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Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 23.02.2006
Aktenzeichen: 2 Sa 883/05
Rechtsgebiete: MTV


Vorschriften:

MTV § 3 Ziff. 2
MTV § 15
1. Die Regelung über die Gewährung bezahlter Ausgleichstage in § 3 Ziff. 2 des MTV für die Systemgastronomie gilt ab 1.1.1999 auch für Arbeitnehmer, die ab 1.7.1996 eingestellt worden sind (wie BAG vom 20.6.2001 - 4 AZR 585/00).

2. Die Ausschlussfrist des § 15 MTV findet auf Ansprüche auf Gewährung von Ausgleichstagen nach § 3 Ziff. 2 MTV keine Anwendung (wie Hessisches LAG vom 24.4.2002 - 6 Sa 1712/00)


LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

2 Sa 883/05

Verkündet am: 23. Februar 2006

In dem Rechtsstreit

hat die Zweite Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 19. Januar 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Waitz sowie die ehrenamtlichen Richter Holzamer und Metko für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 12. Juli 2005 - 21 Ca 16339/03 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger Ausgleichstage (AZV-Tage) nach dem Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer/innen und Auszubildenden in der Systemgastronomie (MTV) zustehen.

Der Kläger ist seit 31. Juli 1998 bei der Beklagten als gewerblicher Mitarbeiter beschäftigt. Aufgrund beiderseitiger Tarifbindung ist der o.g. Manteltarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden. Mit Schreiben vom 16. Juni 2003 machte die Gewerkschaft NGG für den Kläger sechs bezahlte AZV-Tage für das Jahr 2003 geltend. Dieser Anspruch ist auch Inhalt der am 27. August 2003 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage. Mit Schriftsatz vom 1. September 2004, der Beklagten zugestellt am 6. September 2004, erweiterte der Kläger seine Klage um den Feststellungsantrag, dass ihm für das Jahr 2004 vier bezahlte AZV-Tage zustehen. Weitere Klageerweiterungen um jeweils einen Tag erfolgten am 15. November 2004 (zugestellt an die Beklagte am 18. November 2004), am 26. Januar 2005 (zugestellt am 31. Januar 2005), am 15. März 2005 (zugestellt am 21. März 2005) sowie im Kammertermin am 28. Juni 2005.

Der Kläger ist der Auffassung, sein Anspruch ergebe sich aus § 3 Ziff. 2 MTV. Unerheblich sei, dass er nach dem 1. Juli 1996 eingestellt worden sei, da auch für diesen Personenkreis ab 1999 wieder der volle Anspruch auf bezahlte AZV-Tage bestehe. Die Beklagte könne seinen Anspruch nicht mit übertariflichen Leistungen verrechnen. Seine Ansprüche seien auch nicht gem. § 15 MTV verfallen.

Dagegen ist die Beklagte der Auffassung, der Anspruch könne nicht auf § 3 Ziff. 2 MTV gestützt werden. Für ab dem 1. Juli 1996 eingestellte Arbeitnehmer sei § 3 Ziff. 3 MTV einschlägig und sehe ab dem Jahr 1999 keinen Anspruch auf bezahlte Ausgleichstage vor. Im Übrigen habe sie eventuell bestehende Ansprüche mit übertariflichen Leistungen verrechnet. Schließlich seien eventuelle Ansprüche gem. § 15 MTV verfallen.

Mit Endurteil vom 12. Juli 2005 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und festgestellt, dass dem Kläger für das Jahr 2003 sechs bezahlte AZV-Tage, für das Jahr 2004 sechs bezahlte AZV-Tage und für die Zeit von Januar bis April 2005 zwei bezahlte AZV-Tage zustehen.

Gegen dieses der Beklagten am 12. August 2005 zugestellte Endurteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 22. August 2005, die am 11. November 2005 begründet worden ist, nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zum 14. November 2005 verlängert worden war.

Die Beklagte rügt zunächst, das Arbeitsgericht habe dem Kläger einen AZV-Tag mehr zugesprochen als beantragt. Auch im Übrigen sei das Urteil unrichtig. Weder der Tarifwortlaut noch der tarifliche Gesetzeszusammenhang würden ein zweifelsfreies Auslegungsergebnis vorgeben. Der Regelungszusammenhang lasse vielmehr auch eine Auslegung dahingehend zu, dass § 3 Ziff. 3 a MTV abschließend die Anzahl der jährlichen AZV-Tage für Neueinstellungen nach dem 1. Juli 1996 regelt und lediglich noch für die Jahre 1997 und 1998 die Gewährung von AZV-Tagen vorsieht. Die Überschrift des § 3 Ziff. 3 MTV spreche für eine abschließende Regelung für Neueinstellungen nach dem 1. Juli 1996. Damit komme es entscheidend auf die Tarifgeschichte an. Bei den Tarifverhandlungen habe die Gewerkschaft NGG zunächst auch für die Jahre ab 1999 zwei AZV-Tage pro Kalenderjahr gefordert und einen entsprechenden Vorschlag für eine Tarifregelung formuliert. Diese Regelung sei auf den Widerstand des Bundesverbandes der Systemgastronomie gestoßen. Daraufhin hätten sich die Tarifvertragsparteien geeinigt, den ab dem 1. Juli 1996 neu eingestellten Arbeitnehmern keine AZV-Tage mehr zu gewähren (Beweis: Thomas Heyll als Zeuge).

Jedenfalls seien die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche bis auf sechs AZV-Tage verfallen. § 15 MTV gelte auch für den Anspruch auf AZV-Tage. Andernfalls könnten Arbeitnehmer über Jahre hinweg AZV-Tage anhäufen. Der Tarifvertrag wolle aber eine möglichst zeitnahe Gewährung sicherstellen. Die Gewährung von AZV-Tagen setze denklogisch eine Geltendmachung durch den Arbeitnehmer voraus. Bei Beachtung der Verfallfrist durch den Arbeitnehmer treffe den Arbeitgeber nach § 3 Ziff. 2 Abs. 2 MTV die Obliegenheit, den Arbeitszeitausgleich möglichst innerhalb der Jahresfrist zu bewilligen.

Die Beklagte stellt folgenden Antrag:

Das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 12. Juli 2005, Az. 21 Ca 16339/03, wird aufgehoben; die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des Arbeitsgerichts für zutreffend. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28. Juni 2005 sei genau das beantragt worden, was das Gericht zugesprochen habe. Sein Anspruch ergebe sich aus § 3 Ziff. 2 MTV. § 3 Ziff. 3 MTV sei dagegen nicht abwendbar. Dies hätten bereits das Bundesarbeitsgericht und mehrere Landesarbeitsgerichte entschieden. § 3 Ziff. 3 MTV enthalte für den Zeitraum ab 1. Januar 1999 keine Regelung dahingehend, dass keine Ausgleichstage mehr zu gewähren seien. Auch die Tarifgeschichte spreche nicht für, sondern gegen die Beklagte. Zu keinem Zeitpunkt der Tarifvertragsverhandlungen habe es eine verbindliche Einigung der Gestalt gegeben, dass für Neueinstellungen ab 1999 keine Ausgleichstage mehr gewährt werden sollen. Vielmehr habe die Arbeitgeberseite ihre Vorstellungen schlicht nicht durchgesetzt.

Die tarifliche Ausschlussfrist des § 15 MTV sei auf den vorliegenden Anspruch nicht anzuwenden. Der Manteltarifvertrag enthalte in § 3 Ziff. 2 Abs. 2 eine eigenständige Regelung zur Abwicklung des Anspruchs auf Arbeitszeitausgleich.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachvortrags der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründung vom 11. November 2005, die Berufungserwiderung vom 18. November 2005 sowie die Sitzungsniederschrift vom 19. Januar 2006 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist unbegründet, weil das Arbeitsgericht zu Recht angenommen hat, dass der Kläger nach § 3 Ziff. 2 Abs. 1 MTV einen Anspruch auf jeweils einen bezahlten Ausgleichstag für zwei Beschäftigungsmonate hat. Dieser Anspruch ist nicht nach § 15 MTV verfallen. Zu den Angriffen der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts wird im Einzelnen folgendes ausgeführt.

1. Das Arbeitsgericht hat nicht mehr zugesprochen als beantragt. Vielmehr entspricht das Urteil den im Termin vom 28. Juni 2005 gestellten Anträgen. Diese Anträge beinhalten eine weitere Klageerweiterung.

2. Die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche ergeben sich aus § 3 Ziff. 2 Abs. 1 MTV. Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 20. Juni 2001 (4 AZR 585/00) gilt diese tarifvertragliche Regelung ab 1. Januar 1999 auch für Arbeitnehmer, die - wie der Kläger - ab dem 1. Juli 1996 eingestellt worden sind. Dieser Auffassung haben sich das Hessische Landesarbeitsgericht (Urteil v. 24.04.2002 - 6 Sa 1712/00) sowie das Landesarbeitsgericht Hamburg (Urteil v. 01.07.2005 - 3 Sa 109/04) angeschlossen. Auch die Berufungskammer teilt diese Auffassung und nimmt zunächst auf die Begründungen der zitierten Urteile Bezug. Aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergibt sich, dass § 3 Ziff. 2 und § 3 Ziff. 3 MTV in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zueinander stehen. Für die ab 1. Juli 1996 eingestellten Arbeitnehmer regelt Ziff. 3 den Anspruch für die Jahre 1996 bis 1998 abweichend von Ziff. 2. Für die Zeit ab 1999 ist dagegen wieder die Grundnorm in Ziff. 2 maßgeblich. Der Kläger weist zu Recht darauf hin, dass eine Auslegung im Sinne der Beklagten systematisch nicht logisch wäre. Ziff. 3 regelt für 1998 eine Verdoppelung des Anspruchs auf Ausgleichstage gegenüber dem Jahre 1997. Vor diesem Hintergrund spricht eine fehlende Regelung für das Jahr 1999 eher für eine weitere Erhöhung des Anspruchs, wie sie sich bei Anwendbarkeit von Ziff. 2 ergibt, als für eine völlige Streichung des Anspruchs.

Die Ausführungen der Beklagten in der Berufungsbegründung geben keine Veranlassung, von der zitierten Rechtsprechung abzuweichen. Insbesondere ergibt sich eine andere Auslegung des Manteltarifvertrags nicht aus der Tarifgeschichte. Die Behauptung der Beklagten, die Tarifvertragsparteien hätten sich darauf geeinigt, ab 1999 den ab den 1. Juli 1996 neu eingestellten Arbeitnehmern keine AZV-Tage mehr zu gewähren, ist nicht hinreichend konkret. Die behauptete Einigkeit ist eine Rechtsfolge, die sich aus Erklärungen der Tarifvertragsparteien ergeben kann. Der Manteltarifvertrag selbst gibt allerdings die Einigkeit nicht wieder. Die Beklagte trägt auch nicht vor, welche sonstigen mündlichen Erklärungen die Tarifvertragsparteien anlässlich der Tarifverhandlungen abgegeben haben. Insbesondere fehlt ein Sachvortrag, aus welchen konkreten Äußerungen von Verhandlungsführern der Gewerkschaft NGG sich deren Einverständnis ergeben soll, dass ab 1. Juli 1996 neu eingestellte Arbeitnehmer ab dem Jahre 1999 keine AZV-Tage mehr erhalten sollen. Damit kommt eine Zeugeneinvernahme nicht in Betracht. Sie wäre auf eine unzulässige Ausforschung hinausgelaufen. Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass das Bundesarbeitsgericht unter II. 3. c) ee) der Entscheidungsgründe einen konkreten Sachvortrag der Beklagten zu den Tarifverhandlungen wiedergibt und aufgrund dieses Sachvortrags zu dem Ergebnis kommt, ein Wille, den ab 1. Juli 1996 eingestellten Arbeitnehmern/innern ab 1999 keine AZV-Tage mehr zu gewähren, habe im Manteltarifvertrag keinen Niederschlag gefunden.

3. Die Ansprüche des Klägers sind entgegen der Auffassung der Beklagten nicht nach § 15 MTV verfallen.

Die Berufungskammer teilt die Auffassung des Landesarbeitsgerichts Hamburg (aaO), wonach § 15 MTV auf Ansprüche auf Gewährung von bezahlten Ausgleichstagen nicht anzuwenden ist.

Nach § 15 MTV beginnt die Ausschlussfrist mit der Fälligkeit des Anspruchs. Die Fälligkeit bezeichnet den Zeitpunkt, ab dem der Gläubiger die Leistung verlangen kann (§ 271 BGB). Nach § 3 Ziff. 2 MTV ist zwar jeweils für zwei Beschäftigungsmonate ein bezahlter Ausgleichstag zu gewähren. Dies bedeutet aber nicht, dass der Anspruch nach Ablauf von zwei Beschäftigungsmonaten schon fällig wäre. Der nächste Satz bestimmt nämlich, dass der jeweilige Arbeitszeitausgleich möglichst innerhalb eines Jahres vom Entstehen zu gewähren ist. Der Arbeitnehmer kann also nicht sofort nach Ablauf von jeweils zwei Monaten einen AZV-Tag verlangen. Vielmehr ist der Arbeitszeitausgleich vom Arbeitgeber zu "gewähren". Die Gewährung geschieht durch eine Erklärung des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer (BAG v. 24.11.1993 - 5 AZR 153/93 - NZA 94, 759 zu dem vergleichbaren Fall der Gewährung von Freizeitausgleich für Mehrarbeit). § 3 Ziff. 2 Satz 2 MTV überlässt die Festlegung der genauen Leistungszeit dem Arbeitgeber. Die Bestimmung muss nach § 315 Abs. 1 BGB im Zweifel nach billigem Ermessen erfolgen (BAG aaO).

Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die fehlende Anwendung von § 15 MTV nicht dazu führen, dass die Arbeitnehmer über Jahre hinweg AZV-Tage anhäufen. Der Arbeitgeber kann durch die Gewährung des Arbeitszeitausgleichs vielmehr ein solches Anhäufen verhindern und damit erreichen, dass der Arbeitszeitausgleich zeitnah genommen wird.

Auch die Argumentation der Beklagten, erst nach Geltendmachung innerhalb von drei Monaten nach Entstehung des Anspruchs treffe dem Arbeitgeber die Obliegenheit, den Arbeitszeitausgleich möglichst innerhalb der Halbjahresfrist zu bewilligen, überzeugt nicht. Zum einen müsste der Arbeitnehmer schriftlich einen Anspruch geltend machen, von dem er weiß, dass er die Leistung noch gar nicht verlangen kann. Dies ist wenig sinnvoll. Zum anderen ist nicht nachvollziehbar, warum eine Gewährung die schriftliche Geltendmachung durch den Arbeitnehmer voraussetzen soll. In aller Regel wird es billigem Ermessen (§ 315 BGB) entsprechen, wenn die AZV-Tage unter Berücksichtigung betrieblicher Belange und nach Absprache mit dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber gewährt werden. Der Arbeitgeber kann Wünsche eines Arbeitnehmers bezüglich der zeitlichen Lage des AZV-Tages auch dann berücksichtigen, wenn diese formlos mitgeteilt werden. Eine schriftliche Geltendmachung ist hierfür nicht nötig.

Es kann auch nicht angenommen werden, dass die Ausschlussfrist mit Ablauf der Halbjahresfrist beginnt. Die tarifvertragliche Regelung, dass der Arbeitszeitausgleich möglichst innerhalb eines halben Jahres vom Entstehen zu gewähren ist, bedeutet, dass der Arbeitgeber auch nach Ablauf dieser Frist nicht immer zur sofortigen Gewährung verpflichtet ist. In besondern Ausnahmefällen soll auch eine spätere Gewährung zulässig sein.

II.

Nach § 97 Abs. 1 ZPO hat die Beklagte die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.

III.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar, denn der Kläger ist nicht beschwert und es besteht kein Grund, für die Beklagte die Revision zuzulassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG). Insbesondere sieht die Kammer nach Rücknahme der Revision gegen das Urteil des hessischen Landesarbeitsgerichts (6 Sa 1712/00) keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Auf § 72 a ArbGG (Nichtzulassungsbeschwerde) wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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