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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 02.09.2008
Aktenzeichen: 6 Sa 41/08
Rechtsgebiete: AÜG


Vorschriften:

AÜG § 9 Nr. 2
AÜG § 10 Abs. 4
Erfolgreiches Verlangen nach § 10 Abs. 4 AÜG auf diejenige Vergütung, die vergleichbare Arbeitnehmer der Entleiherin erhalten (Nachverfahren zu BAG vom 19.09.2007 - 4 AZR 656/06 - AP Nr. 17 zu § 10 AÜG).
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

6 Sa 41/08

Verkündet am: 2. September 2008

In dem Rechtsstreit

hat die Sechste Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 3. Juni 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Staudacher sowie die ehrenamtlichen Richter Bunge und Kleiber für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Klägerin vom 13. Juni 2005 wird das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 23. Februar 2005 abgeändert.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 11.450,69 brutto nebst Zinsen hieraus von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 30. September 2004 zu zahlen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Für die Beklagte wird die Revision zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über einen Vergütungsanspruch der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. September 2004.

Die im April 1941 geborene Klägerin ist seit 1981 bei der Beklagten als Leiharbeitnehmerin beschäftigt. In einem Formular-Arbeitsvertrag vom 3. Juli 1981 (im Folgenden: AV 1981 - Blatt 14/15 der Akte) vereinbarten die Parteien u.a. Regelungen über die Tätigkeit der Klägerin als Sekretärin, die unbestimmte Dauer des Arbeitsverhältnisses, die Probezeit, die Kündigungsfristen, die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden und die Einstufung in die Vergütungsgruppe IV, deren Stundensatz mit "zur Zeit" DM 13,00 angegeben wurde.

Am 20. Februar 1997 erhielt die Klägerin von der Beklagten einen neuen FormularArbeitsvertrag angeboten. Die Klägerin unterzeichnete ihn, hatte aber in der zurückgesandten Fassung in die für Eintragungen vorgesehene Rubrik "Weitere Vereinbarungen" handschriftlich den Zusatz: "Schreiben P vom 20.2.97" eingefügt. Dieser auf den 20. Februar 1997 datierte Arbeitsvertrag (im Folgenden: AV 1997) enthielt viele der Regelungen, die bereits im AV 1981 enthalten waren. Teilweise waren sie etwas abgeändert, teilweise auch wortidentisch oder sinngemäß gleichen Inhalts. Der AV 1997 wies darüber hinaus Regelungen über den Datenschutz, über die Vereinbarung bestimmter Kündigungsgründe, über Arbeitsschutz und eine einzelvertragliche Ausschlussfrist für "Ansprüche aus diesem Arbeitsverhältnis" von drei Monaten auf. Eine Bezugnahme auf einen Tarifvertrag enthielt der AV 1997 an keiner Stelle. Der dort vereinbarte Stundensatz von DM 22,00 wurde ohne Bezug auf eine Vergütungsgruppe festgesetzt.

Im Folgenden wurde die Klägerin u.a. auch beim B.-Verlag als Sekretärin eingesetzt. Nach Inkrafttreten des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt am 1. Januar 2003, wodurch u.a. § 9 AÜG in der jetzigen Fassung Geltung erlangte, schlossen der BZA (Bundesverband Zeitarbeit) und eine Reihe von DGB-Gewerkschaften, u.a. die Rechtsnachfolgerin der DAG, die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, am 22. Juli 2003 einen Manteltarifvertrag, einen Entgeltrahmentarifvertrag und einen Entgelttarifvertrag Zeitarbeit (im Folgenden: BZA-DGB-TVe Zeitarbeit 2003).

Im Januar 2004 händigte die Beklagte der Klägerin einen Entwurf eines neuen Arbeitsvertrages aus, der u.a. eine Tätigkeit als Büroassistentin, eine Vergütungsminderung und eine Bezugnahme auf die BZA-DGB-TVe Zeitarbeit 2003 vorsah. Zu einer Vertragsunterzeichnung kam es jedoch nicht. Seit dem 1. Januar 2004 war die Klägerin beim B.-Verlag eingesetzt. Am 2. Februar 2004 wurde sie abgezogen, auf ausdrückliches Verlangen des B.-Verlages seit dem 1. April 2004 jedoch wieder dort eingesetzt und war bis zum 30. September 2004 mit zwischen den Parteien teilweise streitigen Arbeiten tätig.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Differenz zwischen der ihr von der Beklagten für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis zum 30. September 2004 gezahlten Vergütung von € 11,50 je Stunde und der ihr ihrer Auffassung nach zustehenden Stundenvergütung von € 19,33 geltend gemacht. Sie hat die Auffassung vertreten, ihr stehe nach dem "Equal-Pay-Gebot" aus § 9 Nr. 2, § 10 Abs. 4 AÜG das beim B.-Verlag gezahlte Gehalt zu, weil ihr Arbeitsvertrag nicht auf einen Tarifvertrag verweise, in dem eine niedrigere Entlohnung vorgesehen sei. Soweit sie die Tätigkeit tatsächlich nicht ausgeübt habe, weil die Beklagte sie im Hinblick auf ihre Weigerung, den neuen Arbeitsvertrag zu unterzeichnen, vom B.-Verlag abgezogen habe, sei die Beklagte unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges zur Zahlung verpflichtet. Eine Mitarbeiterin des B.-Verlages, die wie sie selbst mit Sekretärinnentätigkeiten betraut sei, erziele nach einer ihr vom B.-Verlag erteilten Auskunft dort einen (übertariflichen) Verdienst von € 0.000,00 brutto monatlich zzgl. anteiliges Urlaubs- und Weihnachtsgeld.

Die Klägerin hatte vor dem Arbeitsgericht beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie € 11.455,69 brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30. September 2004 zu zahlen.

Von der Beklagten war ihr Klageabweisungsantrag damit begründet worden, dass es an einer Anspruchsgrundlage mangele, weil der Arbeitsvertrag der Parteien die BZA-DGB-TVe Zeitarbeit 2003 in Bezug nehme. Die im AV 1981 ausdrücklich vereinbarte Verweisungsklausel sei durch die bloß marginale und durch Gesetzesänderungen bedingte Änderung einiger Regelungen im AV 1997 nicht aufgehoben worden, sondern gelte weiter, was sich schon aus dem Anschreiben vom 20. Februar 1997 ergebe. Der Anspruch sei auch in der Höhe nicht begründet, weil der Tariflohn für die Mitarbeiter des B.-Verlages deutlich unterhalb der Berechnung der Klägerin liege.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Vom Landesarbeitsgericht war die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision zugelassen worden. Auf diese Entscheidung vom 7. Februar 2006, Az: 6 Sa 611/05, wird Bezug genommen. Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 19. September 2007 - 4 AZR 656/06 - NZA-RR 2008, 231-235 das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 7. Februar 2006 - 6 Sa 611/05 - aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

In seinen Entscheidungsgründen hatte das Bundesarbeitsgericht ausgeführt, die Klägerin könne für ihre Arbeit beim B.-Verlag von der Beklagten nach § 10 Abs. 4 AÜG die Vergütung verlangen, die ein vergleichbarer Stammarbeitnehmer von diesem Unternehmen erhalte. Der zwischen den Parteien geschlossene Arbeitsvertrag sei gemäß § 9 Nr. 2 AÜG insoweit unwirksam, als die Parteien für die Zeit der Überlassung an den B.-Verlag schlechtere Arbeitsbedingungen vereinbart haben, als die im B.-Verlag für eine vergleichbare Arbeitnehmerin geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen vorsehen. Die für diesen Fall in § 9 Nr. 2 AÜG vorgesehene Ausnahmemöglichkeit im Geltungsbereich eines Tarifvertrages hätten die Parteien nicht wahrgenommen. Die Anwendung eines Tarifvertrages sei zwischen ihnen nicht vereinbart worden.

Der AV 1981 war nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts durch den Abschluss des AV 1997 konkludent aufgehoben worden. Die im AV 1981 enthaltene Verweisungsklausel auf die DAG-Zeitarbeitstarifverträge ist seitdem nicht mehr Vertragsbestandteil.

Die damit dem Grunde nach gerechtfertigte Klage hatte die Klägerin zur Begründung der Höhe ihres Anspruchs auch hinreichend vorgetragen. Sie war unstreitig zwischen den Parteien in ihrem Arbeitsvertrag als "Sekretärin" bezeichnet und seit Beginn des Arbeitsverhältnisses von der Beklagten auch vertragsgemäß eingesetzt worden. Die klägerischen Berechnungen beruhen auf einer ihr gem. § 13 AÜG erteilten Auskunft des B.-Verlages, die durch eine weitere Auskunft des Betriebsrates des B.Verlages bestätigt worden war. Sinn und Zweck der Auskunft nach § 13 AÜG, auf die der Arbeitnehmer einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch hat (Boemke/ Lembke AÜG 2. Aufl. § 13 Rn. 5, 17), ist gerade die Schaffung einer Vergleichsmöglichkeit zwischen den Leistungen, die ihm der Verleiher gewährt, und den Leistungen, die ihm nach dem Gleichstellungsgebot zustehen (HWK-Pods/Gotthardt 2. Aufl. § 13 AÜG Rn. 1). Der Leiharbeitnehmer muss zur Durchsetzung seines Gleichbehandlungsanspruchs wissen, welche Arbeitsbedingungen vergleichbare Arbeitnehmer des Entleihers haben (Schüren/Hamann/Brors AÜG 3. Aufl. § 13 Rn. 1). Trägt er den Inhalt der ihm gerade zu diesem Zweck vom Entleiher erteilten Auskunft zur Begründung seines Anspruchs im arbeitsgerichtlichen Verfahren vor, kann darüber hinaus jedenfalls zunächst keine weitere Darlegung verlangt werden. Insbesondere ist der Arbeitnehmer nicht verpflichtet, die Vergleichbarkeit der Tätigkeiten näher darzulegen. Diese war bereits Gegenstand der Anfrage beim Entleiher. Der Arbeitnehmer kann in der Regel die Vergleichbarkeit schlechter beurteilen als das Unternehmen, bei welchem er eingesetzt ist. Dem entleihenden Arbeitgeber ist es - jedenfalls zunächst - vorbehalten, selbst zu definieren, welche seiner eigenen Arbeitnehmer mit dem Leiharbeitnehmer vergleichbar sind. Für einen schlüssigen Vortrag reicht damit die Wiedergabe der Auskunft aus. Im Übrigen hat die Beklagte für eine fehlende Vergleichbarkeit der in der Auskunft des B.-Verlages erfassten Arbeitnehmer mit der Klägerin nichts vorgetragen (BAG Urteil vom 19. September 2007 - 4 AZR 656/06 -NZA-RR 2008, 231-235).

Nach Zurückverweisung des Rechtsstreits hat die Klägerin weiter beantragen lassen:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 23. Februar 2005 - 16 Ca 9869/04 -, zugestellt am 13. Mai 2005, wird in Ziff. 1) und Ziff. 2) abgeändert.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 11.450,69 brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 30. September 2004 zu bezahlen.

Von der Beklagten ist beantragt worden:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Von der Berufungskammer sind nunmehr auf der Grundlage ihrer Beweisbeschlüsse vom 3. Juni 2008 Herr Dr. H., Herr S. und Frau K. als Zeugen vernommen worden. Ihre jeweils unbeeidigt gebliebenen Aussagen ergeben sich aus der Sitzungsniederschrift vom 3. Juni 2008 (Blatt 314 bis 323 der Akte).

Zur Ergänzung des Parteivorbringens nach Zurückverweisung des Rechtsstreits wird Bezug genommen auf den Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 06. Juni 2008 (Blatt 294 bis 298 der Akte) mit Anlage und auf die Schriftsätze des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 10. Juni 2008 (Blatt 324 bis 327 der Akte) mit Anlage und vom 26. Juni 2008 (Blatt 329/330 der Akte).

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§ 64 Abs. 2 ArbGG) und auch sonst zulässige Berufung (§ 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, § 11 Abs. 2 ArbGG) mit dem Ziel, den zur Entscheidung gestellten Lohnanspruch nebst Zinsen zugesprochen zu bekommen, hat Erfolg. Auf der Grundlage der Revisionsentscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 19. September 2007 - 4 AZR 656/06 war nun noch über die Anspruchshöhe zu entscheiden.

Die vernommenen Zeugen haben den klägerischen Vortrag bestätigt. Beim B.-Verlag lagen die Effektiv-Gehälter damals, das heißt auch von Januar bis September 2004, erheblich über dem Tarif. Dies ist vom Personalleiter des B.-Verlages Herrn Dr. H. fachkundig und nachvollziehbar geschildert worden. Herr S. hat es für die bei ihm beschäftigten Hauptsekretärinnen bestätigt und sie waren von der Klägerin abwechselnd vertreten worden. Die Klägerin konnte diese Vertretung nach Aussage von Herrn S. im Kernbereich auch vollwertig übernehmen, hatte sie doch - vom Zeugen geschätzt - damals schon 15 Jahre für ihn gearbeitet.

Für den Bereich Scannen gilt nichts anderes. Da Maßstab die von vergleichbaren Stammarbeitnehmern erzielte Vergütung ist, kann die Klägerin auch für die ersten drei Monate die gezahlte Effektivvergütung zur Berechnung heranziehen, gegebenenfalls in Verbindung mit § 615 BGB.

Herr Dr. H. und Frau K. haben diese Entlohnung beim B.-Verlag bestätigt. Frau K. konnte als Betriebsratsvorsitzende im B.-Verlag auch die dort gezahlten Zusatzleistungen angeben: Urlaubs- und Weihnachtsgeld entsprechend dem Manteltarifvertrag in Höhe von 150 % des Monatsgehalts, außerdem monatlich 15 Essensmarken á € 2,80.

Alle Zeugen haben ihre Bekundungen inhaltlich nachvollziehbar und widerspruchsfrei vorgetragen. Sie waren und sind am Ausgang des anhängigen Rechtsstreits nicht interessiert. Damit hat die Berufungskammer keine Bedenken, ihren Bekundungen zu folgen (§ 286 ZPO). Einwendungen gegen die Richtigkeit dieser Zeugenaussagen sind von den Beteiligten auch nicht vorgebracht worden.

Ausgehend von den Schriftsätzen des klägerischen Prozessbevollmächtigten vom 10. und 26. Juni 2008 sind die klägerischen Berechnungen zumindest in den Ergebnissen nicht zu beanstanden. Den Vortrag der Klägerin im Schriftsatz vom 10. Juni 2008 rechnerisch umgesetzt sollten sich sogar noch höhere Lohnforderungen ergeben. Die Klägerin kann für ihre Arbeit beim B.-Verlag von der Beklagten nach § 10 Abs. 4 AÜG diejenige Vergütung verlangen, die ein vergleichbarer Stammarbeitnehmer von diesem Unternehmen erhält. Danach erscheint es auf der Grundlage dieser Zeugenaussagen gerechtfertigt, die klägerische Forderung in vollem Umfang zuzusprechen.

Der Zinsanspruch findet seine Rechtsgrundlage in den §§ 291, 288 BGB.

Die Kosten des Rechtsstreits hat bei Obsiegen der Klägerin die Beklagte zu tragen (§ 91 ZPO).

Für die Beklagte wird die Revision zugelassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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