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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Beschluss verkündet am 26.04.2007
Aktenzeichen: 4 TaBV 11/07
Rechtsgebiete: BetrVG, KSchG, BGB


Vorschriften:

BetrVG § 103
KSchG § 15
BGB § 626
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES BESCHLUSS

4 TaBV 11/07

Verkündet am: 26. April 2007

In dem Beschlussverfahren

hat die Vierte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Anhörung vom 26. April 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Burger sowie die ehrenamtlichen Richter Ahl und Fischer beschlossen:

Tenor:

I. Die Beschwerde der Arbeitgeberin und Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Rosenheim - Kammer Traunstein, Gerichtstag Bad Reichenhall - vom 20. Dezember 2006 - 3a BV 6/06 Rei - wird zurückgewiesen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

A.

Die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 1. beantragt mit dem vorliegenden Verfahren die gerichtliche Ersetzung der vom Betriebsrat und Beteiligten zu 2. verweigerten Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3. als Mitglied des Betriebsrats.

Die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 1. ist eine Tochtergesellschaft des B. und betreibt in Bayern eine Reihe von Seniorenwohnheimen - hier das "S." in B. -. In dieser Einrichtung, deren Heimleiter - von der Beteiligten zu 1. so genannte "Wohnsitzleiter" - der Zeuge Sch. ist, sind ca. 90 Arbeitnehmer beschäftigt. Die, ausweislich der vorgelegten Unterlagen, am 00.00.1959 geborene Beteiligte zu 3. ist bei der Arbeitgeberin seit 01.08.1993 als Altenpflegehelferin mit einer Vergütung von 2.130,- € brutto/Monat tätig, im Wohnbereich/der Station IV eingesetzt und seit 26.04.2006 Mitglied des Betriebsrats und Beteiligten zu 2.

Am 26.06.2006 fand eine vom neu gewählten Betriebsrat einberufene Teilbetriebsversammlung für die im Pflegebereich dieser Einrichtung tätigen Arbeitnehmer statt, an der neben der Beteiligten zu 3. weitere 16 Mitarbeiter teilnahmen. Gegenstand dieser Teilbetriebsversammlung waren u. a. von der Beteiligten zu 3. angesprochene Mängel bzw. Missstände/Defizite in der Pflege der Bewohnerinnen und Bewohner. Unstreitig brachte die Beteiligte zu 3. hierbei zur Sprache, dass im Wohnbereich/der Station IV, in der sie eingesetzt ist, gelegentlich bestimmte pflegerische Tätigkeiten nicht erbracht würden/werden könnten und diese Leistungen in der Pflegedokumentation trotzdem als erbracht auf-/abgezeichnet würden. Die Reaktion/Antwort der Beteiligten zu 3. dort auf die Frage des Heimleiters und Zeugen Sch., ob auch sie persönlich nicht erbrachte pflegerische Leistungen abzeichnen würde bzw. abgezeichnet habe, ist streitig.

Die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 1. beantragte mit Schreiben vom 03.07.2006 (Anl. ASt 1, Bl. 17/18 d. A.) die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen und fristlosen Kündigung der Beteiligten zu 3. mit der Begründung, dass diese auf der Betriebsversammlung am 26.06.2006 auf Nachfrage des Heimleiters bestätigt habe, dass auch sie vorsätzlich Leistungen in der Pflegedokumentation abzeichne, die sie aufgrund von Zeitmangel nicht durchgeführt habe, womit sie zugegeben habe, die Pflegedokumentation - als Dokument, das auch der Überprüfung der Pflegeleistungen durch den Medizinischen Dienst und die Heimaufsicht diene und für die Abrechnung mit den Pflegekassen herangezogen werde - nachhaltig manipuliert und damit ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen als Pflegekraft erheblich verletzt zu haben. Der Betriebsrat verweigerte mit Beschluss/Schreiben vom 06.07.2006 (Anl. ASt 2, Bl. 19/20 d. A.) die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3. mit der Begründung, dass der Wortlaut des Zustimmungsantrags nicht mit dem Wortlaut der Teilbetriebsversammlung übereinstimme.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen und des Vorbringens sowie der Anträge der Beteiligten im Ersten Rechtszug wird auf die Darstellung im angefochtenen Beschlusses des Arbeitsgerichts Rosenheim vom 20.12.2006, der den Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberin und Beteiligten zu 1. am 10.01.2007 zugestellt wurde, Bezug genommen, mit dem dieses nach umfangreicher Beweisaufnahme durch Einvernahme sämtlicher neben der Beteiligten zu 3. an der Teilbetriebsversammlung am 26.06.2006t teilnehmender (16) Personen als Zeuginnen bzw. Zeugen den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen hat, dass ausreichende Tatsachen, die der Antragstellerin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit der Beteiligten zu 3. unter Berücksichtung aller Umstände des Einzelfalles nicht einmal bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist von fünf Monaten zum Monatsende zumutbar machen würden, nicht vorlägen, da deren Äußerungen auf der Betriebsversammlung am 26.06.2006 nicht in der erforderlichen Weise gravierend gewesen seien. Zwar sei nach dem Vorbringen der Beteiligten und dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen, dass die Beteiligte zu 3. in der Betriebsversammlung über Personalknappheit gesprochen und dabei beispielhaft angeführt habe, dass einige Leistungen nicht erbracht werden könnten, jedoch in der Pflegedokumentation durch Handzeichen als geleistet bestätigt würden, und dass die Beteiligte zu 3. darauf auf Nachfrage des Heimleiters und Zeugen Sch. auch geantwortet habe, dass dies alle so machten - womit sie ihre arbeitsvertraglichen Pflichten in erheblichem Maße verletzt habe. Es sei jedoch der Zusammenhang dieser Äußerung zu berücksichtigen, nachdem die Beteiligte zu 3. in der Betriebsversammlung deutlich habe machen wollen, dass das Pflegepersonal in ihrem Bereich so sehr belastet und überlastet sei, dass sogar falsche Dokumentationen gemacht werden müssten, womit die Beteiligte zu 3. darauf hinwirken habe wollen, dass die Belastung der Pflegekräfte, wahrscheinlich durch Stellenmehrung, abgebaut werden solle. Deren Interesse sei auch dahin gegangen, dass die erforderlichen und vorgesehenen Pflegeleistungen tatsächlich erbracht würden, weshalb jedenfalls die Abwägung der Interessen der Arbeitgeberin mit denjenigen der Beteiligten zu 3. ein Überwiegen deren Interesses an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ergebe.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Arbeitgeberin und Beteiligten zu 1. mit Schriftsatz vom 26.01.2007, am 29.01.2007 beim Landesarbeitsgericht München eingegangen, zu deren Begründung sie fristgerecht vorgetragen hat, dass das Arbeitsgericht in keinster Weise eine Würdigung der Aussagen der 15 vernommenen Zeugen vorgenommen habe, sondern nicht nachvollziehbar davon ausgegangen sei, dass die Beweisaufnahme ergeben hätte, dass die Beteiligte zu 3. allgemein über Personalknappheit und deren Folgen gesprochen habe. Bei richtiger Würdigung der Zeugenaussagen - insbesondere der glaubhaften Aussagen der Zeuginnen und Zeugen, die eindeutig bekundet hätten, dass die Beteiligte zu 3. in der Teilbetriebsversammlung am 26.06.2006 gesagt habe, dass sie selbst die Pflegedokumentation manipuliere - hätte das Arbeitsgericht dazu kommen müssen, dass es sich bei der Manipulation der Pflegedokumentation um eine erhebliche Pflichtverletzung der Beteiligten zu 3. gehandelt habe, weshalb die Zustimmung des Betriebsrats zu ihrer außerordentlichen Kündigung ersetzt hätte werden müssen.

Die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 1. beantragt:

I. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Rosenheim, Kammer Traunstein, Gerichtstag Bad Reichenhall (Geschäftszeichen 3a BV 6006/06 Rei, vom 20.12.2006, zugestellt am 10.01.2007, wird aufgehoben und

II. die Zustimmung des Beteiligten zu 3) zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3) wird ersetzt.

Der Betriebsrat und Beteiligte zu 2. trägt zur Begründung seines Antrages auf Zurückweisung der Beschwerde vor, dass auf der verfahrensgegenständlichen Teilbetriebsversammlung für die Mitarbeiter des Pflegebereichs dieser Einrichtung vom Betriebsratsmitglied E. zunächst ein, dem Betriebsrat kurz zuvor zugegangener, anonymer Brief verlesen worden sei, in dem es um den geringen Personalstand dieser Station gegangen und dargestellt worden sei, dass mit dem vorhandenen Personal die Arbeit dort nicht zu schaffen sei - Überstunden vorprogrammiert seien - und alle Mitarbeiter in der Pflege dort sinngemäß "auf dem Zahnfleisch" daher kämen. Die Beteiligte zu 3. habe sich daraufhin zu Wort gemeldet und verschiedene Pflegedefizite angesprochen, z. B., dass Bewohner in der Pflegestufe III nie mobilisiert würden und im Übrigen fünf schwerbehinderte Kollegen auf dieser Station arbeiten würden und die Stationsleiterin auch aus Fürsorgegründen verpflichtet sei, Personalmehrungen zu beantragen und ggf. durchzusetzen. Die Beteiligte zu 3. habe hierbei auch erklärt, dass aufgrund Personalmangels oft wichtige Arbeiten wie z. B. Duschen, Baden und Wiegen nicht erbracht werden könnten und dies nachträglich in der Pflegedokumentation als geleistet aufgeschrieben würde und auch ihr dies aufgrund entsprechender Bitten der Stationsleiterin (H. bzw. He.) schon einmal passiert sei. Die Beteiligte zu 3. habe jedoch in keinem Punkt erklärt, dass sie selbst Arbeiten abgehakt habe, die sie nicht erbracht gehabt habe, noch habe sie ihre Kolleginnen deswegen beschuldigt. Auch die entsprechende Frage des Heimleiters und Zeugen Sch., ob sie etwa zu falscher Dokumentation gezwungen würde, habe die Beteiligte zu 3. verneint. Diese ganze Sequenz habe lediglich wenige Minuten gedauert, wobei kein Anwesender ihr eigentliche Bedeutung beigemessen habe.

Die vom Arbeitsgericht einvernommenen Zeuginnen hätten überwiegend ausgesagt, dass die Beteiligte zu 3. auf der Betriebsversammlung erklärt habe, dass dies alle machen würden bzw. dies "bei uns so gemacht" würde. Nicht einmal der Heimleiter und Zeuge Sch. habe ausgesagt, dass die Beteiligte zu 3. dort erklärt habe, sie selbst habe Pflegedokumentationen manipuliert. Die einzige eindeutig gegenteilige Aussage der Zeugin und Pflegedienstleiterin Trapp sei mit höchster Vorsicht zu genießen, zumal diese erst auf Nachfrage in Teilbereichen einräumen habe müssen, dass überhaupt ein anonymer Brief auf dieser Teilbetriebsversammlung verlesen worden sei, und sie, trotz intensiven Befragens, nicht mehr sagen könne, was in dem Brief gestanden habe. Auch sei darauf hinzuweisen, dass die Beteiligte zu 3. an diesem Tag als Betriebsratsmitglied gesprochen habe. Aus seiner Sicht habe das Arbeitsgericht deshalb eine Würdigung der unterschiedlichen Zeugenaussagen gar nicht vorzunehmen gehabt, weil es davon ausgegangen sei, dass selbst dann, wenn die Beteiligte zu 3. sich im Sinne des Vortrags der Antragstellerin geäußert gehabt hätte, dies nicht zur Unzumutbarkeit im Sinne des geltenden Maßstabes des § 626 Abs. 1 BGB geführt haben würde. Das Erstgericht habe völlig zu Recht auch auf ein 13 Jahre lang völlig unbelastet bestandenes Arbeitsverhältnis abgestellt.

Wegen des Vortrags der Beteiligten im Zweiten Rechtszug im Übrigen wird auf die Schriftsätze vom 12.03.2007 und vom 11.04.2007 sowie auf die Sitzungsniederschrift der mündlichen Anhörung im Beschwerdeverfahren vom 26.04.2007 Bezug genommen.

B.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

I.

Die Beschwerde der der Arbeitgeberin und Beteiligten zu 1. ist statthaft und form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 87 Abs. 1 und Abs. 2, 89 Abs. 1 und Abs. 2, 66 Abs. 1 ArbGG, 516, 518 ZPO) und damit zulässig.

II.

Die Beschwerde der Arbeitgeberin und Beteiligten zu 1. ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat ihren Antrag auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats und Beteiligten zu 2. zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3. zu Recht zurückgewiesen.

1. a) Die, allein mögliche (§ 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG), außerordentliche Arbeitgeberkündigung gegenüber der Beteiligten zu 3., die während ihrer Amtszeit als Betriebsratsmitglied darüber hinaus nur mit, ggf. gerichtlich ersetzter, Zustimmung des Betriebsrats zulässig ist (§ 103 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG) - und damit die materiellrechtlichen Voraussetzungen einer Zustimmungsersetzung -, sind, wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, am Maßstab des § 626 BGB zu messen.

b) Eine außerordentliche Kündigung setzt das Vorhandensein eines wichtigen Grundes und damit das Vorliegen von Tatsachen voraus, auf Grund derer dem - hier - kündigenden Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Frist einer ordentlichen Kündigung nicht zugemutet werden kann (§ 626 Abs. 1 BGB) - wobei hierbei näher zu prüfen ist, ob zunächst ein Sachverhalt vorliegt, der an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung zu bilden, und ob dieser sodann auch bei Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen vermag (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes). Die außerordentliche Kündigung muss die ultima ratio sein, sie ist deshalb nur zulässig, wenn die Kündigungsgründe das Arbeitsverhältnis so unzumutbar belasten, dass keine milderen Mittel - wie eine ordentliche Kündigung, Änderungskündigung, Versetzung oder Abmahnung - in Betracht kommen (ebenso ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes).

Bei der Prüfung der Zumutbarkeit der Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist nach § 626 Abs. 1 BGB ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die Berufungskammer ebenfalls anschließt, auf die ohne den Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit wie hier (§ 15 Abs. 1 KSchG) sonst geltende "fiktive" Kündigungsfrist abzustellen, also darauf, ob dem Arbeitgeber bei einem vergleichbaren Arbeitnehmer ohne Sonderkündigungsschutz als Betriebsratsmitglied dessen Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der einschlägigen ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar wäre (vgl. nur BAG, B. v. 10.02.1999, AP Nr. 42 zu § 15 KSchG 1969 - B. II. 3. der Gründe, m. w. N. -; siehe auch KR-Etzel, 8. Aufl. 2007, § 15 Rz. 22 f).

Das Arbeitsgericht hat diese Frist im angefochtenen Beschluss ohne weiteres, offensichtlich im Hinblick auf die Regelung der gesetzlichen Kündigungsfristen in § 622 Abs. 2 Ziff. 5. BGB und ohne Angriff in der Beschwerde hiergegen, mit fünf Monaten zum Monatsende angenommen, sodass nicht näher zu erörtern ist, ob bei der Arbeitgeberin als Tochtergesellschaft des B., wie von ihr unbestritten angegeben, etwa aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung - ein Arbeitsvertrag liegt nicht vor - die beim B. gerichtsbekannt geltenden Regelungen eines Haustarifvertrages, der seinerseits weitgehend auf die Geltung der Bestimmungen des BAT (ggf. jetzt TVöD) verweist, anwendbar sind - wonach die Kündigungsfrist gemäß § 53 Abs. 2 BAT bzw. § 34 Abs. 1 TVöD in vorliegendem Fall sechs Monate zum Quartalsende betragen würde.

2. Der Arbeitgeberin wäre es nach dem vorliegenden Sachverhalt jedoch zur Überzeugung auch der Berufungskammer in jedem Fall zumutbar, jedenfalls die Frist für eine ordentliche Kündigung - wie lang nach vorstehenden Überlegungen auch immer - einzuhalten.

a) Zwar ist eine von der Arbeitgeberin so bezeichnete Manipulation der Pflegedokumentation grundsätzlich als Kündigungsgrund an sich geeignet.

Die Pflegedokumentation, deren Bedeutung und Kenntnis deren Bedeutung bei den Arbeitnehmern der Betriebsrat mit erstinstanzlichem Schriftsatz vom 06.09.2006 in kaum nachvollziehbarer Weise relativieren wollte, ist grundsätzlich eine Urkunde auch im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB, da sie die bei den Bewohnern erbrachten pflegerischen Leistungen - in der Grund- und ggf. Behandlungspflege usw. - und auch subjektive Beobachtungen (vgl. die als Anlagen ASt 10 und ASt 11 erstinstanzlich in Kopie vorgelegten anonymisierten Dokumentationsblätter, Bl. 98 bis 100 d. A.) festhält und naturgemäß auch als Grundlage für die Kontrolle/Nachprüfung der Leistungserbringung durch die Bewohner selbst bzw. deren Angehörige bzw. deren Betreuer und die Vorgesetzten der Pflegekräfte sowie für die Abrechnung mit Krankenkassen/Kostenträgern und für die Kontrolle durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) sowie die Heimaufsicht dient. Der Eintrag bzw. die Abzeichnung von tatsächlich nicht erbrachten pflegerischen Leistungen stellt deshalb objektiv eine Urkundenfälschung dar und kann bei Vorliegen des subjektiven Tatbestandes, unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung im konkreten Einzelfall, auch ohne vorherige Abmahnung, einen Kündigungsgrund an sich bilden (vgl. auch BAG, U. v. 21.04.2005, AP Nr. 4 zu § 91 SGB IX; LAG Hamm, U. v. 26.10.2005, AuA 2006, S. 229 f - jeweils m. w. N. -).

b) Allerdings kann nach den vorliegenden besonderen Umständen auch zur Überzeugung der Beschwerdekammer, in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht, nicht vom Vorliegen eines schlichten und unentschuldbaren Tatbestandes einer Urkundenfälschung o. ä. seitens der Beteiligten zu 3. im vorstehenden Sinn ausgegangen werden.

aa) Auch wenn zu Gunsten der Arbeitgeberin und Beteiligten zu 1. unterstellt wird, dass die Beteiligte zu 3. sich in der Teilbetriebsversammlung für die Mitarbeiter der Pflege am 26.06.2006 auf Nachfrage des Heimleiters Sch. so wie von dieser dargelegt geäußert habe - auch sie habe auf der Station/dem Wohnbereich IV bereits tatsächlich nicht erbrachte pflegerische Leistungen abgezeichnet -, kann dies im vorliegenden konkreten Fall, nach den vorliegenden Einzelfallumständen, keine außerordentliche Kündigung rechtfertigen (Allerdings hat nach den umfangreichen Niederschriften der Aussagen der erstinstanzlich umfänglich vernommenen Zeugen ein erheblicher, überwiegender, Teil der Zeugen, offensichtlich aller Teilnehmer der Teilbetriebsversammlung vom 26.06.2006, dies gerade nicht bestätigt, sondern bekundet, dass auf Nachfrage des Heimleiters Sch., ob auch die Beteiligte zu 3. solches dokumentiert habe bzw. - so die Diktion des Vortrags der Arbeitgeberin hierzu - sie hierzu gezwungen werde, diese lediglich bekräftigt habe, dass dies "alle" (auf dieser Station/diesem Wohnbereich) machten, wobei auch der Heimleiter Sch. als Zeuge bekundet hat, dass auf seine dortige Nachfrage, ob es richtig sei, dass auch die Beteiligte zu 3. nicht erbrachte Leistungen als erbracht abzeichne, diese gesagt habe: "Ja und das machen alle so" - wobei bei näherer Bewertung der Zeugenaussagen nach deren protokolliertem Wortlaut weiter ins Auge fallen müsste, dass einige der zumal von der Arbeitgeberin benannten Zeuginnen sich einerseits an einen bestimmten Inhalt der Antwort der Beteiligten zu 3. auf die Frage des Zeugen Sch. erinnern wollten, andererseits aber nicht an die unstrittig erfolgte vorausgegangene Verlesung eines anonymen Briefs, geschweige denn dessen einschlägigen Inhalt ...):

Die Beteiligte zu 3. hätte dies nicht als allein von ihr ausgeführtes und im Grundsatz ungerechtfertigtes und nicht zu rechtfertigendes oder unentschuldbares Fehlverhalten bezeichnet, sondern sie hatte zuvor als ihre erkennbare Motivation auf die schwierige personelle Situation auf dieser Station/in diesem Wohnbereich hingewiesen, die eine ordnungsgemäße Pflegeleistung verhindere. Die Arbeitgeberin hat sich auch mit keinem Wort dazu geäußert, dass nach Darlegung der Beteiligten zu 3., zuletzt in der mündlichen Anhörung im Beschwerdeverfahren, allein fünf der in diesem Bereich eingesetzten Pflegekräfte als schwerbehinderte Menschen damit offensichtlich nicht uneingeschränkt einsetzbar (gewesen) seien und mit dem zur Verfügung stehenden Personal eine ordnungsgemäße Betreuung und Pflege der Bewohner dieses Bereiches - von denen nach wiederum undementiert/unwiderlegt gebliebenem Vorbringen der Beteiligten zu 3. in der mündlichen Anhörung zuletzt sich 35 bis 38 von ca. 60 Bewohnern in einer Pflegestufe nach dem SGB XI befänden und deshalb erhöhten Pflege- und Betreuungsaufwand erforderten - nicht zu schaffen gewesen sei. Vor dem Hintergrund einer als von ihr als unbefriedigend bzw. offensichtlich bedrückend bis katastrophal empfundenen personellen Situation im Vergleich zu den Arbeitsanforderungen dieses Arbeitsbereiches sowie in ihrer Eigenschaft als Betriebsratsmitglied hat die Beteiligte zu 3. darauf verwiesen, dass aus diesem Grund tatsächlich nicht erbrachte Pflegeleistungen als erbracht abgezeichnet würden/im Ergebnis werden müssten - die Pflegedokumentation damit allerdings manipuliert würde -, was dort - so die Quintessenz nahezu aller der zahlreichen Zeugenaussagen zur Einlassung der Beteiligten zu 3. auf die Nachfrage des Zeugen Sch. - alle (Pflegekräfte) so machten, "zwangsläufig", pars pro toto, eben auch sie selbst. Diese Äußerung der Beteiligten zu 3., an der die Arbeitgeberin einen hypostasierten Vorwurf unentschuldbaren Manipulationshandelns festmachen will, wäre jedoch kein Geständnis der Beteiligten zu 3. über letztlich eigennützige Fälschungen etwa mit finanziellem Hintergrund oder zur Arbeitsersparnis oder aus Gründen nicht zu rechtfertigender Vernachlässigung von Bewohnern o. ä., sondern ein Hilferuf und eine Untermauerung der als unzumutbar empfundenen Arbeitssituation in diesem Bereich/auf dieser Station. Auch die von der Arbeitgeberin und Beteiligten zu 1. vorgelegten und von ihr initiierten schriftlichen Bestätigungen einiger Zeuginnen weisen aus, dass die Beteiligte zu 3. bei der Teilbetriebsversammlung auf die Unmöglichkeit der Erbringung pflegerischer Leistungen wegen Zeitmangels hingewiesen habe.

Die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 1. trägt auch nicht vor, dass sie den Vorwürfen, auf dieser Station/diesem Wohnbereich würden, offensichtlich nicht lediglich sehr selten, nicht erbrachte Leistungen trotzdem als erbracht in der Pflegedokumentation abgezeichnet, nachgegangen sei und etwa sämtliche Mitarbeiter dieses Bereiches angehört und ggf. zur Rechenschaft gezogen habe. Sie äußert sich wie ausgeführt auch nicht näher zur Berechtigung der Vorwürfe hinsichtlich der Personalsituation in Relation zum erforderlichen Pflegebedarf angesichts der konkreten Bewohnerstruktur. Die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 1. will augenscheinlich bei der Beteiligten zu 3. ein Exempel statuieren und ihr Fehlverhalten isoliert zum Anlass einer außerordentlichen Kündigung nehmen - ohne auf den ausdrücklichen und unstreitigen Zusammenhang der, unterstellt, in der Teilbetriebsversammlung von ihr eingeräumten Manipulation der Pflegedokumentation mit der behaupteten Überlastungssituation dort einzugehen. Auch unter Berücksichtigung des Rechtssatzes, dass es keine Gleichheit im Unrecht geben kann, kann die Arbeitgeberin nicht mit der beabsichtigten Kündigungskonsequenz allein gegenüber der Beteiligten zu 3., die sich aus jedenfalls nicht eigennützigen Motiven veranlasst sah, das aus ihrer - offensichtlich auch der/von Kollegen - Sicht bestehende Problem und dessen Konsequenzen für die Pflegekräfte innerhalb der einschlägigen Teilbetriebsöffentlichkeit der Teilbetriebsversammlung zu thematisieren, vorgehen wollen (zu einem nicht unvergleichbaren Sachverhalt bei Missständen in der Altenpflege vgl. LAG Berlin, U. v. 28.03.2006, AuR 2007, S. 51 f; hierzu Deiseroth, AuR 2007, S. 34 f). Es hätte nahe gelegen und zunächst genügt, dass die Arbeitgeberin den Vorwürfen wegen der Arbeitssituation auf dieser Station/in diesem Wohnbereich - die ihr nicht völlig neu sein konnte! - zunächst einmal nachgeht, Manipulationen durch fiktiv dokumentierte Pflegeleistungen strikt untersagt - ggf. zunächst abmahnt - und dies kontrolliert und bei tatsächlicher personeller Überlastung im konkreten Fall geeignete Abhilfe schafft.

bb) Jedenfalls aber wäre, wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, die außerordentliche Kündigung aufgrund der Grundsätze der Interessenabwägung rechtsunwirksam, weil als solche überzogen. Ausgehend von den vorgetragenen oder ersichtlichen Tatsachen liegen bei der Arbeitgeberin und Beteiligten zu 1. konkrete Probleme für betroffene Bewohner durch unterlassene grundpflegerische Verrichtungen oder etwa durch manipulierte Pflegedokumentation bewirkte Folgen nach Außen - Ansehens- oder Rufschädigung, Gefährdung von Vertragsbeziehungen zu Bewohnern u. ä. - oder etwa Probleme mit dem MDK offensichtlich nicht vor. Auf Seiten der Beteiligten zu 3. sind immerhin ihre Betriebszugehörigkeit von derzeit über 13 Jahren und ihr Alter von derzeit 48 Jahren zu berücksichtigen. Letzteres würde es ihr gerichtsbekannt zweifellos schwer machen, in überschaubarer Zeit eine, wohnortnahe, adäquate Ersatzbeschäftigung zu finden.

c) Das Arbeitsgericht hat nach allem aufgrund der konkreten Umstände den Antrag auf Ersetzung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3. zu Recht zurückgewiesen, weshalb die Beschwerde der Antragstellerin und Beteiligten zu 1. hiergegen zurückzuweisen ist.

III.

Da dem Verfahren über die Klärung der konkreten Problemstellung hinaus keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, bestand für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 92 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung.

Gegen diesen Beschluss ist deshalb die Rechtsbeschwerde nur gegeben, wenn sie das Bundesarbeitsgericht auf Grund einer Nichtzulassungsbeschwerde, auf deren Möglichkeit und Voraussetzungen gem. § 92 a ArbGG die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 1. hingewiesen wird, zulassen sollte.

Ende der Entscheidung

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