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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Beschluss verkündet am 15.05.2007
Aktenzeichen: 6 TaBV 118/06
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG §§ 7 ff
Ein gekündigter Arbeitnehmer, der deshalb im Betrieb auch nicht mehr mitarbeitet, hat kein aktives Wahlrecht bei der bevorstehenden Betriebsrats-Wahl.

Dem Wahlvorstand steht bei Prüfung der aktiven Wahlberechtigung kein Prognoseermessen bezogen auf die ausgesprochene Kündigung zu.


LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES BESCHLUSS

6 TaBV 118/06

Verkündet am: 15. Mai 2007

In dem Beschlussverfahren

hat die Sechste Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der Anhörung vom 15. Mai 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Staudacher sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Bueb und Seel für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Beschwerde des Betriebsrats vom 23. November 2006 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Rosenheim vom 11. Oktober 2006 wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Anfechtung der Betriebsratswahl vom 22./23. Mai 2006.

Im Betrieb der Antragstellerin (Arbeitgeberin) hatte am 22./23. Mai 2006 eine Betriebsratswahl stattgefunden. Das Ergebnis dieser Wahl war am 29. Mai 2006 bekannt gegeben worden.

Die Arbeitgeberin hält diese Betriebsratswahl für unwirksam, da gegen wesentliche Wahlvorschriften verstoßen worden sei. Mit anwaltschaftlichem Schriftsatz vom 12. Juni 2006 hat sie das anhängige Beschlussverfahren einleiten lassen mit dem Antrag:

Die Betriebsratswahl vom 22./23. Mai 2006 wird für unwirksam erklärt.

Zur Begründung lässt die Antragstellerin vortragen, ein Herr E. habe am 22./23. Mai 2006 mitgewählt, obwohl sein Arbeitsverhältnis durch Ausspruch der außerordentlichen Kündigung vom 16. März 2006 beendet worden sei. Sein Name habe zunächst auch nicht auf der Wählerliste gestanden, sei vielmehr erst am Wahltag nachträglich auf die Liste gesetzt worden. Weiter beanstandet die Arbeitgeberin (Antragstellerin), dass das Wahlausschreiben lediglich in deutscher Sprache ausgehängt worden sei, obwohl im Betrieb auch ausländische Arbeitnehmer beschäftigt seien und ein Teil davon die deutsche Sprache nicht in dem Umfang beherrsche, um komplizierte Wahlvorschriften verstehen zu können. Ohne diese Verstöße hätte die Wahl in den Augen der Antragstellerin anders ausfallen können, da 54 Stimmen auf die eine Vorschlagsliste und 53 Stimmen auf die andere entfallen seien.

Die Wahlanfechtung hatte vor dem angerufenen Arbeitsgericht Rosenheim Erfolg. Auf die Gründe des Beschlusses vom 11. Oktober 2006 wird Bezug genommen.

Mit der am 23. November 2006 beim Landesarbeitsgericht München eingegangenen Beschwerde gegen diese seinen Verfahrensbevollmächtigten am 27. Oktober 2006 zugestellte Entscheidung verfolgt der Betriebsrat seinen Abweisungsantrag weiter. Die Begründung des Rechtsmittels ist innerhalb der verlängerten Begründungsfrist am 29. Januar 2007 eingegangen. Darin wird die Ansicht des Erstgerichts, Herr E. sei aufgrund der fristlosen Kündigung vom 16. März 2006 nicht wahlberechtigt gewesen und hätte deshalb nicht mitwählen dürfen, mit Nachdruck bekämpft. Nach allgemeiner Meinung habe ein Arbeitnehmer, dem gekündigt worden sei, der sich aber noch im Kündigungsrechtsstreit befinde, zumindest das passive Wahlrecht. Davon ausgehend sei er wahlberechtigt im Sinne der §§ 7 ff. BetrVG. Soweit Streit über sein aktives Wahlrecht bestehe, müsse gesehen werden, dass der Gesetzeswortlaut für solche Sachverhalte nichts hergebe. Wie an vielen anderen Stellen stehe dem Wahlvorstand aber auch hier ein Prognoseermessen zu. Diese Prognose könne auch eine Prüfung der Wirksamkeit einer Kündigung beinhalten. Im Streitfall habe der Wahlvorstand angenommen, dass an der Kündigung von Herrn E. nichts dran sei und daher der größere Schaden entstehen würde, wenn man ihm das aktive und passive Wahlrecht nicht zuordnen würde. Erstinstanzlich habe Herr E. im Kündigungsschutzverfahren auch obsiegt. Er befinde sich damit wieder im Betrieb; die Prognosebeurteilung sei also richtig gewesen. Die Arbeitgeberin sehe einen Anfechtungsgrund allein darin, dass das Arbeitsgericht zum Zeitpunkt der Durchführung der Betriebsratswahl seine Entscheidung im Kündigungsschutzverfahren noch nicht verkündet hatte. Dieser Beurteilung tritt der Beschwerdeführer entgegen und so lauten seine Beschwerdeanträge:

1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Rosenheim, 3 BV 18/06, vom 11. Oktober 2006 - zugestellt am 27. Oktober 2006 - wird abgeändert.

2. Der Antrag auf Anfechtung der Betriebsratswahl vom 22. und 23. Mai 2006 wird zurückgewiesen.

Die Arbeitgeberin lässt beantragen:

die Beschwerde zurückzuweisen.

Den Überlegungen des Erstgerichts in der angefochtenen Entscheidung pflichtet sie bei, den Ausführungen in der Beschwerdebegründung tritt sie entgegen. Die aktive Wahlberechtigung eines Arbeitnehmers erlösche grundsätzlich, wenn ihm fristlos gekündigt worden sei. Herr E. habe an der angefochtenen Betriebsratswahl teilgenommen, obwohl ihm bereits am 16. März 2006 außerordentlich gekündigt worden war. Die Arbeitgeberin habe gegen die erstinstanzliche Entscheidung im Kündigungsschutzverfahren Berufung eingelegt, über die noch nicht rechtskräftig entschieden sei. Da das Wahlergebnis denkbar knapp (54 zu 53 Stimmen) ausgefallen war, habe das Erstgericht zu Recht festgestellt, dass ohne diesen Verstoß gegen Wahlvorschriften das Ergebnis der Wahl anders hätte ausfallen können.

Dem Wahlvorstand bezüglich des aktiven Wahlrechts eines gekündigten Arbeitnehmers mit Blick auf eine etwaige Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung ein Prognoseermessen einzuräumen, lässt die Arbeitgeberin mit Nachdruck zurückweisen. Sie hält fest, dass nur Arbeitnehmer, die in einem Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber stünden und zum Zeitpunkt der Wahl in die Betriebsorganisation des Arbeitgebers eingegliedert seien, nach § 7 S. 1 BetrVG wahlberechtigt sein könnten. Herr E. sei zum Wahlzeitpunkt (am 22./23. Mai 2006) aber bereits seit zwei Monaten nicht mehr in die Betriebsorganisation, in die tatsächlichen Arbeitsabläufe, eingegliedert gewesen. Zu den konstitutiven Merkmalen der Betriebszugehörigkeit gehörten einerseits ein Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber, andererseits die tatsächliche Eingliederung des Arbeitnehmers in die Betriebsorganisation. Gekündigte Arbeitnehmer seien nicht mehr eingegliedert, sobald sie nicht mehr weiterbeschäftigt werden. Damit könnten sie dann aber auch nicht mehr aktiv wahlberechtigt sein. Zum Zeitpunkt der Wahl müsse abschließend feststehen, ob ein Arbeitnehmer nach § 7 BetrVG wählen dürfe oder nicht. Dies entspreche auch der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.

Zur Ergänzung des Beteiligtenvorbringens im Beschwerdeverfahren wird Bezug genommen auf die Beschwerdebegründung vom 29. Januar 2007 (Blatt 97 bis 99 der Akte), auf die Beschwerdebeantwortung vom 8. März 2007 (Blatt 108 bis 113 der Akte) sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 15. Mai 2007 (Blatt 126 bis 128 der Akte).

II.

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 87 Abs. 2, 89 ArbGG, § 66 ArbGG) muss erfolglos bleiben. Die angefochtene Entscheidung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Das Erstgericht lässt unter Hinweis auf einschlägige Kommentarstellen die angefochtene Betriebsratswahl zu Recht daran scheitern, dass der Wahlvorstand Herrn E. hat mitwählen lassen, obwohl diesem Arbeitnehmer bereits rund zwei Monate vorher eine fristlose Kündigung ausgesprochen worden war und er deshalb seitdem auch nicht mehr im Betrieb mitgearbeitet hatte. Der arbeitsgerichtlichen Begründung dazu schließt sich die Beschwerdekammer zunächst einmal an (§ 69 Abs. 2 ArbGG, entspr. Anwendung).

Ein Prognoseermessen, das auch die Beurteilung einer ausgesprochenen Kündigung beinhalten soll, steht einem Wahlvorstand bei Prüfung der aktiven Wahlberechtigung nicht zu. Die Voraussetzungen einer Wahl müssen eindeutig geregelt sein. Das ist durch die §§ 7 ff. BetrVG in Verbindung mit der Wahlordnung auch geschehen. Darauf gestützt hat das Bundesarbeitsgericht (10. November 2004 - AP Nr. 11 zu § 8 BetrVG 1972) entschieden, dass dem gekündigten Arbeitnehmer (nach Ablauf der Kündigungsfrist) ohne Weiterbeschäftigung das aktive Wahlrecht nicht mehr zustehe, selbst dann nicht, wenn er Kündigungsschutzklage erhoben habe. Bei einer außerordentlichen Kündigung verliere der Arbeitnehmer seine Wahlberechtigung mit Zugang der Kündigungserklärung, sofern nicht die Voraussetzungen des allgemeinen Anspruchs auf Weiterbeschäftigung vorliegen (BAG 14. Mai 1997 - AP Nr. 6 zu § 8 BetrVG 1972).

Die maßgebliche Kommentarliteratur (vgl. Fitting § 7 Rn. 33, 34 mit weiteren Nachweisen) und die Beschwerdekammer folgen dieser Ansicht. Das Rechtsmittel kann damit nicht zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führen.

III.

Gem. § 12 Abs. 5 ArbGG a.F. werden im Beschlussverfahren Kosten nicht erhoben.

Gegen diesen Beschluss wird die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht nicht zugelassen (§ 92 Abs. 1 Satz 1 ArbGG). Die grundsätzliche Bedeutung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage ist nicht ersichtlich (§ 92 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG). Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird verwiesen (§ 92 a ArbGG).

Ende der Entscheidung

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