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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 14.09.2005
Aktenzeichen: 9 Sa 891/05
Rechtsgebiete: ZPO, BetrVG, BGB, KSchG


Vorschriften:

ZPO § 917
ZPO § 935
ZPO § 940
ZPO § 945
BetrVG § 102 Abs. 2
BetrVG § 102 Abs. 5
BGB § 242
BGB § 611
BGB § 613
KSchG § 1 Abs. 3
1. Eine einstweilige Verfügung auf Beschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ist eine Befriedigungsverfügung; mit ihr wird über den Beschäftigungsanspruch selbst entschieden.

2. Bei einer Befriedigungsverfügung muss eine Interessenabwägung stattfinden. Hierbei ist in erster Linie der zu erwartende Ausgang des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Bei einer schwierigen und ungeklärten Rechtslage sind die Anforderungen an den Verfügungsgrund erhöht, wogegen bei einer eindeutigen Rechtslage auf erhöhte Anforderungen an den Verfügungsgrund verzichtet werden kann. Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so kommt es auf die Schutzbedürftigkeit des Verfügungsklägers an, so wenn für den Verfügungskläger schwerwiegende Beeinträchtigungen entstünden, deren Hinnahme ihm nicht zumutbar ist. Sind dagegen bei einer offenen Hauptsacheprognose im Einzelfall die Interessen der Parteien von gleichem Gewicht, kommt eine Befriedigungsverfügung nicht in Frage.


LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

9 Sa 891/05

Verkündet am: 14. September 2005

In dem Rechtsstreit

hat die Neunte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 14. September 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Dunkl sowie die ehrenamtlichen Richter Potthast und Heinrich für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Verfügungsklägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichtes Kempten vom 11.8.2005 - 2 Ga 12/05 KF - wird auf Kosten des Verfügungsklägers zurückgewiesen.

Tatbestand:

Der Verfügungskläger verlangt im Wege der einstweiligen Verfügung die Beschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist.

Der Verfügungskläger, geboren am 13.5.1961, ist seit 1.7.1994 bei der Verfügungsbeklagten als Controller bzw. Innenrevisor tätig gegen ein Bruttomonatsgehalt von zuletzt € 4.141,35. Am 22.4.2005 wurde er von seiner Arbeitspflicht unter Fortzahlung der Bezüge freigestellt. Mit Schreiben vom 27.6.2005 forderte die Prozessbevollmächtigte des Verfügungsklägers die Beschäftigung des Verfügungsklägers als Innenrevisor bzw. Controller. Mit Schriftsatz vom 20.7.2005 beantragte der Verfügungskläger beim Arbeitsgericht Kempten im Wege der einstweiligen Verfügung seine Beschäftigung. Am 26.7.2005 hat dann die Verfügungsbeklagte das Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen zum 31.12.2005 gekündigt. Gegen diese Kündigung hat der Verfügungskläger am 3.8.2005 Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Kempten erhoben. Über diese Klage ist noch keine Entscheidung getroffen.

Der Verfügungskläger macht geltend, er sei zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist 31.12.2005 vertragsgemäß zu beschäftigen. Soweit bestehe ein Verfügungsanspruch. Der Verfügungsgrund sei indiziert, weil die Freistellung grund- und rechtsgrundlos erfolgt sei und ein Interesse an der Freistellung nicht ersichtlich sei. Auch wenn die vom Verfügungsbeklagten behauptete Umstrukturierung bereits vorgenommen worden sei, so bestehe doch eine Beschäftigungsmöglichkeit für den Verfügungskläger, der als Betriebswirt ein breites Einsatzfeld abdecken könne.

Der Verfügungskläger beantragte im ersten Rechtszug:

Der Verfügungsbeklagte wird verurteilt, den Verfügungskläger als Controller/Innenrevisor 38,5 Stunden/Woche zu einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von € 4.141,35 bis 31.12.2005 zu beschäftigen.

Der Verfügungsbeklagte beantragte dagegen

den Antrag zurückzuweisen

und trug vor, es fehle bereits an der Eilbedürftigkeit und damit am Verfügungsgrund, weil der Verfügungskläger mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung drei Monate nach der Freistellung gewartet habe. Außerdem sei kein Hauptsacheverfahren anhängig gemacht worden. Eine besondere Eilbedürftigkeit sei nicht gegeben, weil dem Verfügungskläger im Falle des Nichterlasses der Verfügung ein Verlust von Fähigkeiten oder der Verlust von in einem Beruf wichtigen Informationen nicht drohe. Auch fehle es an einem Verfügungsanspruch, weil für den Verfügungskläger keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr bestehe. Die Stabstelle des Innenrevisors sei ersatzlos gestrichen worden. Im Falle des Erlasses einer einstweiligen Verfügung werde die Hauptsache vorweggenommen und der Verfügungsbeklagte sei zur Einrichtung der Stabstelle gezwungen. Die Tätigkeit des Verfügungsklägers als Innenrevisor habe die Bereiche Personalcontrolling, Vertragscontrolling und Risikomanagement umfasst. Das Personalcontrolling werde künftig ausschließlich von der Personalabteilung übernommen. Der Bereich Vertragscontrolling werde künftig nicht mehr durch eine eigenständige Teilbereichszuständigkeit des Innenrevisors wahrgenommen, sondern durch ausgelagerte Stellen (Rechtsanwaltskanzlei, Wirtschaftsprüfungsgesellschaft etc.). Auch der Bereich Risikomanagement werde bis auf weiteres extern vergeben. In räumlicher Hinsicht könne der Verfügungskläger nicht mehr beschäftigt werden, weil sein bisheriges Büro auf unabsehbare Zeit von der Lenkungs- und Projektgruppe "Zertifizierung Qualitätsmanagement" belegt werde. Andere Räumlichkeiten stünden nicht zur Verfügung. Schließlich sei zu bedenken, dass der Verfügungskläger Zugriff auf Betriebsgeheimnisse des Verfügungsbeklagten habe, so dass ein besonders billigenswertes Interesse an einer Freistellung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bestehe.

Das Arbeitsgericht Kempten hat durch Endurteil vom 11.8.2005 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen und hat zur Begründung ausgeführt, der Verfügungskläger habe die erforderliche Eilbedürftigkeit des Antrages und mithin den Verfügungsgrund nicht glaubhaft gemacht.

Bezüglich des Vorbringens der Parteien im ersten Rechtszug und der rechtlichen Erwägungen des Arbeitsgerichtes im Einzelnen wird auf den Inhalt des Endurteils des Arbeitsgerichtes Kempten vom 11.8.2005 (Bl. 86 - 99 d. A.) verwiesen.

Der Verfügungskläger hat gegen dieses Urteil, das ihm am 19.8.2005 zugestellt wurde, am 24.8.2005 Berufung eingelegt und diese gleichzeitig begründet.

Der Verfügungskläger beantragt im Berufungsverfahren:

Das Urteil des Arbeitsgerichtes Kempten vom 11.8.2005 Az.: 2 Ga 12/05 KF wird aufgehoben, und der Beklagte nach den Schlussanträgen der I. Instanz verurteilt.

Der Verfügungsbeklagte beantragt dagegen

die kostenpflichtige Zurückweisung der Berufung.

Bezüglich des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf den Inhalt des Schriftsatzes des Verfügungsklägers vom 24.8.2005 (Bl. 105 - 108 d. A.) und auf den Schriftsatz des Verfügungsbeklagten vom 7.9.2005 (Bl. 143 - 146 d. A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Verfügungsklägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichtes Kempten vom 11.8.2005 ist zulässig, aber unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass es für den Erlass der einstweiligen Verfügung zumindest am Verfügungsgrund fehlt.

1. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung gemäß §§ 935, 940 ZPO ist das Vorliegen eines Verfügungsanspruches und eines Verfügungsgrundes (vgl. Zöller § 935 ZPO Rz. 1; Thomas/Putzo § 935 ZPO Rz. 4; Handbuch des vorläufigen Rechtsschutzes, A Rz. 495).

Als Verfügungsanspruch kommen bei allen Arten der einstweiligen Verfügung sämtliche Ansprüche in Betracht, die nicht Arrestansprüche sind, somit auch ein Anspruch auf Beschäftigung; dies ist in Rechtsprechung und Literatur mittlerweile einhellige Ansicht (vgl. z.B. Korinth, Einstweiliger Rechtsschutz im arbeitsgerichtlichen Verfahren, S. 243 Rz. 35; GK-ArbGG § 62 Rz. 69a; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozess, Rz. 676; LAG Hamm NZA-RR 1998, 422, LAG München 5 Ta 185/92 NZA 1993; 1131; LAG Berlin DB 1980, 2449; LAG Hamburg NZA 1993, 140).

Der neben dem Verfügungsanspruch erforderliche Verfügungsgrund besteht in der Eilbedürftigkeit, in der Dringlichkeit der Entscheidung (vgl. Zöller § 935 ZPO Rz. 10); es muss ein Grund dafür vorhanden sei, dass schon vor Durchführung des Hauptsacheverfahrens Rechtsschutz gewährt werden darf (Handbuch des vorläufigen Rechtsschutzes A Rz. 504). Beim Verfügungsgrund ist zwischen den einzelnen Arten der einstweiligen Verfügung zu unterscheiden (vgl. Walker a.a.O. Rz. 242; Handbuch des vorläufigen Rechtsschutzes, A Rz. 504).

Bei einer Sicherungsverfügung gemäß § 935 ZPO muss die objektive Gefahr bestehen, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechtes des Verfügungsklägers vereitelt oder wesentlich erschwert wird (§ 935 ZPO), bei einer Regelungsverfügung ist ein Verfügungsgrund gegeben, sofern die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 940 ZPO). Bei einer Leistungs- (Befriedigungs-)Verfügung sind an den Verfügungsgrund besonders strenge Anforderungen zu stellen, da sie die Hauptsache ganz oder zumindest teilweise vorwegnimmt und insoweit endgültige Verhältnisse schafft. Voraussetzung für einen Verfügungsgrund bei einer Leistungsverfügung ist somit, dass der Gläubiger nicht auf eine Anspruchssicherung, sondern auf die sofortige Anspruchserfüllung angewiesen ist und die Leistung so kurzfristig zu erbringen ist, dass die Erwirkung eines Titels im normalen Klageverfahren nicht möglich ist (vgl. Handbuch des vorläufigen Rechtsschutzes, A, Az. 507; Zöller, § 940 ZPO Rz. 6; Walker a.a.O. Rz. 246), da zum Beispiel ein endgültiger Rechtsverlust droht (vgl. Walker a.a.O. Rz. 247; LAG München NJW 1980, 957).

Anders als eine nur sichernde Maßnahme belastet eine Befriedigungsverfügung den Verfügungsbeklagten in besonderem Maße, da die Befriedigungsverfügung meist nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, und trotz der Schadensersatzregelung in § 945 ZPO mangels Realisierbarkeit eines solchen Anspruches meistens der Schaden nicht einmal in Geld ausgeglichen werden kann. Die Befriedigungsverfügung ist also gerade darauf angelegt, beim Verfügungsbeklagten genau zu solchen irreparablen Folgen zu führen, wie sie beim Verfügungskläger verhindert werden sollen (vgl. Walker a.a.O. Rz. 257). Deshalb trifft die den §§ 917, 935 ZPO zugrunde liegende Wertung, wonach die Interessen des Verfügungsklägers am Erlass des Arrestes/der einstweiligen Verfügung generell höher zu bewerten ist als das Interesse der Verfügungsbeklagten am Unterbleiben der Anordnung, und wonach die Nachteile beim Unterbleiben für den Verfügungskläger regelmäßig größer sind als beim Erlass für den Verfügungsbeklagten, bei der Befriedigungsverfügung nicht zu. Vielmehr stehen sich die Interessen beider Beteiligten bei der Befriedigungsverfügung gleichwertig gegenüber (vgl. Walker a.a.O. Rz. 257; Grunsky, JurA 1970, 724, 737).

Zutreffend hat deshalb das LAG München (vom 2.6.2001, 1 Sa 385/00) ausgeführt, dass der Verfügungsgrund für eine Leistungsverfügung nicht mit dem Justizgewährungsanspruch als solchem begründet werden kann. Denn der Anspruch des vermeintlichen Schuldners, einen in Wirklichkeit nicht bestehenden Anspruch abzuwehren, hat durchaus denselben rechtlichen Stellenwert wie der Anspruch des Gläubigers, einen bestimmten Anspruch durchzusetzen. Der Justizgewährungsanspruch ist also für beide Seiten derselbe und hat genau denselben Stellenwert. Erst schwerwiegende besondere Umstände des konkreten Einzelfalles, aus denen sich ein eindeutig überwiegendes Interesse der einen Seite an einer ihr positiven Entscheidung ergibt, können es rechtfertigen, eine Leistungsverfügung zu erlassen.

Es muss also im Einzelfall eine Interessenabwägung stattfinden, um sicherzustellen, dass das Risiko einer Fehlentscheidung nicht von vorneherein nur bei einer Partei liegt (vgl. Walker, a.a.O. Rz. 258 m.z.w.N. in Fußnote 204; Handbuch des vorläufigen Rechtsschutzes, A, Rz. 510a).

Hier ist in erster Linie der zu erwartende Ausgang des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen, sofern er sicher beurteilt werden kann (vgl. Walker, a.a.O., Rz. 258; Handbuch des vorläufigen Rechtsschutzes, A, Rz. 510a). Bei einer schwierigen und ungeklärten Rechtslage sind die Anforderungen an den Verfügungsgrund erhöht, wogegen bei einer eindeutigen Rechtslage für den Verfügungskläger auf erhöhte Anforderungen an den Verfügungsgrund verzichtet werden kann (vgl. LAG Köln, NZA 1997, 329).

Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so kommt es auf die Schutzbedürftigkeit des Verfügungsklägers an, so wenn für den Verfügungskläger schwerwiegende Beeinträchtigungen entstünden, deren Hinnahme ihm nicht zumutbar ist. Sind dagegen bei einer offenen Hauptsacheprognose im Einzelfall die Interessen der Parteien von gleichem Gewicht, kommt eine Befriedigungsverfügung nicht infrage (vgl. Walker, a.a.O., Rz. 263; LAG Hamburg, NZA 1988, Beilage 2, S. 27, 28).

2. Der Prüfung eines Verfügungsgrundes bedürfte es nur dann nicht, wenn eine gesetzliche Regelung auf sein Vorliegen verzichtet oder sein Vorliegen unterstellt (vgl. Zöller, § 935 ZPO Rz. 23; Stein/Jonas/Grunsky, § 935 ZPO Rz. 13). Dies trifft aber beim Beschäftigungsanspruch nicht zu; weder der materielle Beschäftigungsanspruch ist gesetzlich geregelt noch existiert eine spezielle gesetzliche Regelung zur Durchsetzung des Beschäftigungsanspruches während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses.

Auch aus der gesetzlichen Regelung des Weiterbeschäftigungsanspruches des gekündigten Arbeitnehmers nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens in § 102 Abs. 5 BetrVG kann nicht hergeleitet werden, dass der Gesetzgeber dann erst recht auf einen besonderen Verfügungsgrund verzichtet oder diesen unterstellt, wenn der Arbeitnehmer während des unstreitigen Bestehens des Arbeitsverhältnisses die Beschäftigung verlangt. Bei § 102 Abs. 5 BetrVG handelt es sich um eine in sich abgeschlossene Sonderregelung, nach welcher der Arbeitgeber sich durch einstweilige Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung entbinden lassen kann. Wie der Arbeitnehmer die Pflicht des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung, von der sich der Arbeitgeber durch einstweilige Verfügung entbinden lassen kann, durchsetzen kann, ist in § 102 Abs. 2 BetrVG nicht ausdrücklich geregelt. Hier ist streitig, ob es auch hier der Glaubhaftmachung eines besonderen Verfügungsgrundes bedarf (so Fitting u.a. § 102 BetrVG Rz. 67; GK, § 102 BetrVG Rz. 134; LAG Köln NZA 1984, 57; Handbuch des vorläufigen Rechtsschutzes, B Rz. 84), oder ob eine besondere Darlegung und Glaubhaftmachung des Verfügungsgrundes entbehrlich ist (so Dietz/Richardi § 102 BetrVG Rz. 241; Galperin/Löwisch § 120 BetrVG Rz. 103; LAG Köln NZA 1984, 300).

Aber selbst wenn man vertreten würde, dass es einer Darlegung und Glaubhaftmachung eines Verfügungsgrundes beim Weiterbeschäftigungsanspruch gemäß § 102 Abs. 5 BetrVG nicht bedarf, oder dass zumindest hieran verminderte Anforderungen zu stellen sind und ein derartiger Verfügungsgrund im Regelfalle bei Bejahung des Verfügungsanspruches vorliegt (vgl. LAG Berlin, BB 1980, 2449; LAG Köln NZA 1984, 300; Walker a.a.O. Rz. 690; LAG München NZA 1994, 1000; LAG München vom 13.3.2002 9 Sa 144/02), so kann dies auf den Beschäftigungsanspruch nicht übertragen werden; denn gegenüber einem Beschäftigungsanspruch hat der Arbeitgeber nicht den gesetzlich geregelten Anspruch auf Entbindung durch eine von ihm beantragte einstweilige Verfügung, wie er ihn im Rahmen des § 102 Abs. 5 BetrVG hat. Deshalb sind die Interessen des Arbeitgebers, nicht im Wege einer einstweiligen Verfügung zur Beschäftigung verurteilt zu werden, auch bereits im Verfahren auf Erlass einer Beschäftigungsverfügung zu berücksichtigen, und deshalb muss vom Verfügungskläger in diesem Verfahren die Darlegung und Glaubhaftmachung seiner überwiegenden Interessen an der Eilentscheidung und damit des Verfügungsgrundes verlangt werden.

3. Die Verurteilung zur Beschäftigung ist eine Leistungs- (Befriedigungs-)Verfügung; mit ihr wird über den Beschäftigungsanspruch selbst entschieden; die Entscheidung ist auch endgültig und irrreparabel, da bis zum Ablauf der Kündigungsfrist, bis zu welchem die Beschäftigung begehrt werden kann, eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr möglich ist.

Die deshalb beim Verfügungsgrund vorzunehmende Interessenabwägung fällt zugunsten der Verfügungsbeklagten aus.

a) So fehlt es nach Auffassung der Kammer bereits an einer eindeutigen Rechtslage bezüglich des geltend gemachten Verfügungsanspruches/Beschäftigungsanspruches.

Nach der Rechtsprechung des BAG (vgl. AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht), der sich das Berufungsgericht anschließt, hat der Arbeitnehmer während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich auch einen Anspruch auf Beschäftigung; der Anspruch wird abgeleitet im Wege der ergänzenden Rechtsfortbildung aus §§ 611, 613 BGB i.V.m. 242 BGB in Ausfüllung durch die Wertentscheidung der Art. 1 und 2 GG. Der allgemeine Beschäftigungsanspruch aus einer sich aus Treu und Glauben ergebenden Pflicht des Arbeitgebers muss allerdings dort zurücktreten, wo überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers entgegentreten. Der Arbeitgeber ist nach Treu und Glauben nicht verpflichtet, die Interessen der Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf eigene schutzwürdige Interessen zu fördern. Deshalb bedarf es, wenn der Arbeitgeber wegen im Einzelfall entgegenstehender eigener Interessen die Beschäftigung des Arbeitnehmers ablehnt, einer Abwägung der beiderseitigen Interessen zur Feststellung, ob das Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers schutzwürdig ist und überwiegt (BAG a.a.O.).

Der Verfügungsbeklagte hat geltend gemacht, Ursache für die Freistellung des Verfügungsklägers ab 22.4.2005 und dann letztlich für die am 26.7.2005 erfolgte Kündigung sei gewesen, dass auf Grund unternehmerischer Organisationsentscheidung die Stelle des Verfügungsklägers als Innenrevisor ersatzlos gestrichen wurde. Die Tätigkeit des Verfügungsklägers habe sich im Wesentlichen aus den Bereichen Personalcontrolling, Vertragskontrolle und Risikomanagement zusammengesetzt. Der Bereich Personalcontrolling werde - wie auch in der Vergangenheit - nun wieder von der Personalabteilung bearbeitet. Der Bereich Vertragskontrolle werde künftig bei Bedarf von Dritten wahrgenommen (Rechtsanwaltskanzleien, Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Beratungsgesellschaft etc.) und auch das Risikomanagement werde ebenfalls extern bearbeitet. Bei der Verfügungsbeklagten seien auch keine anderen freien Arbeitsplätze vorhanden, die es ermöglichen würden, den Verfügungskläger durch Ausübung des Direktionsrechtes oder durch Ausspruch einer Änderungskündigung im Versetzungswege weiter zu beschäftigen. In räumlicher Hinsicht sei festzuhalten, dass das bislang vom Verfügungskläger in Anspruch genommene Büro nunmehr auf unabsehbare Zeit von der Lenkungs- und Projektgruppe "Zertifizierung Qualitätsmanagement" im Rahmen der beabsichtigten Zertifizierung nach KTQ belegt sei. Für die Unterbringung dieser Einrichtung sei beim Verfügungsbeklagten wiederum keine andere Räumlichkeit vorhanden. Sonstige Räumlichkeiten, die eine adäquate Unterbringung des Verfügungsklägers ermöglichen könnten, seien nicht vorhanden.

Der Arbeitgeber ist in seinen Unternehmerentscheidungen, auch wenn sie Umstellungen und Umorganisationen betreffen, die zum Wegfall von Arbeitsplätzen führen, grundsätzlich frei (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 10, 13, 77 und 86). Der Verfügungsbeklagten stand somit auch das Recht zu, die beschlossene Organisationsänderung durchzuführen. Die unternehmerische Freiheit bezieht sich dabei nicht nur auf die Umorganisation selbst, sondern auch auf den Zeitpunkt. Auch dieser obliegt der freien Entscheidung des Arbeitgebers. Führt die Neuausrichtung/Umorganisation zum Wegfall von Arbeitsplätzen und sind dadurch Kündigungen von Arbeitsverhältnissen erforderlich, so sind diese Kündigungen dann sozial gerechtfertigt, wenn bis zum Ablauf der Kündigungsfrist das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung der gekündigten Arbeitnehmer entfallen ist (vgl. BAG EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 84; EzA § 613a BGB Nr. 40; KR-Etzel § 1 KSchG Rz. 544, 567).

Führt der Arbeitgeber eine beschlossene Rationalisierungsmaßnahme bereits vor Ablauf der Kündigungsfrist durch, und fällt deshalb auch das Bedürfnis zur Weiterbeschäftigung der betroffenen Arbeitnehmer bereits vor Ablauf der Kündigungsfrist weg, so führt dies nicht zur Sozialwidrigkeit der betriebsbedingten Kündigung; denn entscheidend ist, dass bei Ablauf der Kündigungsfrist das Bedürfnis und die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung eines gekündigten Arbeitnehmers entfallen ist.

Das einzige Problem, das sich bei dieser Konstellation ergibt, ist, dass damit vor Ablauf der Kündigungsfrist der Arbeitgeber auch Verhältnisse geschaffen hat, die ihm die Beschäftigung eines gekündigten Arbeitnehmers bis zum Ablauf der Kündigungsfrist entweder unmöglich machen oder erschweren, und eine Pflicht zur Beschäftigung ihn entweder zwingen würde, die Umorganisation hinauszuschieben, oder für eine gewisse Zeit rückgängig zu machen, oder den Arbeitnehmer mit Tätigkeiten zu beauftragen, an denen der Arbeitgeber kein Interesse hat.

Es kann nicht einfach unterstellt werden, es sei treuwidrig, wenn der Arbeitgeber seine Organisationsentscheidung bereits vor Ablauf der Kündigungsfrist des betroffenen Arbeitnehmers umsetzt, und deshalb sei der Arbeitgeber generell zur Beschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers bis zum Ablauf der Kündigungsfrist verpflichtet. So hat das BAG in der Entscheidung vom 10.11.1955 (AR-Blattei "Beschäftigungspflicht: Entscheidung 3") und im Urteil vom 4.6.1964 (AP Nr. 13 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung) vertreten, dass im Zeitraum zwischen Zugang der Kündigung und Ablauf der Kündigungsfrist das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers generell zurückzutreten hat. In der Entscheidung vom 19.8.1976 (AR-Blattei "Beschäftigungspflicht Entscheidung 4") hat das BAG dann ausgeführt, dass für die Laufzeit der Kündigungsfrist eine sorgfältige Prüfung und Abwägung der beiderseitigen Interessen durchzuführen ist, dass sich aber die beiderseitige Interessenlage in diesem Zeitraum anders darstellen kann als im ungekündigten Arbeitsverhältnis. Es könnte nach einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses im Einzelfall sein, dass keine nennenswerten Beschäftigungsinteressen des Arbeitnehmers mehr bestehen.

Die Entscheidung, ob es einen Verstoß gegen Treu und Glauben darstelle, wenn der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer im Rahmen der Kündigungsfrist von der Arbeitsleistung freistellt, bedarf also einer Klärung und Entscheidung im Einzelfall. Hierbei ist aber zu berücksichtigen, wenn schon eine freie Unternehmerentscheidung zur Rechtfertigung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt, so muss sie als weniger einschneidende Maßnahme in der Regel auch die Befugnis enthalten, zu ihrer Umsetzung Arbeitnehmer von der Arbeit freizustellen. Wenn die Freistellung von der Beschäftigung der Umsetzung der unternehmerischen Organisationsentscheidung dient und nicht lediglich dazu dient, den Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers zu vereiteln, so liegt hierin im Regelfalle ein sachlicher Grund, der einen Verstoß gegen Treu und Glauben ausschließt (vgl. auch LAG Köln NZA-RR 2002, 214; LAG München vom 24.4.2003 10 Sa 301/03). Dies gilt insbesondere dann, wenn wie hier der Arbeitgeber die Kündigung deshalb nicht sofort ausgesprochen hat, weil er mit dem Verfügungskläger zu einer einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses kommen wollte und ihm auch Gelegenheit geben wollte, sich aus einem ungekündigten Arbeitsverhältnis heraus um ein neues Arbeitsverhältnis zu bewerben.

b) Somit ist äußerst zweifelhaft, ob überhaupt ein Beschäftigungsanspruch des Verfügungsklägers bis zum Ablauf der Kündigungsfrist besteht. Deshalb müssten besondere Umstände vorliegen, die dennoch den Erlass einer einstweiligen Verfügung rechtfertigen, insbesondere eine Notlage oder der zu befürchtende Eintritt besonderer Nachteile. Hierbei ist aber zu berücksichtigen, dass der Verfügungskläger keine Umstände dargelegt und glaubhaft gemacht hat, die seine Beschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist und damit eine Eilentscheidung im Wege der einstweiligen Verfügung erforderlich machen. Der Kläger ist durch die Fortzahlung der Bezüge finanziell bis zum Ablauf der Kündigungsfrist voll abgesichert. Und selbst in unserer schnelllebigen Zeit führt auch die Nichtbeschäftigung von einigen Monaten nicht dazu, dass ein derart aktueller Wissensverlust eintreten kann, der nicht später wieder ausgeglichen werden könnte.

Demgegenüber besteht aber ein erhebliches Interesse der Verfügungsbeklagten, den Verfügungskläger nicht bis zum Ablauf der Kündigungsfrist beschäftigen zu müssen. So müsste die Verfügungsbeklagte ihre Organisationsentscheidung zum Wegfall der Stelle des Innenrevisors für die Zeit bis 31.12.2005 rückgängig machen und den Arbeitsplatz des Innenrevisors befristet für die wenigen Monate wieder einrichten; dies würde zum einen ihrer unternehmerischen Entscheidungsfreiheit widersprechen und würde zum anderen einen nicht zu rechtfertigenden Aufwand begründen. Der Verfügungsbeklagte ist auch nicht verpflichtet, den Verfügungskläger auf einem anderen Arbeitsplatz zu beschäftigen; zum einen ist eine für den Verfügungskläger geeignete Arbeitsstelle derzeit nicht frei; zum anderen kann der Verfügungsbeklagte im Rahmen einer einstweiligen Verfügung auf Beschäftigung auch nicht verpflichtet werden, eine geeignete Stelle frei zu machen. Ein derartiger Anspruch könnte nur bestehen, wenn die Kündigung vom 26.7.2005 wegen fehlerhafter sozialer Auswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG sozial ungerechtfertigt wäre. Davon kann aber vor einer Entscheidung im Kündigungsschutzverfahren nicht ausgegangen werden. Eine Ausnahme bestünde nur dann, wenn die Verletzung der sozialen Auswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG auch im Verfahren der einstweiligen Verfügung auf Beschäftigung evident feststünde; hiervon kann aber mangels des Vorbringens des Verfügungsklägers nicht ausgegangen werden.

Damit überwiegt also eindeutig das Interesse der Verfügungsbeklagten, den Verfügungskläger bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht beschäftigen zu müssen.

4. Die Berufung des Verfügungsklägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichtes Kempten vom 11.8.2005 war somit zurückzuweisen.

Der Verfügungskläger hat als unterlegene Partei die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel statthaft (§ 72 Abs. 4 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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