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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschluss verkündet am 05.05.2009
Aktenzeichen: 1 TaBV 28/09
Rechtsgebiete: ArbGG, BetrVG


Vorschriften:

ArbGG § 98
BetrVG § 111 Satz 3 Nr. 5
Die Einsetzung einer Einigungsstelle scheitert nicht daran, dass es ggf. an ausgleichspflichtigen wirtschaftlichen Nachteilen fehlt. Im Rahmen des Interessenausgleichsversuchs sind gem. § 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG wirtschaftliche Nachteile gesetzlich unterstellt. Die Gestaltung des Interessenausgleichs im Zusammenhang mit der teilweisen Einführung sog. Selbstbedienungskassen kann überdies noch zum Eintritt wirtschaftlicher Nachteile für die Arbeitnehmer führen.
LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES BESCHLUSS

1 TaBV 28/09

In dem Beschlussverfahren

hat die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen aufgrund der Anhörung am 5. Mai 2009 durch den Präsidenten des Landesarbeitsgerichts Prof. Dr. Lipke beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Arbeitgeberin und Bet. zu 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Nienburg vom 19. Februar 2009 - 3 BV 1/09 - wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob im Zusammenhang mit dem Wegfall von neun der achtzehn Kassen und Einrichtung von sogenannten Selbstbedienungskassen (ECO-Blöcke) sowie der Auflösung bzw. Veränderung des Kassenbüros eine Einigungsstelle zur Verhandlung über einen Interessenausgleich und Sozialplan einzurichten ist.

Die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 2) betreibt am Standort A-Stadt ein großes Einrichtungshaus mit etwa 250 Beschäftigten. Im Bereich der Kassen und des Kassenbüros arbeiten zur Zeit zusammen etwa 46 Beschäftigte.

Die Beteiligten haben Einvernehmen über den ggf. einzusetzenden Vorsitzenden der Einigungsstelle sowie der Zahl der Beisitzer mit je drei pro Seite erzielt. Sie sind aber unterschiedlicher Auffassung, ob es sich bei den Veränderungen um eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung handelt oder nicht. Zumindest seit Anfang Dezember 2008 hat der Betriebsrat Fragen zur Einführung der ECO-Kassen und der Auflösung der Kassenbüros an die Arbeitgeberin gerichtet und darauf innerhalb der bis zum 13. Januar 2009 gesetzten Frist keine Antwort von der Arbeitgeberin erhalten. Unter anderem hat der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats mit Schreiben vom 22. Dezember 2008 (Bl. 10 d. A.) die eigene Rechtsauffassung, dass es sich bei den Umstrukturierungen im Kassenbereich um eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG handele, angezeigt und die Arbeitgeberin aufgefordert Entwürfe zu einem Interessenausgleich und einen Sozialplan vorzulegen. Die Arbeitgeberin hat im Anhörungstermin erster Instanz ihre Rechtsauffassung beibehalten, dass es sich bei den Umstrukturierungen nicht um eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG handele.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 19. Februar 2009 den Anträgen des Betriebsrats entsprochen und erkannt:

"Es wird eine Einigungsstelle zum Themenbereich "Betriebsänderung/Veränderung des Kassenbereichs durch Einführung der ECO-Kassen" und "Betriebsänderung/Veränderung des Kassenbüros" zur Beschlussfassung über einen Interessenausgleich und Sozialplan bei der Beteiligten zu 2) eingerichtet.

Als Vorsitzender der Einigungsstelle wird der stellvertretende Direktor des Arbeitsgerichts Braunschweig, Dr. P1, bestimmt. Die Zahl der Beisitzer wird auf drei pro Seite festgelegt."

Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, dass nach dem vorliegenden Sachverhalt sowohl eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation und der Betriebsanlagen (§ 111 S. 3 Nr. 4 BetrVG) als auch eine Einführung einer grundlegenden neuen Arbeitsmethode (§ 111 S. 3 Nr. 5 BetrVG) gegeben sei. Der Kassenbereich stelle für das Einrichtungshaus der Arbeitgeberin einen wesentlichen Bestandteil dar. Die Ersetzung eines Teils der bislang vorhandenen Kassen durch drei sogenannte ECO-Blöcke bedeute, dass etwa rund die Hälfte der bislang an den Kassen eingesetzten 40 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine erhebliche Änderung ihres Tätigkeitsbild erfahren werde. Die Arbeitgeberin habe insoweit eingeräumt, dass in Zukunft deutlich weniger Personal im Kassenbereich benötigt werde. Zwar plane die Arbeitgeberin keine Entlassungen; auf Grund der Erläuterungen der Arbeitgeberseite könnten aber einige der bislang an den Kassen eingesetzten Mitarbeiter von einer Versetzungsmaßnahme betroffen werden. Damit sei wiederum eine erhebliche Änderung des Tätigkeitsbilds verbunden. Die an die neu zu errichtenden ECO-Blöcken eingesetzten Arbeitnehmer würden nun schwerpunktmäßig mit der Bedienung bzw. mit der Hilfe zur Bedienung der ECO-Blöcke beschäftigt werden. Dazu sei das Erlernen bzw. die Vermittlung von besonderen Wissen erforderlich. Das Anforderungsprofil wechsele also auch hier in einen wesentlich mehr beratenen und dienstleistungsorientierten Bereich. Die völlige Auflösung der Kassenbüros im Verlauf des Jahres 2009 führe weiterhin dazu, dass die dort tätigen Mitarbeiter in andere Bereiche versetzt werden müssten. Auch wenn die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer voraussichtlich keine wirtschaftlichen Nachteile in Form von Entlassungen erleiden würden, so sei doch darüber zu beraten, welche einzelnen Mitarbeiter nach den Vorstellungen der Arbeitgeberseite künftig in welchen genauen Bereichen mit welchen genauen Aufgaben eingesetzt werden sollten und wie dieser Wechsel insbesondere im Wege der Durchführung geeigneter Qualifizierungsmaßnahmen vonstattengehen könnte. Zu den weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Beschlusses sowie zum Vorbringen der Beteiligten erster Instanz wird auf den Beschluss sowie die Ausführungen im Anhörungsprotokoll vom 19. Februar 2009 (Bl. 22 bis 30 d. A.) verwiesen.

Gegen den ihr am 6. März 2009 zugestellten Beschluss des Arbeitsgerichts hat die Arbeitgeberin am 18. März 2009 Beschwerde mit Begründung zum Landesarbeitsgericht eingelegt.

Die Arbeitgeberin vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und hält an ihrer Rechtsauffassung fest, dass die Einführung der ECO-Kassen und die Auflösung des Kassenbüros keine Betriebsänderung darstelle. Das Arbeitsgericht habe übersehen, dass mit den Veränderungen im Kassenbereich keine wirtschaftlichen Nachteile für die Arbeitnehmer eintreten würden. Die Beschäftigung an den ECO-Kassen sei freiwillig und bedürfe nur einer kurzen Einweisung. Der Einsatz beschränke sich auf jeweils 2 Stunden täglich, danach verbliebe es bei dem Einsatz an den normalen Kassen. Es seien weder Entlassungen noch Abgruppierungen geplant. Versetzungen würden nur einvernehmlich vorgenommen. Vor diesem Hintergrund sei es unverständlich, worin eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation und Betriebsanlagen bzw. die Einführung grundlegend neue Arbeitsmethoden liegen solle. Überdies habe der Betriebsrat vorprozessual die Arbeitgeberseite nicht zu Verhandlungen über einen Sozialplan aufgefordert.

Die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 2) stellt den Antrag,

unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Nienburg vom 19. Februar 2009 die Anträge des Betriebsrats zurückzuweisen.

Der Betriebsrat und Beteiligte zu 1) stellt den Antrag,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er tritt der arbeitsgerichtlichen Entscheidung bei und weist daraufhin, dass die Arbeitgeberin von Anfang an in der Umstrukturierung im Kassenbereich und im Kassenbüro keine Betriebsänderung habe anerkennen wollen. Eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle sei nicht dadurch gegeben, dass unter Umständen keine wirtschaftlichen Nachteile für die betroffenen Arbeitnehmer eintreten würden. Wirtschaftliche Nachteile würden nach § 111 BetrVG unterstellt, in dem das Gesetz davon ausginge, dass die dort genannten Maßnahmen wesentliche Nachteile für die Arbeitnehmer nach sich ziehen könnten. Das Fehlen wesentlicher Nachteile könne Gegenstand der Sozialplanverhandlung in der Einigungsstelle sein, hindere aber nicht deren Einrichtung. Es bliebe auch unklar, warum es zu keinerlei Abgruppierungen kommen solle. So könnten Arbeitnehmer aus dem Kassenbüro bei einer Versetzung in den Kassenbereich ihre Eingruppierung nicht halten. Bei der von der Arbeitgeberseite zugesicherten völligen Freiwilligkeit des Einsatzes an den ECO-Kassen könnten sich auch Probleme ergeben, falls alle Kassierer/innen damit nicht einverstanden seien.

Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten wird auf die Schriftsätze vom 17. März und 3. April 2009 sowie auf die Anhörungsniederschrift vom 5. Mai 2009 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Arbeitgeberin bleibt in der Sache erfolglos. Das Arbeitsgericht Nienburg hat zutreffend entschieden. Die Beschwerde war mithin zurückzuweisen.

1.

Der Regelungsgegenstand war nach dem Fragenkatalog des Betriebsrats vom 9. Dezember 2008, spätestens aber mit dem Anschreiben des Verfahrensbevollmächtigten vom 22. Dezember 2008 (Bl. 10 f. d. A.) eindeutig umrissen. Da sich die Arbeitgeberseite innerhalb der gesetzten Frist nicht erklärt hat, konnte der Betriebsrat von einem Scheitern der Verhandlungen ausgehen und das Einigungsstellenbesetzungsverfahren nach § 98 ArbGG in Gang setzen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts steht es den Betriebspartnern im Zusammenhang mit der Einleitung des Bestellungsverfahrens nach § 98 ArbGG frei zu entscheiden, wann sie der Errichtung einer Einigungsstelle mit gerichtlicher Hilfe für notwendig erachten (LAG Niedersachsen vom 7. Dezember 1998 - 1 TaBV 74/98; LAG Hamm vom 9. August 2004 - 10 TaBV 81/04 = LAGE § 98 ArbGG 1979 Nr. 35, 43).

2.

Gemessen am Maßstab der offensichtlichen Unzuständigkeit, ist hier zumindest ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 111 S. 3 Nr. 5 BetrVG denkbar. Die offensichtliche Unzuständigkeit einer Einigungsstelle ist nur dann gegeben, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass ein Mitbestimmungsrecht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommt (ErfK-Eisemann/Koch 9. Aufl. § 98 ArbGG Rn. 3 mwN). So kann dahinstehen, ob die Einführung von ECO-Kassen eine grundlegende Änderung von Betriebsanlagen darstellt (vgl. hierzu erkennendes Gericht vom 8. Juni 2007 - 1 TaBV 27/07 = LAGE § 98 ArbGG Nr. 49 mwN). Dagegen kann eine grundlegende neue Arbeitsmethode nicht von vornherein ausgeschlossen werden, wenn anstelle der herkömmlichen Kassen nun sogenannte Selbstbedienungskassen unter Hilfestellung und Überwachung der Beschäftigten eingeführt werden. Dies lässt sich jedenfalls daran festmachen, dass von den 250 Beschäftigten im Einrichtungshaus nach dem Vorbringen beider Seiten die 40 Arbeitnehmer im Kassenbereich und fünf bis sechs Arbeitnehmer aus dem Kassenbüro von den geplanten Umstrukturierungen betroffen sein dürften. Damit würden jedenfalls mehr als 10 % der Belegschaft von den veränderten Arbeitsbedingungen betroffen sein (Fitting BetrVG 23. Aufl. Rn. 100, 95; Staffelvorgabe des § 17 KSchG). Die Voraussetzungen einer Betriebsänderung dürften damit gegeben sein, so dass eine offensichtliche Unzuständigkeit der einzurichtenden Einigungsstelle verneint werden muss.

III.

Der Hinweis der Arbeitgeberin, dass keine wirtschaftlichen Nachteile für die von der Umstrukturierung betroffenen Beschäftigten eintreten würden, verfängt nicht. Bei den Voraussetzungen einer Betriebsänderung im Sinne des § 111 S. 3 Nr. 5 BetrVG werden die wirtschaftlichen Nachteile durch das Gesetz unterstellt. Die Prüfung, ob ausgleichspflichtige wirtschaftliche Nachteile für die betroffenen Belegschaftsmitglieder tatsächlich eintreten, hat die Einigungsstelle vorzunehmen. Sollte sich dabei herausstellen, dass keine wirtschaftlichen Nachteile eingetreten sind, so kann die Aufstellung eines Sozialplans unterbleiben (vgl. BAG vom 25. Januar 2000 - 1 ABR 1/99 = EzA § 112 BetrVG Nr. 106; Fitting aaO Rn. 42). Dabei dürfte auch eine Rolle spielen, ob und wie es dem Betriebsparteien gelingt, den Interessenausgleich zu gestalten.

IV.

Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen, da das Beschlussverfahren kostenfrei ist.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 98 Abs. 2 S. 4 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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