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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 14.07.2004
Aktenzeichen: 5 Sa 241/04
Rechtsgebiete: MuSchG, PStV


Vorschriften:

MuSchG § 9 Abs. 1 Satz 1
PStV § 19 Abs. 2
Eine Entbindung im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG liegt - negativ - auch dann nicht vor, wenn die Schwangerschaft wegen einer medizinischen Indikation - wie auch immer - abgebrochen und daraufhin - dem Zweck des Schwangerschaftsabbruchs entsprechend - ein totes Kind geboren wird.

Das gilt auch in den in § 29 Abs. 2 PStV geregelten Fällen der Geburt eines toten Kindes mit einem Gewicht von mehr als 500 g.


LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 Sa 241/04

Verkündet am: 14.07.2004

In dem Rechtsstreit

hat die Fünfte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 07. Juli 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Bachmann sowie die ehrenamtlichen Richter Jakobs und Hadyk für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 29.01.2004 - 9 Ca 5556/03 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über den von der Klägerin beanspruchten Sonderkündigungsschutz gemäß § 9 MuSchG.

Die Klägerin wurde nach Maßgabe des Arbeitsvertrags vom 11.07.2002 ab 15.09.2002 in der Rechtsabteilung der Beklagten beschäftigt.

Bei Beginn dieser Beschäftigung war die Klägerin schwanger. Entbindungstermin sollte der 01.05.2003 sein.

Am 19.12.2002 - in der 22. Schwangerschaftswoche - wurde anlässlich einer Vorsorgeuntersuchung festgestellt, dass die Nieren des ungeborenen Kindes infolge des sog. Potter-Syndroms nicht ausreichend funktionsfähig waren und das Kind deswegen höchstwahrscheinlich noch während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt sterben würde. Aus diesem Grunde wurde die Schwangerschaft - medizinisch indiziert - abgebrochen. Am 26.12.2002 wurden medikamentös Wehen eingeleitet. Am 28.12.2002 brachte die Klägerin ein totes Kind zur Welt. In der Todesbescheinigung vom 28.12.2002 sind ein natürlicher Tod und ein Gewicht der Leibesfrucht von 600 g angegeben.

Per E-Mail vom 30.12.2002 unterrichtete die Klägerin die Beklagte über die Entscheidung, "die Schwangerschaft abzubrechen", und über den Tod ihres Kindes.

Die Techniker Krankenkasse anerkannte den Anspruch der Klägerin auf Mutterschutz, während die Beklagte diesen Anspruch in Abrede stellte.

Am 18.03.2003 wurden der Klägerin vom Standesamt München eine Geburtsurkunde über die Totgeburt ihres Kindes und eine Geburtsbescheinigung für Mutterschaftshilfe ausgestellt.

Nach dem Scheitern von Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 05.03.2003 zum 30.04.2004.

Die Klägerin hat klageweise geltend gemacht, dass diese Kündigung gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG unzulässig sei, weil es sich bei der Geburt ihres toten Kindes um eine Totgeburt iSv. § 29 Abs. 2 PStV und damit trotz des - medizinisch indizierten - Schwangerschaftsabbruchs um eine Entbindung iSd. § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG gehandelt habe.

Das Arbeitsgericht hat diese Klage wegen des Schwangerschaftsabbruchs mangels des Sonderkündigungsschutzes iSd. § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG abgewiesen. Im Übrigen wird - auch hinsichtlich des Sach- und Rechtsvortrags der Parteien im ersten Rechtszug - auf dieses Urteil Bezug genommen.

Die Klägerin hat gegen diese Urteil Berufung eingelegt und beruft sich weiterhin auf den Sonderkündigungsschutz gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG.

Die Klägerin beantragt die Abänderung des angefochtenen Urteils und die Feststellung, dass die Kündigung vom 05.03.2003 unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet hat.

Die Beklagte hält die Berufung wegen des Schwangerschaftsabbruchs für unschlüssig.

Hinsichtlich des sonstigen Sach- und Rechtsvortrags der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf die Berufungsbegründung vom 13.04.2004, die Berufungsbeantwortung vom 14.05.2004 und den Schriftsatz der Klägerin vom 23.06.2004 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.

Das Arbeitsgericht hat der Klägerin zu Recht den Sonderkündigungsschutz gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG mangels einer Entbindung im Sinne dieser Vorschrift versagt.

Eine Entbindung im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG liegt - negativ - auch dann nicht vor, wenn die Schwangerschaft wegen einer medizinischen Indikation - wie auch immer - abgebrochen und daraufhin - dem Zweck des Schwangerschaftsabbruchs entsprechend - ein totes Kind geboren wird.

Für diese Auslegung spricht schon der Wortlaut des Tatbestandsmerkmals der Entbindung, weil nach dem üblichen Sprachgebrauch, zwischen einer Entbindung, die typischerweise auf die Geburt eines lebenden Kindes gerichtet ist, und einem Schwangerschaftsabbruch, der auf die Tötung eines ungeborenen Kindes abzielt, unterschieden wird, und diese Unterscheidung auch der etwa in § 3 Abs. 2 EFZG und in § 218 StGB verwendeten Terminologie des Schwangerschaftsabbruchs entspricht.

Systematische Auslegungsgesichtspunkte führen zu keinem anderen Auslegungsergebnis. Das Mutterschutzgesetz selbst enthält gar keine entsprechenden Gesichtspunkte. Die von der Klägerin ins Feld geführte Regelung in § 29 Abs. 2 PStV, wonach die Geburt eines toten Kindes mit einem Gewicht von mehr als 500 g als Totgeburt iSv. § 21 Abs. 2 PStG gilt, rechtfertigt selbst dann, wenn das auch in Fällen eines Schwangerschaftsabbruchs gilt, jedenfalls in systematischer Hinsicht nicht die Schlussfolgerung, dass in solchen Fällen auch eine Entbindung iSv. § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG vorliegt. Viel eher schließt die Entgeltfortzahlungsregelung in § 3 Abs. 2 Satz 1 EFZG auch für alle Fälle der vorliegenden Art die Annahme einer Entbindung iSv. § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG systematisch aus, weil in Fällen einer Entbindung die Mutterschutzregelungen gemäß §§ 11 ff. MuSchG in Betracht kämen.

Dementsprechend führen auch teleologische Auslegungsgesichtspunkte nicht zu einem anderen Auslegungsergebnis. Die personenstandsrechtlichen Zwecke des § 29 Abs. 2 PStV sind für den Mutterschutz iSv. § 9 Abs. 1 Satz 1 MSchG ohnehin bedeutungslos und der Zweck des Mutterschutzes iSv. § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG zwingt jedenfalls nicht zu einem entsprechenden Sonderkündigungsschutz auch nach einem Schwangerschaftsabbruch der vorliegenden Art, auch wenn eine gewisse Schutzbedürftigkeit der betroffenen Frau durchaus anzuerkennen ist. Das gilt auch unter Berücksichtigung des Sonderkündigungsschutzes für den Fall einer Totgeburt nach - von der Klägerin aus überzeugenden Gründen für unzumutbar erachteten - Fortsetzung der Schwangerschaft, weil ihr dann ein noch größeres Maß an Schutzbedürftigkeit hätte zugebilligt werden müssen.

Dementsprechend bedarf es auch keiner verfassungskonformen Auslegung des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG iSd. von der Klägerin beanspruchten Sonderkündigungsschutzes, und zwar weder mit Rücksicht auf Art. 3 Abs. 1 GG noch mit Rücksicht auf Art. 6 Abs. 4 GG, zumal die von einer Totgeburt nach medizinisch indiziertem Schwangerschaftsabbruch betroffene Frau immerhin Leistungen gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 EFZG und § 24 b SGB V in Anspruch nehmen kann und sogar ein gewisser Wertungswiderspruch zwischen dem von der Klägerin darüber hinaus in Anspruch genommenen Mutterschutz und dem von ihr zuvor ausgeübten Recht auf einen medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruch bestünde.

Ende der Entscheidung

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