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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 07.04.2004
Aktenzeichen: 5 Sa 1416/03
Rechtsgebiete: MTV, TVAV, EStG, BGB


Vorschriften:

MTV § 15 Nr. 3
MTV § 20 Nr. 2
TVAV § 2
TVAV § 2 Abs. 2
TVAV § 2 Abs. 2 Unterabs. 2
TVAV § 2 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1
TVAV § 2 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 2
TVAV § 2 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 2 Buchstabe a)
EStG § 3 Nr. 63
BGB § 133
BGB § 157
BGB § 611 Abs. 1
Eine "Beihilfe in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen Krankengeld und Nettoentgelt" i.S.v. § 15 Nr. 3 Manteltarifvertrag vom 05.06.2001 begründet nicht den Anspruch auf einen "Arbeitgeberbeitrag zur Altersvorsorge" gemäß § 2 TV für Altersvorsorge vom 17.04.2002, die beide für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen der ... AG, der ... GmbH und der ... GmbH von diesen Unternehmen und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) abgeschlossen worden sind.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 Sa 1416/03

Verkündet am: 07. April 2004

In dem Rechtsstreit

hat die Fünfte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 07. April 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Bachmann sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Haidacher und Ihrig für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Passau vom 10.10.2003 - 4e Ca 538/03 E - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über einen Arbeitgeberbeitrag zur Altersvorsorge des Arbeitnehmers.

Der am 05.02.1952 geborene Kläger ist seit 11.11.1974 bei der Beklagten beschäftigt.

Für das Arbeitsverhältnis der Parteien gilt kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Manteltarifvertrag vom 05.06.2001 (MTV) und der Tarifvertrag für Altersvorsorge vom 17.04.2002 (TVAV), die beide für die Arbeitnehhmer und Arbeitnehmerinnen de ... und der ... von diesen Unternehmen und der ... abgeschlossen worden sind.

Gemäß § 15 Nr. 3 MTV erhielt der Kläger für die Zeit vom 01.10.2002 bis zum 31.03.2003, in der er arbeitsunfähig krank war und von der Krankenkasse Krankengeld erhielt, von der Beklagten "eine Beihilfe in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen Krankengeld und Nettoentgelt."

Für denselben Zeitraum beansprucht der Kläger anteilig den in § 2 TVAV u. a. wie folgt geregelten Arbeitgeberbeitrag zur Altersvorsorge:

(1) Arbeitnehmer und Auszubildende haben ab dem 01.05.2002 Anspruch auf einen Arbeitgeberbeitrag zur Altersvorsorge gemäß § 3 Nr. 63 EStG nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen.

(2) ...

Der Arbeitgeberbeitrag wird anteilig für jeden Kalendermonat geleistet, in dem mindestens 14 Tage Anspruch auf Lohn und Gehalt bzw. Ausbildungsvergütung besteht. Als Zeiten mit Entgeltanspruch gelten auch,

a) Zeiten, für die dem Arbeitnehmer/Auszubildenden ein Anspruch auf Fortzahlung des Entgeltes oder der Ausbildungsvergütung zusteht sowie für Zeiten des gesetzlichen Mutterschutzes,

b) andere Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses ohne Entgeltfortzahlung (z. B. Wehr- oder Zivildienst), soweit ein entsprechender Erstattungsanspruch des Arbeitgebers besteht, den dieser gegebenenfalls auch durch eine Abtretung erlangen kann,

c) Arbeitsunfähigkeitszeiten aufgrund von Arbeitsunfällen für die Dauer des Bezugs von Krankengeld, längstens bis zu 78 Wochen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage auf diesen Arbeitgeberbeitrag nach Einholung der Auskunft der ... vom 18.06.2003 (Blatt 28 ff. der Akte) durch das Urteil vom 10.10.2003 abgewiesen. Zur Begründung dieses Urteils hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger gemäß § 2 Abs. 2 TVAV den streitgegenständlichen Arbeitgeberbeitrag nicht beanspruchen könne, weil die Beihilfe iSv. § 15 Nr. 3 MTV kein Entgelt iSv. § 2 Abs. 2 TVAV sei. Im Übrigen wird auf dieses Urteil Bezug genommen.

Der Kläger macht dagegen im Wege der Berufung weiter geltend, dass auch die Beihilfe iSv. § 15 Nr. 3 MTV Entgelt iSv. § 2 Abs. 2 TVAV sei und deswegen die Beklagte den streitgegenständlichen Arbeitgeberbeitrag schulde.

Der Kläger beantragt die Abänderung des angefochtenen Urteils und die Verurteilung der Beklagten, "auf das Versicherungskonto des Klägers bei der ... einen Betrag von 265,-- EUR einzuzahlen."

Die Beklagte hält die Berufung für ebenso unschlüssig wie schon die Klage.

Hinsichtlich des sonstigen Sach- und Rechtsvortrags der Parteien im Berufungsrechtzug wird auf die Berufungsbegründung und die -beantwortung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Arbeitsgericht hat die Klage auf den Arbeitgeberbeitrag gemäß § 2 Abs. 2 Unterabs. 2 TVAV zu Recht abgewiesen. Der streitgegenständliche Anspruch auf diesen Arbeitgeberbeitrag ist nicht begründet, weil dieser Anspruch gemäß § 2 Abs. 2 Unterabs. 2 TVAV einen Entgeltanspruch voraussetzt und der Beihilfeanspruch gemäß § 15 Nr. 3 MTV kein solcher Entgeltanspruch ist. Das ergibt sich im Wege der Auslegung des § 2 Abs. 2 TVAV, wie schon das Arbeitsgericht zu Recht festgestellt hat, auch wenn es in diesem Zusammenhang zu Unrecht die §§ 133, 157 BGB zitiert hat, die für den normativen Teil eines Tarifvertrags nicht gelten.

Für die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags gelten die Grundsätze der Gesetzesauslegung. Demnach ist zunächst vom Tarifwortlaut und damit vom Wortsinn der tariflichen Bestimmung auszugehen. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Bestimmungen seinen Niederschlag gefunden hat. Insofern ist auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen. Bleiben auch danach noch Zweifel, kann auch auf weitere Kriterien wie die Tarifgeschichte, die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, die Tarifübung und die Praktikabilität des Auslegungsergebnisses abgestellt werden, wobei derjenigen Tarifauslegung der Vorzug gebührt, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktikablen Regelung führt (vgl. etwa BAG 16.06.1998 AP TVG § 1 Tarifverträge Bau Nr. 212, zu III 1 der Gründe; 01.07.1998 AP TVG § 1 Tarifverträge Gerüstbaugewerbe Nr. 5 zu III der Gründe; 04.04.2001 EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 33, zu I 2 a der Gründe).

Demnach ist der in § 2 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1 TVAV vorausgesetzte Entgeltanspruch der Anspruch auf Arbeitsentgelt als Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung gemäß § 611 Abs. 1 BGB. Dafür spricht schon der Wortlaut des § 2 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1 TVAV, weil danach ein "Anspruch auf Lohn und Gehalt" vorausgesetzt wird und dieser Anspruch nach dem üblichen juristischen Sprachgebrauch der Anspruch auf Arbeitsentgelt iSv. § 611 Abs. 1 BGB ist. Dass § 2 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1 TVAV diesen Anspruch voraussetzt, ergibt sich darüber hinaus auch aus § 2 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 2 Buchstabe a) TVAV, weil danach nur "ein Anspruch auf Fortzahlung des Entgeltes" als Entgeltanspruch iSv. § 2 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1 TVAV "gilt" und auch "ein Anspruch auf Fortzahlung des Entgeltes" nach dem üblichen Sprachgebrauch der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts ist, das gemäß § 611 Abs. 1 BGB die Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung ist. Anhaltspunkte für einen davon abweichenden Sprachgebrauch sind nicht ersichtlich. Dies umso weniger, als in Tarifverträgen typischerweise - wie in § 20 Nr. 2 des Manteltarifvertrags vom 23.06.1997 für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in den bayerischen Betrieben des ... - auch ausdrücklich zwischen "Arbeitsentgelt" und "Zuschüssen zum Krankengeld" unterschieden wird.

Dementsprechend ergibt sich aus § 2 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 2 Buchstabe a) TVAV auch der Umkehrschluss, dass § 2 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1 TVAV einen Anspruch auf "Arbeitsentgelt iSv. § 611 Abs. 1 BGB voraussetzt, weil es der Fiktion des § 2 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1 TVAV nicht bedurft hätte, wenn die Voraussetzung des § 2 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1 TVAV nicht nur bei einem Anspruch auf Arbeitsentgelt iSv. § 611 Abs. 1 BGB, sondern auch bei jedem anderen Entgeltanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber - auch außerhalb des Gegenseitigkeitsverhältnisses von Arbeitsleistung und Arbeitsentgelt als Gegenleistung - gegeben wäre.

Dementsprechend gibt es auch keine Anhaltspunkte, die für die Auslegung des Anspruchs auf Arbeitsentgelt iSv. § 2 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1 TVAV als Anspruch auf jedwedes Entgelt des Arbeitnehmers sprächen.

Insbesondere ist kein entsprechender Zweck der Arbeitgeberbeitragsvorschrift des § 2 Abs. 2 Unterabs. 2 TVAV ersichtlich. Vielmehr spricht die Gesamtregelung des § 2 Abs. 2 Unterabs. 2 TVAV dafür, dass der Arbeitgeberbeitrag grundsätzlich - gemäß § 2 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1 TVAV - nur den Arbeitnehmern geschuldet sein soll, die einen Anspruch auf Arbeitsentgelt iSv. § 611 Abs. 1 BGB erworben haben und anderen Arbeitnehmern nur in den in § 2 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 2 TVAV abschließend geregelten Ausnahmefällen.

Schließlich enthält auch die vom Arbeitsgericht eingeholte Auskunft der ... keine Anhaltspunkte für eine andere Auslegung.

Im vorliegenden Fall ist demnach weder der grundsätzliche Tatbestand eines Anspruchs auf Arbeitsentgelt iSv. § 2 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1 TVAV noch ein Ausnahmetatbestand iSv. § 2 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 2 TVAV gegeben.

Ende der Entscheidung

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