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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 24.10.2006
Aktenzeichen: 6 Sa 180/06
Rechtsgebiete: MTV


Vorschriften:

MTV für das private Versicherungsgewerbe
§ 11 Ziff. 1 Abs. 2, Abs. 4 Satz 2 und Abs. 5 MTV für das private Versicherungsgewerbe in der ab 1. Juli 2004 geltenden Fassung enthält eine Öffnungsklausel auch für Regelungen der Arbeitszeitdauer durch freiwillige Betriebsverbeinbarungen.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

6 Sa 180/06

Verkündet am: 24. Oktober 2006

In dem Rechtsstreit

hat die Sechste Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Staudacher sowie die ehrenamtlichen Richter Rainer von Zezschwitz und Manfred Brutscher für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers vom 7. Februar 2006 wird das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 22. Dezember 2005 abgeändert.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 926,18 brutto nebst 5 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit 6. Oktober 2005 zu bezahlen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Für die Beklagte wird die Revision zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Zahlung von Lohn als Wochenarbeitszeitdifferenz für den Zeitraum vom 1. April bis 30. September 2005.

Der Kläger ist seit 1987 bei der Beklagten, einem Versicherungsunternehmen, als Software-Entwickler mit einem monatlichen Bruttogehalt von € 5427,-- beschäftigt und Mitglied des Betriebsrats. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Manteltarifvertrag für das private Versicherungsgewerbe (MTV) in der ab 1. Juli 2004 geltenden Fassung Anwendung. In § 11 MTV sind als regelmäßige Arbeitszeit 38 Stunden in der Woche festgelegt.

Mit Betriebsvereinbarung (über die flexible Arbeitszeit) vom 1. Juli 1999, jetzt in der Fassung vom 1. Juli 2003 (Blatt 6 bis 16 der Akte), haben die Betriebspartner die regelmäßige Wochenarbeitszeit auf 37 Stunden festgelegt. Diese Betriebsvereinbarung ist ungekündigt.

Mit Wirkung ab 1. April 2005 hat die Beklagte einseitig die Wochenarbeitszeit auf 38 Stunden erhöht. Der Kläger ist damit nicht einverstanden. Er erachtet die Betriebsvereinbarung aufgrund der tariflichen Öffnungsklausel in § 11 Ziff. 1 Abs. 2 MTV als wirksam mit der Folge einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 37 Stunden und bestreitet der Beklagten das Recht zur einseitigen Erhöhung dieser Wochenarbeitszeit. Als Differenz zwischen der 37- und der 38-Stun-denwoche für die Zeit vom 1. April bis 30. September 2005 errechnet er 25,6 Stunden und verlangt dafür Zahlung von € 944,38 brutto nebst Zinsen.

Dieses mit gewerkschaftlichem Schriftsatz vom 8. Dezember 2005 auch gerichtlich geltend gemachte Begehren ist vor dem angerufenen Arbeitsgericht München aber erfolglos geblieben. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des klageabweisenden Endurteils vom 22. Dezember 2005 wird Bezug genommen.

Mit der am 7. Februar 2006 beim Landesarbeitsgericht München eingegangenen Berufung gegen diese seinen Prozeßbevollmächtigten am 9. Januar 2006 zugestellte Entscheidung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Begründung dazu ist innerhalb der verlängerten Begründungsfrist am 7. April 2006 eingegangen. Darin lässt der Kläger die Klageforderung neu berechnen und mit nunmehr € 926,18 brutto (nebst Zinsen) angeben. Vor allem aber wird der Ansicht des Erstgerichts, die Betriebsvereinbarung vom 1. Juli 1999 wegen Verstoßes gegen § 77 Abs. 3 BetrVG als nichtig anzusehen, entschieden entgegengetreten. Dabei werde übersehen, dass § 11 Ziff. 1 Abs. 5 MTV den Fall einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit mit gleichzeitiger entsprechender Kürzung der Bezüge regle, was nur unter strengen Voraussetzungen möglich sein soll. Nach Ansicht des Klägers ist § 11 Ziff. 1 Abs. 2 MTV aber dahin auszulegen, dass durch freiwillige Betriebsvereinbarung die Arbeitszeit auch ohne Gehaltskürzung verkürzt werden dürfe. Dieser Vorschrift wird daher eine tarifvertragliche Öffnungsklausel für die Menge der zu leistenden Arbeit entnommen. Auf die Protokollnotiz Nr. 9 zu § 11 MTV wird ergänzend hingewiesen. Die Berufungsanträge lauten damit:

1. Das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 22. Dezember 2005, Az: 22 Ca 18910/05, wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 926,18 brutto nebst 5 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit 6. Oktober 2005 zu bezahlen.

Die Beklagte lässt beantragen:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Den Überlegungen des Erstgerichts in der angefochtenen Entscheidung pflichtet sie bei, den Ausführungen in der Berufungsbegründung tritt sie entgegen. Die in § 11 MTV enthaltene Öffnungsklausel beschränkt sich nach Ansicht der Beklagten auf die Lage bzw. die Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit, den Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit hätten die Tarifparteien damit aber nicht erfasst. Dies ergebe sich auch aus den Absätzen 3 und 4 von § 11 MTV.

Hinzukomme die Tarifvereinbarung über die Einführung einer Arbeitszeitflexibilisierung für das private Versicherungsgewerbe vom 13. September 1995 (befristet bis zum 31. Dezember 2005). Vor diesem Hintergrund bezieht sich die Öffnungsklausel des § 11 Ziff. 1 Abs. 2 MTV nach Ansicht der Beklagten ausweislich ihrer Zwecksetzung und ihrer systematischen Stellung lediglich auf die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage sowie auf die Verteilung der Arbeitszeit innerhalb dieser Wochentage, damit also auf die Lage der Arbeitszeit. Diese Zwecksetzung sei insbesondere auch durch die Ausnahmevorschrift des § 11 Ziff. 1 Abs. 5 MTV unübersehbar. § 11 Ziff. 1 Abs. 5 MTV lasse lediglich unter sehr eng begrenzten Voraussetzungen eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit mittels freiwilliger Betriebsvereinbarungen zu.

Der Kläger hält demgegenüber an seiner Auslegung fest. Ergänzend dazu lässt er darauf hinweisen, dass eine nichtige Betriebsvereinbarung die Voraussetzungen einer vertraglichen Einheitsregelung erfülle. Damit könne eine Erklärung des Arbeitgebers, die zu einer nichtigen Betriebsvereinbarung geführt habe, in ein entsprechendes Vertragsangebot des Arbeitgebers an die Arbeitnehmer umgedeutet werden, wenn besondere Umstände darauf schließen lassen, dass der Arbeitgeber sich unabhängig von der betriebsverfassungsrechtlichen Regelungsform binden wollte. Davon müsse im Streitfall ausgegangen werden, da die Beklagte unabhängig von dieser Betriebsvereinbarung bereits Jahre zuvor eine gegenüber der tariflichen Arbeitszeit geringere betriebliche Arbeitszeit eingeführt habe. Darauf sei schon im Mitarbeiter-Handbuch (Fassung 1994) ausdrücklich hingewiesen worden. Die Beklagte habe bereits ab 1. Januar 1992 eine regelmäßige betriebliche Arbeitszeit von wöchentlich 36,5 Stunden bei 5 Arbeitstagen eingeführt. Mit Abschluss der Betriebsvereinbarung sei diese Arbeitszeit dann auf 37-Stunden/wöchentlich erhöht worden.

Soweit die Beklagte die Berechnung der Forderungshöhe als nicht nachvollziehbar bezeichnet, wird klägerseits auf die Seiten 5 und 6 der Berufungsbegründung vom 7. April 2006 und die dortigen Berechnungen hingewiesen.

Zur Ergänzung des Parteivorbringens im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 7. April 2006 (Blatt 70 bis 75 der Akte), auf die Berufungsbeantwortung vom 17. Mai 2006 (Blatt 83 bis 88 der Akte), auf den Schriftsatz der klägerischen Prozessbevollmächtigten vom 21. September 2006 (Blatt 104 bis 107 der Akte) mit Anlagen, auf den Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 6. Oktober 2006 (Blatt 128 bis 138 der Akte) mit Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 26. September 2006 (Blatt 114/115 der Akte) und vom 24. Oktober 2006 (Blatt 186/187 der Akte).

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§ 64 Abs. 2 ArbGG) und auch sonst zulässige Berufung (§ 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, § 11 Abs. 2 ArbGG) mit dem Ziel, die Wochenarbeitszeitdifferenz für die Zeit vom 1. April bis 30. September 2005 vergütet zu bekommen, hat Erfolg. Gestützt auf § 611 BGB kann der Kläger von der Beklagten € 926,18 brutto bezahlt verlangen. Er hat diesen Anspruch in der Berufungsbegründung auf den Seiten 5 und 6 (Blatt 74/75 der Akte) nachvollziehbar berechnet, das pauschal gebliebene Bestreiten dieser Berechnungen seitens der Beklagten genügt nicht.

Der Beklagten war es verwehrt, zum 1. April 2005 einseitig ihre betriebliche Arbeitszeit mit 37 Wochenstunden auf die tarifliche Arbeitszeit mit 38 Wochenstunden anzuheben. Die Betriebsvereinbarung über die flexible Arbeitszeit vom 1. Juli 1999 (Blatt 6 bis 16 der Akte) verstößt, soweit darin die betriebliche Arbeitszeit um eine Stunde niedriger als die (gegebenenfalls durchschnittliche) tarifliche wöchentliche Arbeitszeit vereinbart worden ist, nicht gegen § 77 Abs. 3 BetrVG. § 11 des Manteltarifvertrages für das private Versicherungsgewerbe in der ab 1. Juli 2004 geltenden Fassung enthält in § 11 Ziff. 1 Abs. 2, Abs. 4 Satz 2 und Abs. 5 MTV eine Öffnungsklausel auch für Regelungen der Arbeitszeitdauer durch freiwillige Betriebsvereinbarungen. Die Worte: "....kann die Arbeitszeit abweichend davon" in Absatz 2 der Ziffer 1 des § 11 MTV erstrecken sich auf den gesamten Regelungsinhalt von Absatz 1 und damit auch auf die tarifliche Arbeitszeitdauer von 38 Stunden in der Woche.

Eine gegenüber der tariflichen Arbeitszeit geringere betriebliche Arbeitszeit war bei der Beklagten schon lange vor Abschluss der Betriebsvereinbarung vom 1. Juli 1999 üblich gewesen, hatte - um aus dem Mitarbeiter-Handbuch (Fassung 1994) zu zitieren - in der ... Tradition. Sicher kann auch eine solche Vergünstigung wieder rückgängig gemacht werden. Das darf nach Abschluss der Betriebsvereinbarung vom 1. Juli 1999 aber nicht einseitig geschehen.

Auf die Berufung des Klägers war die Beklagte deshalb unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung zur Zahlung von € 926,18 brutto zu verurteilen.

Der Zinsanspruch findet seine Rechtsgrundlage in den §§ 291, 288 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Für die Beklagte wird die Revision zugelassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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