 18.6.2002, die Berufungserwiderung vom 17.7.2002 sowie die Sitzungsniederschrift vom 20.2.2003 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist begründet, denn nach Ansicht der Kammer begann die Kündigungsfrist erst am 1.5.2002, also am Tage des vereinbarten Arbeitsbeginns zu laufen.

1. Zu der Frage, ab welchem Zeitpunkt bei einer vor der vereinbarten Arbeitsaufnahme ausgesprochenen Kündigung die Kündigungsfrist in Gang gesetzt wird, werden im Wesentlichen drei Auffassungen vertreten.

a) Teilweise wird vertreten, dass die Kündigungsfrist jedenfalls im Zweifel schon mit dem Zugang der Kündigungserklärung beginne (Stahlhacke/Preiß/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 8. Aufl., Rn 117; ErfK/ Müller-Glöge, 2. Aufl., § 620 BGB, Rn 227; Joussen, NZA 2002, 1177).

b) Die gegenteilige Auffassung, dass die Kündigungsfrist jedenfalls im Zweifel erst in dem für den Arbeitsantritt vereinbarten Zeitpunkt beginne, wird insbesondere vertreten von Schwerdtner (Münchner Kommentar zum BGB, 3. Aufl., § 620 Rn 103), Wolf (Jus 68, 65) und Beitzke (SAE 1965, 77).

c) Auch das Bundesarbeitsgericht hatte ursprünglich diese zuletzt genannte Auffassung vertreten (Urteil vom 22.8.1964; - 1 AZR 64/64 - NJW 65, 171). Später ist das Bundesarbeitsgericht jedoch von dieser Rechtsprechung abgerückt (Urteile vom 6.3.1974 - 4 AZR 72/73 - AP Nr. 2 zu § 620 BGB; und vom 9.5.1985 - 2 AZR 372/84 - NZA 86, 671). Danach liegt dann, wenn die Parteien für den Fall einer vor Vertragsbeginn ausgesprochenen ordentlichen Kündigung keine Vereinbarung über den Beginn der Kündigungsfrist getroffen haben, eine Vertragslücke vor, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen sei. Insbesondere die Länge der Kündigungsfrist und die Art der vorgesehenen Beschäftigung seien Indizien für den Willen der Parteien. Die Vereinbarung der kürzest möglichen Kündigungsfrist während der Probezeit spreche gegen ein Interesse der Parteien an einer tatsächlichen Durchführung des Vertrages.

2. Das Arbeitsgericht hat unter Zugrundelegung der zuletzt genannten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts angenommen, ein besonderes Interesse der Parteien an einer zumindest vorübergehenden Durchführung des Arbeitsvertrages habe nicht vorgelegen und deshalb habe die Kündigungsfrist mit dem Zugang der Kündigung begonnen. Auch die Kammer sieht hier keine besonderen einzelfallbezogenen Indizien, die für ein Interesse der Parteien an einer tatsächlichen Durchführung des Vertrages sprechen. Die Kündigungsfrist während der Probezeit ist zwar länger als die gesetzliche Kündigungsfrist, aber deutlich kürzer als die Kündigungsfrist, die für die Zeit nach Ablauf der Probezeit vereinbart wurde. Der hinausgeschobene Arbeitsbeginn ist weder ein Indiz für noch gegen ein besonderes Interesse an einer tatsächlichen Arbeitsaufnahme. Die Weihnachtskarte der Beklagten enthält Höflichkeiten, die nicht überbewertet werden dürfen.

3. Die Berufungskammer ist jedoch abweichend von der Auffassung des Arbeitsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts der Auffassung, dass auch ohne besondere Anhaltspunkte von einem Interesse der Parteien an einer zumindest vorübergehenden Realisierung des Arbeitsverhältnisses auszugehen ist und deshalb die Kündigungsfrist erst zum Zeitpunkt der vereinbarten Arbeitsaufnahme beginnt.

Dabei geht auch die Kammer davon aus, dass ohne vertragliche Regelung der vor Arbeitsbeginn ausgesprochenen Kündigung eine Vertragslücke vorliegt, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen ist. Abweichend von der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 9.5.1985 ist allerdings grundsätzlich und im Zweifel ein Interesse der Vertragsparteien an einer zumindest vorübergehenden Durchführung des Arbeitsvertrages anzunehmen. Ein solches Interesse ergibt sich schon aus der vertraglichen Regelung des Arbeitsbeginns. Hier haben die Parteien im ursprünglichen Vertrag vom 20.10.2000 geregelt, dass der Kläger mit Wirkung vom 1. November 2000 beschäftigt wird. Am 26.10.2000 wurde der Arbeitsbeginn auf den 1.5.2001 festgelegt. Diese Erklärungen sind dahingehend zu verstehen, dass die Arbeit in diesem Zeitpunkt auch tatsächlich aufgenommen wird und sich keine der Arbeitsvertragsparteien durch eine vor der Arbeitsaufnahme erklärte Kündigung von dieser im Vertrag übernommenen Verpflichtung einseitig lösen kann (ebenso BAG vom 22.8.1964 aaO). Auch die Vereinbarung einer Probezeit spricht für eine Verpflichtung zur Durchführung des Vertrages, denn das Arbeitsverhältnis kann in der Regel nur bei einer Durchführung erprobt werden.

Weiter ergibt sich aus den Interessen beider Vertragsparteien bei Vertragsschluss, dass die Kündigungsfrist im Zweifel frühestens zum Zeitpunkt der vereinbarten Arbeitsaufnahme beginnt. Ein Arbeitnehmer, der einen Vertrag mit einem späteren Arbeitsbeginn geschlossen hat, wird nicht nur die Suche nach anderen Stellen einstellen, sondern häufig seinen bisherigen Arbeitsvertrag kündigen. Der Umstand, dass ihm bei einer Eigenkündigung die Verhängung einer Sperrzeit durch das Arbeitsamt droht, zeigt, dass sein Vertrauen in die Durchführung des neuen vereinbarten Arbeitsverhältnisses schutzwürdig ist. Auch der Arbeitgeber hat regelmäßig ein Interesse an der Durchführung des Vertrages. Nach Abschluss des Vertrages wird er regelmäßig die Suche nach anderen Arbeitskräften einstellen und anderen Bewerbern absagen. Wenn er trotzdem noch besser geeignete Arbeitnehmer sucht, so ist er ebensowenig schutzwürdig wie ein Arbeitnehmer, der sich trotz Abschluss eines Vertrages eines Vertrages eine bessere Stelle sucht. Wer sich bei einem länger hinausgeschobenen Arbeitsbeginn noch nicht zur Durchführung des Arbeitsverhältnisses verpflichten will, kann vereinbaren, dass die Kündigungsfrist bei einer Kündigung vor Arbeitsbeginn schon mit Zugang der Kündigung beginnt.

Für die hier vertretene Auffassung spricht auch, dass sie einfacher zu handhaben ist als die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 9.5.1985. In der Regel werden nämlich einzelfallbezogene Anhaltspunkte für eine ergänzende Vertragsauslegung fehlen. Die vom Bundesarbeitsgericht genannten Indizien dürfen nicht überbewertet werden. So ist die Vereinbarung einer kurzen Kündigungsfrist während der Probezeit wohl eher ein Indiz dafür, dass bei fehlender Bewährung während der Durchführung des Vertrages eine rasche Trennung möglich sein soll, als dafür, dass noch nicht einmal ein Interesse an Erprobung bestehen soll. Auch die Art der vorgesehenen Beschäftigung hilft - wie die unterschiedlichen Auffassungen der Parteien hierzu zeigen - regelmäßig nicht bei der Beantwortung der Frage weiter, ob ein Interesse an einer zumindest vorübergehenden Realisierung des Vertrages besteht. Vielmehr ist - wie ausgeführt - unabhängig von der vereinbarten Tätigkeit anzunehmen, dass derjenige, der einen Arbeitsvertrag schließt, auch ein Interesse daran hat, dass die Arbeit tatsächlich aufgenommen wird.

4. Durch die Kündigung zum 30.4.2001 geriet die Beklagte in Annahmeverzug und ist verpflichtet, die für Mai 2001 vereinbarte Vergütung zu zahlen (§ 615 BGB). Anderweitiger Verdienst ist nicht anzurechnen, denn entsprechend dem Verlangen der Beklagten hat der Kläger hierzu Auskunft erteilt und mitgeteilt, dass er im Mai 2001 noch keine neue Stelle gehabt habe. Es ist davon auszugehen, dass dies zutrifft, denn die Beklagte hat die Behauptung des Klägers nicht mehr bestritten (§ 138 Abs. 3 ZPO). Dem Kläger steht der geltend gemachte Betrag zu. Er setzt sich aus dem vereinbarten Monatsgehalt und dem anteiligen 13. Monatsgehalt zusammen.

5. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, wonach die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat.

III.

Dieses Urteil ist für den Kläger unanfechtbar, da er nicht beschwert ist.

Ende der Entscheidung

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