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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 13.01.2004
Aktenzeichen: 6 Sa 560/03
Rechtsgebiete: DÜG


Vorschriften:

DÜG § 1
Einzelfallentscheidung über einen Anspruch auf Schadenersatz wegen schuldhafter Verletzung von Aufklärungspflichten des Arbeitgebers während der Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

6 Sa 560/03

Verkündet am: 13. Januar 2004

In dem Rechtsstreit

hat die sechste Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 13. Januar 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Staudacher sowie die ehrenamtlichen Richter Andreas Kaffka und Marion Tögel

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers vom 2. Juni 2003 gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 4. April 2003 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Für den Kläger wird die Revision zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Schadenersatz, weil die Beklagte den Kläger vor der vereinbarten Arbeitsaufnahme von der Arbeit freigestellt und anschließend eine ordentliche Kündigung ausgesprochen hatte, so dass das zwischen den Parteien vereinbarte Arbeitsverhältnis ohne Arbeitsleistung seitens des Klägers endete.

Der Kläger war zunächst wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität ... und seit April 1996 wissenschaftlicher Assistent an der Universität ... gewesen, hier im Status eines Beamten auf Zeit für maximal zweimal drei Jahre mit Besoldung C 1. Von Juli 2000 bis Juli 2001 hatte er sich im dienstlichen Interesse ohne Bezüge beurlauben lassen und einen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Forschungsaufenthalt am Mikroelectronic Research Center, ..., verbracht.

Während dieses Forschungsaufenthalts bewarb sich der Kläger unter dem 24. Januar 2001 bei der Beklagten um eine Anstellung als Ingenieur in der Halbleitertechnik (Blatt 167 der Akte). Ein Vorstellungsgespräch fand am 28. Mai 2001 statt. Der Kläger füllte dabei einen Bewerbungsbogen aus (Blatt 171 ff der Akte), u. a. mit dem Vermerk: beachte Beamtenstatus. Am 6. Juni 2001 teilte die Beklagte dem Kläger ihre Absicht mit, ihn - vorbehaltlich der Zustimmung des Betriebsrates - mit Wirkung zum 1. August 2001 einzustellen. Dieses E-Mail (Blatt 18/19 der Akte) enthielt auch die vorgesehenen vertraglichen Regelungen und endete mit der Bitte, bis spätestens 15. Juni 2001 mitzuteilen, ob er dieses Angebot annehme.

Der Kläger hat mit E-Mail vom 9. Juni 2001 (Blatt 97 der Akte) dieses Angebot angenommen.

Unter dem 20. Juni 2001 veröffentlichte die Beklagte eine sog. Gewinnwarnung (Blatt 20/21 der Akte). Darin war zu lesen, sie werde neben der Durchführung von Kostensenkungsprogrammen keine neuen Stellen schaffen und durch Fluktuation frei werdende Stellen nicht wieder besetzen.

Wegen hierdurch entstandener Bedenken telefonierte der Kläger am 22. Juni 2001 mit seinem künftigen Vorgesetzten Herrn ... Auf den Einstellungsstopp angesprochen äußerte dieser, die Stelle des Klägers sei vom Einstellungsstopp nicht betroffen.

Ebenfalls am 2.2. Juni 2001 wurde bei der Beklagten der Arbeitsvertrag (Blatt 22 bis 27 der Akte) unterschrieben und dem Kläger (vgl. Blatt 176 der Akte) zugeleitet mit der Bitte, ein Exemplar dieses Vertrages bis zum 13. Juli 2001 unterschrieben wieder zurückzusenden. Dies ist unter dem 10. Juli 2001 dann auch geschehen.

Am 12. Juli 2001 beantragte der Kläger seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis, was mit Wirkung zum 31. Juli 2001 auch vorgenommen worden ist.

Am 20. Juli 2001 reservierte die Beklagte für den Kläger ein Appartement in .... Am 23. Juli 2001 veröffentlichte sie ihre Quartalszahlen mit einem in der Gewinnwarnung bereits angekündigten Verlust von € 598 Millionen. Am 26. Juli 2001 beschloss der Vorstand der Beklagten das Sparprogramm "impact", das u.a. die Reduzierung von weltweit 5.000 Stellen vorsah und dem dann auch der klägerische Arbeitsplatz zum Opfer, gefallen ist.

Mit Schreiben vom 31. Juli 2001, am Folgetag vor Arbeitsantritt übergeben, stellte die Beklagte den Kläger von der Arbeit unwiderruflich frei (Blatt 40 der Akte), mit Schreiben vom 28. August 2001 (Blatt 42 der Akte), ausgehändigt am 30. August 2001, erhielt er eine ordentliche Kündigung zum 30. September 2001 ausgesprochen.

Diese Kündigung ist gerichtlich nicht angegriffen worden. Vom 1. Oktober 2001 bis einschließlich Februar 2002 war der Kläger arbeitslos gewesen. Darauf bezugnehmend verlangt er von der Beklagten nun Schadenersatz wegen schuldhafter Verletzung von Aufklärungspflichten während der Anbahnung dieses Arbeitsverhältnisses. Zur Begründung trägt er vor, beim Vorstellungsgespräch am 28. Mai 2001 auf seinen Beamtenstatus und die fehlende Arbeitslosenversicherung hingewiesen zu haben, worauf ihm gesagt worden sei, er müsse keine Bedenken haben, es werde keine Probezeit vereinbart werden.

Nach Veröffentlichung der Gewinnwarnung sei ihm beklagtenseits auf seine telefonische Anfrage am 22. Juni 2001 gesagt worden, seine Stelle wäre vom Einstellungsstopp nicht betroffen. Erst danach habe er dann den Arbeitsvertrag unterschrieben (am 10. Juli 2001) und Entlassung aus dem Beamtenverhältnis beantragt (12. Juli 2001).

Der Kläger lastet der Beklagten an, ihn nicht darüber aufgeklärt zu haben, dass auch seine Stelle vom Einstellungsstopp betroffen sein könne. Angesichts der im Juni 2001 veröffentlichten Daten könne der eingetretene Verlust im dritten Quartal nicht überraschend gewesen sein, auf jeden Fall sei für die Beklagte zumindest vorhersehbar gewesen, dass auch die dem Kläger angebotene Stelle vom Einstellungsstopp betroffen sein könne; darauf hätte er hingewiesen werden müssen.

Mit anwaltschaftlichem Schriftsatz vom 3. Juni 2002 lässt er gegen die Beklagte Klage auf Zahlung von € 17.393,38 brutto sowie weiterer € 4.396,16 nebst Zinsen erheben, die vor dem angerufenen Arbeitsgericht München jedoch erfolglos geblieben ist. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe seines klageabweisenden Endurteils vom 4. April 2003 wird Bezug genommen.

Mit der am 3. Juni 2003 beim Landesarbeitsgericht München eingegangenen Berufung verfolgt der Kläger seine Begehren weiter. Die Berufungsbegründung ist am 9. Juli 2003 eingegangen. Darin wird dem Erstgericht Verletzung materiellen Rechts angelastet. Die telefonische Auskunft der Beklagten vom 22. Juni 2001 durch den für sie handelnden ... die für den Kläger vorgesehene Stelle werde vom Einstellungsstopp nicht betroffen, sei pflichtwidrig gewesen. Bereits die Aufnahme von Vertragsverhandlungen begründe für die Vertragspartner ein sogenanntes vorvertragliches Schuldverhältnis mit der Pflicht, auf die Belange des anderen Vertragspartners Rücksicht zu nehmen, vor allem in diesem keine Vorstellungen zu erwecken, die mit den tatsächlichen Möglichkeiten und Gegebenheiten in Widerspruch stehen. Der Kläger sei durch die Gewinnwarnung aufgeschreckt gewesen und habe gerade wegen seiner Bedenken, dass auch der von ihm zum 1. August 2001 angestrebte Arbeitsplatz diesen Kosteneinsparungsmaßnahmen zum Opfer fallen könne, den Gruppenleiter der Beklagten Herrn ... gefragt, ob seine Stelle gefährdet sei. Von Herrn ... sei dies verneint worden, eine Aussage, die sich kurz darauf als unrichtig herausgestellt habe. Zum Zeitpunkt dieses Telefonats habe es bei der Beklagten bereits die ersten Probezeitkündigungen gegeben, Herr ... hätte aus Sicht des Klägers damit eine derartige Aussage am Telefon nicht treffen dürfen. Er hätte vielmehr entweder Rücksprache bei der Firmenleitung nehmen oder einen Vorbehalt dahingehend anbringen müssen, dass das nicht ausgeschlossen werden könne, dass auch die klägerische Stelle unter die Einsparungsmaßnahmen fallen könne. Beides habe er nicht gemacht, vielmehr durch seine Aussagen die Bedenken des Klägers zerstreut. Diese Pflichtverletzung des Herrn ... sei auch fahrlässig gewesen, die Beklagte müsse dafür einstehen und so lauten die Berufungsanträge:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 4.4.03 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts München, Az. 36 Ca 9164/02, abgeändert und die Beklagte verurteilt,

an den Kläger € 17.393,38 brutto sowie weitere € 4.396,16 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz gem. § 1 DÜG aus € 13.657,33 seit 14.12.01, aus € 4.066,11 seit 1.1.02 und aus € 4.066,11 seit 1.2.02 zu bezahlen.

Die Beklagte lässt beantragen:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 04.04.2003, Az. 36 Ca 9164/02, zurückzuweisen.

Den Überlegungen des Erstgerichts in der angefochtenen Entscheidung pflichtet die Beklagte bei, den Ausführungen des Klägers in seiner Berufungsbegründung tritt sie entgegen. Die Gewinnwarnung vom 20. Juni 2001 habe lediglich zum Ausdruck gebracht, dass die Beklagte derzeit keine neuen Stellen schaffen und durch Fluktuation frei werdende Stellen nicht wieder besetzen wolle. Beides habe den streitbefangenen Arbeitsplatz jedoch nicht betroffen. Dieser war in einem Spezialistenteam zur Entwicklung der Technologieplattform für Chips der Zukunft geschaffen worden. Es sei dabei auch nicht um eine neue Stelle gegangen, sondern um die Besetzung eines bereits bestehenden Arbeitsplatzes. Er habe in Ermangelung eines geeigneten Bewerbers bislang nicht besetzt werden können, er war damals nicht etwa durch Fluktuation freigeworden.

Die klägerseits Herrn ... gemachten Vorhaltungen werden zurückgewiesen. Es habe damals keinerlei Indizien gegeben, die nahe gelegt hätten, dieser Arbeitsplatz in einem für die künftige Unternehmensentwicklung wichtigen Bereich könne wegfallen.

Vom Kläger sei das Arbeitsvertragsangebot der Beklagten bereits am 9. Juni 2001 (Blatt 97 der Akte) per E-Mail angenommen worden. Deshalb habe Herr ... beim Telefongespräch am 22. Juni 2001 auch gar nicht angenommen, die bisherige Stelle seines künftigen Mitarbeiters sei noch nicht aufgegeben worden. Von der Aufgabe seiner Assistentenstelle habe der Kläger bei diesem Telefonat nicht gesprochen.

Es wäre dem Kläger schließlich unbenommen gewesen, den Ausschluss einer betriebsbedingten Kündigung abweichend von den Formulierungen des Arbeitsvertrages auszuhandeln und im Vertrag festzulegen. Das ist jedoch ebenfalls nicht geschehen.

Zur Ergänzung des Parteivorbringens im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 9. Juli 2003 (Blatt 137 bis 245 der Akte), auf die Berufungsbeantwortung vom 11. August 2003 (Blatt 257 bis 261 der Akte) sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 13. Januar 2004 (Blatt 263 bis 265 der Akte).

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§ 64 Abs. 2 ArbGG) und auch sonst zulässige Berufung (§ 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, § 11 Abs. 2 ArbGG) mit dem Ziel, den zur Entscheidung gestellten Schadenersatz zugesprochen zu bekommen, muss erfolglos bleiben. Das Erstgericht hat für ein solches Begehren zu Recht keine tragfähigen Rechtsgrundlagen gesehen und dieses Ergebnis eingehend sowie zutreffend begründet. Seinen Überlegungen schließt sich die Berufungskammer an (§ 69 Abs. 2 ArbGG) und übernimmt sie - statt Wiederholung - zunächst einmal auch.

Die schwierige wirtschaftliche Lage der Beklagten und ihrer Branche im Jahre 2001 war damals allgemein und auch dem Kläger, nicht zuletzt durch Zeitungsmeldungen und Veröffentlichungen vielfältigster Art (darunter die sog. Gewinnwarnung), bekannt gewesen. Wie es weitergehen würde, konnten damals selbst Fachleute nur erahnen, zu entscheiden hatte das im Streitfall der Vorstand der Beklagten. Und von ihm ist am 26. Juli 2001 das Sparprogramm impact beschlossen lind veröffentlicht worden, das u.a. die Reduzierung von weltweit 5.000 Stellen vorsah und dem auch der klägerische Arbeitsplatz zum Opfer gefallen ist.

Die Vertragsverhandlungen mit dem Kläger hatten Frau ... (Personalabteilung) und Herr ... (vorgesehener Fachvorgesetzter) gerührt. Beide Personen waren nicht Mitglied des Vorstandes gewesen und konnten dessen Planungen und Absichten weder erahnen noch vorhersehen. Sie wollten diese Stelle besetzen und haben die vom Kläger gestellten Fragen nach bestem Wissen und Gewissen beantwortet. Das tatsächliche Vorbringen des Klägers zu seinen Gesprächen mit Frau ... und Herrn ... lässt nichts erkennen, was diesen Personen als schadenersatzbegründend angelastet werden könnte, vom fehlenden Verschulden einmal abgesehen. Die klägerseits angesprochene Probezeit hatte Frau ... verneint, eine solche ist arbeitsvertraglich auch nicht vorgesehen gewesen. Ihre beklagtenseits substantiiert bestrittenen Äußerungen sollten - wie vom Erstgericht zutreffend gesehen - das Interesse der Beklagten an einer langfristigen Zusammenarbeit betonen, es ist jedoch bei keinem dieser Gespräche über einen längerfristigen Vertrag oder den Ausschluss einer betriebsbedingten Kündigung gesprochen worden und die Parteien haben diesbezüglich auch nichts vereinbart. Eine Rückfrage beim Vorstand zur Sicherheit auf diesem konkreten Arbeitsplatz war am 22. Juni 2001 weder zumutbar noch Erfolg versprechend noch veranlasst, hatte der Kläger dieses Vertragsangebot doch bereits am 9. Juni 2001 rechtswirksam angenommen.

Hier liegen Versäumnisse des Klägers vor, die ihm zur Last fallen müssen und die auf der Grundlage seines Prozessvortrags in diesem Rechtsstreit schwer wiegen. Die Beklagte in dieser für die Halbleiterbranche schwierigen Zeit bei Vertragsverhandlungen über die vorvertragliche Fürsorgepflicht verpflichten zu wollen, Arbeitnehmer bei oder unmittelbar nach den Vertragsverhandlungen dahingehend aufzuklären, dass eine betriebsbedingte Kündigung nicht ausgeschlossen sei, geht zu weit. Der Kläger hatte sich damals bei der Beklagten "blind" beworben, er konnte das Risiko seines Vertragsabschlusses mit der Beklagten beurteilen. Am 20. Juni 2001 war beklagtenseits bereits eine Gewinnwarnung veröffentlicht und ein Einstellungsstopp angekündigt worden, die Fachpresse hatte die wirtschaftliche Lage in der Halbleiterbranche ebenfalls mit aller Deutlichkeit geschildert. Dass dieser Vertragsabschluss als Risikogeschäft zu werten ist, konnte dem Kläger damit nicht verborgen geblieben sein. Er hat es versäumt oder vielleicht auch bewusst davon abgesehen, bei den Vertragsverhandlungen über eine Mindestlaufzeit zu sprechen oder eine solche in den Vertrag aufnehmen zu lassen. Sein Risiko hat sich bedauerlicherweise verwirklicht, den Schaden daraus muss er aber selbst tragen.

Mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO verbleibt es damit bei der angefochtenen Entscheidung.

Für den Kläger wird die Revision zugelassen (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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