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Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 17.12.2003
Aktenzeichen: 5 Sa 1278/03
Rechtsgebiete: BetrVG, ZPO, BGB, ArbGG


Vorschriften:

BetrVG § 102 Abs. 1 Satz 1
BetrVG § 102 Abs. 5 Satz 1
BetrVG § 102 Abs. 5 Satz 2
ZPO § 940
BGB § 275 Abs. 1
ArbGG § 72 Abs. 4
1. Der Arbeitnehmer hat (auch) gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG Anspruch auf Weiterbeschäftigung auf seinem bisherigen Arbeitsplatz, solange der Arbeitgeber die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers und damit auch seine Beschäftigungspflicht nicht wirksam anderweitig bestimmt.

2. Der Weiterbeschäftigungsanspruch gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG stimmt inhaltlich mit dem allgemeinen Beschäftigungsanspruch überein und kann daher ebenso wie dieser ausnahmsweise ausgeschlossen sein.

3. Für die Zulässigkeit einer Weiterbeschäftigungsverfügung zur Durchsetzung des Weiterbeschäftigungsanspruchs gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG gelten gemäß § 940 ZPO die allgemeinen Grundsätze.

4. Eine Weiterbeschäftigungsverfügung kann gemäß § 940 ZPO - mit Rücksicht auf das Gebot der Effektivität und der Ausgewogenheit des einstweiligen Rechtsschutzes und insbesondere mit Rücksicht auf die Gefahr eines endgültigen Rechtsverlustes - grundsätzlich weder erlassen noch verweigert werden, ohne den Verfügungsanspruch zu prüfen.

5. Ist der Weiterbeschäftigungsanspruch zweifelsfrei gegeben, so ist mit Rücksicht auf das Gebot der Effektivität des einstweiligen Rechtsschutzes auch der für den Erlass einer Weiterbeschäftigungsverfügung gemäß § 940 ZPO erforderliche Verfügungsgrund gegeben, wenn nicht besondere Umstände des Einzelfalls diesen Verfügungsgrund ausschließen.

6. Der für eine Weiterbeschäftigungsverfügung gemäß § 940 ZPO erforderliche Verfügungsgrund kann auch dann fehlen, wenn der Weiterbeschäftigungsanspruch zwar glaubhaft gemacht, die Anerkennung des Weiterbeschäftigungsanspruchs im Hauptsacheverfahren aber nicht zweifelsfrei und auch nicht so wahrscheinlich ist, dass eine Weiterbeschäftigungsverfügung nach dem Gebot der Effektivität und der Ausgewogenheit des einstweiligen Rechtsschutzes erforderlich ist.

7. Der für eine Weiterbeschäftigungsverfügung gemäß § 940 ZPO erforderliche Verfügungsgrund kann jedenfalls nur bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung im Hauptsacheverfahren anerkannt werden.


LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 Sa 1278/03

Verkündet am: 17. Dezember 2003

In dem Rechtsstreit

hat die Fünfte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 17. Dezember 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht B. sowie die ehrenamtlichen Richter C. und B. für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 10.09.2003 - 12 Ga 455/03 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über den Anspruch des Klägers auf Weiterbeschäftigung.

Die Beklagte ist ein Elektrotechnikunternehmen, das in vier Betriebe unterhält. In dem Betrieb H sind zurzeit (noch) etwa 5.600 Arbeitnehmer in dem Geschäftsbereich A und etwa 1.700 Arbeitnehmer in dem Geschäftsbereich B beschäftigt.

Der am 10.11.1950 geborene Kläger ist Diplom-Ingenieur und seit 16.05.1978 bei der Beklagten beschäftigt. Zuletzt war der Kläger als Systemtester im Betrieb H beschäftigt.

Für das Arbeitsverhältnis der Parteien gelten vereinbarungsgemäß die so genannten "Vertragsbedingungen Außertariflicher Mitarbeiter 1. Oktober 1996". Diese Vertragsbedingungen enthalten in Nr. 1 eine Versetzungs- und in Nr. 12 eine Freistellungsklausel.

Wegen eines erheblichen Auftrags- und Umsatzrückgangs beschloss der ...-Bereichsvorstand im Juli bzw. September 2002, die Personalkapazität an den Bedarf anzupassen und das so genannte C-Geschäft (...) neu zu organisieren.

Diesbezüglich vereinbarte die Beklagte mit dem Betriebsrat H den Interessenausgleich "Kapazitätsanpassung und Neuausrichtung des C-Geschäfts" vom 23.10.2002. Gemäß Nr. 3.1 dieses Interessenausgleichs wurde "mit Wirkung zum 01.11.2002" die "neue C.-Organisation eingeführt" und gemäß Nr. 4.3 sollten 1.100 Arbeitnehmer "- so weit möglich - einvernehmlich ... ausscheiden" und dementsprechend "höchstens 1.100 betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen" werden.

Auf der Grundlage dieses Interessenausgleichs kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 15.01.2003 im Geschäftsbereich A - gegen den Widerspruch des Betriebsrats - insgesamt 154 Arbeitnehmern, die sie alle "ab sofort" unter Fortzahlung der Vergütung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung bis zum Ablauf der jeweiligen Kündigungsfrist freistellte.

Dem Kläger wurde - gegen den Widerspruch des Betriebsrats - mit Schreiben vom 15.01.2003 zum 31.08.2003 gekündigt und die sofortige Freistellung erklärt.

Dagegen hat der Kläger mit der Klageschrift vom 29.01.2003 die Kündigungsschutz- und Weiterbeschäftigungsklage 23 Ca 2068/03 ArbG München erhoben.

Im vorliegenden Verfahren hat der Kläger mit seiner Antragsschrift vom 29.07.2003 unter Berufung auf § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG beantragt, die Beklagte durch einstweilige Verfügung zu verurteilen, ihn "bis zur Rechtskraft der Entscheidung in dem Rechtsstreit ... 23 Ca 2068/03 ... als Systemtester im Betrieb H ... zu unveränderten Vertragsbedingungen weiterzubeschäftigen".

Das Arbeitsgericht hat auf Grund mündlicher Verhandlung die Beklagte durch die einstweilige Verfügung vom 10.09.2003 lediglich dazu verurteilt, den Kläger "bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung in der Hauptsache als Systemtester zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen". Im Übrigen hat es den Antrag abgewiesen. In den Gründen des Urteils hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass sich der Verfügungsanspruch auf Weiterbeschäftigung aus § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG ergebe, aber der erforderliche Verfügungsgrund fehle, "soweit der Kläger seine Weiterbeschäftigung bis zu einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung und Weiterbeschäftigung (nur) im Betrieb H ... begehrt". Im Übrigen wird - einschließlich des Sach- und Rechtsvortrags im ersten Rechtszug - auf dieses Urteil Bezug genommen.

Die Beklagte hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt und bestreitet wie schon im ersten Rechtszug sowohl den Verfügungsanspruch auf Weiterbeschäftigung als auch den für eine Weiterbeschäftigungsverfügung erforderlichen Verfügungsgrund.

Die Beklagte beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die gänzliche Abweisung des Verfügungsantrags.

Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Berufung.

Hinsichtlich des sonstigen Sach- und Rechtsvortrags im Berufungsrechtszug wird auf die Berufungsbegründung, die Berufungsbeantwortung und das Protokoll über die Berufungsverhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zu Recht durch einstweilige Verfügung verurteilt, den Kläger "bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung in der Hauptsache als Systemtester zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen".

Der Verfügungsanspruch auf Weiterbeschäftigung ergibt sich aus § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG.

...

Es besteht auch der für die streitige Weiterbeschäftigungsverfügung als so genannte Befriedigungsverfügung gemäß § 940 ZPO erforderliche Verfügungsgrund.

Der für die Zulässigkeit einer Befriedigungsverfügung erforderliche Verfügungsgrund ist in § 940 ZPO geregelt (vgl. Schilken Die Befriedigungsverfügung 1976 S. 68 ff.; Walker Der einstweilige Rechtsschutz im Zivilprozess und im arbeitsgerichtlichen Verfahren 1993 Rn. 125 ff., 135 mwN). Nach dieser Vorschrift ist eine einstweilige Verfügung auch zur Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern diese Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gefahren oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Bei der Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift muss auch der so genannte Justizgewährungsanspruch berücksichtigt werden, weil dieser Anspruch auf Grund Art. 2 Abs. 1 GG iVm. dem Rechtsstaatsprinzip iSd. Art. 20 Abs. 3 GG auch im Zivilprozess als formelles Hauptgrundrecht gilt (vgl. BVerfG 31.10.1996 NJW 1997, 311, 312, zu II 1 der Gründe; vgl. ferner Walker aaO Rn. 47). Auf Grund dieses rechtsstaatlichen Justizgewährungsanspruchs ist der Staat dem Bürger auch zu einem wirksamen und umfassenden (effektiven) Rechtsschutz verpflichtet (vgl. BVerfG 31.10.1996 aaO, zu II 1 der Gründe; vgl. ferner Walker aaO Rn. 57; Hilbrandt RdA 1998, 155, 159). Infolgedessen ist gemäß § 940 ZPO eine Befriedigungsverfügung - trotz ihrer nicht nur sichernden, sondern befriedigenden Wirkung und der damit verbundenen Vorwegnahme der Entscheidung im Hauptsacheverfahren - nötig und damit zulässig, wenn sie zur Erfüllung des rechtsstaatlichen Justizgewährungsanspruchs auf effektiven Rechtsschutz erforderlich ist (vgl. BVerfG 16.05.1995 BVerfGE 93, 1 = NJW 1995, 2477, zu C I 1 und 2 der Gründe, insbes. in Bezug auf den einstweiligen Rechtsschutz im verwaltungsgerichtlichen Verfahren; vgl. ferner Walker aaO Rn. 57, 70 ff., 246 ff.; Dütz AuR 2003, 161 ff.). Eine Befriedigungsverfügung kann demnach insbesondere dann zulässig sein, wenn sie die einzige wirksame Möglichkeit ist, das Recht des Gläubigers durchzusetzen bzw. den Gläubiger vor der Rechtsvereitelung zu schützen (vgl. BVerfG 16.05.1995 aaO, zu C I 1 der Gründe). Denn in einem Rechtsstaat, in dem das Selbsthilferecht grundsätzlich ausgeschlossen ist, gibt es keinen größeren Nachteil iSd. § 940 ZPO als den endgültigen Rechtsverlust (so auch schon LAG München 19.12.1979 EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 35, zu C I der Gründe mit zust. Anm. Dütz; zust. auch Walker aaO Rn. 247). Das rechtsstaatliche Gebot effektiven Rechtsschutzes gilt allerdings nicht nur für den Gläubiger, sondern auch für den Schuldner und damit insbesondere auch dann, wenn die Vollziehung der Befriedigungsverfügung zu einem endgültigen Rechtsverlust des Schuldners führt (vgl. insbes. Walker aaO Rn. 70 ff. und 257 f.). Deswegen beinhaltet das rechtsstaatliche Gebot effektiven Rechtsschutzes für den Gläubiger und für den Schuldner auch das "Gebot der Ausgewogenheit des einstweiligen Rechtsschutzes" (vgl. Walker aaO Rn. 70 f.). Entscheidend für die Zulässigkeit einer Befriedigungsverfügung ist infolgedessen - auch in den Fällen der Gefahr eines endgültigen Rechtsverlustes - eine am rechtsstaatlichen Gebot effektiven Rechtsschutzes für beide Parteien und an dem daraus folgenden "Gebot der Ausgewogenheit des einstweiligen Rechtsschutzes" ausgerichtete prozessrechtliche Interessenabwägung mit dem Ergebnis, dass das Interesse des Gläubigers an dem Erlass der Befriedigungsverfügung das gegenteilige Interesse des Schuldners überwiegt (vgl. Walker aaO Rn. 246 ff.). Dabei kommt es mit Rücksicht auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes in erster Linie auf den voraussichtlichen Ausgang des Hauptsacheverfahrens an (vgl. Walker aaO Rn. 261 f.). Deswegen kann eine Befriedigungsverfügung insbesondere in den Fällen der Gefahr eines endgültigen Rechtsverlustes - in der Regel - nicht ohne Prüfung des Verfügungsanspruchs erlassen oder verweigert werden.

Diese allgemeinen Grundsätze gelten uneingeschränkt auch für die Zulässigkeit einer Befriedigungsverfügung zur Durchsetzung eines auf § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG gestützten Weiterbeschäftigungsanspruchs. Ist dieser Weiterbeschäftigungsanspruch zweifelsfrei gegeben und kommt deswegen auch im Hauptsacheverfahren keine andere Entscheidung über den Weiterbeschäftigungsanspruch in Betracht, so ist mit Rücksicht auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes auch der für den Erlass einer Weiterbeschäftigungsverfügung gemäß § 940 ZPO erforderliche Verfügungsgrund gegeben, wenn nicht besondere Umstände des Einzelfalls diesen Verfügungsgrund ausschließen (so schon die Kammerurteile vom 10.02.1994 LAGE BetrVG 1972 § 102 Beschäftigungspflicht Nr. 14 = NZA 1994, 997 und 17.08.1994 LAGE BetrVG 1972 § 102 Beschäftigungspflicht Nr. 18). Ist der Weiterbeschäftigungsanspruch nicht zweifelsfrei gegeben, ist der gemäß § 940 ZPO erforderliche Verfügungsgrund mit Rücksicht auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes umso eher gegeben, je wahrscheinlicher die Anerkennung des Weiterbeschäftigungsanspruchs im Hauptsacheverfahren ist (vgl. das in einem Beschäftigungsrechtsstreit ergangene Kammerurteil vom 18.09.2002 LAGE BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 45 = NZA-RR 2003, 269; vgl. ferner Walter aaO. Rn. 261). Generell ist auch für die Zulässigkeit einer Weiterbeschäftigungsverfügung gemäß § 940 ZPO entscheidend, ob - nach dem Ergebnis einer am rechtsstaatlichen "Gebot der Ausgewogenheit des einstweiligen Rechtsschutzes" für beide Parteien ausgerichteten prozessrechtlichen Interessenabwägung - die beantragte Weiterbeschäftigungsverfügung mit Rücksicht auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes erforderlich ist.

Allerdings besteht in Rechtsprechung und Schrifttum Streit darüber, unter welchen Voraussetzungen eine Weiterbeschäftigungsverfügung zulässig ist (vgl. etwa HdBVR-Baur 3. Aufl. B Rn. 83 ff.). Es besteht insbesondere auch Streit darüber, ob die gesetzliche Regelung des Weiterbeschäftigungsanspruchs gemäß § 102 Abs. 5 BetrVG in Bezug auf die Zulässigkeit einer Weiterbeschäftigungsverfügung eine Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen für die Zulässigkeit einer Befriedigungsverfügung rechtfertigt (so etwa LAG Düsseldorf 15.03.1978 DB 1978, 1282; ferner Kiel/Koch Die betriebsbedingte Kündigung Rn. 842 mwN.).

Auch die gesetzliche Regelung in § 102 Abs. 5 BetrVG rechtfertigt aber keine Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen für die Zulässigkeit einer Befriedigungsverfügung und schon gar keinen Verzicht auf den nach diesen Grundsätzen gemäß § 940 ZPO erforderlichen Verfügungsgrund für eine Weiterbeschäftigungsverfügung (vgl. auch Dütz DB Beil. Nr. 13/78 S. 9). Vielmehr ergibt sich im Umkehrschluss aus der Sonderregelung des § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG für eine Entbindungsverfügung und dem Fehlen einer entsprechenden Regelung in § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG, dass es für die Zulässigkeit einer Weiterbeschäftigungsverfügung bei den allgemeinen Grundsätzen bleiben muss (so auch LAG München 16.08.1995 - 9 Sa 543/95 - LAGE BetrVG 1972 § 102 Beschäftigungspflicht Nr. 22, zu 2 a der Gründe). Denn gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG besteht das bisherige Arbeitsverhältnis der Parteien kraft Gesetzes fort, ohne dass es erst einer rechtsgestaltenden gerichtlichen Entscheidung bedarf (vgl. aus neuerer Zeit etwa BAG 09.07.2003 EzA BetrVG 2001 § 102 Beschäftigungspflicht Nr. 1, zu I 2 der Gründe), während die vorzeitige Beendigung dieses Weiterbeschäftigungsverhältnisses gemäß § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG eine rechtsgestaltende Entbindungsverfügung voraussetzt (vgl. BAG 07.03.1996 EzA BetrVG 1972 § 102 Beschäftigungspflicht Nr. 9).

Außerdem müssen die allgemeinen Grundsätze für die Zulässigkeit einer Befriedigungsverfügung für eine Weiterbeschäftigungsverfügung - ebenso wie für eine Beschäftigungsverfügung - auch deswegen gelten, weil auch der Anspruch auf tatsächliche Weiterbeschäftigung nach Ablauf der Kündigungsfrist gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG aus den verschiedensten Gründen zweifelhaft sein kann (so schon Dütz DB Beil. Nr. 13/78 S. 9). Zum einen kann es in Bezug auf die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG Zweifel geben. Und zum anderen ist der Anspruch auf tatsächliche Weiterbeschäftigung gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG auch keine ausnahmslose Rechtsfolge des nach dieser Vorschrift bestehenden Weiterbeschäftigungsverhältnisses (so noch die Kammerurteile vom 10.02. und 17.08.1994 aaO., jeweils mwN.; so auch LAG München 16.08.1995 aaO., zu 2 b der Gründe; ebenso wieder LAG München 09.07.2003 - 9 Sa 510/03, nv., zu 2 der Gründe). Vielmehr stimmt dieser Anspruch inhaltlich mit dem allgemeinen Beschäftigungsanspruch während des ungekündigten Arbeitsverhältnisses überein und kann daher ebenso wie dieser auch ausnahmsweise ausgeschlossen sein (vgl. nur BAG 15.03.2001 aaO., zu B V 4 der Gründe; ferner Walker aaO. Rn. 690).

Dementsprechend kann der für eine Weiterbeschäftigungsverfügung - zur Durchsetzung eines auf § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG gestützten Weiterbeschäftigungsanspruchs - erforderliche Verfügungsgrund beispielsweise auch dann fehlen, wenn der Weiterbeschäftigungsanspruch im einstweiligen Verfügungsverfahren zwar glaubhaft gemacht, die Anerkennung des Weiterbeschäftigungsanspruchs im Hauptsacheverfahren aber nicht zweifelsfrei und auch nicht so wahrscheinlich ist, dass eine Weiterbeschäftigungsverfügung - auch unter Berücksichtung des "Gebotes der Ausgewogenheit des einstweiligen Rechtsschutzes" für beide Parteien - nach dem Gebot effektiven Rechtsschutzes erforderlich ist (so zur Beschäftigungsverfügung schon das Kammerurteil vom 18.09.2002 LAGE BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 45 = NZA-RR 2003, 269; anders dagegen etwa LAG München 16.08.1995 aaO., zu 2 b und c der Gründe und 09.07.2003 - 9 Sa 510/03, nv., zu 2 der Gründe, wonach normale Glaubhaftmachung des Weiterbeschäftigungsanspruchs genügt).

Im vorliegenden Fall ist der für die streitige Weiterbeschäftigungsverfügung gemäß § 940 ZPO erforderliche Verfügungsgrund aber gegeben, weil

- der Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers zweifelsfrei besteht,

- die Weiterbeschäftigungsschuld der Beklagten eine absolute Fixschuld ist,

- der Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers daher fortgesetzt gemäß § 275 Abs. 1 BGB erlischt, soweit die Beklagte den Kläger nicht beschäftigt,

- der Kläger angesichts der gegenwärtigen Belastung des Arbeitsgerichts offenkundig keine Möglichkeit hat und auch keine Möglichkeit gehabt hat, den Weiterbeschäftigungsanspruch kurzfristig im Hauptsacheverfahren durchzusetzen,

- die Weiterbeschäftigungsverfügung infolgedessen die einzige wirksame Möglichkeit ist, den Kläger vor dem gemäß § 275 Abs. 1 BGB drohenden endgültigen Verlust eines wesentlichen Teiles seines Weiterbeschäftigungsanspruchs zu schützen und die Verweigerung der streitigen Weiterbeschäftigungsverfügung dementsprechend eine - nach dem rechtsstaatlichen Gebot effektiven Rechtsschutzes iSd. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. insbes. BVerfG 16.5.1995 BVerfGE 93, 1, zu C I 1 der Gründe) - verfassungswidrige Rechtsschutzverweigerung wäre (vgl. allg. auch Dütz AuR 2003, 161, 163), zumal der Weiterbeschäftigungsanspruch gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG den besonderen Zweck hat, "dass der gekündigte Arbeitnehmer im Falle seines Obsiegens im Kündigungsschutzprozess seinen Arbeitsplatz behält und auf ihm weiterbeschäftigt werden kann" (vgl. BAG GS 27.02.1985 AP BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 14, zu C I 2 c der Gründe), und auch der allgemeine Zweck jedes Beschäftigungsanspruchs, die Persönlichkeit des Arbeitnehmers gemäß Art. 1, 2 GG vor Diskriminierung durch Nichtbeschäftigung zu schützen, "immer auf sofortige Beschäftigung gerichtet ist" (so Walker aaO Rn. 686).

Dementsprechend haben auch alle anderen Kammern des Berufungsgerichts in den Parallelrechtsstreitigkeiten im Ergebnis übereinstimmend einen Verfügungsgrund für die beantragte Weiterbeschäftigungsverfügung anerkannt (vgl. etwa LAG München 04.12.2003 - 2 Sa 1011/03; 07.08.2003 - 3 Sa 740/03; 31.07.2003 - 4 Sa 702/03; 25.11.2003 - 6 Sa 1207/03; 20.08.2003 - 7 Sa 660/03; 25.11.2003 - 8 Sa 1075/03; 09.07.2003 - 9 Sa 510/03; 06.08.2003 - 10 Sa 503/03).

Allerdings hat das Arbeitsgericht in dem vorliegenden Fall einen Verfügungsgrund für die beantragte Weiterbeschäftigungsverfügung wohl zu Recht nur für die Zeit "bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung" im Hauptsacheverfahren über den Weiterbeschäftigungsanspruch anerkannt. Denn wenn der Weiterbeschäftigungsklage im Hauptsacheverfahren stattgegeben wird, bedarf es keiner Weiterbeschäftigungsverfügung mehr. Und wenn die Weiterbeschäftigungsklage im Hauptsacheverfahren abgewiesen wird, kann - vorbehaltlich besonderer Umstände - auch eine Weiterbeschäftigungsverfügung nicht mehr zulässig sein. Das kann im Einzelnen aber auf sich beruhen, weil der Kläger das Urteil des Arbeitsgerichts nicht angefochten hat.

Auf sich beruhen kann dementsprechend auch, ob das Arbeitsgericht den Verfügungsantrag auch insoweit zu Recht mangels eines Verfügungsgrundes abgewiesen hat, als der Kläger die Verurteilung der Beklagten "zur Weiterbeschäftigung auf seinem bisherigen Arbeitsplatz im Betrieb H ..." beantragt hat. Diese teilweise Antragsabweisung ist zweifelhaft, weil der Arbeitnehmer ganz allgemein Beschäftigung auf seinem bisherigen Arbeitsplatz beanspruchen kann, solange der Arbeitgeber die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers und damit auch seine eigene Beschäftigungspflicht - wie im vorliegenden Fall - nicht wirksam anderweitig bestimmt hat (vgl. insoweit das Kammerurteil vom 18.09.2002 aaO) und der Weiterbeschäftigungsanspruch gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG den besonderen Zweck hat, "dass der gekündigte Arbeitnehmer im Falle seines Obsiegens im Kündigungsschutzprozess seinen bisherigen Arbeitsplatz behält und auf ihm weiterbeschäftigt werden kann" (vgl. BAG GS 27.02.1985 aaO.). Dementsprechend hat das Arbeitsgericht die Beklagte ja auch zur Weiterbeschäftigung des Klägers "als Systemtester" verurteilt, obwohl die Sach- und Rechtslage diesbezüglich auch unter Berücksichtigung der vom Arbeitsgericht zur Begründung angeführten Versetzungsklausel nicht anders ist als in Bezug auf den Arbeitsort.

Dieses Urteil ist gemäß § 72 Abs. 4 ArbGG unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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