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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 04.12.2002
Aktenzeichen: 9 Sa 199/02
Rechtsgebiete: Protokollerklärung


Vorschriften:

Protokollerklärung Nr. 1 (1) b zur Anlage 1b (B/TdL/VKA)
Zu den Anforderungen an eine halbgeschlossene psychiatrische Station im Sinne der Protokollerklärung Nr. 1 (1) b zur Anlage 1b (B/TdL/VKA).
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

9 Sa 199/02

Verkündet am: 4. Dezember 2002

In dem Rechtsstreit

hat die neunte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 13. November 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Dunkl sowie die ehrenamtlichen Richter W. und K. für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichtes München vom 7.1.2002 - 30 Ca 5631/01 - wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Zahlung einer Zulage gemäß der Protokollerklärung Nr. 1 (1) b der Anlage 1b zum BAT.

Die Klägerin ist seit 1.1.1984 beim Beklagten in deren Bezirkskrankenhaus Taufkirchen/Vils als Krankenschwesster tätig. Sie ist derzeit in KR VII (Fallgruppe 14) der Anlage 1b (B/TdL/VKA) zum BAT eingruppiert, und zwar nach einem Bewährungsaufstieg aus KR VI (Fallgruppe 16).

In § 2 des schriftlichen Arbeitsvertrages der Parteien vom 4.1.1984 ist vereinbart, dass das Arbeitsverhältnis sich nach den Vorschriften des Bundesangestelltentarifvertrages vom 23.2.1961 in der für den Bereich der kommunalen Arbeitgeber jeweils geltenden Fassung, den einschlä-gigen Sonderregelungen zum BAT und den zusätzlichen für den Bereich des Arbeitgebers verbindlichen Tarifverträgen in ihrer jeweils geltenden Fassung richtet.

Die Klägerin ist auf der so genannten Station 1 tätig, in der ausschließlich suchtkranke Menschen behandelt werden.

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 19.1.2000 die Zahlung einer Zulage gemäß der Protokollerklärung Nr. 1 (1)b (B/TdL/VKA) geltend gemacht. Sie ist der Ansicht, dass es sich bei der Station 1 um eine halbge -schlossene (Open-door-System) psychiatrische Station handele, und dass ihr deshalb die Zulage gemäß dieser Protokollerklärung mit derzeit monatlich € 46,02 zustehe.

Diese Protokollerklärung hat folgenden Wortlaut:

Nr. 1 (1) Pflegepersonen der Vergütungsgruppe Kr. I bis Kr.VII, die die Grund- und Behandlungspflege zeitlich überwiegend bei

a) an schweren Infektionskrankheiten erkrankten Patienten (z.B. Tuberkulose-Patienten), die wegen der Ansteckungsgefahr in besonderen Infektionsabteilungen oder Infektionsstationen untergebracht sind,

b) Kranken in geschlossenen oder halbgeschlossenen (Open-door- System) psychiatrischen Abteilungen oder Stationen,

c) Kranken in geriatrischen Abteilungen oder Stationen,

d) gelähmten oder an multipler Sklerose erkrankten Patienten,

e) Patienten nach Transplantationen innerer Organe oder von Knochenmark,

f) an AIDS (Vollbild) erkrankten Patienten,

g) Patienten, bei denen Chemotherapien durchgeführt oder die mit Strahlen oder mit inkorporierten radioaktiven Stoffen behandelt werden ausüben, erhalten für die Dauer dieser Tätigkeit eine monatliche Zulage von € 46,02.

Die Klägerin hat mit ihrer Klage zum Arbeitsgericht München beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab dem 1.4.1999 eine Psychiatriezulage gemäß der Protokollerklärung Nr. 1b der Anlage ab zum BAT nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit bis 30.4.2000 und ab 1.5.2000 in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.

Das Arbeitsgericht München hat durch Endurteil vom 7.1.2002 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin arbeite nicht auf einer halbgeschlossenen psychiatrischen Station. Nach dem übereinstimmenden Sachvortrag der Parteien würden die Stationstüren zu keiner Zeit geschlossen und die Patienten könnten die Station ohne ständige und strikte Kontrolle bzw. Zustimmung der Pflegekräfte verlassen. Zwar werde versucht die Patienten durch gutes Zureden oder menschliche Barrieren am Verlassen zu hindern, Zwangsmittel würden jedoch nicht eingesetzt, so dass letztlich die Schlüsselgewalt vom Pflegepersonal nicht ausgeübt werde. Zum Erfordernis, die Station im gewissen Umfang geschlossen zu halten, um die von den psychisch kranken Menschen für sich selbst oder andere ausgehende Gefahr durch eine ständige Übersicht über den Aufenthalt der Patienten zu reduzieren, fehle es an entsprechendem Tatsachenvortrag. Unstreitig würden Patienten, die sich selbst oder Dritte gefährden, in die geschlossenen Stationen binnen circa ein bis zwei Stunden verlegt. Dass es sich hierbei um die zeitlich überwiegende Tätigkeit handele, sei gerade nicht dargestellt.

Bezüglich des Sachvortrages der Parteien im ersten Rechtszug und der rechtlichen Erwägungen des Arbeitsgerichtes im Einzelnen wird auf den Inhalt des Endurteiles des Arbeitsgerichtes München vom 7.1.2002 verwiesen.

Die Klägerin hat gegen dieses Urteil, das ihr am 15.2.2002 zugestellt wurde, am 15.3.2002 Berufung eingelegt und d iese am 15.4.2002 begründet.

Sie trägt vor, das Urteil des Arbeitsgerichtes sei unzutreffend. Für die Station 1 gebe es die Stationsordnung vom 13.5.1998. Darin sei unter Ziff. 3 "Ausgangsregelung" festgelegt, dass die Patienten während der Einnahme von Distraneurin und Valium oder aus anderen medizinischen Gründen, die jeweils individuell mit den Patienten besprochen werden, die Station nicht verlassen dürfen. Für medikamentenabhängige Patienten und Patienten die alkohol- und medikamentenabhängig sind, gelte das Ausgangsverbot bis die Urinprobe negativ ausfalle.

Aus dieser Stationsordnung ergebe sich somit, dass es Patienten auf der Station S 1 gebe, die diese nicht verlassen dürfen.

Die Anforderungen, die das BAG im Urteil vom 12.11.1997 10 AZR 772/96 an eine halbgeschlossene Station gestellt habe, träfen auch auf die Station 1 zu. Die Mitarbeiter dieser Station seien gehalten, Anwesenheitskontrollen um 22.00 Uhr durchzuführen und somit die Ausgehzeit zu kontrollieren. Die Patienten, die auf Grund der Anordnung der Ärzte keinen Ausgang haben, würden darüber hinaus einer besonderen Beachtung unterliegen. Wer Ausgang habe und wer nicht, entscheide zum einen die Stationsordnung und zum anderen der behandelnde Arzt. Diese Entscheidung werde durch Eintragung in die Akte des Patienten oder in der Teambesprechung gefällt und bekannt gegeben. Ein Verlassen habe möglicherweise zur Folge, dass der Patient entlassen werde. Eine solche Maßnahme sei jedoch nur möglich, wenn durch das Pflegepersonal das Verlassen der Station kontrolliert werde und gegebenenfalls Personen am Verlassen gehindert würden, die diese auf Grund der Anweisung der Ärzte nicht verlassen dürfen.

Auf Grund der Anweisung durch die Ärzte sowie der Stationsordnung stehe fest, dass es Patienten gebe, die die Station nicht verlassen dürften. Dies müsse durch die Klägerin sowie das übrige Pflegepersonal überprüft und kontrolliert werden.

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes komme es hier nicht darauf an, ob die Schlüsselgewalt auch mit Zwangsmit teln durchgesetzt werde. Die Klägerin habe unstreitig erklärt, dass Zwangsmaßnahmen gegenüber den Patienten nicht durchgeführt werden. Es werde jedoch durch Überreden und gutes Zureden versucht, Patienten am Verlassen der Station zu hindern, wenn dies medizinisch nicht vertretbar sei.

Die Klägerin sei verpflichtet, in den Fällen, in denen ein Verlassen der Station nicht erlaubt sei, den Patienten am Verlassen der Station zu hindern. Sie dürfe dafür zwar keine Gewalt anwenden, jedoch müsse sie ebenso wie in den Fällen, in denen dies durch Gewalt verhindert werde, das Verlassen verhindern. Diese Art des Abhaltens vom Verlassen der Station sei weitaus schwieriger als wenn Gewalt angewendet werden könnte.

Unmittelbar nach der streitigen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht München vom 14.12.2001 habe sich ein diesbezüglicher Vorfall auf der Station S1 ereignet. Es sei ein Patient eingeliefert worden, der in äußerstem Maße alkoholisiert war. Dieser habe die Station unbedingt verlassen wollen, was von der Klägerin aber nicht verhindert werden konnte. Als der Patient die Station verlassen hatte, seien der Klägerin erhebliche Vorwürfe durch den leitenden Oberarzt Dr. N. gemacht worden. Der Klägerin sei vorgeworfen worden, dass sie den Patienten am Verlassen der Station hätte hindern müssen.

Eine besondere Erschwernis der Tätigkeit der Klägerin liege auch darin, dass gerade die Suchtkranken, welche auf der Station betreut würden, in einem hohen Maße zur Selbst- und Fremdgefährdung neigen. Diese Gefährdung sei durch die Suchtkrankheit typischerweise bedingt. Sobald eine Selbst- oder Fremdgefährdung eines Patienten diagnostiziert werde, welche eine ständige Überwachung in dem Sinne erfordere, dass der Patient am Verlassen der Station gehindert werden muss, erfolge die Verlegung auf eine geschlossene Station innerhalb weniger Stunden.

Es sei auch mehrfach vorgekommen, dass Patienten, die eine Suchtbehandlung vornahmen, bei Aufnahme noch nicht selbstgefährdet waren, jedoch während der Therapie gefährdet wurden, so dass sie auf eine geschlossene Station verlegt werden mussten. Dies sei im Jahre 1999 fünfmal geschehen; im Jahr 2000 seien 14 Patienten von der Station S1 auf die geschlossene Station A3 und A4 verlegt worden. Im Jahre 2001 sei es zu circa sieben Verlegungen von der Station S1 auf die Stationen A2 und A4 gekommen.

Es bleibe im Übrigen festzuhalten, dass eine akute Selbst- und Fremdgefährdung nicht erst dann vorliege, wenn ein Arzt dies festgestellt habe. Auch das Pflegepersonal sei bei suchtkranken Patienten gehalten, so-bald Anzeichen für eine Selbst- oder Fremdgefährdung in Folge einer akuten psychischen Krise bzw. in Folge von Entzugserscheinungen durch das Pflegepersonal wahrgenommen werde, den Patienten am Verlassen der Station zu hindern. Dies geschehe auf Grund der Obhutspflichten, um eine Gefährdung des Patienten bzw. eine von dem Patienten ausgehende Gefährdung auszuschließen. Der behandelnde Arzt werde in der Regel erst im Anschluss hieran eine Entscheidung über den Patienten treffen können. Es bleibe also festzuhalten, dass gerade bei einem derart hohen Anteil an Suchtpatienten diese einer besonderen Beaufsichtigung bedürften. Bei Suchtpatienten liege in einem verstärkten Maße die Gefahr einer Selbst- oder Fremdgefährdung vor.

Ferner komme es häufig vor, dass die Patienten, welche frei die Station verlassen oder betreten können, in alkoholisiertem Zustand zurückkommen, und dass sie die Station wieder verlassen möchten. Auch in diesen Fällen würden die Patienten daran gehindert, die Station zu verlassen, um nicht sich oder andere zu gefährden. Es komme ferner häufig vor, dass diese Suchtpatienten ins Delirium fallen. Sobald festgestellt werde, dass ein solcher Patient die Station verlassen möchte, werde durch einen der Pfleger oder Pflegerinnen mit einem ständig getragenen Alarmauslöser per Knopfdruck das übrige Personal verständigt. Wenn der Patient die Station verlassen möchte, werde ein menschlicher Schutzwall um ihn herum gezogen, d.h., das Pflegepersonal stelle sich um ihn herum auf. Dies solle den Patienten beruhigen, damit er freiwillig sein Vorhaben aufgebe, die Station zu verlassen.

Bezüglich des weiteren Vorbringens der Klägerin im Berufungsverfahren wird auf den Inhalt des Schriftsatzes vom 15.4.2002 (Bl. 117 - 133 d. A.) verwiesen.

Die Klägerin beantragt im Berufungsverfahren,

Das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 7.1.2002 aufzuheben und festzustellen, das die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab 1.4.1999 die Psychiatriezulage gemäß der Protokollerklärung 1b der Anlage 1b zum BAT zu gewähren.

Der Beklagte beantragt dagegen,

die kostenpflichtige Zurückweisung der Berufung und trägt vor, es sei nach wie vor unstreitig, dass keine Weisung bestehe, Patienten notfalls unter Anwendung von Zwang am Verlassen der Station zu hindern. Damit liege schon keine halbgeschlossene Abteilung vor.

Es sei auch falsch, wenn der Eindruck erweckt werde, eine ständige Anwesenheitskontrolle fände statt. Alleine aus der Existenz einer Stationsordnung für die Station 1 könne nicht gefolgert werden, dass es Patienten gebe, die die Station nicht verlassen dürften. Es komme nach der Rechtsprechung des BAG darauf an, ob der Patient die Station verlassen kann, wenn er dies wolle, oder aber, ob die Schlüsselgewalt beim Pflegepersonal liege. Dies sei aber auf der Station 1 nicht der Fall. Das so genannte Stationsgebot stelle lediglich eine Obliegenheit im Rahmen der Therapieabsprache mit dem Arzt dar. Die Patienten könnten aber die Station verlassen, obwohl sie auf Grund ärztlicher Anweisung keinen "Ausgang" haben. Auch die Durchführung einer Anwesenheitskontrolle um 22.00 Uhr erfülle nicht den Tatbestand einer geschlossenen oder halbgeschlossenen Station. Für die Durchsetzung des Stationsgebotes gebe es keine Weisung zur Anwendung von Zwang, dieser sei sogar untersagt.

Es gebe keine ständige Kontrolle. Die Station könne grundsätzlich von den Patienten nach freiem Willensentschluss verlassen und wieder aufgesucht werden. Die Türen seien grundsätzlich nicht geschlossen. Auch gebe es keine Kontrolleinrichtung, wie etwa eine Pforte, die ständig besetzt wäre. Dass das Pflegepersonal gehalten sei, zu kontrollieren, ob die Patienten die therapeutischen Weisungen der Ärzte beachten, führe keineswegs dazu, dass die Station geschlossen gehalten werden müsste. Eine Kontrolle, ob ärztliche Weisungen beachtet werden, habe doch nichts damit zu tun, ob die Schlüsselgewalt beim Pflegepersonal liege. Bei ersterem handele es sich um die Überwachung therapeutischer Maßnahmen, bei zweiterem gegebenenfalls um deren Durchsetzung und zwar nöt igenfalls unter Anwendung physischer Gewalt. Auch in einem somatischen Krankenhaus, etwa in einer internistischen Abteilung oder einer Intensivstation, würde das Pflegepersonal mit Sicherheit durch Zureden versuchen, den Patienten am Verlassen der Station zu hindern, wenn dies medizinisch nicht vertretbar sei. Auch dort käme niemand auf die Idee, von Ausübung der Schlüsselgewalt zu sprechen.

Abgesehen davon, dass die Klägerin nicht einmal ansatzweise ausführe, in welcher Anzahl und in welchem zeitlichen Umfang sich Patienten auf der Station befinden, die wegen Selbst- oder Fremdgefährdung am Verlassen der Station zu hindern seien, sei dieser Vortrag unzutreffend. Denn im Falle einer akuten Selbst- oder Fremdgefährdung werde umgehend eine Verlegung des betroffenen Patienten in eine geschlossene Station veranlasst. Die Anzahl der dokumentierten Vorgänge zeige, dass dies die absolute Ausnahmesituation darstelle. Die Klägerin erwecke den vollkommen unzutreffenden Eindruck, dass auf der Station S1 eine permanente Gefährdungssituation bestehe. Auch sei falsch, dass ein Alarm ausgelöst werde, sobald ein Patient die Station verlassen möchte. Ein Alarm werde ausschließlich bei einer Gefährdungssituation ausgelöst, auch zum Schutz des Pflegepersonals.

Bezüglich des weiteren Vorbringens des Beklagten im Berufungsverfahren wird auf den Inhalt der Schriftsätze vom 19.6.2002 (Bl. 183 - 189 d. A.) und vom 12.9.2002 (Bl. 203/204 d. A.) verwiesen.

Es wurde Zeugenbeweis erhoben durch Einvernahme des Dr. Michael N. als Zeuge; bezüglich des Inhaltes des Beweisbeschlusses und der Aussage wird auf die Niederschrift vom 13.11.2002 (Bl. 205 - 211 d. A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitgerichtes München vom 7.1.2002 ist zulässig aber unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da die Klägerin nicht auf einer halbgeschlossenen psychiatrischen Station tätig ist.

1. Strittig ist zwischen den Parteien lediglich, ob die Station 1, auf welcher die Klägerin eingesetzt ist, eine "halbgeschlossene" Station im Sinne der Protokollerklärung Nr. 1 (1) b zur Anlage 1b (B/TdL/VKA) ist. Nach der Rechtsprechung des BAG (vom 6.12.1995 10 AZR 3/95) ist im Hinblick auf die in der Station betreuten Patienten zu beurteilen, ob eine geschlossene oder halbgeschlossene Station vorliegt. Eine halbgeschlossene Station liegt vor, wenn die Schlüsselgew alt ausschließlich dem Pflegepersonal zusteht, der einzelne Patient j edoch mit Zustimmung einer verantwortlichen Pflegeperson die Station verlassen darf. Die von psychisch kranken Menschen ausgehende Gefahr für sie selbst, für andere Patienten und für das Pflegepersonal muss es erforderlich machen, dass die Station in gewissem Umfange geschlossen zu halten ist, um so eine ständige Übersicht über den Aufenthalt der Patienten und die Anwesenheit von Personen zu haben, die durch die Patienten gefährdet werden können.

Im Urteil vom 12.11.1997 10 AZR 772/96 hat das BAG entschieden, dass eine halbgeschlossene psychiatrische Station bereits dann vorliegt, wenn neben Patienten, welche die Station frei verlassen dürfen, auch solche untergebracht sind, denen dies nicht erlaubt ist und die daher gegebenenfalls am Verlassen der Station gehindert werden müssen. Die Patientengruppe, die dem so genannten Stationsgebot unterliegt, muss nicht die Mehrzahl der Patienten der Abteilung oder Station darstellen.

2. Das Berufungsgericht schließt sich der Rechtsprechung des BAG an; nach diesen Grundsätzen ist die Station, auf welcher die Klägerin im Bezirkskrankenhaus Taufkirchen/Vils tätig ist, keine halbgeschlossene Station. Die Station 1 wird unstreitig nicht abgeschlossen. Unstreitig werden die Patienten, die nach Ziff. 3 der Stationsordnung "die Station nicht verlassen dürfen", auch nicht mit körperlicher Gewalt am Verlassen der Station gehindert. Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin wird durch Überreden und gutes Zureden versucht, den Patienten am Verlassen der Station zu hindern, wenn dies medizinisch nicht vertretbar ist.

Dies ergibt sich auch aus der Aussage des Zeugen Dr. N., der als Oberarzt im Bezirkskrankenhaus Taufkirchen/Vils beschäftigt ist und für die Station 1 zuständig ist. Er hat ausgesagt, dass die Station 1 im Regelbetrieb eine offene Station ist. Es gebe zwar eine Ausgangsregelung für Patienten im akuten Entzug, aber wenn diese gehen wollen, dann können sie auch gehen, die Tür sei offen, die Patienten seien freiwillig da. Es bestehe schon eine Anweisung an das Pflegepersonal in dem Sinne, dass sie versuchen mit den Leuten zu reden, um sie zum Bleiben zu bewegen. Wenn aber ein Patient gehen will, könne er gehen. Wenn sich ein Patient in einem Gespräch nicht überzeugen lasse, bestehe keine Anweisung, ihn durch weitere Maßnahmen am Verlassen der Station zu hindern, es sei denn, er sei akut selbst- oder fremdgefährdend, aber dann werde er in eine geschlossene Station verlegt.

Aus der Aussage des Zeugen Dr. N. wird deutlich, dass die Station 1 keine halbgeschlossene Station ist. Für die Beantwortung der Frage, ob eine Station halbgeschlossen oder offen ist, kann nicht entscheidend sein, ob ausnahmsweise oder gelegentlich Patienten am Verlassen der Station gehindert werden, und zwar auch unter Anwendung körperlicher Gewalt. Voraussetzung ist, dass auf der Station nach deren Zweckbestimmung Patienten untergebracht sind und behandelt werden, denen es nicht erlaubt ist, die Station frei zu verlassen und die daher gegebenenfalls am Verlassen der Station gehindert werden müssen; d.h., es muss sich um Patienten handeln, die auf der Station auch dann zutreffend untergebracht sind, wenn sie sich in einem Zustand befinden, in welchem sie am Verlassen der Station gehindert werden müssen. Diese Voraussetzung ist zwingend, denn sonst wäre jede psychiatrische Station eine halbgeschlossene Station, da es auf jeder psychiatrischen Station, also auch in einer offenen, wie auch in jeder chirurgischen oder internistischen Station, akut auftretende Fälle geben kann, in denen Patienten wegen Selbst- oder Fremdgefährdung am Verlassen der Station oder sogar am Verlassen des Bettes zwingend gehindert werden müssen, um eine akute Selbst- oder Fremdschädigung zu verhindern. Zu einer halbgeschlossenen Station wird aber eine Station erst, wenn sie dafür vorgesehen und eingerichtet ist, dort auch Patienten aufzunehmen und zu behandeln, bei denen die Schlüsselgewalt auf das Pflegepersonal übertragen ist und denen die Freiheit, die Station zu verlassen, im Rahmen ihrer Behandlung genommen ist. Und dies ist bei der Station 1 bezüglich der dort im Regelfalle untergebrachten Patienten nicht der Fall. Aus der Aussage des Zeugen Dr. N. wird deutlich, dass Patienten, die bereits bei der Aufnahme selbst- oder fremdgefährdend sind, sofort auf eine geschlossene Station gebracht werden, oder ein Patient, der in die Station aufgenommen wurde und nicht mehr führbar ist, sofort auf eine geschlossene Station verlegt wird. Der Umstand, dass also gelegentlich auch auf der Station 1 Patienten, die an sich in eine geschlossene Station gehören, am Verlassen der Station - auch durch Gewalt - zu hindern sind, macht die Station 1 nicht zu einer halbgeschlossenen Station.

3. Die Tatsache, dass es für die Station 1 eine Stationsordnung gibt, nach welcher auf dieser Station nach ihrer Zweckbestimmung auch Patienten untergebracht sind, die die Station nicht verlassen dürfen, nämlich "während der Einnahme von Distraneurin und Valium oder aus anderen medizinischen Gründen" oder bei "medikamentenabhängigen Patienten und Patienten, die alkohol- und medikamentenabhängig sind, bis die Urinprobe negativ ausfällt", macht die Station 1 ebenfalls nicht zu einer halbgeschlossenen Station, denn diese Personen werden letztlich, wenn gutes Zureden nichts hilft, am Verlassen der Station nicht gehindert; und es besteht auch keine Anweisung, sie am Verlassen der Station, sei es durch körperlichen Zwang oder durch Verschließen von Türen zu hindern. Die Schlüsselgewalt liegt nämlich nur dann beim Pflegepersonal, wenn ein Patient letztlich nur mit Zustimmung des Pflegepersonals die Station verlassen kann, nicht aber, wenn er letztlich selbst entscheidet, ob er die Station verlässt. In diesem Sinne versteht das Berufungsgericht auch die Entscheidung des BAG vom 12.11.1997, das zur Annahme einer halbgeschlossenen Station erforderlich ist, dass der Patient notfalls am Verlassen der Station gehindert werden muss (so der Leitsatz der En tscheidung vom 12.11.1997), und dass es nicht ausreichend ist, dass alternativ entweder durch gutes Zureden oder durch Zwang der Patient am Verlassen der Klinik gehindert wird, wie man unter Umständen den etwas unscharfen Formulierungen auf Seite 5 in den En tscheidungsgründen des Urteiles des BAG vom 12.11.19 97 entnehmen könnte.

4. Das Arbeitsgericht hat somit die Klage zu Recht abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

Gegen dieses Urteil kann die Klägerin Revision einlegen.

Für den Beklagten ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.

Ende der Entscheidung

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