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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 09.01.2007
Aktenzeichen: 6 Sa 452/06
Rechtsgebiete: KSchG, BGB


Vorschriften:

KSchG § 1
BGB § 613a
BGB §§ 705ff.
Eine Anwaltssozietät, betrieben in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, kann durch Gesellschafterbeschluss stillgelegt werden.

Ist der Arbeitsvertrag der Angestellten mit der Sozietät abgeschlossen worden, ist nicht jeder einzelne Rechtsanwalt mit seinen Mandanten und den Angestellten der Sozietät ein Teilbetrieb im Sinne von § 613 a BGB.


LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

6 Sa 452/06

Verkündet am: 9. Januar 2007

In dem Rechtsstreit

hat die Sechste Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 9. Januar 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Staudacher sowie die ehrenamtlichen Richter Trapp und Müller für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin vom 11. April 2006 gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 9. März 2006 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Für die Klägerin wird die Revision zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses.

Die Klägerin war auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages vom 15. Mai 1985 (Blatt 3/4 der Akte) ab 1. September 1985 als Anwaltsfachangestellte in der Anwaltssozietät der Beklagten zu 1) bis 6), betrieben in der Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, mit einem Monatsgehalt von zuletzt € 3.700,-- brutto beschäftigt gewesen. Diese Gesellschaft bürgerlichen Rechts bestand bis 31. Dezember 2004 aus sechs Gesellschaftern, den Rechtsanwälten B., S., B., M., H. und F. Der weitere Gesellschafter R. war zum Ende 2001 als Gesellschafter ausgeschieden.

Mit Schreiben vom 29. Oktober 2004 (Blatt 5 der Akte), unterzeichnet von allen sechs Beklagten, haben diese der Klägerin eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung zum 31. März 2005 ausgesprochen.

Die Klägerin bestreitet das Vorliegen betriebsbedingter Kündigungsgründe, insbesondere die behauptete Stilllegung der Kanzlei mit der ursprünglichen Geschäftsadresse in der ... Vielmehr sei von den Sozien B., M. und F. der geplante Umzug in das neue Objekt am L (Anwaltskanzlei B.) realisiert worden unter Mitnahme ihres Mandantenstammes, der gesamten Büroeinrichtung und eines Teils der Mitarbeiter.

Die Klägerin sieht ihren bisherigen Arbeitsplatz als nicht weggefallen an und hat mit anwaltschaftlichem Schriftsatz vom 18. November 2004 Kündigungsschutzklage erheben lassen, die vor dem angerufenen Arbeitsgericht München aber erfolglos geblieben ist. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des klageabweisenden Endurteils vom 9. März 2006 wird Bezug genommen.

Mit der am 12. April 2006 beim Landesarbeitsgericht München eingegangenen Berufung gegen diese ihren Prozessbevollmächtigten am 4. April 2006 zugestellte Entscheidung verfolgt die Klägerin ihr Kündigungsschutzbegehren weiter. Die Begründung dazu ist innerhalb der verlängerten Begründungsfrist am 28. Juni 2006 eingegangen. Darin wird die Ansicht des Erstgerichts zur Betriebsstilllegung der Anwaltskanzlei bekämpft und ausgeführt, die damalige Gesellschafterversammlung habe lediglich beschlossen, dass die bisherige BGB-Gesellschaft nicht mehr fortbesteht und die einzelnen Gesellschafter in jeweils neuen Konstellationen die bisherige berufliche Tätigkeit weiterführen. Die vom Erstgericht angenommene vollständige Betriebseinstellung/Stilllegung der Anwaltskanzlei sei weder standesrechtlich noch gesellschaftsrechtlich möglich. Dies findet man im Folgenden unter Bezugnahme auf das anwaltschaftliche Standesrecht, insbesondere auf die BRAO, dann auch im Einzelnen begründet.

Die Klägerin als gelernte Rechtsanwaltsfachangestellte wird als "verlängerter Arm" der jeweiligen Anwälte bezeichnet. Da jeder einzelne Gesellschafter persönlich haftender Arbeitgeber gewesen war, leitet die Klägerin daraus deren Verpflichtung zur Bereitstellung eines Arbeitsplatzes ab. Die Beklagten zu 1) bis 6) hätten - unstreitig - ihre Zulassung nicht zurückgegeben und im Rahmen ihrer Anwaltstätigkeit weiterhin Bedarf an Fachangestellten. Im Rahmen des Auseinandergehens der ursprünglichen Sozietät seien die meisten Rechtsanwaltsfachangestellten gefragt worden, ob sie für B. tätig sein wollen. Bei den Anwälten der Beklagten zu 7) sei zum 1. April 2005 Frau K. neu eingestellt worden. Weiter habe die Kanzlei B. Anfang 2006 mit einer Stellenanzeige eine Rechtsanwaltsfachangestellte gesucht.

Bekämpft wird auch die Ansicht des Erstgerichts, dass mit Sozietätsauflösung der Betriebszweck vollständig entfallen sei. Dies könne schon aus standesrechtlichen Gründen nicht so gesehen werden. Jeder Anwalt sei für seinen Bereich eigenverantwortlich tätig und hafte hierfür auch. In gleicher Weise müsse er sich eigenverantwortlich für die von ihm eingesetzten Angestellten kümmern und dafür Sorge tragen, dass die Standesrichtlinien eingehalten sind. Daraus lässt die Klägerin ableiten, dass jeder ihrer Arbeitgeber in der aufgelösten Sozietät auch die Verpflichtung zu ihrer Beschäftigung habe. Diese Arbeitgeberfunktion ende erst, wenn ein Mitarbeiter, der ausgeschieden sei, gegenüber dem Gesellschafter endgültig die Erbringung der Arbeitsleistung verweigere. Davon könne im Streitfall aber nicht ausgegangen werden, die Klägerin habe von den Beklagten gar kein Angebot zur Weiterarbeit erhalten.

Ebenfalls bekämpft wird die Ansicht des Erstgerichts, dass kein Teilbetriebsübergang vorliege. Jeder einzelne Gesellschafter sei Arbeitgeber gewesen und habe hinsichtlich der von ihm betreuten Mandate verbunden mit der zuordenbaren Sekretärin einen Teilbetrieb geführt. Die ursprüngliche Sozietät sei nicht eine Rechtsanwaltsgesellschaft gewesen, vielmehr habe jeder Anwalt seine Mandate betreut und diese auch in die neue Sozietät mitgenommen. Wesentlicher Betriebskern einer Anwaltskanzlei sei der Mandantenstamm und die hier aufgebaute Mandatsbindung. Darüber hinausgehend seien auch große Teile der Betriebseinrichtung sowie des Personals übernommen worden. Dass die Klägerin den Betriebsübergang verspätet geltend gemacht haben soll, wird ebenfalls bestritten. Dazu habe es schon an der erforderlichen Information über den Betriebsübergang gefehlt.

Schließlich beruft sich die Klägerin noch auf Treuwidrigkeit der ihr ausgesprochenen Kündigung. Sie sei in der ursprünglichen Kanzlei 21 Jahre beschäftigt gewesen. Dennoch habe man ihr betriebsbedingt gekündigt, obwohl für die einzelnen Arbeitgeber ersichtlich gewesen sei, dass diese zum Ablauf der Kündigungsfrist einen erheblichen Personalbedarf haben würden. Die Klägerin sei schwerpunktmäßig für Herrn Rechtsanwalt S. eingesetzt gewesen. Dieser habe mit Ausscheiden der Klägerin zum 1. April 2005 eine neue Mitarbeiterin gesucht. Die Berufungsanträge lauten damit:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 9. März 2006 - 35 Ca 18514/04 - wird aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 29. Oktober 2004 zum 31. März 2005 beendet wurde.

3. Hilfsweise wird festgestellt: dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 1. April 2005 auf die Beklagte zu 7) übergegangen ist.

Die Beklagten lassen beantragen:

Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 9. März 2006 - 35 Ca 1851 4/04 - wird zurückgewiesen.

Den Überlegungen des Erstgerichts in der angefochtenen Entscheidung pflichten sie bei, den Ausführungen der Berufungsbegründung treten sie entgegen. Ergänzend dazu wird auf eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts München vom 8. März 2006 - 9 Sa 926/05 verwiesen.

Dass der Betrieb einer BGB-Gesellschaft, deren wesentlicher Betriebszweck die gemeinschaftliche anwaltschaftliche Mandatsbearbeitung sei, nicht stillgelegt werden könne, ergebe sich weder aus den Vorschriften der BRAO noch aus der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA).

Bestritten wird weiter, dass jeder einzelne der Beklagten Arbeitgeber gewesen sei. Dem Arbeitsgericht folgend wird vielmehr daran festgehalten, dass die Beklagten zu 1) bis 6) jeder für sich in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit die Arbeitgeber der Klägerin gewesen seien.

Den Ausführungen zum Vorliegen eines Teilbetriebsübergangs treten die Beklagten ebenfalls entgegen. In der Gesellschafterversammlung vom 22. Oktober 2004 sei beschlossen worden, den Betrieb der Anwaltskanzlei mit Wirkung zum Ablauf des 31. Dezember 2004 vollständig einzustellen. Diese unternehmerische Entscheidung beruhe auf innerbetrieblichen Ursachen, dass sie willkürlich gewesen sei, trage die Klägerin selbst nicht vor. Soweit in diesem Zusammenhang von Treuwidrigkeit der Kündigung gesprochen wird, lassen dies die Beklagten zurückweisen. Wenn ein Betrieb stillgelegt wird, könne kein Arbeitnehmer weiterbeschäftigt werden, auch wenn er sozial noch so schutzwürdig sei. Infolge der vollständigen Betriebsstilllegung sei es bei allen in der Anwaltskanzlei beschäftigten Mitarbeitern zum Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeiten gekommen.

Die Prüfung von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten könne sich auch nicht auf andere Unternehmen erstrecken. Dies gelte sowohl für Beschäftigungsmöglichkeiten bei der Kanzlei B. als auch bei der Beklagten zu 7).

Zur Ergänzung des Parteivorbringens in diesem Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 27. Juni 2006 (Blatt 188 bis 198 der Akte) mit Anlagen, auf die Berufungsbeantwortung der Beklagten zu 1), 3), 4) und 6) vom 31. August 2006 (Blatt 213 bis 215 der Akte), auf die Berufungsbeantwortung der Beklagten zu 2), 5) und 7) vom 31. August 2006 (Blatt 216 bis 225 der Akte) sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 9. Januar 2007 (Blatt 239 bis 241 der Akte).

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§ 64 Abs. 2 ArbGG) und auch sonst zulässige Berufung (§ 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, § 11 Abs. 2 ArbGG) mit dem Ziel, die Unwirksamkeit der Kündigung vom 29. Oktober 2004, hilfsweise den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte zu 7) festgestellt zu bekommen, muss erfolglos bleiben.

Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ist nicht mittels eines Teilbetriebsübergangs auf die Beklagte zu 7) übergegangen, die Kündigung vom 29. Oktober 2004 ist sozial gerechtfertigt im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG und hat dieses zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis damit zum 31. März 2005 beendet. Zu diesem Ergebnis war bereits das Erstgericht gekommen. Seiner sorgfältigen und umfassenden Begründung schließt sich die Berufungskammer an (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

1. Die Berufungsbegründung wiederholt im Wesentlichen das erstinstanzliche Vorbringen, das vom Erstgericht bereits zutreffend gewürdigt worden ist. Die erhobenen Einwände sind nicht geeignet, im Ergebnis zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung zu führen. Aus den angesprochenen standesrechtlichen Vorschriften für Rechtsanwälte ergibt sich unter keinem Gesichtspunkt ein Gebot, den Betrieb einer von Rechtsanwälten als Gesellschafter errichteten BGB-Gesellschaft, deren wesentlicher Betriebszweck die gemeinschaftliche anwaltschaftliche Mandatsbearbeitung ist, nicht stillzulegen. Arbeitgeber der Klägerin war im Streitfall auch nicht jeder einzelne Gesellschafter gewesen. Ihr Arbeitsvertrag war mit der Sozietät RAe R. und Kollegen geschlossen worden (vgl. Blatt 3/4 der Akte). Davon ausgehend hatte auch das Erstgericht zu Recht davon gesprochen, dass dieses Arbeitsverhältnis mit allen Beklagten zu 1) bis 6) in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit bestand und die innerorganisatorische Zuteilung an dieser arbeitsvertraglichen Gestaltung nichts ändern konnte.

Der Klägerin konnte mit Schreiben vom 29. Oktober 2004 aus dringenden betrieblichen Gründen wegen Betriebsstilllegung damit gekündigt werden, ihr Arbeitsplatz war mit Stilllegung dieser Anwaltskanzlei in der Nördlichen Auffahrtsallee 19, 80638 München, zum 31. März 2005 ersatzlos weggefallen.

2. Der mit erstinstanzlichem Klageerweiterungsschriftsatz vom 15. September 2005 geltend gemachte Betriebsübergang auf die Beklagte zu 7) ist auch nach Ansicht der Berufungskammer nicht gegeben. Sie folgt dabei den Ausführungen der 9. Kammer des Landesarbeitsgerichts München in seinem Urteil vom 8. März 2006 - 9 Sa 926/05.

Diese Entscheidung ist den Parteien bekannt, entschieden worden ist der vom Tatsächlichen her weitgehend gleichgelagerte Streit einer ehemaligen Kollegin der Klägerin.

Beim Betrieb einer Rechtsanwaltskanzlei handelt es sich um ein Dienstleistungsunternehmen. Hier stehen beim Betriebsbegriff nicht so sehr die Räumlichkeiten der Kanzlei und ihre Einrichtung im Vordergrund, sondern das Personal, mit dem die Dienstleistungen erbracht werden sowie die Arbeitsorganisation, innerhalb derer die Dienstleistung erbracht wird, aber auch der Mandantenstamm. Diese wirtschaftliche Einheit ist also geprägt durch das gesamte Personal, das innerhalb der bestehenden Arbeitsorganisation und innerhalb der bestehenden Arbeitsbereiche und der vorhandenen Mandate anwaltliche Dienstleistungen erbringt. Sie wurde bei der Kanzlei der Beklagten zu 1) bis 6) zum 31. Dezember 2004 aufgelöst. Wenn sich eine Anwaltssozietät bestehend aus sechs Rechtsanwälten trennt, davon drei Anwälte eine neue Sozietät gründen, zwei in eine andere Sozietät einsteigen und einer eine Einzelkanzlei eröffnet, keiner der ehemaligen Sozien aber im Wesentlichen das Personal, also zumindest die Mehrheit des Personals übernimmt und auch die Mandate aufgeteilt werden, dann sind damit zwangsläufig die bisher bestehende Arbeitsorganisation und die bisher bestehende wirtschaftliche Einheit aufgelöst. Ein Betriebsübergang scheidet dann aus. Wenn der ehemalige Sozius, Herr Rechtsanwalt S., vom Gesamtumsatz - unterstellt - circa ein Drittel oder mehr für sich in Anspruch genommen haben sollte, könnte das daran nichts ändern, denn er hatte von den ursprünglich vorhandenen dreizehn Mitarbeitern und drei Auszubildenden nur eine Auszubildende und allenfalls noch eine Angestellte übernommen.

Lösen sich eine Sozietät und deren Kanzlei auf, so könnte ein Teilbetriebsübergang allenfalls vorliegen, wenn ein bestimmter organisatorisch abgrenzbarer Teil der ursprünglichen Kanzlei unter Wahrung ihrer Identität übertragen wird. Welcher organisatorisch abgrenzbare Teil von der ursprünglichen Gesellschaft bürgerlichen Rechts auf die Beklagte zu 7) übergegangen sein soll, ist aber nicht ersichtlich und konnte von der Klägerin auch in ihrer Berufungsbegründung nicht substantiiert dargelegt werden.

Mit der Kostenentscheidung aus § 97 Abs. 1 ZPO verbleibt es damit bei der angefochtenen Entscheidung. Für die Klägerin wird die Revision zugelassen (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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