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Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 17.12.2004
Aktenzeichen: 5 Sa 1077/03
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2
BetrVG § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3
1. Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund der Entbindungsverfügung gemäß § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG setzen nicht das Bestehen des Weiterbeschäftigungsanspruchs gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG voraus. Allenfalls kann das Rechtsschutzinteresse an einer Entbindungsverfügung fehlen, wenn z. B. der Weiterbeschäftigungsanspruch zweifelsfrei nicht besteht und vom Arbeitnehmer gar nicht (mehr) geltend gemacht wird (Bestätigung des Urteils des LAG München vom 05.10.1994 LAGE BetrVG 1972 § 102 Beschäftigungspflicht Nr. 19).

2. Der Arbeitgeber kann gemäß § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG nicht schon dann von der Weiterbeschäftigungspflicht gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG entbunden werden, wenn der Widerspruch des Betriebsrats (nur) nicht ordnungsgemäß iSv. § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG, sondern nur dann, wenn der Widerspruch (auch) offensichtlich unwirksam war (Bestätigung des Urteils des LAG München vom 05.10.1994 LAGE BetrVG 1972 § 102 Beschäftigungspflicht Nr. 19).

3. § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG stellt auf die durch die Weiterbeschäftigungskosten des einzelnen Arbeitnehmers verursachte wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers ab.

4. Ob die Weiterbeschäftigungskosten des einzelnen Arbeitnehmers zu einer un-zumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers iSv. § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG führen würden, kann nur im Einzelfall entschieden werden.

5. Der Entbindungsgrund des § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG kommt auch dann in Betracht, wenn das Arbeitsverhältnis gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG zwar weiter besteht und der Arbeitgeber Arbeitsentgelt schuldet, der Arbeitnehmer aber ausnahmsweise keinen Anspruch auf tatsächliche Weiterbeschäftigung hat und deswegen auch tatsächlich nicht weiterbeschäftigt wird (Fortführung des Urteils des LAG München vom 13.07.1994 LAGE BetrVG 1972 § 102 Beschäftigungspflicht Nr. 17).


LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 Sa 1077/03

Verkündet am: 17. Dezember 2003

In dem Rechtsstreit

hat die Fünfte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 17. Dezember 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht B sowie die ehrenamtlichen Richter für Recht erkannt:

Tenor: Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 17.07.2003 - 32 Ga 231/03 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über die Entbindung der Klägerin von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung der Beklagten gemäß § 102 Abs. 5 BetrVG.

Die Klägerin ist ein Elektrotechnikunternehmen, das in München vier Betriebe unterhält. In dem Betrieb (Mch H) sind zurzeit (noch) etwa 5.600 Arbeitnehmer in dem Geschäftsbereich Information and Communication Networks (ICN) und etwa 1.700 Arbeitnehmer in dem Geschäftsbereich Information and Communication Mobile (ICM) beschäftigt.

Die am 28.07.1967 geborene Beklagte ist gelernte technische Assistentin und seit 31.10.1987 bei der Klägerin beschäftigt. Zuletzt war die Beklagte als Servicemarketingmanagerin in der Organisationseinheit ICN AS CS M im Betrieb Mch H tätig.

Wegen eines erheblichen Auftrags- und Umsatzrückgangs beschloss der ICN-Be- reichsvorstand im Juli bzw. September 2002, die Personalkapazität an den Bedarf anzupassen und das so genannte Carrier-Geschäft (mit Telefonanlagen und -systemen für Telefongesellschaften im Festnetzbereich) neu zu organisieren.

Diesbezüglich vereinbarte die Klägerin mit dem Betriebsrat Mch H den Interessenausgleich "Kapazitätsanpassung ICN München H 2002 und Neuausrichtung des ICN-Carrier-Geschäfts" vom 23.10.2002. Gemäß Nr. 3.1 dieses Interessenausgleichs wurde "mit Wirkung zum 01.11.2002" die "neue ICN Carrier-Organisation eingeführt" und gemäß Nr. 4.3 sollten 1.100 Arbeitnehmer "- so weit möglich - einvernehmlich ... ausscheiden" und dementsprechend "höchstens 1.100 betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen" werden.

Auf der Grundlage dieses Interessenausgleichs kündigte die Klägerin mit Schreiben vom 15.01.2003 im Geschäftsbereich ICN - gegen den Widerspruch des Betriebsrats - insgesamt 154 Arbeitnehmern, die sie alle "ab sofort" unter Fortzahlung der Vergütung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung bis zum Ablauf der jeweiligen Kündigungsfrist freistellte.

Der Beklagten wurde - gegen den Widerspruch des Betriebsrats - mit Schreiben vom 15.01.2003 zum 31.05.2003 gekündigt und die sofortige Freistellung erklärt.

Mit Schriftsatz vom 29.01.2003 hat die Beklagte gegen die Kündigung vom 15.01.2003 Kündigungsschutzklage erhoben und außerdem beantragt, die Klägerin zu ihrer Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzrechtsstreits zu verurteilen. Dieser Rechtsstreit Nr. 23 Ca Arbeitsgericht München ist noch nicht entschieden.

Im vorliegenden Rechtsstreit hat die Klägerin mit der Antragsschrift vom 29.04.2003 beantragt, sie gemäß § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG durch einstweilige Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung der Beklagten gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG zu entbinden.

Das Arbeitsgericht hat auf Grund mündlicher Verhandlung den Verfügungsantrag der Klägerin durch das Urteil vom 17.07.2003 mangels eines Grundes für die Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht abgewiesen. Im Übrigen wird - einschließlich des Sach- und Rechtsvortrags im ersten Rechtszug - auf dieses Urteil Bezug genommen.

Die Klägerin hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Zur Begründung der Berufung macht die Klägerin zum einen geltend, dass der Betriebsrat der Kündigung nicht ordnungsgemäß iSv. § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG widersprochen habe, weil dem Widerspruch kein ordnungsgemäßer Beschluss zu Grunde liege. Zum anderen macht die Klägerin geltend, dass die Weiterbeschäftigung der Beklagten zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung für sie führen würde, weil die durch insgesamt 146 Weiterbeschäftigungsverlangen verursachten Weiterbeschäftigungskosten - für die angenommene Dauer der Kündigungsschutzrechtsstreitigkeiten von jeweils 18 Monaten - 22,5 Mio. € betragen würden und diese Kosten den Zweck des für die Gerichte bindenden Personalabbaus, die Personalkosten zu reduzieren, ebenso vereiteln würden wie ein ausgeglichenes Ergebnis im letzten Quartal des Geschäftsjahres 2002/2003.

Die Klägerin beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Entbindung von ihrer Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung der Beklagten.

Die Beklagte hält die Berufung für unschlüssig.

Hinsichtlich des sonstigen Sach- und Rechtsvortrags im Berufungsrechtszug wird auf die Berufungsbegründung, die Berufungsbeantwortung und das Protokoll über die Berufungsverhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Arbeitsgericht hat den Verfügungsantrag der Klägerin, sie gemäß § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG durch einstweilige Verfügung von ihrer Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung der Beklagten gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG zu entbinden, jedenfalls im Ergebnis zu Recht mangels eines Entbindungsgrundes iSv. § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG abgewiesen.

Der Vortrag der Klägerin, dass der Betriebsrat der Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten gar nicht ordnungsgemäß iSv. § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG widersprochen habe, ist im vorliegenden Entbindungsverfahren gemäß § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG rechtlich unerheblich.

Streitgegenstand des Entbindungsverfahrens gemäß § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG ist jedenfalls nur, ob einer der in dieser Vorschrift abschließend geregelten Gründe für die Entbindung des Arbeitgebers von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG besteht, so dass die Entscheidung über die vom Arbeitgeber beantragte Entbindung jedenfalls in aller Regel nicht voraussetzt, dass der Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG besteht und insbesondere der Betriebsrat der Kündigung ordnungsgemäß iSv. § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG widersprochen hat (so schon das Kammerurteil vom 05.10.1994 LAGE BetrVG 1972 § 102 Beschäftigungspflicht Nr. 19 mwN.; ebenso nun auch LAG München 05.08.2003 - 2 Sa 611/03; ebenso etwa Richardi/Thüsing BetrVG 8. Aufl. § 102 Rn. 251).

Dementsprechend kann - entgegen dem angefochtenen Urteil und der Auffassung der Klägerin - der Arbeitgeber auch nicht gemäß § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG mit der Begründung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entbunden werden, dass der Betriebsrat der Kündigung gar nicht ordnungsgemäß iSv. § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG widersprochen habe.

Gemäß § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG kann der Arbeitgeber nur dann von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entbunden werden, wenn der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war. Streitgegenstand des Entbindungsverfahrens gemäß § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG ist demgemäß nur, ob der vom Betriebsrat erhobene Widerspruch - unter ausschließlicher Berücksichtigung der vom Betriebsrat geltend gemachten Widerspruchsgründe - nach dem in § 102 Abs. 3 BetrVG abschließend geregelten Katalog beachtlicher Widerspruchsgründe offensichtlich unbegründet war.

"Ein Widerspruch, der als nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG erscheint, ist nicht schon allein aus diesem Grunde auch offensichtlich unbegründet im Sinne von § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG. Das ergibt sich schon aus der Verschiedenartigkeit dieser Tatbestandsmerkmale und insbesondere aus dem (nur) in § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG vorausgesetzten Merkmal der Offensichtlichkeit. Das ergibt sich darüber hinaus auch aus der Verschiedenartigkeit der systematischen Stellung dieser Merkmale einerseits in § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG, wonach gegebenenfalls ein Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers besteht, der auch in einem Hauptsacheverfahren geprüft werden kann, und andererseits in § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG, wonach der Arbeitgeber von der gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG - möglicherweise - bestehenden Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers (nur) durch eine Gestaltungsverfügung (vgl. ...) entbunden werden kann (...), ohne dass diese Entbindung auch noch in einem Hauptsacheverfahren geprüft werden könnte. Wegen dieser Verschiedenartigkeit kann § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG auf den Fall, dass der Widerspruch des Betriebsrats als nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG erscheint, weder unmittelbar noch analog angewendet werden. Allerdings wird sowohl in der Rechtsprechung als auch im Schrifttum (vgl. ...) dennoch die Auffassung vertreten, dass der Arbeitgeber gemäß § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers mit der Begründung entbunden werden könne, dass der Widerspruch des Betriebsrats nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG sei. Für eine solche Vermischung der Rechtsnormen des § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG und des § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG gibt es aber mit Rücksicht auf die festgestellte Verschiedenartigkeit der maßgeblichen Tatbestandsmerkmale und der systematischen Stellung dieser Merkmale keine überzeugende Begründung." (so schon das Kammerurteil vom 05.10.1994 aaO).

An dieser Rechtsprechung hält die Kammer auch nach erneuter Prüfung fest (ebenso nun auch LAG München 05.08.2003 - 2 Sa 611/03; aA LAG München 20.08.2003 - 7 Sa 857/03; 17.09.2003 - 10 Sa 738/03; aA auch, aber ohne Begründung, etwa ErfK/Hanau/Kania 4. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 40; unentschieden LAG Hamburg 16.05.2001 LAGE BetrVG 1972 § 102 Beschäftigungspflicht Nr. 24 = NZA-RR 2002, 25 ff., zu II 2 a der Gründe; LAG München 11.07.2003 - 8 Sa 509/03; 07.08.2003 - 4 Sa 723/03; 03.09.2003 - 9 Sa 853/03; 09.09.2003 - 6 Sa 609/03).

Dementsprechend kann der Arbeitgeber gemäß § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG auch nicht mit der Begründung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entbunden werden, dass der Widerspruch des Betriebsrats nicht ordnungsgemäß beschlossen worden sei (vgl. GK-BetrVG/Kraft 5. Aufl. § 102 Rn. 161; aA, aber ohne Begründung, etwa MünchArbR/Matthes 2. Aufl. § 357 Rn. 22).

In Bezug auf den Entbindungsgrund des § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG ist der Vortrag der Klägerin ebenfalls nicht schlüssig.

Gemäß § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG kann der Arbeitgeber von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG entbunden werden, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde. Die Voraussetzungen dieses Entbindungsgrundes werden in Rechtsprechung und Schrifttum sehr unterschiedlich bestimmt (vgl. das Kammerurteil vom 13.07.1994 LAGE § 102 BetrVG 1972 Beschäftigungspflicht Nr. 17 mwN.; aus neuerer Zeit. LAG Hamburg 16.05.2001 aaO, zu II 2 b aa der Gründe; Rieble BB 2003, 844 ff.). Nach Auffassung der Kammer gilt Folgendes:

Anknüpfungspunkt des § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG ist einerseits die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers, so dass nicht auf bestimmte Teile des Unternehmens oder Betriebes abgestellt werden kann (so schon das Kammerurteil vom 13.07.1994 aaO mwN.). Das ergibt sich aus dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung, die auf die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers abstellt, und vor allem aus der Rechtsnatur des gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG weiterbestehenden Arbeitsverhältnisses als Vertragsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, weil der Arbeitgeber als Vertragspartei Rechtsträger des ganzen Unternehmens ist und daher auch als Tatbestandsmerkmal des § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG weder durch betriebsverfassungsrechtliche noch durch betriebswirtschaftliche Erwägungen auf einen Teil des Unternehmens oder Betriebes reduziert werden kann (so im Ergebnis übereinstimmend auch LAG München 11.07.2003 - 8 Sa 509/03; 05.08.2003 - 2 Sa 611/03; 07.08.2003 - 3 Sa 701/03; 07.08.2003 - 4 Sa 723/03; 03.09.2003 - 9 Sa 853/03; 09.09.2003 - 6 Sa 609/03; aM etwa Rieble BB 2003, 844, 846).

Anknüpfungspunkt des § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG ist andererseits nur die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers durch die Weiterbeschäftigung des einzelnen Arbeitnehmers, um dessen Weiterbeschäftigung es geht, so dass die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers durch die Weiterbeschäftigung anderer Arbeitnehmer unerheblich ist (so auch schon das Kammerurteil vom 13.07.1994 aaO; vgl. ferner LAG Hamburg 16.05.2001 aaO, zu II 2 b aa der Gründe; vgl. auch LAG München 17.09.2003 - 10 Sa 738/03). Auch das ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung als auch aus der Rechtsnatur des weiterbestehenden Arbeitsverhältnisses als Vertragsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und überdies auch noch aus der systematischen Stellung des in § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG geregelten Entbindungsgrundes zwischen den in § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 3 BetrVG geregelten Entbindungsgründen, weil diese beiden Entbindungsgründe sich auch nur auf den einzelnen Arbeitnehmer beziehen, um dessen Weiterbeschäftigung es geht.

Es kommt demnach auf die durch die Weiterbeschäftigung des einzelnen Arbeitnehmers verursachte wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers an, die sich aus den Weiterbeschäftigungskosten im Allgemeinen und den Entgeltzahlungskosten im Besonderen ergibt (so auch schon das Kammerurteil vom 13.07.1994 aaO).

Ob die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers durch die Weiterbeschäftigungskosten des einzelnen Arbeitnehmers noch zumutbar oder schon unzumutbar ist, kann nur im Einzelfall entschieden werden (vgl. LAG Hamburg 16.05.2001 aaO, zu II 2 b aa der Gründe).

Dementsprechend hat die Kammer schon in dem Urteil vom 13.07.1994 (aaO) festgestellt, dass der Entbindungsgrund des § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG jedenfalls auch dann in Betracht kommt, "wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unmöglich oder unzumutbar ist." Daran hält die Kammer im Grundsatz auch nach erneuter Überprüfung vor allem deswegen fest, weil § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG an die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers als Vertragspartei des Arbeitnehmers anknüpft und dementsprechend die Unzumutbarkeit der wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers durch die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auch durch eine Störung des auf den gegenseitigen Austausch von Leistung und Gegenleistung gerichteten Vertragsverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber verursacht werden kann. Allerdings muss nunmehr das allgemeine Leistungsstörungsrecht des § 275 BGB in der Fassung des am 01.01.2002 in Kraft getretenen Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes berücksichtigt und außerdem - jedenfalls nach der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts - zwischen dem Weiterbeschäftigungsanspruch gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG als Synonym für das nach dieser Vorschrift weiterbestehende Arbeitsverhältnis und dem auf Grund dieses Arbeitsverhältnisses grundsätzlich bestehenden Anspruch auf tatsächliche Weiterbeschäftigung unterschieden werden (vgl. BAG 15.03.2001 AP KSchG 1969 § 4 Nr. 46 = EzA KSchG n. F. § 4 Nr. 61, zu B V 2 und 4 der Gründe). Danach kann auch dieser Anspruch auf tatsächliche Weiterbeschäftigung - wie der Beschäftigungsanspruch während des ungekündigten Arbeitsverhältnisses - ausnahmsweise durch die Ausübung des besonderen arbeitsrechtlichen Freistellungsrechts auf Grund überwiegender, schutzwürdiger Interessen des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers und/oder nach dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht des § 275 BGB wegen so genannter wirklicher, praktischer oder persönlicher Unmöglichkeit der Weiterbeschäftigung (§ 275 Abs. 1, 2 oder 3 BGB) ausgeschlossen sein, während das Arbeitsverhältnis gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG und der Arbeitsentgeltanspruch des Arbeitnehmers - etwa gemäß §§ 611 Abs. 1, 615 Satz 1 BGB - weiter bestehen. Dementsprechend kommt der Entbindungsgrund des § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG jedenfalls auch dann in Betracht, wenn die Weiterbeschäftigungspflicht als solche - aus welchen Gründen auch immer - nicht (mehr) besteht, zumal dafür auch die Gebote der Praktikabilität und der praktischen Relevanz dieses Entbindungsgrundes sprechen. Der Entbindungsgrund des § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG ist dann allerdings nicht automatisch gegeben, sondern davon abhängig, ob im Einzelfall - infolge des Wegfalls der Weiterbeschäftigungspflicht - der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG und der Entgeltzahlungspflicht - etwa gemäß §§ 611 Abs. 1, 615 Satz 1 BGB - zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde (vgl. LAG Hamburg 16.05.2001 aaO, zu II 2 b aa der Gründe).

Bei der diesbezüglichen Abwägung muss dem Wegfall der Weiterbeschäftigungspflicht allerdings erhebliches Gewicht beigemessen werden. Denn wenn die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers iSv. § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG von den durch die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers verursachten Weiterbeschäftigungskosten und insbesondere den Entgeltzahlungskosten abhängig ist, dann wiegt diese Belastung besonders schwer, wenn ausnahmsweise keine Verpflichtung zur tatsächlichen Weiterbeschäftigung besteht und dementsprechend tatsächlich keine Arbeitsleistung für die Entgeltzahlung erbracht wird. Denn nur die tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung kann typischerweise auch dann als Rechtfertigung der Entgeltzahlungspflicht des Arbeitgebers angesehen werden, wenn das Arbeitsverhältnis auf Grund einer wirksamen Kündigung eigentlich schon beendet ist. Und der Zweck des § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG, den Arbeitsplatz des Arbeitnehmers durch die Verpflichtung des Arbeitgebers zur tatsächlichen Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu sichern, kann nach dem ausnahmsweisen Wegfall dieser Weiterbeschäftigungspflicht sowieso nicht mehr erreicht werden. Bei der Abwägung, ob im Einzelfall - infolge des Wegfalls der Weiterbeschäftigungspflicht - der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG und insbesondere der Fortbestand der Entgeltzahlungspflicht zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde, muss freilich auch der Grund für den Wegfall der Weiterbeschäftigungspflicht berücksichtigt werden.

Die Klägerin hat aber gar nichts vorgetragen, woraus sich der Wegfall der Weiterbeschäftigungspflicht trotz des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG ergeben könnte. Dies umso weniger, als ein Kostenreduzierungsprogramm durch Personalabbau, wie es die Klägerin beschlossen hat, typischerweise die Weiterbeschäftigungspflicht auf Grund des - weiterbestehenden - Arbeitsverhältnisses nicht in Wegfall bringt (vgl. insoweit auch Rieble BB 2003, 844, 849) und im vorliegenden Fall sich sogar aus dem Anhörungsschreiben der Klägerin an den Betriebsrat ergibt, dass die Beklagte - abgesehen von dem beschlossenen Personalabbau zum Zwecke der Kostenreduzierung - durchaus weiterbeschäftigt werden kann.

Und etwas anderes, woraus sich eine unzumutbare wirtschaftliche Belastung ergeben könnte, hat die Klägerin schon gar nicht vorgetragen. Denn der Entbindungsgrund des § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG kann jedenfalls nicht allein in dringenden betrieblichen Erfordernissen iSv. § 1 Abs. 2 KSchG, in einer Betriebsänderung samt Personalabbau iSd. §§ 111 ff. BetrVG oder in den Weiterbeschäftigungskosten als solchen gesehen werden (so auch schon das Kammerurteil vom 13.07.1994 aaO), zumal die Klägerin selbst in erheblichem Umfang - betriebswirtschaftlich so genannte - Restrukturierungsaufwendungen für den Personalabbau in Rechnung gestellt hat. Und eine Beeinträchtigung der Liquidität oder Wettbewerbsfähigkeit der Klägerin durch die Weiterbeschäftigung, wie sie von der wohl überwiegenden Auffassung als Entbindungsgrund iSv. § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG gefordert wird (vgl. LAG Hamburg 16.05.2001 aaO, zu II 2 b aa der Gründe), hat die Klägerin entsprechend der offenkundigen Prosperität ihres Unternehmens auch nicht vorgetragen (so auch LAG München 11.07.2003 - 8 Sa 509/03; 05.08.2003 - 2 Sa 611/03; 07.08.2003 - 3 Sa 701/03; 07.08.2003 - 4 Sa 723/03; 20.08.2003 - 7 Sa 857/03; 03.09.2003 - 9 Sa 853/03; 09.09.2003 - 6 Sa 609/03).

Schließlich hat die Klägerin auch nichts Schlüssiges in Bezug auf den Entbindungsgrund des § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BetrVG vorgetragen.

Dieses Urteil ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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