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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 17.10.2008
Aktenzeichen: 10 Sa 423/08
Rechtsgebiete: TVöD BT-V, TVöD


Vorschriften:

TVöD BT-V § 46
TVöD § 27
Bei der Berechnung von Zusatzurlaubsansprüchen gemäß § 46 TVöD-BT-V sind nur Zeiten tatsächlicher Arbeitsleistung zu berücksichtigen.
LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

10 Sa 423/08

In dem Rechtsstreit

hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 17. Oktober 2008 durch

den Direktor des Arbeitsgerichts Trapp, den ehrenamtlichen Richter Herrn Prof. Bertrand, die ehrenamtliche Richterin Frau Bohling für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover - 8 Ca 431/07 Ö - vom 15. Februar 2008 abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf tariflichen Zusatzurlaub.

Der Kläger ist bei der Beklagten als Feuerwehrmann im Bereich des Bundesministeriums der Verteidigung zu einer monatlichen Bruttovergütung in Höhe von 3.300,00 € zuzüglich Schichtzulagen beschäftigt. Der Kläger wird im Schichtdienst eingesetzt, wegen der Arbeitszeitregelung für den Kläger wird auf den Anhang zur Dienstvereinbarung für das am Flugplatz W. eingesetzte zivile Brandschutzpersonal vom 16. August 2006 (Bl. 86 und 87 d. A.) Bezug genommen.

Im Jahr 2006 war der Kläger für 151 Schichten eingeteilt. Wegen Urlaubs und Krankheit leistete er insgesamt 136 Schichten. Mit Schreiben vom 1. Februar 2007 (Bl. 30 d. A.) teilte die Beklagte dem Kläger, dass ihm für 2006 2 Tage Zusatzurlaub zustehen. Mit Schreiben vom 20. Februar 2007 (Bl. 31 d. A.) verlangte der Kläger einen weiteren Tag Zusatzurlaub. Die 2 Tage Zusatzurlaub für 2006 wurden dem Kläger gewährt.

Am 18. September 2007 hat der Kläger vor dem Arbeitsgericht Hannover Klage erhoben.

Er hat die Auffassung vertreten, bei der Ermittlung seines Anspruches auf Zusatzurlaub dürften die Fehlzeiten wegen Krankheit oder Erholungsurlaubs nicht berücksichtigt werden. Da er das gesamte Jahr 2006 Schichtdienst geleistet habe, sei ihm ein weiterer Tag Zusatzurlaub zu gewähren.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihm einen weiteren Tag Zusatzurlaub für das Jahr 2006 zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, Anspruch auf Zusatzurlaub bestehe nur für Zeiten tatsächlicher Arbeitsleistung.

Mit Urteil vom 15. Februar 2008 hat das Arbeitsgericht Hannover der Klage stattgegeben. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 55 d. A.), wegen der rechtlichen Würdigung auf die Entscheidungsgründe (Bl. 56 bis 61 d. A.) Bezug genommen.

Gegen das ihr am 10. März 2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 13. März 2008, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am 18. März 2008, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 5. Mai 2008, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am 5. Mai 2008, begründet.

Die Beklagte ist der Auffassung, die tariflichen Regelungen für den Zusatzurlaub forderten eine tatsächliche Arbeitsleistung. Fehlzeiten wegen Krankheit oder Urlaubs könnten bei der Berechnung des Zusatzurlaubs nicht berücksichtigt werden. Eine Rundung von Bruchteilen von Urlaubstagen habe im Zusammenhang mit dem Zusatzurlaub nicht zu erfolgen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Arbeitsgerichts Hannover vom 15. Februar 2008 - 8 Ca 431/07 Ö - die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, die tariflichen Regelungen sähen vor, dass für die Berechnung des Zusatzurlaubsanspruchs Unterbrechungen durch Arbeitsbefreiung, Freizeitausgleich, bezahlten Urlaub oder Arbeitsunfähigkeit in den Grenzen des § 22 TVöD unschädlich seien. Danach stehe ihm für das Jahr 2006 der volle Zusatzurlaubsanspruch zu.

Entscheidungsgründe:

Die vom Arbeitsgericht zugelassene Berufung ist begründet.

I.

Dem Kläger steht für das Jahr 2006 kein weiterer Zusatzurlaub zu.

Ein darauf gerichteter Anspruch des Klägers ergibt sich insbesondere nicht aus § 46 TVöD-BT-V in Verbindung mit § 27 Abs. 1 TVöD.

Der Kläger hat im Jahr 2006 nicht die Voraussetzungen für die Gewährung von 3 Tagen Zusatzurlaub erfüllt.

§ 46 TVöD BT-V (Bund) lautet auszugsweise:

Nr. 7: Zu § 27 - Zusatzurlaub - Für Beschäftigte, die unter Nr. 4 Abs. 3 fallen, beträgt der Zusatzurlaub für je vier Monate der Arbeitsleistung im Kalenderjahr einen Tag.

§ 27 TVöD lautet auszugsweise:

(1) Beschäftigte, die ständig Wechselschichtarbeit nach § 7 Abs. 1 oder ständig Schichtarbeit nach § 7 Abs. 2 leisten und denen die Zulage nach § 8 Abs. 5 Satz 1 oder Abs. 6 Satz 1 zusteht erhalten

a) bei Wechselschichtarbeit für je zwei zusammenhängende Monate und

b) bei Schichtarbeit für je vier zusammenhängende Monate einen Arbeitstag Zusatzurlaub.

(2) Im Falle nicht ständiger Wechselschicht- oder Schichtarbeit (z. B. ständige Vertreter) erhalten Beschäftigte des Bundes, denen die Zulage nach § 8 Abs. 5 Satz 2 oder Abs. 6 Satz 2 zusteht, einen Arbeitstag Zusatzurlaub für

a) je drei Monate im Jahr, in denen sie überwiegend Wechselschichtarbeit geleistet haben, und

b) je fünf Monate im Jahr, in denen sie überwiegend Schichtarbeit geleistet haben.

(...)

Protokollerklärung zu den Absätzen 1 und 2:

Der Anspruch auf Zusatzurlaub bemisst sich nach der abgeleisteten Schicht- oder Wechselschichtarbeit und entsteht im laufenden Jahr, sobald die Voraussetzungen nach Absatz 1 und 2 erfüllt sind. Für die Feststellung, ob ständige Wechselschichtarbeit oder ständige Schichtarbeit vorliegt, ist eine Unterbrechung durch Arbeitsbefreiung, Freizeitausgleich, bezahlten Urlaub oder Arbeitsunfähigkeit in den Grenzen des § 22 unschädlich.

1.

Bei der Berechnung der Zusatzurlaubsansprüche sind nur Zeiten tatsächlicher Arbeitsleistung zu berücksichtigen. Dies ergibt die Auslegung der Tarifvorschriften.

Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Dabei ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnormen zutreffend ermittelt werden können. Lässt diese zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt; vgl. BAG, Urteil vom 6. Juli 2006, 2 AZR 587/05, AP Nr. 201 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie.

a.

Der Wortlaut der Regelungen des § 46 TVöD BT-V (Bund) und § 27 TVöD deutet darauf hin, dass der Zusatzurlaub nur für tatsächlich geleistete Schichtarbeit gewährt werden soll.

(1)

Dies ergibt sich zunächst daraus, dass § 46 Nr. 7 TVöD BT-V (Bund) den Zusatzurlaub nur für Monate der Arbeitsleistung vorsieht. Weiterhin sind die Zusatzurlaubsansprüche nach § 27 Abs. 2 TVöD von der überwiegenden Leistung von Wechselschicht- oder Schichtarbeit in den jeweiligen Monaten abhängig, setzen also auch die tatsächliche Leistung voraus. Schließlich bemisst sich der Anspruch gem. Satz 1 der Protokollerklärung ausdrücklich nach der abgeleisteten Schicht- oder Wechselschichtarbeit.

(2)

Dem steht Satz 2 der Protokollerklärung zu § 27 TVöD nicht entgegen.

(a)

Danach ist für die Feststellung, ob ständige Wechselschichtarbeit oder ständige Schichtarbeit vorliegt, eine Unterbrechung durch Arbeitsbefreiung, Freizeitausgleich, bezahlten Urlaub oder Arbeitsunfähigkeit in den Grenzen des § 22 TVöD unschädlich. Die Regelung bezieht sich ausschließlich auf die Frage, ob der Beschäftigte ständig im Sinne des Tarifvertrages Wechselschicht- oder Schichtarbeit leistet. Der Zusatzurlaubsanspruch setzt ständige Wechselschichtarbeit oder ständige Schichtarbeit voraus. Erst wenn feststeht, dass der Beschäftigte diese geleistet hat, kann berechnet werden, in welcher Höhe ihm Zusatzurlaub zusteht. Die Feststellung und die Berechnung sind danach unterschiedliche Vorgänge.

(b)

Aus der Tatsache, dass die Tarifvertragsparteien die Regelung des Satzes 2 der Protokollerklärung vereinbart haben, lässt sich darüber hinaus auch folgern, dass Zusatzurlaubsansprüche nur für tatsächlich geleistete Schichtarbeit gewährt werden sollen, da anderenfalls die Regelung überflüssig wäre.

Käme es nicht auf die tatsächliche Arbeitsleistung, sondern nur auf die Zeit des Einsatzes im Wechselschicht- oder Schichtdienst an, wären die Unterbrechungszeiten von vornherein unschädlich. An der Tatsache des Einsatzes des Beschäftigten im Wechselschicht- oder Schichtdienst ändert die fehlende Arbeitsleistung aus den genannten Gründen nichts, da eine andere Einsatzart dem Beschäftigten hierdurch nicht zugewiesen wird.

b.

Dieser Tarifauslegung steht der Sinn und Zweck der tariflichen Regelung nicht entgegen.

Mit den Regelungen über den tariflichen Zusatzurlaub sollen die Belastungen ausgeglichen werden, die Beschäftigte durch die Leistung von Wechselschicht- oder Schichtarbeit haben. Hierbei gehen die Tarifvertragsparteien davon aus, dass die ständige Wechselschicht- oder Schichtarbeit für die Beschäftigten belastender ist. Dies ergibt sich aus den unterschiedlichen Regelungen der ständigen und der nicht ständigen Wechselschicht- oder Schichtarbeit in den Absätzen 1 und 2 des § 27 TVöD. Der Ausgleich von Belastungen setzt aber voraus, dass diese Belastungen tatsächlich vorliegen, und dies ist nur im Falle tatsächlich geleisteter Arbeit der Fall. In Zeiten der Unterbrechung der Arbeitsleistung durch Urlaub oder Krankheit entsteht eine auszugleichende zusätzliche Belastung nicht.

c.

Die Regelung über die Zusatzurlaubstage läuft bei der hier angenommenen Auslegung auch nicht leer.

Die Regelung, dass die genannten Unterbrechungszeiten bei der Feststellung ständiger Wechselschicht- oder Schichtarbeit nicht berücksichtigt werden, ist deswegen erforderlich, weil § 27 Abs. 1 TVöD Zusatzurlaubsansprüche jeweils nur bei zusammenhängenden Zeiträumen der Arbeitsleistung vorsieht. Wäre die Unschädlichkeitsregelung in der Protokollerklärung nicht getroffen, führte dies dazu, dass ein einzelner Krankheitstag den Zusammenhang zwischen den Zeiträumen unterbrechen könnte und das Entstehen des Zusatzurlaubsanspruchs vereitelte; zu der entsprechenden Auslegung vgl. auch für die Vorläufervorschrift Scheuring/Steingen/Banse/Thivessen, MTArb Ausgabe Bund, Kommentar zu SR 2 a Bereich des BMVG.

2.

Der Zusatzurlaubsanspruch des Klägers ist auch nicht als Bruchteil von 0,7 Tagen entstanden.

Zwar wären rechnerisch bei den vom Kläger geleisteten Schichten unstreitig 2,7 Zusatzurlaubstage entstanden. Die Entstehung von Bruchteilen von Zusatzurlaubstagen sehen die tariflichen Vorschriften aber nicht vor.

a.

Dies ergibt sich aus Satz 1 2. Halbsatz der Protokollerklärung zu den Absätzen 1 und 2 des § 27 TVöD. Danach entsteht der Anspruch auf Zusatzurlaub im laufenden Jahr, sobald die Voraussetzungen nach Abs. 1 und 2 erfüllt sind. Diese Regelung schließt die Entstehung von Bruchteilen aus. Die tariflichen Vorschriften regeln Mindestzeiträume, in denen ständig Wechselschichtarbeit geleistet werden muss. Der Zusatzurlaubsanspruch entsteht dabei, weil die Belastungen durch den Schichtdienst mit der Dauer des Schichtdienstes zunehmen. Aus diesem Grund setzt der Anspruch die Erfüllung der vollen Zeiträume voraus.

b.

Dies ergibt sich auch aus dem Zusammenhang zwischen § 27 Abs. 1 und 2 TVöD.

Die Tarifvertragsparteien haben die ständige und die nicht ständige Wechselschicht- oder Schichtarbeit unterschiedlich geregelt. Für die ständige Wechselschicht- oder Schichtarbeitarbeit haben sie hierbei höhere Zuschläge und Zusatzurlaubsansprüche vorgesehen. Wären diese nicht an das Erreichen der geregelten Zeiträume gekoppelt, ergäbe sich ein Wertungswiderspruch zu der Regelung für die nicht ständige Wechselschicht- oder Schichtarbeit mehr.

Bereits einzelne Einsatztage im Wechselschicht- oder Schichtdienst ließen dann Bruchteile von Zusatzurlaubsansprüchen entstehen. Dies ist aber von den Tarifvertragsparteien nicht gewollt, da auch das Entstehen von Zusatzurlaubsansprüchen für nicht ständige Wechselschicht- oder Schichtarbeit ausweislich § 27 Abs. 2 TVöD an die überwiegende Leistung von Wechselschicht- oder Schichtarbeit in den jeweiligen Monaten geknüpft ist. Auf die Frage der Anwendbarkeit der Rundungsvorschrift des § 26 Abs. 1 S. 5 TVöD kommt es danach nicht an.

II.

Die Kosten des Verfahrens waren gemäß § 91 Abs. 1 ZPO dem Kläger aufzuerlegen.

Die Entscheidung über die Zulassung der Revision ergibt sich aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Im Hinblick auf den Anwendungsbereich des TVöD ist die Frage der Auslegung der §§ 46 TVöD BT-V (Bund), 27 TVöD klärungsbedürftig.

Ende der Entscheidung

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