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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 10.07.2008
Aktenzeichen: 4 Sa 98/08
Rechtsgebiete: SGB IX


Vorschriften:

SGB IX § 85 f
SGB IX § 91
Die (gemäß § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX fingierte) Zustimmung des Integrationsamtes zu einer außerordentlichen Kündigung ersetzt nicht die, somit gesondert erforderliche, Zustimmung zu einer späteren vorsorglichen ordentlichen Kündigung gegenüber dem schwerbehinderten Menschen.
4 Sa 98/08

Verkündet am: 10.07.08

In dem Rechtsstreit

erlässt die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 10. Juli 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Burger und die ehrenamtlichen Richter Herr Lülf und Herr Jonietz im Namen des Volkes folgendes Urteil:

Tenor:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 24. Januar 2008 - 20 Ca 8934/07 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen und einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung der Beklagten gegenüber dem Kläger.

Der - ausweislich der vorgelegten Unterlagen: am 00.00.1956 geborene -Kläger, der nach dem von seinem Prozessbevollmächtigen zuletzt vorgelegten Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung Landshut - Versorgungsamt - vom 18.06.2004 (Bl. 131 f) mit einem Grad der Behinderung von 70 (sowie Merkzeichen G) als schwerbehinderter Mensch anerkannt ist, war seit 01.07.1999 als Hilfskraft in einem der zahlreichen von der Beklagten innerhalb des F. unterhaltenen gastronomischen Betriebe beschäftigt. Nach dem Arbeitszeugnis der Beklagten vom 29.06.2007 (Bl. 129/130 d. A.) war er bis 31.01.2007 als "Hilfskraft Küche" und seit 01.02.2007 zuletzt als "Hilfskraft Service" tätig, wobei nach der dortigen Aufgabenbeschreibung zu seinen Tätigkeiten die ordnungsgemäße Führung und Abrechnung der Kellnerkasse, die Zubereitung und Vorhaltung vorgefertigter Speisen, die Bestellannahme und der Service von Speisen und Getränken sowie insbesondere das Abräumen und Säubern des Barbereiches gehörten. Die Vergütung des Klägers betrug ca. 1.400,-- € brutto/Monat.

Nachdem die Beklagte nach ihrem Vorbringen im vorliegenden Verfahren am 20.05.2007 Kenntnis über eine von ihr so bezeichnete Unterschlagung bzw. einen Diebstahl des Klägers erhalten hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 25.05.2007 fristlos und mit weiterem Schreiben vom 30.05.2007 vorsorglich ordentlich, welche Kündigungen sie nach Kenntnis des Status des Klägers als schwerbehinderten Menschen mit Schreiben gegenüber dem Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 13.07.2007 (Bl. 52 d. A.) ausdrücklich nicht aufrecht erhielt.

Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sind eine weitere außerordentliche fristlose Arbeitgeberkündigung der Beklagten mit Schreiben vom 28.06.2007 zum 29.06.2007 (Bl. 4 d. A.) - nachdem das Integrationsamt beim Zentrum Bayern Familie und Soziales/Region Oberbayern mit Bescheid vom 27.06.2007 (Bl. 5/6 d. A.) mitgeteilt hatte, dass über den dort am 12.06.2007 eingegangenen Zustimmungsantrag zur außerordentlichen Kündigung des Klägers keine Entscheidung getroffen werde und deshalb die Kündigung unverzüglich nach Eintritt der gesetzlichen Zustimmungsfiktion am 27.06.2007, 0.00 Uhr, ausgesprochen werden könne - sowie eine erneute vorsorgliche ordentliche fristgerechte Kündigung der Beklagten mit weiterem Schreiben vom 03.07.2007 zum 31.10.2007 (Bl. 9 d. A.). Zu letzterer Kündigung wurde unstreitig keine erneute Zustimmung seitens des Integrationsamtes beantragt/eingeholt. Gegen den Bescheid des Integrationsamtes vom 27.06.2007 wurde seitens des Klägers mit Schriftsatz seines anwaltlichen Vertreters/Prozessbevollmächtigten vom 03.07.2007 (Bl. 128 d. A.) Widerspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden ist.

Wegen des unstreitigen Sachverhalts im Übrigen und des streitigen Vorbringens sowie der Anträge der Parteien im Ersten Rechtszug wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Arbeitsgerichts München vom 24.01.2008, das den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 29.01.2008 zugestellt wurde, Bezug genommen, mit dem dieses nach Beweisaufnahme durch Einvernahme zweier von der Beklagten zum Kündigungssachverhalt benannter Zeugen der Klage hinsichtlich beider Kündigungen mit der Begründung stattgegeben hat, dass die außerordentliche Kündigung vom 28.06.2007 mangels Vorliegens eines erforderlichen wichtigen Grundes hierfür rechtsunwirksam sei, da dem Kläger der vorgeworfene Diebstahl von zwei Tüten Scampi nicht nachzuweisen sei. Die Aussagen der beiden Zeugen hierzu begründeten zwar den dringenden Verdacht einer Diebstahlsabsicht des Klägers, da andere Motive für sein geschildertes Handeln nicht ersichtlich seien; dieser könne die Kündigung jedoch nicht rechtfertigen, da die Beklagte von der grundsätzlich bestehenden Möglichkeit einer Verdachtskündigung keinen Gebrauch gemacht und sich nicht auf den Verdacht als Kündigungsgrund berufen habe und hierzu den Kläger angehört gehabt hätte. Die nachfolgende ordentliche Kündigung sei bereits mangels Vorliegens einer erforderlichen Zustimmung des Integrationsamtes hierzu rechtsunwirksam.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigen vom 04.02.2008, am selben Tag zunächst per Telefax beim Landesarbeitsgericht München eingegangen, zu deren Begründung sie innerhalb der auf ihren Antrag bis 07.04.2008 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit am selben Tag wiederum per Telefax beim Landesarbeitsgericht München eingegangenem Schriftsatz vom 02.04.2008 vorgetragen hat, dass das Arbeitsgericht rechtsirrig davon ausgehe, dass die ordentliche Kündigung vom 03.07.2007 bereits mangels Zustimmung des Integrationsamtes rechtsunwirksam sei, da nach dessen Mitteilung unter dem 07.06.2007, dass die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung als erteilt gelte, eine zusätzliche Zustimmung zu einer ordentlichen Kündigung vom 03.07.2007 nicht mehr erforderlich gewesen sei. Wenn die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung eines schwerbehinderten Menschen kraft Gesetzes fingiert werde, müsse diese Fiktion erst recht für die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung gelten, insbesondere, wenn, wie hier, beide Kündigungen auf demselben Sachverhalt beruhten. Das Arbeitsgericht habe die streitige Kündigung ausschließlich unter dem Blickwinkel einer sog. Tatkündigung, nicht auch unter dem einer Verdachtskündigung untersucht, während die Beklagte in keinem Schreiben die Kündigung auf ihre Überzeugung gestützt gehabt habe, dass der Kläger die erwähnten Scampi gestohlen habe. Vielmehr sei der Verdacht eines Diebstahls in erster Instanz diskutiert und als Kündigungsgrund hervorgehoben worden, wobei es der Beklagten gerade darauf angekommen sei, dass sie den Kläger wegen des nachhaltigen Vertrauensverlustes nicht mehr weiterbeschäftigen könne. Da die Beklagte alle Gründe zum Ausspruch einer Verdachtskündigung gehabt habe, sei die außerordentliche Kündigung vom 28.06.2007 aus diesem Grund wirksam. Weshalb das Arbeitsgericht zum Ergebnis komme, dass eine Anhörung des Klägers unterblieben sei, sei nicht nachvollziehbar, da eine Beweisaufnahme zu dieser Frage nie stattgefunden habe. Die Kündigung sei auch als Verdachtskündigung begründet, da dem Kläger ein versuchter Diebstahl nachgewiesen werden könne, nachdem die glaubwürdigen Zeugen ausgesagt hätten, dass der Kläger am 13.05.2007 zwei Tüten Scampi durch die Küche in die Spülküche getragen und dann auf dem Abfallcontainer der Spülküche deponiert habe, ohne hierfür einen dienstlichen Grund gehabt zu haben. Da andere Motive für das Mitnehmen der vollen Tüten nicht ersichtlich seien, müsse von einer Diebstahlsabsicht des Klägers ausgegangen werden, wobei dahingestellt bleiben könne, ob dem Kläger ein Verschulden am anschließenden Verschwinden der Scampis getroffen habe.

Die Beklagte beantragt:

1. Das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 24.01.2008 wird aufgehoben.

2. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt zur Begründung seines Antrages auf Zurückweisung der Berufung vor, dass eine Interpretation, dass in der (fingierten) Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung auch die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung enthalten sei, nicht zulässig sei. Deshalb sei die ordentliche Kündigung vom 03.07.2007 bereits mangels Fiktionswirkung unwirksam. Nachdem der Beklagten der Nachweis einer strafbaren Handlung des Klägers bisher nicht gelungen sei, stütze diese sich nunmehr auf das Vorliegen eines versuchten Diebstahls, der ebenfalls nicht bewiesen worden sei. Eine Verdachtskündigung liege nicht vor und wäre mangels bestandskräftiger Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung auch nicht wirksam. Nach seiner Kündigung habe sich aufgrund der dadurch verursachten Aufregungen der gesundheitliche Zustand des Klägers verschlechtert, wobei ihm die Beklagte im Rahmen der zuletzt erfolgten Weiterbeschäftigung trotzdem zunächst einen Arbeitsbeginn ab 4.00 Uhr früh und zuletzt um 6.30 Uhr angeboten habe.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Zweiten Rechtszug im Übrigen wird auf die Schriftsätze vom 02.04.2008 und vom 22.04.2008, nebst der vorgelegten Anlagen/Unterlagen, sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 10.07.2008 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

I.

Die gemäß § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II.

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis und auch in der näheren Begründung zutreffend entschieden, dass sowohl die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 28.06.2007 (dazu 1.) als auch die vorsorgliche ordentliche Kündigung vom 03.07.2007 zum 31.10.2007 (dazu 2.) rechtsunwirksam sind.

1. Die außerordentliche, mit eintägiger (Auslauf)Frist zum 29.06.2007 ausgesprochene, Kündigung der Beklagten vom 28.06.2007, über die vorab zu befinden ist, ist rechtsunwirksam (§ 626 BGB).

a) Zwar lag als zwingende Voraussetzung für diese Kündigung gegenüber dem Kläger als unstreitig schwerbehinderten Menschen die Zustimmung des Integrationsamtes (§§ 91 Abs. 1, 85 f SGB IX) vor, nachdem dieses mit Bescheid vom 27.06.2007 (wie beim Integrationsamt des Zentrums Bayern Familie und Soziales, Region Oberbayern, in solchen Fällen offensichtlich weitgehend üblich) mitgeteilt hatte, dass mangels Entscheidung die Zustimmungsfiktion des § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX eintreten werde.

Die fehlende verwaltungsrechtliche Bestandskraft dieser Zustimmung aufgrund vom Kläger hiergegen erhobenen Widerspruches ändert am Vorliegen der Zustimmung nichts, da dieser keine aufschiebende Wirkung hat (§ 91 Abs. 1 i. V. m. § 98 Abs. 4 SGB IX).

b) Es fehlt jedoch in jeglicher Hinsicht am Vorliegen materiellrechtlicher Kündigungsgründe.

aa) Eine außerordentliche Kündigung setzt das Vorhandensein eines wichtigen Grundes und damit das Vorliegen von Tatsachen voraus, auf Grund derer dem - hier - kündigenden Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Frist einer ordentlichen Kündigung nicht zugemutet werden kann (§ 626 Abs. 1 BGB) - wobei hierbei näher zu prüfen ist, ob zunächst ein Sachverhalt vorliegt, der an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung zu bilden, und ob dieser sodann auch bei Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen vermag (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes). Die außerordentliche Kündigung muss die ultima ratio sein, sie ist deshalb nur zulässig, wenn die Kündigungsgründe das Arbeitsverhältnis so unzumutbar belasten, dass keine milderen Mittel - wie eine ordentliche Kündigung, Änderungskündigung, Versetzung oder Abmahnung - in Betracht kommen (ebenso ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes).

Weiter kann diese Kündigung nur innerhalb einer Frist von zwei Wochen - 14 Kalendertagen - ab dem Zeitpunkt ausgesprochen werden, zu dem der Kündigungsberechtigte (der gesetzliche oder auch entsprechend befugte rechtsgeschäftliche Vertreter des Arbeitgebers) positive Kenntnis vom Kündigungssachverhalt erlangt hatte (§ 626 Abs. 2 BGB).

bb) Am Vorliegen dieser Voraussetzungen fehlt es hier evident, in jeder Hinsicht:

(1) Soweit die Beklagte diese Kündigung auf den Tatbestand einer Tatkündigung - wegen versuchten Diebstahls, so ihre Wertung zuletzt (wenngleich offensichtlich im Kontext der Akzentuierung, auch, einer Verdachtskündigung !?) -stützt, fehlt es hierfür bereits an der Einhaltung der Kündigungserklärungsausschlussfrist der §§ 626 Abs. 2 BGB, 91 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 SGB IX. Nach der die materiellrechtliche Verwirkungsbestimmung des § 626 Abs. 2 BGB ergänzenden Regelung in § 91 Abs. 2 SGB IX kann die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen ab dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber positive Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erlangt hatte, beantragt werden, wobei der Antragseingang beim Integrationsamt maßgebend ist.

Die Beklagte hatte erstinstanzlich ausgeführt, dass ihre Personalleitung am 20.05.2007 Kenntnis von einer Unterschlagung bzw. einem Diebstahl des Klägers am 13.05.2007 erhalten habe. Ihr Zustimmungsantrag ist nach den Ausführungen im Bescheid des Integrationsamtes vom 27.06.2007 am 12.06.2007 - also 23 Kalendertage später - beim Integrationsamt eingegangen, damit weit verspätet. Die Antragsfrist konnte sich nicht etwa dadurch verlängern, dass die Beklagte ursprünglich noch im Mai 2007 eine außerordentliche und eine ordentliche Kündigung gegenüber dem Kläger wohl in Unkenntnis seines Schwerbehindertenstatus erklärt und von diesem offensichtlich erst nachträglich erfahren hatte.

Des Weiteren fehlt es ebenso eindeutig an weiteren materiellrechtlichen Voraussetzungen einer Tatkündigung wegen versuchten Diebstahls des Klägers, auf die Beklagte zuletzt abhebt:

Die vorliegenden objektiven Umstände, auch die vom Arbeitsgericht für glaubhaft befundenen Aussagen der dort vernommenen Zeugen, rechtfertigen nicht ansatzweise die Annahme, der Kläger habe sich die beiden von ihm nach Aussage des Zeugen T. getragenen Beutel Scampi anzueignen versucht. Zwar mag dieser Sachverhalt, für sich betrachtet und auf den ersten Blick, durchaus denkwürdig anmuten - auch der Kläger bringt keine Erklärung oder trägt ein etwa ein nachvollziehbares Alternativszenario dafür vor, weshalb er abends mit zwei Tüten Scampi in Richtung Spülküche gegangen ist.

Andererseits können dies und die weitere nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme als erwiesen anzusehende Tatsache, dass zwei solche - ggf. oder auch naheliegend: dieselben - Beutel Scampi später auf einer Abfalltonne im Müllraum gelegen sind, wie der Zeuge L. ausgesagt hat, nicht bereits die Annahme rechtfertigen (§ 286 Abs. 1 ZPO), der Kläger habe sich diese - damit?, dieselben? - anzueignen versucht. Nach der Aufgabenbeschreibung im zuletzt vorgelegten Arbeitszeugnis des Klägers hat dieser auch Speisen mit vorbereitet und damit küchenspezifische Tätigkeiten verrichtet, weshalb das Tragen von zwei Scampibeuteln, auch in diesem Bereich und in dieser Richtung, nicht bereits zwingend oder jedenfalls naheliegend konkrete (Verdachts-?)Mutmaßungen hinsichtlich des Verhaltens und der Absichten des Klägers auslösen mussten. Dass beide Scampibeutel überhaupt, endgültig, verschwunden sein sollen, führt die Beklagte nicht einmal aus - sie behauptet lediglich, der Kläger habe diese Beutel neben dem Abfallcontainer "im hinteren Bereich der Spülküche" dieses Lokals deponiert, während der Zeuge L. erstinstanzlich hierzu ausgesagt hat, dass er "im Müllraum" (!) hinter dem Spülplatz zwei Tüten Scampi liegen sehen habe - ohne den Kläger selbst dabei beobachtet zu haben, wie er eben die beiden Tüten dort deponiert (gehabt) habe -; später hätten diese sich nicht mehr dort befunden, auch sei der Kläger gegangen gewesen.

Eine tatsächliche Aneignung und erst recht eine subjektive Aneignungsabsicht des Klägers sind hiernach auch nicht ansatzweise zu greifen. Für den Versuch irgendeiner für den Diebstahlstatbestand erforderlichen Gewahrsamnahme des Klägers, wie die Beklagte zuletzt phantasievoll spekulieren will, fehlt es nach den vorgetragenen und vorliegenden Umständen an jeglichen konkret greifbaren Anhaltspunkten. Nach den vorliegenden und erwiesenen Umständen dieses Geschehens lassen sich zahlreiche Alternativhypothesen zu den Beuteln Scampi und deren Verbleib denken.

(2) Soweit die Beklagte die Kündigung - gleichzeitig !? - auch auf den Verdacht solchen Handelns des Klägers im Sinne einer Verdachtskündigung stützen will, wie sie - ausgehend von der Würdigung des Arbeitsgerichts - zuletzt ausführt, fehlt es ebenso eindeutig an jeglichen Voraussetzungen hierfür.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann bereits der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen Verfehlung einen Grund zur außerordentlichen Kündigung gegenüber dem verdächtigten Arbeitnehmer darstellen. Eine Verdachtskündigung liegt vor, wenn und soweit der Arbeitgebet seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines - nicht erwiesenen - strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört. Der Verdacht einer strafbaren Handlung stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar, der im Tatvorwurf nicht enthalten ist. § 626 Abs. 1 BGB lässt eine Verdachtskündigung näher dann zu, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, diese Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben - ihn zu den Vorwürfen angehört - hat (ständ. Rspr. des BAG, vgl. etwa U. v. 06.11.2003, 2 AZR 631/02, AP Nr. 39 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung, m. w. N.).

Dass (auch) diese Voraussetzungen hier nicht vorliegen, bedarf ebenfalls keiner umfangreicheren Begründung (selbst wenn der Betriebsrat der Beklagten zur Kündigung, wie wiederum erforderlich, auch hinsichtlich einer beabsichtigten Verdachtskündigung angehört gewesen wäre ...). Die von der Beklagten vorgetragenen und im Kern durch die Aussagen der erstinstanzlich vernommenen Zeugen unter Beweis gestellten Umstände können in dieser Form entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts nicht einmal den erforderlichen dringenden Verdacht begründen, der Kläger habe sich diese Scampi-Beutel tatsächlich angeeignet.

Jedenfalls wurde der Kläger nicht, wie für den Tatbestand einer Verdachtskündigung unabdingbar, von der Beklagten zu den Vorwürfen angehört, wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat. Die Einlassung der Beklagten hierzu in der Berufungsbegründung, es sei nicht nachvollziehbar, wie das Arbeitsgericht zum Ergebnis komme, dass eine Anhörung des Klägers unterblieben sei, da eine Beweisaufnahme zu dieser nie stattgefunden habe, hat eher satirischen Charakter: Die Beklagte hatte nie behauptet und behauptet ersichtlich nach wie vor nicht, dass eine, erst dann etwa beweiserhebliche, Anhörung des Klägers überhaupt erfolgt gewesen wäre ...

Des Weiteren wäre auch hier aus den vorstehenden Gründen die Ausschlussfrist der §§ 626 Abs. 2 BGB, 91 Abs. 2 SGB IX unzweifelhaft versäumt. Die Beklagte behauptet auch hierzu nicht, dass sie etwa den Sachverhalt erst durch besondere Nachforschungsmaßnahmen aufklären hätte müssen, was die Ausschlussfrist je nach den Umständen angemessen verlängern hätte können, sondern führt eben aus, dass sie von den Vorwürfen gegenüber dem Kläger bereits am Sonntag, den 20.05.2007, Kenntnis erlangt habe.

2. Dass die vorsorgliche ordentliche Kündigung der Beklagten vom 03.07.2007 zum 31.10.2007 bereits wegen fehlender, zwingender, Zustimmung des Integrationsamtes (§ 85 SGB IX) rechtsunwirksam ist, hat bereits das Arbeitsgericht ausgeführt.

Eine weitere, ordentliche statt außerordentliche, Kündigung - selbst im Fall einer Umdeutung letzterer Kündigung in erstere - bedarf grundsätzlich einer eigenständigen Zustimmung des Integrationsamtes hierzu, zumal hier die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung vom 28.06.2007 nicht inhaltlich positiv entschieden, sondern durch Nichtentscheidung für diesen Fall lediglich gesetzlich fingiert war (§ 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX), und die Entscheidung des Integrationsamtes zu beiden Kündigungsoptionen unterschiedlichen Formalien und inhaltlichen Anforderungen unterliegt (§§ 91 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 4, 89 Abs. 1 und Abs. 2 SGB IX), weshalb eine Umdeutung zumal einer gesetzlich fingierten in eine positive Ermessensentscheidung, und zumal in eine andere Kündigungsart, ausscheidet (vgl. BAG, U. v. 16.10.1991, 2 AZR 197/91, RzK I B 8 b Nr. 4; KR-Etzel, 8. Aufl. 2007, § 91 SGB IX Rz. 35 (aE) m. w. N. zur einschlägigen Instanzrechtsprechung und Literatur).

Es ist deshalb nicht mehr entscheidungserheblich, dass sich die ordentliche Kündigung auch aus materiellrechtlichen Gründen aus den gleichen Erwägungen wie vorstehend ausgeführt sowohl als Tat- als auch als Verdachtskündigung eindeutig als sozial ungerechtfertigt erweisen müsste (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG).

III.

Die Beklagte hat damit die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

IV.

Da dem Rechtsstreit über die Klärung der konkreten Rechtsbeziehungen der Parteien hinaus keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, bestand für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung.

Gegen dieses Urteil ist deshalb die Revision nur gegeben, wenn sie das Bundesarbeitsgericht auf Grund einer Nichtzulassungsbeschwerde, auf deren Möglichkeit und Voraussetzungen gemäß § 72 a ArbGG die Beklagte hingewiesen wird, zulassen sollte.

Ende der Entscheidung

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