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Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 14.04.2005
Aktenzeichen: 4 Sa 1203/04
Rechtsgebiete: ArbGG, BGB, StGB, BetrVG


Vorschriften:

ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 72 Abs. 2
ArbGG § 72 a
BGB § 626 Abs. 1
BGB § 626 Abs. 2
StGB § 20
StGB § 21
StGB § 184 b
StGB § 184 f
BetrVG § 102
Außerordentliche Kündigung wegen verbotswidriger Internetnutzung und Herunterladens pornographischer Dateien mit strafrechtlich relevantem Inhalt auf den Dienstcomputer.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 Sa 1203/04

Verkündet am: 14. April 2005

In dem Rechtsstreit

hat die Vierte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 07. April 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Burger sowie die ehrenamtlichen Richter Weigl und Langer für Recht erkannt:

Tenor: I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 27. September 2004 - 22 Ca 21515/03 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger macht die Rechtsunwirksamkeit einer außerordentlichen Arbeitgeberkündigung der Beklagten geltend.

Der, ausweislich der vorgelegten Unterlagen, am 11.02.1945 geborene, verheiratete, Kläger war seit 30.08.1976, seit 1979 als Info-Sachbearbeiter (Freigaben-Sachbearbeiter), bei der Beklagten mit einer Vergütung von zuletzt 3.278,42 € brutto/Monat beschäftigt. Der Kläger befand sich seit März 2003 in Altersteilzeit, wobei nach seinem Vorbringen eine Arbeitsphase vom 01.03.2003 bis 28.02.2005 und eine anschließende Freistellungsphase vom 01.03.2005 bis 28.02.2007 vereinbart gewesen seien.

Dem Kläger war Mitte des Jahres 2000 die Internetzulassung entzogen worden. Im Rahmen von Ermittlungen gegen den Kläger, bei denen auf Hinweis seines Vorgesetzten durch das Personalreferat der Beklagten deren interner Ermittlungsdienst eingeschaltet worden war, gab der Kläger am 16.10.2003 im Rahmen einer Befragung durch einen Mitarbeiter des Ermittlungsdienstes zu, pornographische Dateien aus dem Internet auf seinen dienstlichen Computer heruntergeladen zu haben. Bei einer in diesem Zusammenhang erfolgten Überprüfung seines Computers seien - so die Beklagte - 499 Dateien, darunter acht Videodateien, enthaltend pornographische/kinderpornographische Inhalte, mit einem Volumen von insgesamt 253 MB, sichergestellt worden.

Der Kläger wurde im Anschluss an diese Ermittlungen vorläufig festgenommen, von der Polizei erkennungsdienstlich behandelt und vernommen. Er ist nach seinem Vorbringen zuletzt wegen Besitzes und Verbreitung kinderpornographischer Darstellungen rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen verurteilt worden.

Die Beklagte kündigte mit Schreiben jeweils vom 29.10.2003 das Arbeitsverhältnis sowohl fristlos zum 31.10.2003 als auch hilfsweise außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 31.05.2004.

Wegen des unstreitigen Sachverhalts im Übrigen und des streitigen Vorbringens sowie der Anträge der Parteien im Ersten Rechtszug wird auf das angefochtene Endurteil des Arbeitsgerichtes München vom 27.09.2004, das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 07.10.2004 zugestellt wurde, Bezug genommen, mit dem dieses - nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens - die Klage hinsichtlich der außerordentlichen fristlosen Kündigung mit der Begründung abgewiesen hat, dass der feststehende Sachverhalt des Erschleichens des ihm von der Beklagten seit dem Jahr 2000 untersagten Internetzuganges unter Vorspiegelung falscher Tatsachen gegenüber Kollegen, das Ansehen von Dateien pornographischen Inhalts trotz Verbots durch Betriebsvereinbarung und auch noch über bis zu sechs Stunden arbeitstäglich während der Arbeitszeit, das strafbare Betrachten kinderpornographischer Dateien und schließlich das Chatten mit Gleichgesinnten im Internet unter Verwendung seiner dienstlichen E-Mail-Adresse an sich geeignet seien, einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung zu bilden. Massive Straftaten zu Lasten des Arbeitgebers wie hier und schwerwiegende Fehlhandlungen im Vertrauensbereich berechtigten den Arbeitgeber auch ohne vorherige Abmahnung zu einer fristlosen Kündigung. Der Kläger sei nicht schuldunfähig, sondern lediglich erheblich in seiner Schuldfähigkeit eingeschränkt gewesen, wobei nach dem Sachverständigengutachten eine Heilung seiner Krankheit durch eine Therapie innerhalb von ein bis zwei Jahren unwahrscheinlich gewesen sei. Im Übrigen sei auch bei schuldfreien massiven Fehlverhaltensweisen und Drohung einer konkreten Wiederholungsgefahr wie hier eine fristlose Kündigung möglich. Auch der bei der Beklagten existierende Stufenplan zur Behandlung suchterkrankter Arbeitnehmer könne einer Kündigung nicht entgegenstehen, da zum einen die Beklagte bei Ausspruch der Kündigung nicht gewusst habe, dass der Kläger krankheitsbedingt zu diesen Fehlverhaltensweisen gekommen sei, und zum anderen die unstreitigen Verstöße derart massiv gewesen seien, dass ohnehin als Reaktion der Beklagten nur eine fristlose Kündigung in Frage gekommen sei. Auch die gebotene Interessenabwägung führe nicht zu dem Ergebnis, dass es der Beklagten zumutbar gewesen wäre, den Kläger über den 29.10.2003 hinaus jedenfalls bis zum Ablauf der sozialen Auslauffrist am 31.05.2004 oder gar darüber hinaus weiterzubeschäftigen. Insbesondere die Rufschädigung durch die Verwendung der E-Mail-Adresse der Beklagten und der massive Arbeitszeitbetrug wögen derart schwer zu Lasten des Klägers, dass das Interesse der Beklagten an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses sein Interesse an dessen Erhaltung auch unter Berücksichtigung seines Alters und Familienstandes überwiegen würde, zumal der Kläger als rentennaher Jahrgang im Februar 2005 sein 60stes Lebensjahr vollende, so dass ihm eine vorgezogene Altersrente offen stehen dürfte.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers mit Schriftsatz vom 05.11.2004, am selben Tag beim Landesarbeitsgericht München eingegangen, zu deren Begründung er fristgemäß vorgetragen hat, dass er zwar in keiner Weise die Verletzung seiner Pflichten aus dem Arbeitsvertrag abstreite, jedoch, anders als das Arbeitsgericht, auch die angemessene Berücksichtigung seiner Interessen verlange. Aus dem eingeholten Sachverständigengutachten werde man den Schluss ziehen können und müssen, dass der Kläger bei seinem Handeln in seiner Entscheidungsfreiheit in hohem Maße eingeschränkt gewesen sei, so dass sein Fehlverhalten als nicht vorwerfbar erscheine. Hinsichtlich der vom Arbeitsgericht angesprochenen Frage einer Therapierbarkeit seines Verhaltens habe der Gutachter die Chance des Klägers auf einen Therapieerfolg innerhalb eines Zeitraumes von ein bis zwei Jahren lediglich als eher ungünstig angesehen, diesen damit keineswegs als unmöglich ausgeschlossen. Darüber hinaus habe der Sachverständige die Reduzierung der Therapiechancen im vorliegenden Fall auch im Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum des Klägers gesehen. Der Kläger habe nunmehr im Zeitraum vom 07.10.2004 bis 02.12.2004 erfolgreich eine Entwöhnungstherapie absolviert und werde die Behandlung ambulant fortsetzen. Seit Durchführung dieser Therapie sei er abstinent. Auch im Hinblick auf den bei der Beklagten auf Grund einer Betriebsvereinbarung bestehenden Stufenplan für den Fall der Suchtmittelgefährdung und -abhängigkeit wäre zu erwarten gewesen, dass der Krankheit des Klägers mit entsprechenden therapeutischen Maßnahmen begegnet werde. Darüber hinaus habe die Beklagte bereits im Zusammenhang mit dem Verbot der Internetnutzung des Klägers im Jahr 2000 ein Herunterladen von Dateien pornographischen Inhalts aus dem Internet durch den Kläger festgestellt gehabt, also bereits gewusst, dass sein Verhalten im Zusammenhang mit der Nutzung des Internets Merkmale einer Suchtmittelabhängigkeit aufgewiesen habe, jedoch zu diesem Zeitpunkt keine weiteren Konsequenzen gezogen. Der Sachverständige habe das Verhalten des Klägers als Internet-Fetischismus klassifiziert, weshalb die Nähe zu einer Suchtmittelabhängigkeit gegeben sei. Im Rahmen der Interessenabwägung dürften die lange Betriebszugehörigkeit des Klägers von mehr als 27 Jahren und sein jedenfalls als gering einzuschätzendes Verschulden nicht außer Betracht bleiben. Auch habe der Kläger die ihm obliegende Arbeitsleistung grundsätzlich vollständig erbracht; massive Leistungseinbrüche seien ihm auch nicht vorgeworfen worden. Wenngleich der Kläger unstreitig während der Arbeitszeit in größerem zeitlichen Umfang im Internet gesurft habe, könne seine Aussage, sich täglich bis zu sechs Stunden im Internet aufgehalten zu haben, keineswegs so verstanden werden, dass er dieses täglich über diesen Zeitraum tatsächlich nur für seine privaten Zwecke genutzt habe.

Der Kläger beantragt:

I. Das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 27.09.2004, Az.: 22 Ca 21415/03, wird abgeändert.

II. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 29.10.2003 weder fristlos noch mit Frist zum 31.05.2004 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte trägt zur Begründung ihres Antrages auf Zurückweisung der Berufung vor, dass dem psychiatrischen Sachverständigengutachten nicht zu entnehmen sei, dass das unstreitige Fehlverhalten des Klägers nicht schuldhaft gewesen sei - das Gutachten komme zu dem Ergebnis, dass seine Einsichtsfähigkeit zu jedem Zeitpunkt voll vorhanden und er sich durchaus des Verbotenen seines Tuns bewusst gewesen sei. Dem Kläger sei damit klar gewesen, dass er durch die Erschleichung des Internetzugangs bei der Beklagen zur Beschaffung von Bildern und Dateien pornographischen und kinderpornographischen Inhalts sowie durch das Nutzen seiner betrieblichen E-Mail-Adresse in einschlägigen Chatrooms aufs gröblichste gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen und der Beklagten durch die anhaltende, bis zu sechs Stunden täglich dauernde, Privatnutzung der betrieblichen Ressourcen einen erheblichen Schaden zugefügt habe. Das Gutachten habe ausgeführt, dass der Kläger nicht durch eine pathologische sexuelle Deviation eigentlich "gezwungen" gewesen sei, sich gerade während seiner dienstlichen Tätigkeit bei der Beklagten die pornographischen Inhalte aus dem Internet zu beschaffen. Nach dem Sachverständigengutachten habe eine Heilungsmöglichkeit durch eine Therapie als unwahrscheinlich angesehen werden können, weshalb im Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung auch von einer gegebenen Wiederholungsgefahr für die Beklagte ausgegangen habe werden müssen. Auch die Betriebsvereinbarung "Hilfe für suchtmittelgefährdete oder -abhängige Mitarbeiter" vom 17.07.1992 stehe der Kündigung nicht entgegen, da das vom Kläger gezeigte Verhalten von dieser nicht erfasst sei, von einer (Internet)Sucht nicht gesprochen werden könne - das Sachverständigengutachten habe lediglich das Vorliegen eines Internet-Fetischismus diagnostiziert - , und es keinerlei Anhaltspunkte dafür gebe, dass die Betriebsparteien auch den Umgang mit einem Mitarbeiter regeln hätten wollen, der an Persönlichkeitsstörungen wie hier leide. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes könne auch ein nicht-schuldhaftes Verhalten für eine verhaltensbedingte Kündigung genügen, wenn auf Grund objektiver Umstände mit wiederholten Pflichtwidrigkeiten des Arbeitnehmers zu rechnen sei, was das Arbeitsgericht hier zu Recht angenommen habe.

Die Beklagte habe nicht bereits im Jahr 2000 festgestellt gehabt, dass der Kläger Dateien pornographischen Inhalts aus dem Internet herunterlade - alleiniger Anlass für den damaligen Entzug der Internetzulassung sei gewesen, dass der Kläger dieses in unverhältnismäßig hohem Umfang genutzt gehabt habe.

Hier sei zu berücksichtigen, dass der Kläger durch das Ansehen und Versenden kinderpornographischer Dateien Handlungen mit strafrechtlicher Relevanz begangen habe, sich durch Vorspiegelung falscher Tatsachen von seinen Kollegen den Zugang zum Internet erschlichen und damit das Vertrauensverhältnis zur Beklagten in höchstem Maße strapaziert und zumal unter Nutzung seiner dienstlichen E-Mail-Adresse, die den Zusatz X trage, in einschlägigen Chatrooms aufgehalten und damit auch den Ruf der Beklagten extrem geschädigt habe. Darüber hinaus habe der Kläger dadurch, dass er sich täglich bis zu sechs Stunden im Internet aufgehalten habe, einen massiven Arbeitszeitbetrug begangen.

Wegen des Sachvortrags der Parteien im Zweiten Rechtszug im Übrigen wird Bezug genommen auf die Schriftsätze vom 05.01.2005, vom 07.03.2005 und vom 01.04.2005, nebst der hierzu vorgelegten Anlagen, sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 07.04.2005.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

I.

Die gemäß § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II.

Die Berufung des Klägers ist unbegründet.

Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis und in der Begründung zutreffend entschieden, dass die Kündigung der Beklagten vom 29.10.2003 bereits als außerordentliche fristlose Kündigung (zum 31.10.2003), als die sie primär ausgesprochen ist, rechtswirksam ist. Zusammenfassend ist auf folgendes hinzuweisen.

1. Eine außerordentliche Kündigung setzt das Vorhandensein eines wichtigen Grundes und damit das Vorliegen von Tatsachen voraus, auf Grund derer dem

- hier - kündigenden Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Frist einer ordentlichen Kündigung nicht zugemutet werden kann (§ 626 Abs. 1 BGB) - wobei hierbei näher zu prüfen ist, ob zunächst ein Sachverhalt vorliegt, der an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung zu bilden, und ob dieser sodann auch bei Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen vermag (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes). Die außerordentliche Kündigung muss die ultima ratio sein, sie ist deshalb nur zulässig, wenn die Kündigungsgründe das Arbeitsverhältnis so unzumutbar belasten, dass keine milderen Mittel

- wie eine ordentliche Kündigung, Änderungskündigung, Versetzung oder Abmahnung - in Betracht kommen (ebenso ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes).

Es kann im vorliegenden Fall offen bleiben, ob bei einem unstreitig aus tarifrechtlichen Gründen wie hier "unkündbaren" Angestellten wie dem Kläger beim zeitlichen Abwägungsmaßstab des § 626 Abs. 1 BGB auf die ohne den Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit fiktiv geltende (längste) Kündigungsfrist (somit hier sieben Monate zum Monatsende als Frist der gleichzeitig erklärten außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist zum 31.05.2004) abzustellen wäre (so etwa zuletzt BAG, U. v. 08.04.2003, AP Nr. 181 zu § 626 BGB - II. 3. b aa der Gründe -) oder, mangels ordentlicher Kündbarkeit, auf die tatsächliche künftige Vertragsbindung, in der Regel das Ausscheiden mit Erreichens der Altersgrenze (so andererseits die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu solchen Sachverhalten: etwa Ue. v. 14.11.1984 und v. 13.04.2000, AP Nrn. 83 und 162 zu § 626 BGB) - jedoch immer unter Beachtung eines in solchen Fällen geltenden besonders strengen Prüfungsmaßstabes (BAG, U. v. 05.02.1998, AP Nr. 143 zu § 626 BGB - II. 3. b der Gründe -).

2. Hiernach erweist sich die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 29.10.2003 auch als fristlose Kündigung als gerechtfertigt.

a) Das als solches im Wesentlichen unstreitige Verhalten des Klägers stellt einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung an sich dar.

aa) Der Kläger hat

- trotz ausdrücklichen Verbotes der Internetnutzung qua Ausübung des Direktionsrechtes durch die Beklagte bereits im Jahr 2000,

- ebenso unter Verstoß gegen die Gesamtbetriebsvereinbarung vom 07.03.2001 über die "Nutzung von IV-Systemen und ... Kommunikationssystemen,

- sich unter Vorwänden über seine Kollegen Zugang zum Internet verschafft,

- sich während seiner Arbeitszeit nach den - von ihm nicht in Abrede gestellten - Feststellungen der Anamnese des sehr ausführlichen, sorgfältigen und überzeugenden Sachverständigengutachtens vom 23.07.2004 über einen langen Zeitraum und - nach seinen dort dokumentierten eigenen Einlassungen gegenüber dem Sachverständigen - fünf bis sechs Stunden täglich im Internet aufgehalten (wobei der Kläger in der Berufung, im Hinblick auf die entsprechenden Feststellungen im Ersturteil, zwar einerseits unwiderlegt einwendet, dass dieser von ihm dort angegebene Zeitraum die maximale tägliche Nutzung/Öffnung des Internets gemeint habe, nicht den Zeitraum seiner ausschließlich privaten Nutzung - während der Kläger allerdings laut Anamnese des Sachverständigengutachtens gegenüber dem Sachverständigen dort angegeben habe, dass er "am Tag ... 2 bis 3 Stunden mit "echter Arbeit" verbracht" habe, den Rest überwiegend im Internet, was allerdings im Umkehrschluss dessen Privatnutzung hinsichtlich des übrigen Arbeitszeitraums indizieren kann ...),

- durch das Herunterladen und Speichern (etc.) von pornographischen - insbesondere kinderpornographischen - Dateien strafrechtlich relevante Handlungen im Sinne der §§ 184 f (184 b) StGB begangen (wobei der konkrete, immer erhebliche, Umfang der inkriminierten Dateien nicht entscheidungsrelevant ist), weswegen er nach seiner eigenen Einlassung zuletzt mittlerweile auch rechtskräftig zu einer nicht unerheblichen Geldstrafe (von 150 Tagessätzen) verurteilt wurde,

- hierbei die dienstliche E-Mail-Adresse, mit dem Zusatz X benutzt, was eine Identifizierung seiner Tätigkeit bei der Beklagten unschwer zuließ und damit allerdings, wie sie vorträgt, zur Rufschädigung der Beklagten führen konnte.

Dieses Verhalten stellt auch für die Berufungskammer ohne Zweifel einen Grund für eine außerordentliche fristlose Kündigung an sich dar. Hier ging es nicht um eine Privatnutzung des Dienstcomputers oder etwa ein gelegentliches, ggf. partiell erlaubtes/stillschweigend toleriertes, Surfen im Internet während der Dienstzeit, ggf. mit dilatorischem Aufruf auch entsprechend inkriminierter Seiten u. ä. (wo die instanzgerichtliche Rechtsprechung eine außerordentliche Kündigung, ohne Abmahnung, im Einzelfall als unwirksam oder lediglich eine ordentliche Kündigung als gerechtfertigt angesehen hat: vgl. etwa das bereits vom Kläger zitierte Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 18.12.2003, BB 2004, S. 1682 = RDV 2004, S. 227 f; LAG Rheinland-Pfalz, U. v. 12.07.2005, ZTR 2005, S. 220 (LS); siehe auch LAG Köln, U. v. 15.12.2003, LAG-Report SD 2004, S. 176 f; HessLAG, U. v. 13.12.2001, DB 2002, S. 901 = AuA 2002, S. 476 f; LAG Düsseldorf, U.v. 25.03.2004, AiB 2004, S. 639, und U. v. 07.05.2002, 5 (6) Sa 85/02 (nv) - zit. nach Beckschulze, DB 2003, S. 2777 f, unter FN 58 -; LAG Nürnberg, U. v. 16.06.2004, 3 Sa 113/04 (nv), und U. v. 25.06.2004, 9 (4) Sa 675/02 (nv); ArbG Frankfurt/Main, U. v. 02.01.2000, RDV 2002, S. 195f; ArbG Hannover, U. v. 01.12.2000, NZA 2001, S. 1022 f; ArbG Düsseldorf, U. v. 01.08.2001, NZA 2001, S. 1386 f; siehe auch Kramer, Internetnutzung als Kündigungsgrund, NZA 2004, S. 557 f, und Beckschulze, Internet-, Intranet- und E-Mail-Einsatz am Arbeitsplatz, aaO). Vorliegend hat der Kläger nicht nur gegen eindeutige individualrechtliche und kollektivrechtliche Verbote verstoßen und sich mittels Täuschung von Kollegen einen, ausdrücklich untersagten, Zugang zum Internet verschafft, sondern hierbei auch, unter Verwendung seiner dienstlichen E-Mail-Adresse, strafrechtlich relevante Handlungen in erheblichem Umfang und in massiver Weise begangen, dadurch die Interessen der Beklagten in mehrfacher und essentieller Weise tangiert - mit dem, nicht nur hypothetischen, Risiko deren Rufschädigung - und damit das notwendige Vertrauensverhältnis zur Beklagten in unwiederbringlicher Weise zerstört, zumal von einer ganz erheblichen Wiederholungsgefahr auszugehen war, nachdem der Kläger sich selbst akzentuiert auf den Suchtcharakter seines Verhaltens beruft (LAG Düsseldorf, U. v. 07.05.2002, aaO; vgl. auch Kramer, aaO, S. 461 f, und Beckschulze, aaO, S.2781f, jeweils m. w. N.).

bb) Die Notwendigkeit einer vorherigen vergeblichen Abmahnung schied angesichts der Eindeutigkeit der Vorgaben (Verbot der Internetnutzung) und der Schwere der Verstöße des Klägers, wie bereits das Arbeitsgericht ausgeführt hat, aus.

cc) Einer (außerordentlichen) Kündigung steht auch nicht die Gesamtbetriebsvereinbarung "Hilfe für suchtmittelgefährdete oder -abhängige Mitarbeiter" vom 17.07.1992 entgegen:

Das dort normierte, fakultative, prozedurale Vorgehen bei Suchtmittelgefährdung/-abhängigkeit in fünf Schritten, wie es graphisch auch in dem vom Kläger erstinstanzlich vorgelegten (Anlage K 4, Bl. 43 d. A.) Schaubild dokumentiert ist, setzt notwendig zunächst die Kenntnis der Beklagten, des konkreten Vorgesetzten des Klägers, von einer bestehenden "Sucht" des Arbeitnehmers im Sinne dieser Gesamtbetriebsvereinbarung voraus. Selbst wenn, wie der Kläger insbesondere in der Berufung behauptet, die Beklagte bereits im Zusammenhang mit der Untersagung der Internetnutzung im Jahr 2000 Kenntnis davon gehabt hätte, dass er bereits damals "Dateien mit pornographischem Inhalt aus dem Internet" heruntergeladen habe, würde dies nicht bereits ohne weiteres eine suchtadäquate Situation indiziert haben - auf die im Sachverständigengutachten festgestellte Verknüpfung mit einer gewissen Alkoholabhängigkeit und zumal deren Kenntnis seitens der Beklagten beruft sich der Kläger ersichtlich weder hinsichtlich seines Verhaltens im Jahr 2000 noch im Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Kündigung -.

Ungeachtet dessen müssten Zweifel bestehen, ob die Gesamtbetriebsvereinbarung "Sucht" vom 17.07.1992 tatbestandlich überhaupt (erst) im Sachverständigengutachten diagnostizierte psychopathologische Befunde wie hier erfasst (siehe auch die Feststellungen auf Seite 20 f des Sachverständigengutachtens zur Problematik der Diagnostizierung von "Internetabusus", mit der hiesigen Akzentuierung, als "Sucht" im medizinischen/psychiatrischen Sinn), wobei, wie der Kläger selbst betont (siehe auch unten), das Sachverständigengutachten insoweit lediglich auf das Vorliegen eines, seine Steuerungsfähigkeit nur beeinträchtigenden, "Internet-Fetischismus" des Klägers abstellt, und im Übrigen die Gesamtbetriebsvereinbarung nur eine Richtlinie hinsichtlich der Vorgehensweise bei erkennbaren Suchtsymptomen in diesem Sinn in prozeduraler Form aufstellt, ohne ersichtlich deren Beachtung in jedem Fall als zwingende Voraussetzung für etwa die Wirksamkeit jeder (verhaltens- oder personenbedingten) Kündigung statuieren zu wollen.

dd) Auch ein Fehlen schuldhaften Handelns des Klägers steht der Wirksamkeit der Kündigung an sich, auch als außerordentlicher fristloser, nicht entgegen:

Das Sachverständigengutachten vom 23.07.2004 stellt einerseits eine "krankhafte seelische Störung" des Klägers im Sinne der §§ 20, 21 StGB fest, gleichzeitig aber, dass seine "Einsichtsfähigkeit ... zu jedem Zeitpunkt voll vorhanden" gewesen sei (dort Seite 21 f, Bl. 96 f d. A.) - der Kläger sei sich des Verbotenen seines Tuns bewusst gewesen, seine Steuerungsfähigkeit sei auf Grund pathologischer sexueller Deviation, beeinflusst auch durch seinen schädlichen Alkoholgebrauch, seiner organischen Persönlichkeitsstörung, allerdings erheblich vermindert gewesen.

Von einer zumindest weitgehenden Aufhebung jeglicher Steuerungsfähigkeit, der Kontrollierbarkeit seines Handelns, bei der Internetnutzung des Klägers ist zur Überzeugung der Berufungskammer hiernach nicht auszugehen.

Ungeachtet dessen wäre, wie das Arbeitsgericht unter Bezugnahme auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bereits zutreffend ausgeführt hat, das subjektive Verschulden, die Vorwerfbarkeit des Verhaltens, nicht zwingende Voraussetzung einer verhaltensbedingten Kündigung. Insbesondere bei schwerwiegenden Vertragsverstößen, bei denen für die Zukunft weitere derartige Pflichtverletzungen in einem nicht hinnehmbaren Ausmaß zu erwarten sind, kann auch ein schuldloses, dem Arbeitnehmer im subjektiven Sinn nicht vorwerfbares Handeln zur verhaltensbedingten, auch außerordentlichen, Kündigung berechtigen - der Arbeitgeber muss bei schwerwiegenden objektiven Vertragsverstößen unter Umständen rasch reagieren, um eine weiteres derartiges Fehlverhalten, das eine Weiterbeschäftigung unzumutbar macht, zu unterbinden, wobei für die häufig nur durch aufwändige Sachverständigengutachten mögliche Klärung der Frage einer (vollen) Verantwortlichkeit des Arbeitnehmers für sein Fehlverhalten oft keine Zeit bleibt (vgl. nur BAG, U. v. 21.01.1999, AP Nr. 151 zu § 626 BGB, m. w. N. und zustimmender Anm. v. Hoyningen-Huene; U. v. 16.02.1989, RzK I 6 a Nr. 49).

Angesichts des zeitlichen Umfangs und vor allem der, strafrechtlich relevanten, Art und den sonstigen Umständen des Handelns des Klägers könnte angesichts der schon aus dem vom Kläger selbst hervorgehobenen "Sucht"-Charakter seines Handelns resultierenden konkreten Wiederholungsgefahr selbst "schuldloses" Verhalten des Klägers im eigentlichen Sinn der Annahme eines außerordentlichen Kündigungsgrundes an sich nicht entgegenstehen. Zumal wegen des schwerwiegenden, strafrechtlich relevanten, Handelns des Klägers musste die Beklagte rasch reagieren (zur therapeutischen Prognose s. u.).

b) Auch die Grundsätze der Interessenabwägung können im vorliegenden Fall der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung auch als fristloser nicht entgegenstehen.

Zwar verweist der Kläger nachvollziehbar auf seine sehr lange Betriebszugehörigkeit von 27 Jahren und sein Alter von, zum maßgeblichen Zeitpunkt der Kündigung, 58 (annähernd 59) Jahren, was es allerdings fast ausschließen dürfte, dass er, in überschaubarer und rentenrelevanter Zeit, noch eine andere Beschäftigung, zumal mit der Stellung und Vergütung wie bei der Beklagten, finden wird. Der Kläger ist verheiratet und therapiebedürftig.

Dem stehen allerdings gegenüber Art, Schwere - gerade im strafrechtlichem Sinn - und, auch zeitlicher, Umfang seines Verhaltens und dessen betriebliche Auswirkungen, was die Inanspruchnahme jedenfalls eines erheblichen Teils seiner Arbeitszeit für die inkriminierte Internetnutzung zu diesem Zweck und auch die konkrete Gefahr einer Rufschädigung der Beklagten durch Verwendung seiner dienstlichen E-Mail-Adresse betrifft. Eine massive Wiederholungsgefahr war, wie ausgeführt, indiziert.

Die Prognose, die Aussicht auf einen Therapieerfolg, bezeichnet, aus der (maßgeblichen) damaligen Sicht, das Sachverständigengutachten nachvollziehbar und überzeugend jedenfalls innerhalb eines (mittelfristigen) Zeitraums von ein bis zwei Jahren "als eher ungünstig" - wobei zu berücksichtigen ist, dass der Kläger sich nach seinem Vorbringen lediglich noch bis 28.02.2005 - also, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Kündigung, noch ca. 16 Monate - in der Arbeitsphase der Altersteilzeitvereinbarung befunden hätte, was bedeutet, dass innerhalb des aktiven Beschäftigungsverhältnisses im Rahmen einer "vernünftigen" objektivierbaren Prognose zur Überzeugung der Berufungskammer realistisch wohl kaum mit einer erfolgreichen und eine weitgehend risikofreie Weiterarbeit noch bis zum (jedenfalls nahen) Ende der aktiven Altersteilzeitphase ermöglichenden Therapie gerechnet werden konnte.

Auch hat das Arbeitsgericht im Ansatz zutreffend darauf verwiesen, dass der Kläger nicht längerfristig ins "soziale Nichts" gestoßen wird, sondern als "rentennaher" Jahrgang in immerhin überschaubarer Zeit vorgezogenes Altersruhegeld in Anspruch nehmen kann (wenngleich mit erheblicher Rentenminderung gegenüber einem "regulären" Ende des Arbeitsverhältnisses mit Auslaufens des Altersteilzeitvertrages zum 28.02.2007, wie dies der Kläger in der Berufungsverhandlung angedeutet hat).

Auch unter weitgehender Berücksichtigung der Interessen und erkennbaren besonderen Schutzwürdigkeit des Klägers muss sich die streitgegenständliche außerordentliche Kündigung somit auch als fristlose als wirksam erweisen (§ 626 Abs. 1 BGB) - wobei weder die Beteiligung des Betriebsrates gemäß § 102 BetrVG noch die Einhaltung der Kündigungserklärungsausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB (mehr) gerügt sind.

III.

Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

IV.

Da dem Rechtsstreit über die Klärung der konkreten Rechtsbeziehungen der Parteien hinaus keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, bestand für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung.

Gegen dieses Urteil ist deshalb die Revision nur gegeben, wenn sie das Bundesarbeitsgericht auf Grund einer Nichtzulassungsbeschwerde, auf deren Möglichkeit und Voraussetzungen gemäß § 72 a ArbGG der Kläger hingewiesen wird, zulassen sollte.

Ende der Entscheidung

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